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Eigentlich hatte ich am Montag mit Madame Chasseral eine Jungpferdeprüfung genannt. Carmen meinte aber, da die Chance besteht, dass sie trächtig ist, es wäre besser abzuwarten was der Tierarzt meint. Klar, sie war am Samstag schon in Lausanne gewesen, aber sie war jung und würde in ihrem Leben noch genug Turniere gehen. So schien die Wochen schon beinahe ohne grössere Vorkommnisse vergehen zu wollen, bis am Mittwoch ein Anruf kam, den ich mehr als erwartet hatte. Der Anruf war von Franz, der mir etwas auf den klassischen Weg mitteilen wollte. «Du bist mit Chanel auf der Longlist für die Euro in zwei Wochen. Die Shortlist wird nach dem Sichtungslehrgang an diesem Wochenende bekannt gegeben. Teilnahme ist Pflicht.» Ich umklammerte mein Smartphone fester, bis meine Knöchel weiss hervortraten. Alle Worte waren wie aus meinem Kopf weggeblasen. Ich hatte von diesem Moment geträumt. Ich hatte alles für diesen Moment riskiert und jetzt fehlten mir die Worte.
«Olivia?», fragte Franz nach. Endlich brachte ich ein gehauchtes: «Danke» hervor. «Gratulation, Olivia, das hast du dir verdient.» Mit diesem Worten beendete Franz unser Gespräch. Ich stand in der Stallgasse und wusste nicht wie mir geschah. Erst jetzt drang die Nachricht wirklich in mein Gehirn vor. Ich durfte, wenn am Wochenende alles glatt lief, auf einer Europameisterschaft reiten. Mein Traum würde in Erfüllung gehen. Mit zitternden Fingern stellte ich meine Putzkiste ab, setzte mich drauf, da ich meinen weichen Knien nicht traute und tat das am einzig Logische: ich rief Fiona an. Als sie abnahm, klang sie wenig begeistert: «Olivia, Frau Barandun hätte mich beinahe geköpft als mein Handy geklingelt hat, ich hoffe es ist wenigstens wichtig.» Ich schweig. Ich konnte die Worte nicht aussprechen. «Olivia?», drang Fionas Stimme wie durch Watte zu mir durch. Ich atmete tief ein. «Ich bin auf der Longlist für die Euro.»
Jetzt war es draussen. Ich hörte ein Quietschen, Fionas typisches Geräusch um Freude auszudrücken. «Oh mein Gott, ich freu mich so für dich. Wann ist der Sichtungslehrgang? Du musst mir unbedingt alles erzählen.» Ein leichtes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Es war eine Freude zu hören, dass Fiona sich so sehr für mich freute. «Der Lehrgang ist dieses Wochenende.» Plötzlich überkamen mich Zweifel. Was, wenn ich es nicht schaffen würde? Ich ritt seit nicht einmal einem Monat auf Chanel. Klar, sie hatte das Talent, aber ein gutes Pferd macht noch lange keinen guten Reiter. Und wir würden uns gegen Paare beweisen müssen, welche schon jahrelang gemeinsam siegten. «Ich glaube nicht das Chanel und ich dem gewachsen sind», wandte ich ein. «Das klappt schon. Und wenn du am Wochenende eine Unterstützung brauchst, ich werde kommen. Reite einfach wie du immer reitest und du wirst das schaffen.» Fiona war mehr von mir überzeugt als ich selber. «Ich reite seit einem Monat auf Chanel. Wir sind hier nicht in Ostwind. Das hier ist das reale Leben.» Ein Seufzer war Fionas Antwort. «Ich habe sowas schon gefühlt vor jedem Turnier von dir gehört», jammerte sie, «Wenn du nicht an dich glaubst, wirst du deine Ziele nicht erreichen.» Ich lehnte mich zurück. Mein Kopf berührte die kühlen Ziegel der Wand hinter mir. «Vom Glauben allein komm ich nicht über einen Oxer.» Langsam schien Fiona mit ihrer Geduld am Ende zu sein. «Aber Chanel springt dann. Wenn du an sie glaubst, spürt sie das. Muss ich dir das ernsthaft erklären?» «Nein, bis bald», ich legte auf und schloss die Augen. Mein Traum war in unmittelbarer Reichweite. Warum zweifelte ich so sehr an mir? Was machte ich falsch?
Das vertraute Klappern von Hufen auf Asphalt erklang. «Olivia?», hörte ich Carmen fragen, «geht es dir nicht gut?» Ich schlug die Augen auf und schüttelte den Kopf. Carmen stand vor mir, Michelangelo am Führstrick. «Nein alles gut. Franz hat mich gerade angerufen.» Carmens Mine hellte sich auf. «Es geht um die Euro, nicht wahr?» erstaunt sah ich sie an. Konnte sie Gedanken lesen? «Ich habe mit Franz gestern Abend noch darüber geredet, ob Chanel noch fit genug ist. Gratulation, ihr schafft das sicher.» Ich bemerkte die nassen Beine des Schecken. «Warum ist Micky nass?», fragte ich, um das Thema zu wechseln. «Ich habe ihn abgespritzt, seine Beine waren etwas angelaufen.» «Du hast es geschafft ich ohne ein Drama abzuspritzen?», fragte ich erstaunt, stand auf und begann den Schecken zu kraulen. «Ein bisschen aufgeführt hat er sich schon», erwiderte Carmen mit einem Schulterzucken. Ich lachte und steckte Michelangelo ein Leckerlie zu. «Er ist absolut wasserscheu», erklärte ich und strich den Schopf aus der Stirn des Wallachs. «Schade, sonst könnte er in den Aquatrainer, würde seinen Beinen sicher guttun.» Ich glaubte mich verhört zu haben. «Ihr habt einen Aquatrainer? Gibt es irgendwas was es hier nicht gibt?» Carmen lachte. «Hier gibt es alles.»
