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Madame Chasserals Prüfung war durchzogen. Ein Gewitter war aufgezogen und es regnete in Strömen. Die Fuchsstute schien sich davon sehr irritieren und so kamen wir mit zwölf Fehlerpunkten ins Ziel. Carmen bot an die Stute abzureiten und dann in die Box zu bringen, so konnte ich Elisa und Citronello und etwas später auch Ann-Kathrin und Victoria anfeuern. Morgen würde Soda in einer Prüfung über 1.35m starten und Sonntags dann Chanel. Der Gedanke an die Schimmelstute liess mich schaudernd an den Sturz zurückdenken. Ich sah wieder Stangen vor meinem inneren Auge auf mich zufliegen und schüttelte energisch den Kopf. Nicht daran denken, mahnte ich mich. Ich verbannte diese Gedanken aus meinem Kopf und konzentrierte mich auf das Paar im Parcours. Ein junges Mädchen flog mit ihrem braunen Pony nur so über die Sprünge. Viel besser als ich und Madame Chasseral es kurz zuvor getan hatten. Ich liess meinen Blick über die Zuschauer wandern. Irgendwo mussten doch Orlando, Lou und Fiona sein. Sie hatten schliesslich meine Jacke.

Lou und Orlando waren in eine angeregte Diskussion vertieft und bekamen kaum mit das ich da war, aber Fiona kannte mich zu gut. «Du siehst nicht sehr glücklich aus», kommentierte sie, als sie mir die Jacke reichte, «Ist es wegen der Prüfung?» Ich zog meine Kapuze hoch und seufzte. «Nein, ich weiss einfach nicht was ich will.» Fiona lächelte mitfühlend. «De Medici?» Ich nickte. «Manchmal denke ich mir, er ist nicht das richtige Pferd für mich, aber zuzugeben, dass er mir nicht passt, fühlt sich wie Verrat an. Sowohl an Esther Dubois als auch an Michelangelo.» Ich seufzte und beobachtete die Frau, die auf einem drahtigen Fuchs gerade über den letzten Sprung flog. «Nimm ihn nicht», sagte Fiona nach einer kurzen Pause. «Was?», ich glaubte mich verhört zu haben. «Wenn das Herz nein sagt, soll es nicht sein, hat mein Urgrossvater immer gesagt. Se il cuore dicessi no, non devi essere.» Ich blickte Fiona an, aber sie sah weiterhin gerade aus. «Es gibt da draussen sicher ein Pferd bei dem dein Herz ja sagt.» Ich wollte etwas erwidern, aber der Ansager verkündete das nächste Paar. «Elisa Cathomas sur Narrodini Citronello.»

Auf einen Schlag fiel es mir wieder ein. «Wenn wir schon bei Narrodini Pferden sind», Fiona, überrascht über meinen abrupten Themawechsel, zog eine Augenbraue hoch. «Was ist, wilslt du dir eins kaufen? Du kannst gerne mal mitkommen aufs Gestüt.» «Nein, also doch ich komme gerne mal mit, aber kann es sein das Lia Merlin Maiers Pferd Narrodini Marchesi Blù heisst?» Fiona zuckte mit den Schultern. «Dem Namen nach muss es ja so sein. Die Zucht gehört meinen Grosseltern, nicht mir. Die haben allein dieses Jahr gefühlt dreissig Fohlen, ich habe da überhaupt nicht den Überblick. Aber ich kann ja mal nachfragen.» Wie ich wusste würde Fiona eigentlich die ganzen Sommerferien in der Toscana auf dem altehrwürdigen Gestüt Narrodini verbringen. Aber sie hatte ihre Grosseltern gebeten, erst später kommen zu dürfen, schliesslich musste sie ihre Freundin an die Europameisterschaften begleiten.

