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Mit einem Strahlen auf dem Gesicht ritt ich mit Madame Chasseral vom Reitplatz. Die Sonne schien warm vom Himmel, die Fuchsstute schnaubte entspannt und die goldene Schleife an ihrem Zaum schimmerte. Ich lobte sie noch einmal überschwänglich. Ihr erster Sieg überhaupt und ich hatte sie dorthin gebracht. Ich tauschte einen High-Five mit Carmen aus, und klatschte bei Fiona ab. Lou stand abseits, sie fürchtete sich vor Pferden und Orlando leistete ihr Gesellschaft. «Der Plan ist jetzt wie folgt: Orlando versorgt Madame Chasseral, während ich nach Le Chaux-de-Fonds fahre. Liv, du gehst mit Lou zur Meldestelle.» Es war nämlich so: Nach längerem Nachdenken hatte Carmen den Vorschlag gemacht, ich könnte Esther Dubois fragen, ob es möglich wäre, De Medici nach Lignières zu bringen, damit ich ihn im Knock-Out Springen reiten könnte. Sie hatte sofort zugesagt. Ich schnappte mir Lou und wir eilten zur Meldestelle. Ich sah auf dem Weg kurz, wie der LKW des Waldstättengutes vom Parkplatz fuhr, dann war Carmen weg.
An der Meldestelle erwartete uns Frau Stocker. «Ah, guten Tag Olivia», begrüsste sie uns, sah kurz von ihrem Laptop auf und tippte dann eifrig weiter. «Ich würde gerne für das Knock-Out Springen mein Pferd anmelden.» Frau Stocker unterbrach ihre Arbeit und blickte mich an. «Gut, warte kurz», sie klickte ein paar Mal herum. «So», sie drehte den Laptop um. «Füll einfach hier aus, das geht am einfachsten.» Ich tippte die geforderten Angaben zu De Medici ein. Lou diktierte mir, wo ich nicht weiterwusste, denn Esther Dubois hatte uns netterweise ein Foto des Passes geschickt. Als wir fertig waren, druckte Frau Stocker uns noch die Startliste. «Ihr wart die Letzten, die noch fehlten.»
Auf dem Rückweg zu den Stallzelten studierten wir die Startliste. Ich würde als erste gegen Lia Merlin Maier reiten. Meine gute Laune trübte sich, als ich besagte Person bei den Stallzelten entdeckte. Sie sah mich auch und kam mit einem freundlichen Lächeln, das mindestens so falsch war wie ihre überlangen, dichten Wimpern, auf uns zu. «Hallo Olivia», sagte sie mit etwas schriller Stimme und ich versuchte nicht allzu angewidert auszusehen. «Wer ist den deine Begleitung?», fragte sie neugierig. «Louisa Rossi, Lia Merlin Maier», stellte ich die beiden wortkarg vor. Fiona rettete uns aus dieser unangenehmen Situation, indem sie mir anrief. «Wir müssen weiter», rief ich Lia hinterher während ich eine etwas perplexe Lou nachzog.
Fiona stand am Rand eines grossen Feldes, Orlando versuchte Madame Chasseral einzufangen, die Fuchsstute galoppierte jedoch nur davon. Zügel und Steigbügel flatterten dabei hinter ihr her. «Was ist passiert?», fragte ich, hatte aber schon eine miese Vorahnung, da Fiona uns gebeten hatte einen Eimer mit Kraftfutter mitzunehmen. «Wir mussten hier rüber, der Abreiteplatz war zu voll. Madame Chasseral scheute, Orlando fiel nach dem zwanzigsten Mal Buckeln oder so runter, seit zehn Minuten bekommen wir sie nicht mehr beruhigt.» Ich schüttelte den Eimer, damit das Futter raschelte. Die Stute blieb kurz stehen und spitzte die Ohren. Orlando versuchte sie einzufangen, doch sie galoppierte davon.
Je länger Madame Chasseral rumgaloppierte, desto mehr Schaulustige versammelten sich. Nach einer geschlagenen Viertelstunde schien Madame Chasseral genug zu haben, kam lammfromm angetrabt und liess sich ohne Probleme einfangen. Kopfschüttelnd führten wir sie weg. Das konnte auch nur uns passieren. Bei den Stallzelten versorgten Fiona und ich Madame Chasseral, Lou und Orlando gingen auf die Suche nach etwas Essbarem. «Bist du jemals ein Knock-Out Springen gestartet?», frage ich Fiona, während ich mit einer Wurzelbürste die Madame Chasserals Sattellage bürstete. «Nein, ich hab nur mal vor Jahren am CSI Genf eines gesehen. Ich glaube da ist sogar Mon Gamin gestartet, wenn ich mich nicht irre.»
