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Auf der Rückfahrt war De Medici das Thema Nummer eins. «Ich finde der bewegt sich traumhaft», tat Carmen ihre Meinung kund. Fiona pflichtete ihr bei: «In der Dressur hat er mehr Talent als Michelangelo.» Ich zuckte mit den Schultern. «Ich weiss nicht...» Eigentlich wusste ich schon, aber es fiel mir schwer etwas Schlechtes über meinen Michelangelo zu sagen. Jetzt schaltete sich Orlando ein: «Ich finde Michelangelo ist aber charakterlich der Sympathischere. De Medici ist irgendwie so», er suchte nach Worten, «Ihr wisst was ich meine. Er ist nicht so menschenbezogen wie Michelangelo.» «Aber wir vergessen fast das wichtigste, wie ist das Reitgefühl?», warf Fiona ein. Ich dachte nach, rang nach Worten die passen wie es sich auf dem Wallach anfühlte. «Er ist weder faul noch spritzig, der Schritt ist angenehm, der Trab schwungvoll und der Galopp schaukelnd. Er ist ein viel besseres Dressurpferd als Michelangelo, aber irgendwie weiss ich nicht.»

Ich weiss es nicht, dachte ich mir beim Abendessen, das beschreibt De Medici sehr gut. Er war ein unglaublich liebes Pferd, aber der Funke war nicht sofort übergesprungen wie bei Michelangelo. Ich erinnerte mich daran wie ich ihn das erste Mal gesehen habe. Ich war zwölf gewesen und hatte nicht nach einem Pferd gesucht. Ann-Kathrin war auf der Suche nach einem Schulpferd gewesen und so auf den Schecken gestossen. Sie konnte ihn sich nicht im Schulbetrieb vorstellen, aber als erstes eigenes Pferd für ein junges Mädchen, welches mit einigen Schulponys eine Springprüfung nach der anderen gewann, schien er perfekt zu sein. Sie hatte mich und meine Eltern zum Probereiten mitgenommen und als ich das erste Mal auf dem Rücken des Wallach sass, war mir klar, dass er mein bPferd war. Ein Ellbogen stupste mir leicht in die Seite. Ich schreckte aus meinen Gedanken und blickte Lou vorwurfsvoll an. «Wo bist du in Gedanken?», fragte Fiona, «Ich habe dich gefragt wann die erste Prüfung morgen ist?»

Mit meinen Freunden ein Zimmer zu teilen, stellte sich bald als sehr anstrengend aus. Nach langem Diskutieren war beschlossen, dass Lou und ich im Doppelbett schliefen, Orlando oben im Stockbett, worüber er sich wie ein Junge freute und Fiona unten. Während ich Fionas goldene Locken ausbürstete, hatte Lou Musik laufen gelassen. One Direction, wie könnte es anders sein. Orlando und sie waren in eine hitzige Debatte verwickelt, ob Pop besser war als Rap, oder eben nicht. Fiona kicherte. «Schaut euch mal an, ihr streitet wie ein altes Ehepaar.» Worauf beide stocksteif wurden und wie aus einem Munde «Nein» sagten, worauf Fiona und ich in herzhaftes Lachen ausbrachen.

Der Abend so, wie es wohl kommen musste wenn man vier Jugendliche in einem Hotelzimmer lässt. Gut, eigentlich fünf, denn Aline kam auch rüber. Auch wenn mein erster Eindruck von ihr gewesen war, dass sie arrogant und hochnäsig war, man konnte mit ihr auch Spass haben. Irgendwann nach neun Uhr war jemand von uns auf die glorreiche Idee gekommen, den Eurovision Song Contest nachzuspielen, inklusive Performance. Meine Freunde und ich waren alle nicht unbedingt besonders musikalisch, weshalb unsere Performances vermutlich eher schlecht als recht waren. Aber als Aline die ersten Takte von Skyfall zu singen begann, blieb mir vor Staunen der Mund offen stehen und Fiona riss ihre grauen Augen so weit auf, dass ich befürchtete sie würden aus ihren Augenhöhlen ploppen. Ihrer zierlichen Figur hätte man so eine Stimme nie zugetraut. Dunkel und etwas rauchig, perfekt für dieses Lied. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen und ihre Augen blitzen auf, ich hatte sie glaub noch nie so unbeschwert gesehen.