Elisa und Citronello sprangen sehr souverän, obwohl es ihre erste Prüfung auf diesem Level war. Am letzten Sprung hatten sie einen Fehler, aber das konnte Elisas breites Grinsen nicht trüben als sie vom Platz ritt, obwohl sie somit nicht ins Stechen kamen. Ich bemerkte dass Lou und Orlando fehlten, aber ging davon aus dass sie irgendwo ins Trockene waren. Fiona und ich halfen ihr Citronello zu versorgen und zu dritt kamen wir gerade rechtzeitig um Ann-Kathrin und Victoria einreiten zu sehen. «Avec le numeró huitante Ann-Kathrin Derungs sur Victoria d’Éprius», schallte die blecherne Stimme des Ansagers über den Platz. Victoria schüttelte den Kopf und tänzelte nervös umher. Sie wirkte voller Energie und ihre Ohren waren aufmerksam gespitzt. Als Ann-Kathrin sie endlich angaloppieren liess, bockte sie einmal, eine Macke die mich früher öfters von ihrem Rücken befördert hatte als ich zählen konnte. Victoria sprang routiniert, mit einer Leichtigkeit als wären es nur Cavaletti. Über dem Sprung kreuzte sie die Vorderbeine, eine weitere ihrer Eigenarten. In Stilspringen war Victoria deswegen nie vorne platziert gewesen.

Victoria und Ann-Kathrin rockten diese Prüfung. Es wirkte so unglaublich leicht. Ich hatte Ann-Kathrin schon immer dafür bewundert, dass, egal wie schwer der Parcours wirklich war, es bei ihr aussah wie das leichteste der Welt. Als die beiden ins Ziel kamen, applaudierten Fiona und ich überschwänglich. Die Zeit war unglaublich und dann auch noch fehlerfrei. Damit waren sie sicher im Stechen. Als die beiden vom Platz ritten gesellten wir uns zu ihnen. «Das war unglaublich», kommentierte Fiona, während sie Victorias Zügel festhielt, damit Ann-Kathrin absteigen konnte. Diese verzog nur das Gesicht. «Naja, war heute nicht unbedingt mein bester Tag. Victoria hat das aber ganz gut gemacht.» Mit diesen Worten gab sie der Fuchsstute ein Leckerlie, welches sie aus der Tasche ihres Jacketts. «Will wer von euch Schrittreiten bis zum Stechen? Ich muss dringend etwas essen und auf die Toilette.» Fiona und ich nickten zeitgleich. Ann-Kathrin lachte. «Ihr regelt das schon untereinander.»

Schliesslich endete Fiona auf Victoria. Nach einer Diskussion ob es schlau wäre zu reiten, nachdem man erst vor einer Woche den Gips abbekommen hatte, der den gebrochenen Arm geschient hatte. Allerdings konnte ich Fionas Argument: «Die Ärztin meinte ich muss den Arm bewegen» relativ wenig entgegensetzen. Und da Victoria eine absolute Lebensversicherung war, gab ich mich geschlagen. Stattdessen stand ich in der Nähe des Abreiteplatzes unter einem Vordach der Stallzelte und beobachtete wie Fiona und Victoria im strömenden Regen ihre Runden drehten.

Ich bemerkte Elisa erst als sie mir am Ärmel zog. «Erde an Olivia, schläfst du?» Erschrocken zuckte ich zusammen. «Was?» Elisa lachte. «Ob du schläfst. Ich soll dir von Orlando und Louisa ausrichten das sie mit dem Bus ins Hotel sind. Lou ist schlecht und Orlando befürchtet anscheinend dass sie gleich umkippt.» Ich nickte. «Danke für die Info, hab die beiden schon vermisst.» Elisa grinste. «Gibs zu, Lous Galgenhumor und Orlandos dumme Sprüche kann man nicht ernsthaft vermissen.» Ich schnaubte. «Ohne Lous und Orlandos Humor wäre die Menschheit nicht dort wo sie jetzt ist.» Elisa stöhnte theatralisch. «Auf deine Sprüche kann ich auch verzichten.» Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Typisch Elisa. «Ich hab Hunger.» Auch typisch Elisa. «Die Festwirtschaft ist dort drüben», sagte ich und wies auf den Stand von dem der Duft von Pommes und grillierten Würsten herkam. «Siehst du die Schlange?», verwies Elisa auf die Menge an Menschen, welche im strömenden Regen anstanden. «Hast du jetzt Hunger oder nicht?» fragte ich und grinste breit. Bei Elisas Todesblick, der nicht wirklich angsteinflössend war, grinste ich nur breiter.

