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Nach unserem morgendlichen Spaziergang liess ich Micky noch ein wenig am Strick grasen. Es war lustig zu sehen wie er das Gras in sich hineinschlang, wie wenn er nicht vor knapp einer Stunde etwas gefressen hätte. Wir brachten die Pferde wieder in ihre Boxen und betraten das Stadion, allerdings nicht als Teilnehmer, sondern als Zuschauer. Heute wurde der Nationenpreis ausgetragen und Fiona hätte eigentlich unbedingt Unterschriften sammeln wollen. Das würden ich zwischen Prüfung und Siegerehrung tun. Jetzt wollten Ann-Kathrin und ich den Sport geniessen. Der Vormittag verging wie im Flug, und meine Aufregung wuchs mehr und mehr. Nach der Mittagspause würde die Siegerehrung stattfinden, welche ich aber leider nicht mitverfolgen konnte, da ich dann mich vorbereiten musste. Ann-Kathrin verschwand um etwas Essbares aufzutreiben, und so schlenderte ich alleine Richtung Stallzelt.
Fiona hatte mit ausdrücklich den Auftrag gegeben, ihre leuchtend pinke Schabracke für Autogramme zu nutzen. Auf meine Einwände, die Schabracke sei doch viel zu schade, hatte sie nur abgewunken. «Ich habe eine gefühlte Milliarde Schabracken. Wie auch immer, das musste sie selber wissen. Die Schabracke und einen Edding im Gepäck machte ich mich auf zum Abreitezelt. Auf dem Weg dorthin traf ich einen alten Bekannten, Orlando. Er führte eines von Aline Schwerenhofs Pferden, den hübschen Fuchs, und plauderte mit einem anderen Pferdepfleger, den ich nicht kannte. Ich winkte ihm nur kurz zu und setzte meinen Weg fort. Das Abreitezelt war gut gefüllt mit Reitern, Pferden, Pflegern, Trainern und weiss Gott wem. Ich beeilte mich die gewünschten Unterschriften zusammen zubekommen.
Gerade hatte eine Schweizer Reiterin unterschrieben, als sie mich prüfend musterte. «Entschuldige wenn ich falsch liege, aber du bist doch die Juniorin mit dem Schecken oder?» Ich nickte schüchtern. «Sehr guter Ritt gestern, vielleicht etwas wild, aber sehr schnell», lobte sie mich unerwartet. «Danke», stotterte ich und wurde rot. Mit einer neonpinken Schabracke voller Unterschriften betrat ich wieder das Stallzelt. Noch über zwei Stunden bis zu meinem Start. Um meine Finger zu beschäftigen, begann ich Mickys zweifarbige Mähne zu kämmen. Dann kam mir die Idee: wieso nicht einflechten. Für das Finale der Schweizer Meisterschaften durfte man ruhig etwas schicker aussehen. Also begann ich in meiner Putzkiste nach den Mähnengummis zu suchen. Ich fand die Plastikbox mit den weissen und schwarzen Gummiringen. Ich nahm mir ebenfalls einen Mähnenkamm mit und band Micky in seiner Box an. Der Wallach störte sich herzlich wenig an meiner Frisieraktion und rupfte zufrieden sein Heu aus dem Heunetz. Vorsichtig begann ich Mickys dünne Mähne zu flechten. Etwa eine Viertelstunde später waren schon eine ganze Menge kleiner Zöpfchen zusammengekommen, welche ich vorsichtig hochsteckte und mit einem weissen oder schwarzen Gummi sicherte, je nach dem welche Farbe die geflochtenen Strähnen hatten.
Zufrieden trat ich einen Schritt zurück und betrachtete mein Werk: Michelangelo sah wirklich edel aus. Da ich immer noch mehr als genug Zeit hatte, flocht ich auch noch seinen Schweif ein. Ann-Kathrin kam mit zwei Plastiktellern mit Pommes und Bratwurst zurück. «Sorry für die Verspätung, vor den Imbissständen ist eine unglaubliche Schlange.» Dann bemerkte sie, dass ich Michelangelo herausgeputzt hatte. «Nicht übel, ihr seht schon mal aus wie Sieger, dann müsst ihr nur noch welche werden.» Sie reichte mir einen der Plastikteller hinüber. Schweigend assen wir unser Mittagessen. Hin und wieder musste eine von uns Micky daran hindern sich zu wälzen, denn sonst wäre mein ganzer Aufwand für nichts gewesen. Einen Teller Pommes später trank ich einen Schluck Wasser aus der Literflasche, welche Ann-Kathrin ebenfalls besorgt hatte und atmete tief durch. Als ich mich zur Parcoursbesichtigung aufmachte, bete ich dass Michelangelo in der halben Stunde, in der ich weg war, sich nicht wälzte. Die Linienführung des Parcours gefiel mir viel besser als gestern. Es gab mehr Möglichkeiten um abzukürzen, was mir mit einem wendigen Pferd wie Michelangelo in die Karten spielte. Mit einem breiten Grinsen verliess ich das Stadion um mein Pferd zu putzen.
