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Als der Wecker meines Smartphones klingelte, schreckte ich auf. Ich stellte ihn äusserst selten nur dann, wenn Lou noch weiterschlafen konnte. Mit einem Gähnen stellte ich die eintönige Melodie ab. Kaum sass ich halbwegs wach auf der Bettkante, fiel es mir ein weshalb ich an einem Samstag um fünf Uhr morgens den Wecker gestellt hatte. Heute war das CSIO. Sofort überkam mich die Aufregung.

Ich sprang auf und öffnete meinen Schrank. In dem Fach mit den Reithosen wühlte ich nach meinen Weissen. Ich bekam den Stoff zu fassen und zog sie vorsichtig unter den anderen Hosen hervor. Ich zog mich blitzschnell um. Das weisse Turniershirt zog ich an, das Jackett würde ich mitnehmen. Um die weissen Reithosen vor Flecken zu schützen, trug ich eine alte Jogginghose darüber. Meine Bettdecke faltete ich eilig zusammen, mehr oder weniger schön. Ich schlüpfte in meine Sneakers und nahm die drei Taschen mit Übernachtungsutensilien, Stiefeln und Helm mit.

Ich schob die Tür auf und die kühle Nachtluft schlug mir entgegen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber ein heller Streifen zeigte sich schon am Horizont. Es versprach ein sonniger Tag zu werden. Die Mensa hatte um diese Zeit noch geschlossen, weshalb Ann-Katrin noch an einer Tankstelle halten würde um Gipfel und Kaffee zu kaufen. Der Bus fuhr um diese Zeit nicht, weshalb ich zu Fionas Haus ging. Wir würden mit dem Fahrrad in den Stall fahren. Da ich keines hatte, durfte ich das ihrer Schwester ausleihen.

Wir radelten in den Stall. Während wir unsere Räder in den Ständer stellten und abschlossen, kam Ann-Katrin aus dem Haus. Sie gähnte verschlafen und begrüsste uns. «Der Anhänger ist eingestreut, wenn die Pferde verladen sind, können wir abfahren.» Fiona und ich gingen in den Stall. In der ersten Box neben der Tür stand Dark Princess und trank gerade. Ich ging weiter bis ich vor Mickys Box stand. Der Schecke lag im Stroh und stand auf, als er mich sah. Ich ging hinein und halfterte ihn auf. Ich band ihn in der Box an, bürstete rasch mit einer Magic Brush den gröbsten Dreck aus seinem Fell und legte die Transportgamaschen an. Michelangelo reagierte ziemlich heftig auf Fliegen, weshalb ich ihm noch eine Fliegendecke und eine Fliegenmaske anzog.

Fiona war schneller gewesen, denn Prinzi wartete schon brav im Hänger. Verladen war mit Micky nie ein Problem, auch heute nicht. Wir fuhren um halb sieben ab. Die erste halbe Stunde war ziemlich ruhig, Fiona schlief ein bisschen, während ich den Parcours auswendig lernte. Als Ann-Katrin bei einer Raststätte rausfuhr, weckte ich Fiona auf.

Wir gingen in den Shop und besorgten uns Gipfel, Kaffee und warme Schokolade. Wir fuhren weiter und verspeisten unser Frühstück. Die Nervosität stieg. Ann-Katrin stellte das Radio ein und die ersten Takte von We will Rock you erklangen. Sofort begannen Fiona und ich mitzuklatschen und sangen lauthals mit. Ann-Katrin setzte mit ein und so sangen wir uns durch ihre Queen-Playlist bis die Autobahnausfahrt St.Gallen Winkeln in Sicht kam.

