40~
Der Kunststoff der Innenabdeckung der Tür des LKWs drückte unangenehm gegen meine Wange. Gerade sah ich ein Strassenschild mit der Aufschrift Biel/Bienne am Fenster vorbei ziehen. Aus dem Radio klang die nervtötend hohe Stimme irgendeiner Popsängerin. Mein Schädel pochte und das helle Sonnenlicht draussen ätzte mir gefühlt die Netzhaut weg. Es war Dienstagmittag und Carmen, Aline, ihr Pfleger und ich waren auf dem Weg nach Lignières. Ich war kurz davor gewesen nicht zu fahren, da ich mit einer quälenden Migräne aufgewacht war, schlussendlich war ich jedoch trotzdem irgendwie auf der Rückbank des LKWs gelandet. Jemand stellte das Radio leiser und dann hörte ich Carmens Stimme fragen: «Rico, wie wärs wenn du Aline und Olivia in La Neuveville rauslässt. Dann könnte Olivia schon ins Hotel und wenns schlimmer wird in eine Apotheke.» Rico, das hatte ich während der Fahrt erfahren, war Alines Pfleger. «Es hat keinen Sinn wenn wir sie nach Lignières mitschleppen, da stimme ich dir voll und ganz zu», erwiderte dieser. Ich schloss die Augen und versuchte das schmerzhafte Pochen zu ignorieren und im besten Fall einzuschlafen.
Wäre ich fitter gewesen, hätte ich sicher über die verwunderten Passanten geschmunzelt die neugierig einen Blick auf den grossen LKW auf dem Parkplatz eines doch recht kleinen Hotels hielt und aus dem zwei junge Frauen, von denen eine ziemlich benebelt aussah, ausstiegen. Aline regelte zum Glück alles, während ich gegen die in der letzten Viertelstunde neu aufgetretene Übelkeit kämpfte. Aline drückte mir mit einem mitleidigen Blick und der Information, dass, wenn ich etwas benötigte, ich ihr einfach anrufen sollte, die Schlüssel für mein Zimmer in die Hand. Als ich im Zimmer war, warf ich meinen Koffer einfach in eine Ecke und zog die Vorhänge zu, um das Tageslicht auszusperren, welches meine Kopfschmerzen nur verschlimmerte. Ich warf mich auf das frisch bezogene Doppelbett. Ausserdem waren in dem Zimmer noch ein Stockbett, welches eigentlich für Kinder gedacht war, aber für diese Woche von meinen Freunden in Beschlag genommen wird, welche irgendwann heute noch eintreffen würden.
Anscheinend musste sich mein herbeigesehnter Schlaf eingestellt haben, denn ein Klopfen an der Zimmertür weckte mich. Im Halbschlaf vernahm ich Stimmen, welche mir entfernt bekannt fvorkamen. Es klopfte abermals, dieses mal raffte ich mich auf und öffnete schlaftrunken die Tür. Auf dem Flur standen Louisa, Fiona und Orlando. «Du siehst schrecklich aus», kommentierte Lou meine Erscheinung nach einer Umarmung als Begrüssung. Es tat gut meine besten Freunde wieder zu sehen. «Migräne», meinte ich und umarmte Fiona, darauf bedacht nicht gegen ihren eingegipsten Arm zu stossen. «Du Arme», meinte Orlando, grinste dann und fügte hinzu: «Aber du wärst ernstzunehmende Konkurrenz für Gollum.» Ich fiel auch ihm um den Hals und ignorierte die Blicke, welche Fiona und Lou austauschten. «Kommt rein, hat alles funktioniert?» Die drei nickte. «Es lief wie am Schnürchen, wir waren nur in Zürich etwas verloren.» Fiona lachte und stupste Lou mit dem Ellenbogen ihres gesunden Armes in die Seite. «Diese Spezialistin neben mir hat sich auf dem Weg zum nächsten Gleis verirrt, weil sie unbedingt etwas zu essen brauchte.» Ich konnte mir das beinahe bildlich vorstellen und lachte, obwohl das Geräusch ein Stechen hinter meiner Stirn hervorrief.