Es war kein schwerer Parcours, soviel stand nach der Besichtigung fest. Das einzig Tückische waren die engen Wendungen. Ich hoffte das De Medici genauso wendig war wie sein Bruder, aber das würde ich erst auf dem Abreiteplatz herausfinden müssen. Kurz darauf fuhr der LKW des Waldstättengutes wieder auf den Parkplatz. Gemeinsam mit Carmen öffnete ich die Klappe und darin stand er: ein kleiner Fuchsschecke mit breiter Blesse und blauen Augen, De Medici. Die ungewohnte Umgebung machte ihn sichtlich nervös, aber Esther Dubois, welche ebenfalls mitgekommen war, gab dem Wallach Sicherheit. «Er ist ein gutes Springpferd», sagte sie, während sie dem Wallach beruhigend über den Hals strich, «Elise hat ihn bis 1.25m gesprungen, aber er könnte noch viel höher. In letzter Zeit ist mein Mann ihn einige Male gesprungen, nichts wildes, vielleicht einen Meter.»
Frühzeitig gingen wir auf den Abreiteplatz hinüber, schliesslich war ich den Wallach noch nie gesprungen. Meine Befürchtungen, es würde das reinste Desaster werden, bewahrheiteten sich glücklicherweise nicht. De Medici sah einen Sprung, galoppierte darauf zu und sprang, ohne ein Drama zu machen. Ich hatte ein breites Grinsen im Gesicht, nach dem Sturz von Chanel genau was ich brachte. Und wenn ich die Augen schloss, fühlte es sich fast an wie auf Michelangelo. . Es wäre beinahe perfekt gewesen, wenn nicht kurz darauf Lia Merlin Maier mit ihrem braunen Wallach auf den Platz gekommen wäre. Das Strass auf ihrem Helm funkelte in der Sonne, das makellose Fell Marchesis glänzte in der Sonne, ihre Haut war beinahe kalkweiss, ihre Lippen blutrot geschminkt: kurz gesagt, ich war mir aufs Mal sehr bewusst, dass De Medici und ich nicht aussahen wie aus einem Felix Bühler Katalog.
Nebeneinander ritten wir vom Abreiteplatz auf den Turnierplatz. Lia und Marchesi, beide sehr gross, überragten De Medici und mich, beide eher klein, um Einiges. Aber ich hatte ein herausforderndes Lächeln im Gesicht und war das Adrenalin rauschte nur so durch meine Adern. Die Glocke läutete und De Medici schnellte pfeilschnell vor und wir sausten eng an der Zeitschranke vorbei. Mein Parcours war rechts, Lias links. Geradeaus galoppierten wir auf den ersten Steil zu und bevor ich es realisieren konnte, waren wir drüber. Einen leichten Bogen nach links und über den Oxer. Jetzt kam eine Stelle an der ich im Vorteil war, eine beinahe 180-Grad Wendung in der ich mit einem kleinen Pferd besser rumkommen würde. In der Distanz zum nächsten Steil konnte ich mir den Seitenblick nicht verkneifen und tatsächlich lagen wir etwas vorne.
Ich trieb De Medici an, der Wallach sprang etwas flach über den Sprung und ich hörte die Stangen klappern, liess den Fuchsschecken in einer halsbrecherischen Kurve vor einem anderen Sprung wenden und wir sprangen über den nächsten Sprung. Jedes grössere Pferd wäre unmöglich herum gekommen, aber mit einem kleinen, flinken Pony wäre es machbar. Und De Medici war ja fast eins. Wieder nahmen wir die nächste Kurve sehr eng, und beschleunigten noch einmal etwas auf den nächsten Oxer. Schneller ging nicht, sonst gäbe es Tote. Den Oxer nahmen wir sehr schräg, damit wir auf der Zieldistanz besser reinkamen. Ich wagte es nicht noch einmal hinüber zu blicken und behielt das Ziel fest im Blick. Ich hörte das Trommeln der Hufe im Sand und dann die kurze Stille über dem Sprung. Dann erst wagte ich den Blick zur Seite und sah Marchesi gerade landen. Ich hatte gesiegt. Überschwänglich lobte ich De Medici, es war nicht selbstverständlich, dass er beim zweiten Mal reiten gerade so viel mitmachte.
Dieses Kapitel entstand vor meiner Sehnenscheidenentzündung, natürlich schone ich mich.
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