Ann-Katrin fuhr raus und kaum von der Autobahn kam das Gründenmoos zum Vorschein, eine natürliche Senke, auf deren Grund der Springplatz war. Auf einer Wiese nebenan waren Stallzelte aufgebaut und Hänger geparkt. Ann-Katrin fand einen guten Parkplatz in der Nähe der Zelte und wir luden die Pferde ab. Ein Steward wies uns im Stallzelt die beiden Boxen zu die wir reserviert hatten. Kaum war ich mit den Transportgamaschen aus der Box getreten, begann der Schecke neugierig seine neue Umgebung zu erkunden. Ich schloss die Boxensperre, liess jedoch die Tür offen. Michelangelo sollte sich ruhig noch etwas umsehen. Vor den Boxen war eine Box in das Sattelzeug verstaut werden konnte. Nachdem ich alles eingeräumt hatte machte sich Fiona auf um die Startnummern zu holen. Ich bat sie meine mitzunehmen.

Fiona kam zurück. «Du solltest dich langsam beeilen. Du bist die erste am Vet-Check, um viertel vor acht.» Sie blickte auf die Uhr an ihrem Handgelenk. «Also in einer viertel Stunde solltest du dort sein.» Ich nickte. Mickys Fell war ziemlich sauber und so band ich ihn in der Box an und begann zu trensen. Fertig getrenst, fixierte ich noch die Kopfnummer am Zaum. Ich führte Micky in das Abreitezelt, dort fand der Vet-Check statt. Zuerst musste ich Mickys Pass abgeben. Eine ältere Frau sah ihn sich von allen Seiten an, um sicher zu sein, dass das Pferd, welches vor ihr stand Michelangelo VI war. Ausserdem kontrollierte sie die Impfungen. Schliesslich musste ich ihn vortraben, am Ende des Zeltes um einen Sprungständer herumführen und zurück traben. Ich parierte Micky durch und die Tierärztin nickte. «Passt, danke.» Sie reichte mir den Pass und ich führte meinen Schecken aus dem Abreitezelt zurück ins Stallzelt. Dort zog ich ihm die Trense wieder aus und liess ihn in Ruhe.

Fiona kam gerade eben mit ihrer Dark Princess zurück. Jetzt ging es los zur Parcoursbesichtigung. Wir waren beide ziemlich beeindruckt von der Schwierigkeit des Parcours. Man musste sehr schnell sein und trotzdem durfte man ja nicht zu viel Risiko eingehen. Wir gingen die Distanzen ab, diskutierten wo man besser einen Galoppsprung mehr oder weniger machen konnten und kamen zum Schluss: die 78 Sekunden waren nicht das Problem, das Problem waren die technischen Anforderungen.

Nach der Begehung eilte ich ins Stallzelt. Ich musste mich beeilen, denn ich war die Startreiterin um neun. Zuerst drehte ich Michelangelo die Stollen rein. Der Boden war etwas nass und das Springen fand auf Rasen statt. Fiona war so nett gewesen und hatte Micky währenddessen gesattelt. Sie würde fast als letzte Starten, weshalb sie mir half und Micky die Gamaschen anlegte, während ich meine Turnierkleidung anzog. Ich ging wieder in die Box und trenste. Fiona würde mich auf den Platz begleiten und die Hindernisse höherstellen. Vor dem Zelt stieg ich auf und ritt neben Fiona zum Abreitezelt. Hier war erst wenig los und ich musst den Platz nur mit einem Jungen auf einem riesigen Fuchs und einem rothaariges Mädchen mit einem Braunen teilen. Ich begann im Schritt meine Runden zu drehen.

Mit der Zeit kamen noch einige andere Reiter mit ihren Pferden auf den Platz. Mittlerweile waren Micky und ich zum traben übergegangen. Er hatte vielleicht nicht den schönsten Trab, aber er war extrem bequem zum Aussitzen. Als es etwa Viertel vor Neun war, begann ich mit dem Springen. Es waren einige kleinere Sprünge aufgestellt worden. Fiona stand neben einem Steil, der etwa einen Meter zwanzig hoch war. Micky sprang flüssig darüber. Ich ritt den Sprung nochmal an, wieder sprangen wir schön im Rhythmus darüber. Ich ritt einen Handwechsel, um einer anderen Reiterin auszuweichen und liess Michelangelo umspringen.