Während meine Freunde sich begannen häuslich einzurichten, hatte ich mich aufgerafft und war in die Stadt gegangen, um in einer nahegelegenen Apotheke etwas gegen meine Kopfschmerzen zu holen, da diese sich nach dem Schlafen nur verschlimmert hatten. Fiona hatte Angeboten mitzukommen, aber ich hatte abgelehnt. Das Schmerzmittel zu finden war eine Wissenschaft an sich, nur mit Mühe und Not konnte ich dem älteren Herrn der Hinter dem Tresen stand verständlich machen das ich eines brauchte, das nicht dopingrelevant war. Aber anscheinend verstand er, denn ein kurzer Blick auf die Dopingliste versicherte mir das Ibuprofen absolut legal war. Auf dem Weg zurück zum Hotel hatte meine Migräne ein neues Level erreicht. Das Sonnenlicht, die Geräusche der Stadt, alles war zu viel. Ich kniff die Augen zu und liess mich an einer Hauswand zu Boden sinken, den Plastiksack mit dem Ibuprofen fest umklammert. Die Pillen waren zu gross, als dass ich sie ohne Wasser schlucken hätte können. Ich öffnete kurz die Augen, nur einen Spalt und linste durch meine Wimpern umher. Auf der anderen Strassenseite war ein Kiosk. Dort könnte ich Wasser kaufen. Ächzend raffte ich mich auf und torkelte wie eine Betrunkene über die Strasse. Die Frau am Kiosk sah mich misstrauisch an, als sie mir das Wasser reichte. Vermutlich sah ich aus wie ein Gespenst.
An der nächsten Hausecke lehnte ich mich abermals gegen den Verputz. Mit einem Zischen öffnete sich die Wasserflasche und vorsichtig löste ich eine Pille aus der Verpackung und liess sie auf meine Hand fallen. Ich legte die Pille auf meine Zunge und trank einen grossen Schluck Wasser hinterher. Dann sass ich eine längere Zeit da, schwer zu sagen wie lange. Als ich endlich merkte wie der Schmerz nachliess, raffte ich mich auf und kehrte ins Hotel zurück.
Ich war kurz davor Lou, Fiona und Orlando aus meinem Zimmer zu werfen. Sie gaben sich wirklich Mühe leise zu sein, damit ich vielleicht am Abend wieder fit wäre, um nach La-Chaux-de-Fonds zu fahren. Schliesslich hatte ich heute einen Termin mit der Züchterin von Michelangelo abgemacht, damit ich mir dessen Vollbruder mal ansehen konnte. «Könnt ihr bitte rausgehen?», stöhnte ich, nachdem Lou leise gekichert hatte. «Unser Zimmer», korrigierte Fiona mich. Ich rieb mir die Schläfen, konnte mir aber die Antwort nicht verkneifen: «Wir sind hier nicht im Kommunismus.» Meine Freunde lachten, was mir gefühlt beinahe den Schädel spaltete vor Schmerz. Netterweise verlagerten die drei aber ihr Gespräch auf den kleinen Balkon und liessen mich schlafen, was ich auch tat.
Das Läuten der Kirchenglocken weckte mich aus meinem Schlaf auf. Das erste was ich bemerkte war, dass sich mein Kopf besser anfühlte, ich würde sogar beinahe gut sagen. Ich lag noch eine Weile ruhig da, wie wenn jede Bewegung die Kopfschmerzen nur zurückholen würde, aber sie kamen nicht wieder. Als ich es endlich wagte aufzustehen, bemerkte ich eines: ich war am Verhungern. Ich lief in Richtung Bad um etwas Wasser zu trinken, als ich einen Zettel auf einer Kommode bemerkte: Sind mit Aline Schwerenhof die Stadt gegangen, Gute Besserung: Orlando, Fiona, Louisa. Ich lächelte und legte den Zettel wieder auf die Kommode. Dann ging ich ins Bad und bekam beinahe einen Schock als ich in den Spiegel blickte. Meine Haut war weiss wie die Wand hinter mir, mit ungesund aussehenden, grauen Ringen unter den Augen. Meine blonden Locken waren vom Schlafen ganz zerzaust und einige standen beinahe senkrecht von meinem Kopf ab. Während ich gierig trank, fasste ich den Entschluss eine Dusche zu nehmen. Um sechs hatte ich mich mit Frau Dubois, der Züchterin und Besitzerin De Medicis verabredet. Die Fahrt ging etwa eine halbe Stunde, weshalb ich ungefähr um viertel nach fünf bereit sein musste. Das waren noch über drei Stunden, also hatte ich mehr als genug Zeit.
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