Wir versorgten Michelangelo und begannen Bohemian Rhapsody für meine Dressurstunde vorzubereiten. Ich war angespannt, vor lauter Europameisterschaften, was sich auf den Dunkelbraunen übertrug. Unsere Stunde war sicher nicht schlecht, aber ich hatte nicht die letzte Konzentration, denn meine Gedanken schweiften immer wieder ab. «Olivia, jetzt konzentrier dich und reit bitte ein korrektes Schenkelweichen», die Stimme von Raffaela riss mich aus den Gedanken. Ich nahm die Zügel etwas auf. «Etwas mehr Stellung», korrigierte mich die Schwarzhaarige. Ich versuchte ihre Anweisung umzusetzen und nahm dann meinen Schenkel zurück und begann mit der Vorwärts-Seitwärtstreibenden Hilfe. Bohemian Rhapsody, Steifheit in Person, schüttelte unwillig den Kopf. Für den grossen Wallach schien es eine Heidenaufgabe zu sein, seine langen Beine zu sortieren. Ich suchte mein Spiegelbild in den riesigen Spiegeln an der Hallenwand. Aufgrund des Regens, der Küssnacht schon den ganzen Tag heimsuchten, hatten wir uns in die Halle verkrochen. Was ich im Spiegel sah war ernüchternd. Ein schlaksiges Mädchen auf einem riesigen Pferd, mühten sich ab ein Schenkelweichen zu reiten, was aber nicht wirklich gelang. «Trab zur nächsten kurzen Seite und versuch es noch einmal.» Ich richtete Soda gerade und wir trabten an.
Etwas vor der Ecke parierte ich ihn in den Schritt durch. Ich ritt durch die Ecke, stellte ihn leicht nach aussen und verlagerte mein Gewicht etwas. Dann nahm ich meinem Schenkel zurück und konzentrierte mich besonders darauf, im Richtigen Moment zu treiben. Diesmal war es, soweit ich im Spiegelbild sehen konnte, um einiges besser und der Wallach kreuzte deutlich die Beine. «Gut so für heute», rief Raffaela und ich lobte den Dunkelbraunen. Am hingegebenen Zügel ritten wir zu unserer Trainerin für die Nachbesprechung. «Das letzte Mal war jetzt sehr gut. Achte ein bisschen darauf, wirklich dann zu treiben, wenn das äussere Hinterbein in der Luft ist. Dann fällt es ihm auch leichter sich zu sortieren.» Ich nickte. «Schau auch ein bisschen darauf bei der Gewichthilfe in der Hüfte nicht so sehr abzuknicken.» Wieder nickte ich. «Dann machen wir nächstes Mal Sitzschulung mit Madame Chasseral.» Ich nickte. Ich hatte schon seit Ewigkeiten keine Sitzschulung mehr gehabt, aber Schaden konnte es sicher nicht.
Nach dem Ausschritten führte ich Soda eilig über das Gut. Es regnete immer noch in Strömen und wir joggten beinahe zum Stall. Chanel tigerte schon in ihrer Box herum, als ich Soda vorbeiführte. Die Stute war wegen dem Regen weniger draussen gewesen, ausserdem war sie rossig und hatte sogar Michelangelo angezickt, der im Normalfall das einzige Pferd war, welches in ihrer Aura erlaubt war. Ich nahm sie aus der Box und begann zu putzen. Währenddessen begann Carmen die Boxen zu misten. Als ich mich fix fertig gesattelt Richtung Springhalle aufmachte, sah ich wie Florence und ihr Ponyhengst die gleiche Richtung anpeilten. Während dem Abreiten redeten wir miteinander, was aber nur ging mit mehr als genug Abstand, da beide kleine Diven waren. «Wie wärs wenn wir heute was ausprobieren?», schlug Florence vor, «Wir könnten Pferde tauschen. Ich springe Chanel und du Nashville.» «Klingt gut. Für Chanel stehen heute aber nur Cavalettis auf dem Programm, nicht dass sie springsauer wird.»
So kam es dass wir nach dem Abreiten Pferde tauschten. Es war ungewohnt auf dem Rücken des Ponyhengstes zu sitzen. Er war schlank, so dass meine Beine beinahe zu lang waren für ihn. Der Hals vor mir wirkte trotz der etwas dickeren Mähne beinahe zu dünn. Florence und Chanel gaben jedoch ein viel besseres Bild ab. Die grosse, aber fein gebaute Stute passte optisch viel besser zur Brünetten als das Pony. Beim Reiten fiel mir vor allem etwas auf: Nashville hatte sehr viel Vorwärts. Ein minimalster Schenkeldruck reichte um den sensiblen Hengst zu lenken. Schon beim Abreiten bekam ich ein Gefühl für sein Talent. Sein Schritt war fleissig, sein Galopp einfach zu sitzen, aber trotzdem schwungvoll und raumgreifend. Das Beste war jedoch sein Trab: er war nicht einfach zu sitzen, weshalb ich oft leichttrabte, aber das Bild im Spiegel zeigte mir, wie weit seine langen Vorderbeine sich bei jedem Trittnach vorne streckten und mit welcher Aktivität die Hinterhand unter den Schwerpunkt trat. Ich fand keine Worte wie sehr ich das Reitgefühl auf diesem Pony liebte. Am liebsten hätte ich ihn nach dem Reiten behalten, was aber Unsinn war, erstens war er Florences Berittpferd, zweitens, was sollte ich mit einem Geländepony?
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