Nach dem Putzen war aus dem Micky, der sich gerne wälzte und hin und wieder einen Mistfleck hatte, das Turnierpferd Michelangelo geworden, welcher sprang wie eine Eins. «Let's go», mit diesen Worten legte ich meinen Sattel auf Mickys Rücken. Es war nichts anders als gestern, satteln, Stollen rein und Trensen, und trotzdem fühle es sich anders an. Ich wurde von Minute zu Minute nervöser und war heilfroh dass Ann-Kathrin mir aufs Pferd half. Also ritten wir zum Abreitezelt, oder besser: Michelangelo ging und ich sass nervös im Sattel. Ans Warmreiten und die ersten Übungssprünge konnte ich mich später gar nicht mehr erinnern, so aufgeregt war ich. Als meine Zeit gekommen war ritten Michelangelo und ich aus dem Zelt in Richtung Gründenmoos. Ich musste wohl ziemlich blass um die Nase gewesen sein, denn Ann-Kathrin ergriff Michelangelos Zügel. Mein Wallach blieb stehen, schlug aber unwillig mit dem Schweif. Meine Aufregung musste sich auf ihn übertragen haben «Olivia, hör mir zu», sagte meine Trainerin mit eindringlicher Stimme, «Du kannst das, du weisst wie man springt. Und im Notfall hast du immer noch ein Pferd welches für dich durchs Feuer gehen würde. Und jetzt ab mit euch.» Die Schranke öffnete sich und wir trabten in das Stadion.
Das Paar vor uns war gerade auf der letzten Distanz und so zeigte ich Michelangelo noch einmal den Wassergraben. Dieser schien von den farbigen Blumen, die in den Kübeln neben dem Hindernis standen nicht irritieren zu lassen, weshalb ich wendete und angaloppierte. Das Publikum applaudierte als das Paar vor uns ins Ziel ritt. Ich ritt eine Volte um Michelangelos Aufmerksamkeit vom Applaus wieder auf mich zu lenken. «Mit der Startnummer 43: Olivia Dreher und Michelangelo VI.» Die Stimme des Ansagers klang wie durch Watte zu mir durch, genauso wie der höfliche Applaus des Publikums. Ich ritt auf den ersten Sprung zu, einen Steil in den Schweizer Farben. Micky sprang ab. Jetzt gab es kein zurück mehr. Geradeaus auf den nächsten Oxer. Ich trieb Michelangelo an. Wir durften keine Zeit verlieren. Der dritte Sprung war ein Plankensprung, welchen mein Wallach mit einem fast zu grossen Satz überwand. Jetzt kam eine scharfe Linkswendung. Der Schecke schüttelte unwillig den Kopf, sprang aber trotzdem über die folgende Trippelbarre. Ich lobte ihn mit einem leisen «brav», was er aber, dem zu mir zuckenden Ohr nach, gehört hatte. Die Linienführung ging wieder nach links, auf eine dreifache Kombination zu. Ich trieb mein Pferd nochmals an, um den ersten Oxer gut zu erwischen. Oxer, ein Galoppsprung, Steilsprung, zwei Galoppsprünge auf den abschliessenden Oxer und schon waren wir draussen.
Jetzt konnte man wählen, ob man innen am Wassergraben, oder aussen vorbeireitet. Mit meinem wendigen Wallach wendete ich nach der Landung scharf nach links. Ich musste Michelangelo ziemlich antreiben, damit er auf den nächsten Steilsprung passend kam, aber mein Wallach flog wie ein Vogel über die grün-weissen Stangen. Jetzt kam eine Rechtswendung, in der man Abkürzen konnte, was ich auch tat. Wir landeten im richtigen Galopp und rasten auf den Oxer zu. Kraftvoll stiess sich mein Schecke ab und segelte über den Oxer. Jetzt kam der Wassergraben und ich versuchte gar nicht erst abzukürzen, da ich hier präzise reiten wollte, um den Absprung zu erwischen. Mit Zungenschnalzen wollte ich mein Pferd dazu motivieren die Galoppsprünge zu vergrössern. Allerdings fasste Micky das dazu auf, etwa einen Meter zu früh abzuspringen. Ich erwartete das künstlich blau gefärbte Wasser aufspritzen zu sehen, doch Michelangelo hatte sich selbst übertroffen und trotz dem viel zu frühen Absprung sich weit genug gestreckt um sicher über den Graben zu springen. Ich lobte ihn kurz mit einem fast unsichtbaren Klopfen am Hals. Ich kürzte wieder nach links ab, auf einen schmalen Steilsprung, welchen wir ohne Probleme meisterten.
Auf die letzte Distanz zur abschliessenden Kombination wandte ich nochmal alles auf was ich hatte um Micky anzutreiben. Wir segelten über den Oxer, machten zwei Galoppsprünge und beendeten den Parcours mit dem finalen Steilsprung. Bevor ich auch nur wagte zur Anzeigetafel zu schauen, liess ich beide Zügel los und lobte Michelangelo überschwänglich. Diese Runde hatte er einmal mehr bewiesen dass er Gold wert war. Er galoppierte brav weiter. Dann endlich sah ich auf die Anzeigetafel und die Gefühle überwältigten mich. Das ganze Abkürzen musste sich gelohnt haben, denn wir waren unglaublich schnell gewesen. Ich parierte mein Pferd in den Trab durch und verliess das Stadion.
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