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Am Mittag beschloss ich mit Angélique einen Ausritt zu machen. Ich hatte die lebhafte Westschweizerin schon in Lausanne irgendwie ins Herz geschlossen. Da sie neben Trendy Leva kein weiteres Pferd hier hatte, durfte sie, nach Absprache mit Franz Soda reiten. Ich würde Madame Chasseral nehmen, da Chanel heute ja schon bewegt worden war. Guten Mutes ritten wir in Richtung des Hofausganges als ich hinter einer Hecke rote Haare hervorblitzen sah. Ich blickte nocheinmal hinüber und erkannte Lia, die mit einem Mann mittleren Alters sprach. Er schien sehr aufgebracht zu sein, denn er gestikulierte wild und obwohl man sein Gesicht nicht richtig sehen konnte, liess sich aus Lias defensiver Körperhaltung schliessen, dass sie sich nicht wohl fühlte. Wir ritten jedoch vom Hof und sobald wir im Wald waren, hatten wir die Szene schon wieder vergessen. Es war ein wunderschöner Tag. Die Sonne zeichnete ein Muster aus goldenen Flecken auf den Waldboden und erschuf eine beinahe unwirkliche Atmosphäre.
Wir ritten die Strecke, welche ich mit Florence und Lukas genommen hatte. Ich trabte mit der Fuchsstute voraus, Angélique folgte mit ihrem geliehenen Wallach. Als wir kurz vor der Galoppstrecke waren, drehte ich mich zur Waadtländerin um. «Dahinten ist eine Galoppstrecke, über die Felder den Hügel hinauf. Oben auf dem Kamm ist ein Baum. Dort sollten wir bremsen, reit am besten eine Volte drum. Sonst kannst du einfach mir folgen. Halt einfach etwas Abstand, es könnte sein das Eseli buckelt.» Angelique nickte. «Verstanden.» Ich blickte wieder nach vorne und schob meinen Unterschenkel etwas nach hinten. Sofort sprang die Fuchsstute ein und schoss nach vorne. Ich stellte mich in die Bügel um sie zu entlasten und schon flog ihr Hinterteil hoch um ihrer Freude auszudrücken. Ich blickte kurz über die Schulter zurück und sah in einiger Entfernung Angélique auf Bohemian Rhapsody galoppieren. Die Fuchsstute streckte sich und sauste nur so den Hügel hinauf. Ein weiterer Blick über die Schulter zeigte mir das Angélique und Soda aufgeholt hatten. Ich trieb die Stute mit einem Zungenschnalzen an und buckelte noch einmal. Ich musste mich in ihrer Mähne festhalten, sonst hätte ich einen Abflug gemacht.
Anders als Soda liess sie sich beim Baum ohne Probleme zurücknehmen. Nach einigen Volten um den Baum hatte aber auch der Wallach sich wieder beruhigt. «Wow», keuchte Angélique. «Das nenn ich mal eine Galoppstrecke.» Sie lobte den nassgeschwitzten Wallach ausgiebig. «Wenn du mal Zeit hast, musst du im Herbst zu mir kommen. Wir haben Stoppelfelder, soweit das Auge reicht.» Atemlos nickte ich. «Das ergibt sich sicher einmal.» Wir schlugen den Weg in Richtung Vierwaldstättersee ein um uns und unseren Pferden eine kleine Abkühlung auf dem Rückweg zu verschaffen. Michelangelo hätte nichts in der Welt dazu bewegt auch nur einen Huf in das angenehm kühle Wasser zu setzen, aber Bohemian Rhapsody und Madame Chasseral waren da anders. Sie spritzen das Wasser nur so durch die Gegend. Die beiden waren sogar noch fit genug um einen kurzen Galopp durch das kühle Nass hinzulegen. Als wir wieder auf dem Gut ankamen, war unsere Kleidung zwar etwas feucht, aber die Sonne würde das schon wieder trocknen. Auf Angéliques Gesicht war ein breites Lächeln zu sehn und beide Pferde sahen sehr zufrieden aus. Wir stiegen ab und führten sie zum Putzplatz um sie noch fertig für die Koppel zu machen.
Kurz später durften sich die beiden auf der Koppel austoben, während Angélique mir noch ihre Stute Trendy Leva vorstellen wollte, welche für das Wochenende im Stall der Gastpferde stand. Als wir die Stallung betraten fiel mir auf das die letzte Boxentüre ein bisschen offen war. Sofort spannte sich das dunkelhäutige Mädchen neben mir an. «Das ist Levas Box», sagte sie, bevor sie durch die Stallgasse eilte. Während sie etwa in der Hälfte war, schob sich eine schlanke Gestalt mit einem roten Dutt aus der Box und verschloss die Tür. Die Blicke der beiden trafen sich und beide blieben zuerst wie versteinert stehen. Dann richtete Lia ihre Tasche, welche sie ich umgehängt hatte und ging selbstsicher auf Angélique zu. «Dich wollte ich gerade suchen, Angela.» Die Schwarzhaarige verzog das Gesicht. «Angélique», presste sie hervor. Ich trat ein bisschen näher an die beiden heran, ich wollte kein Wort ihrer Unterhaltung verpassen. «Wie auch immer. Dein Pferd ist halb auf der Stallgasse gestanden. Hast du die Box nicht richtig geschlossen? Vermutlich bist du es dir nicht gewohnt in so einem edlen Stall zu sein. Wie auch immer: du solltest mir dankbar sein, dass ich dein Pferd davon abgehalten habe auszubüxen.» Wut kochte in meinem Bauch. Wer glaubte Lia dass sie sei? Warum musste sie Angélique dermassen anpöbeln?
Angélique ging in die Offensive. «Ich habe die Box garantiert richtig geschlossen, zuhause sind es ja die gleichen. Was lässt dich denken ich bin mir einen edlen Stall nicht gewohnt?» Lia rümpfte abfällig die Nase. «Sowas wie… du», sie machte eine abwertende Handbewegung in Richtung der etwas kleineren Angélique, «hält sich im Normalfall nicht in solchen Ställen auf und schon gar nicht in Gegenwart von meinem Pferd» Damit machte sie auf dem Absatz ihrer frisch polierten Lederstiefel kehrt und liess uns beide recht verdattert zurück. Angélique fand als erste ihre Sprache wieder. «Was fällt ihr ein?», empörte sie sich. Ich wurde aus Lias letztem Satz immer noch nicht ganz schlau. «Was hat sie mit», ich zeichnete Anführungs- und Schlusszeichen in die Luft, «sowas wie du gemeint?» Der Kiefer meines Gegenübers spannte sich an, was ihre Narben etwas mehr heraustreten liess. «Vermutlich hat sie damit auf meine Herkunft angespielt.» Der Schock sass tief. Lia Merlin Maier, das Mädchen welches seit einigen Jahren das Titelbild sämtlicher Felix Bühler-Katalogen zierte, hatte gerade vor meinen Augen eine höchstwahrscheinlich rassistische Aussage gemacht. Angélique tat meinen geschockten Gesichtsausdruck mit einer abwertenden Handbewegung ab. «Ich hab schon schlimmeres gehört», sie schluckte und ging zu ihrem Pferd. Die Stute stand da und frass an ihrem Heunetz. Erleichtert ging Angélique zur Sattelkammer. «Wenigstens hat sie Leva in Ruhe gelassen.» Sie versorgte ihren Helm und nahm noch einige Karotten für ihre Stute mit.
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