Inzwischen hatte Fiona das Hindernis etwas erhöht. Wieder sprang Micky brav darüber und ich lobte ihn. Ich parierte in den Trab durch und gab Fiona zu verstehen das wir am Oxer weiterspringen möchten. Ein Junge sprang gerade mit seinem Rappen. Ich sprang noch einige Male den Oxer, dann machte ich mich auf zum Gründenmoos.

Als ich die Strasse überquerte, welche die Wiese mit den Zelten trennte, konnte ich einen kurzen Blick auf die Tribüne erhaschen. Sie war gut besetzt. Die Nervosität überkam mich und ich atmete tief aus. Heute war der Tag der Entscheidung. Die Schweizer Juniorenmeisterschaften würden dann beginnen, wenn ich mit Micky über die Startlinie ritt. Ich war auf dem Kiesweg, der den Abhang auf den Springplatz hinunter führte angelangt. Die Schranke wurde geöffnet und Micky trabte auf den Platz. Jetzt gab es kein zurück mehr.

Das Glockenzeichen ertönte und ich galoppierte an und ritt auf den ersten Sprung, einen Steil zu. Ich trieb Micky an. Wir mussten schnell und fehlerfrei bleiben um morgen am Final der Top 20 starten zu können. Nach der Landung ritt ich einen Bogen nach Links um passend auf die zweifache Kombination zu kommen. Wir kamen gut über den Oxer. Der nachfolgende Steil wurde etwas knapp und die oberste Stange klapperte, blieb aber liegen. Die Distanz zum nächsten Sprung, einem schmalen Steil, nahmen wir mit fünf, anstelle von sechs Galoppsprüngen.

Das war im Nachhinein gesehen ein Fehler, denn Micky sprang viel zu früh ab und riss die oberste Stange mit den Vorderbeinen. Ich geriet etwas in Panik. Jetzt musste ich schnell sein, sonst wäre mein Traum von den Europameisterschaften ausgeträumt. Ich nahm die nächste Wendung etwas enger, um Zeit zu sparen und wir sprangen ziemlich schräg über den Oxer. Ich liess Micky nochmal an Tempo zulegen. Der Wassergraben, der jetzt kam war breit und erforderte ein hohes Tempo. Energisch trieb ich Micky an. Er riss den Kopf hoch und versuchte auszubrechen. Ich verdoppelte meine Anstrengungen. Eine Verweigerung konnte ich nicht brauchen. Micky sprang, es war knapp, und ich konnte nur hoffen das der Sprung lang genug war.

Ich wendete nach rechts ab. Die dreifache Kombination lag vor uns. Diesmal achtete ich besser auf die Distanz. Steil, Oxer, Steil, und fehlerfrei wieder hinaus. Ein leichter Bogen nach links um passend über einen Steil zu kommen. Wieder nach links auf die Trippelbarre. Micky zog wieder den Kopf hoch. Die Stangen waren orange und reflektierten die Sonnenstrahlen etwas. Das würde es etwas schwerer machen richtig zu taxieren. Zum Glück kamen wir gut drüber und keine Stange fiel. Noch zwei Sprünge lagen vor uns. Wieder eine enge Linkswendung und der nächste Steil kam in Sicht. Er war sehr luftig gebaut, was Micky nicht zu irritieren schien. Jetzt noch die letzte Distanz auf den Oxer, der den Abschluss des Parcours bildete. Micky übersprang sich hier etwas, doch ich war froh heil über den Parcours gekommen zu sein.

Ich beugte mich vor und lobte mein Pferd. Das war vielleicht keine perfekte Runde gewesen, aber es war nicht sein Fehler. Erst dann sah ich auf die Anzeigetafel. Ich hatte zwar vier Strafpunkte, aber eine ziemlich schnelle Zeit. Die Chance am Ende des Tages gut platziert zu sein, war noch da, wenn auch erheblich kleiner. Ich ritt am langen Zügel vom Platz. Der Junge mit dem riesigen Fuchs ritt im Trab an mir vorbei. Ich lächelte. Egal wie meine Platzierung heute aussah, ich hatte gezeigt was ich konnte.

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