Elisas Ideen waren gut. Da wir weder Lust zum Anstehen, noch Appetit auf Pommes und Würste hatten, was mir, nachdem ich mich in den letzten beiden Tagen hier nur von Pommes und Würsten ernährt hatte, nicht zu verübeln war, kam Elisa auf die glorreiche Idee Pizza zu bestellen. Nachdem Fiona, Carmen und Ann-Kathrin ebenso begeistert dabei waren, überliessen wir es Elisa die Pizza zu bestellen. Kaum war die Pizza auf dem Weg zu uns, war es auch schon so weit: das Stechen würde bald beginnen. Ann-Kathrin würde eröffnen. Sie machte noch zwei Sprünge, beide Male den Steilsprung. Das war eines ihrer Rituale, dessen über Ursprung sie eisern schweig.

Wir waren ihr und Victoria dicht auf den Fersen auf dem Weg zum Springplatz. Mit einer entschlossenen Miene ritt sie in den Parcours. Ich konnte sie nur bewundern. Bei ihr wirkte alles so leicht, so im Einklang mit dem Pferd. Ihre Hilfen waren beinahe unsichtbar. Mit einem Hauch eines Schenkeldrucks liess sie die Stute angaloppieren. Victoria galoppierte los. Es sah nicht besonders schnell aus, aber das lag an den grossen Galoppsprüngen, denn laut der Uhr war es besonders schnell. In einer grandiosen Zeit und fehlerlos meisterten Ann-Kathrin und die Fuchsstute den Parcours, als wäre es nichts. Ich konnte den entsetzten Gesichtsausdruck der Reiterin beobachten, welche nach Ann-Kathrin reiten würde, als das Resultat angezeigt wurde. Ann-Kathrin verliess den Platz und wir reichten ihr sofort den Regenmantel aufs Pferd. Sie selber lächelte. «Denen haben wir gezeigt, dass du noch lange nicht alt bist», sagte sie zu Victoria, während sie die Stute lobte. Diese schnaubte und verschlang das Leckerlie, dass Elisa ihr hinhielt.

Ann-Kathrin gewann die Prüfung, was zu erwarten war. Victoria stand bei der Siegerehrung stolz da und wirkte deutlich grösser als sie war, obwohl sie, vom Regen durchnässt, ein eher erbärmliches Bild abgab. Als Ann-Kathrin das Blumenbouquet erhielt, drückte die Sonne durch die grauen Wolken und es nieselte nur noch. Pünktlich für die Ehrenrunde erschien auch noch ein Regenbogen am Himmel, während die Pferde zu der Musik um den Platz galoppierten, allen voran meine Reitlehrerin mit dem Pferd auf dem ich Reiten gelernt hatte. Und hätte Victoria es gekonnt, ich könnte schwören, sie hätte mindestens so breit gegrinst wie ihre Reiterin.

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Surprise, ich lebe noch!
Ich muss zugeben, ich war seeehr lange inaktiv. Was nicht zu einem kleinen Teil damit zu tun hat, dass meine Sehenenscheidenentzündung chronisch ist. ABER: es wird besser, in kleinen Schritten. Ich kann zwar immernoch nicht allzu lange tippen, weil das schmerzhaft ist, aber ich bin fest entschlossen, Mid Air angemessen zu beenden. Danke an alle, die trotz der Pause wieder dabei sind.

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