Es war unser aller Glück das die erste Prüfung erst am frühen Nachmittag stattfand. Es war eine Springprüfung über 1.35m. Während Lou dazu verdammt wurde bei der endlosen Essensschlange anzustehen, halfen Orlando und Fiona mir Bohemian Rhapsody zu putzen. Fiona pinselte die tellergrossen Hufe mit Huffett ein, während Orlando an der Hinterhand des Wallachs herumbürstete. Carmen, welche einen Kaffee trank, stand vor Madame Chasserals Box und musterte, was auch immer Orlando tat, kritisch, dann nickte sie anerkennend. «Das sieht echt gut aus.» Ich legte die Kardätsche nieder mit der ich Sodas Kopf geputzt hatte und trat ebenfalls an die Flanke des riesigen Wallachs. Orlando hatte ein hübsches Schachbrettmuster in das Fell auf der Hinterhand des Dunkelbraunen gebürstet und es sah fantastisch aus.

Auf dem Abreiteplatz entdeckte ich bei meinem Eintreffen einige bekannte Gesichter: Kevin Bürer ritt einen unscheinbaren Braunen, Aline thronte auf ihrer Red Africa und ich glaubte den leuchtend roten Haarschopf Lia Merlin Maiers gesehen zu haben. Das Abreiten verlief mehr als unspektakulär. Soda hatte einen guten Tag und sprang wie eine Eins. Als es für uns Zeit wurde, den Parcours zu bestreiten, folgten Carmen und meine Freunde mir dicht auf den Fersen. Bevor die Schranke geöffnet wurde, damit ich einreiten konnte, klatschte ich kurz bei jedem ab, dann nahm ich die Zügel auf und Soda trabte auf den Sandplatz. Kevin überwand mit seinem Pferd gerade den letzten Sprung. Ich warf einen letzten Blick auf den Parcours. Kurz schweifte mein Blick über die kleine Tribüne und ich entdeckte Lia Merlin Maiers rote Haare. Dann hörte ich das Glockenzeichen und ich schob mein Bein zurück um dem Wallach die Galopphilfe zu geben.

Zufrieden mit unserer Leistung klopfte ich Bohemian Rhapsodys Hals. Wir waren zwar nicht die schnellsten gewesen, aber mit einer Teilnahme im Stechen war auf jeden Fall zu rechnen. Ich strahlte bis über beide Ohren. Adrenalin rauschte durch meine Adern. Ich konnte Bohemian Rhapsody nicht genug loben. Ich ging auf den Abreiteplatz und mein Team folgte mir. Ich wusste das ich jedem der vier mein Leben anvertrauen würde. Carmen wusste scheinbar alles, was es über Pferde zu wissen gab, Lou war mein persönlicher Psychotherapeut, ihre Empathie unübertroffen. Orlandos fröhliche Art konnte nichts trüben und Fiona, sie konnte mich verstehen wie kein anderer. Sie wusste mehr über mich, als jeder andere Mensch und hatte immer an mich geglaubt. Ich wäre ohne sie nicht zu dem Menschen geworden den ich bin. Ohne jeden einzelnen von diesen besonderen Menschen wäre ich nie so weit gekommen.

Als die Starter fürs Stechen bekannt gegeben wurden, stellten wir fest, das ich eröffnen würde. Ich hatte die langsamste Zeit. Also ritt ich Soda wieder in den, diesmal leicht veränderten, Parcours. Der Wallach sprang wieder tadellos und wir blieben null, allerdings war schon nach dem zweiten Starter klar, dass wir nicht schnell genug gewesen waren, man hätte noch deutlich mehr rausholen können. Aber ich war zufrieden, mit mir und Bohemian Rhapsody. Es würde noch weitere Chancen diese Woche geben und wir hatten einen guten Start erwischt.

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