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Mit vor Scham brennenden Wangen ritt ich aus dem Dressurviereck. Chanel schnaubte unschuldig, als wäre nichts geschehen. Unser Ritt war eine Katastrophe gewesen. Beim Mitteltrab hatte sie ihre Vorderbeine so hoch geschleudert, dass sie Totilas ernsthafte Konkurrenz gemacht hätte. Aber das war nicht mal das schlimmste. Auf einer Diagonale war Mittelgalopp gefordert gewesen. Das hatte Chanel auch brav gemacht. Aber anstatt in der Ecke brav abzuwenden, wie es vermutlich jedes andere Pferd gemacht hätte, sprang sie über die halbhohe Abgrenzung des Dressurvierecks. Ich war mindestens genauso verdattert wie die Richter, vor deren Häuschen Chanel stand. «Die Springprüfungen sind morgen», witzelte der eine Richter, als er sich einigermassen wieder gefasst hatte. Carmen nahm mich auf dem Weg zu Abreiteplatz in Empfang. «Ihr seid glaub wirklich in einem Parcours besser aufgehoben», grinste die Pflegerin, während sie der Schimmelstute ein Leckerlie gab. Es war ein Glück dass Lous Schwester meine Freunde nicht nach Lausanne gefahren hatte. Diese Katastrophe mussten sie nicht sehen.
Ich schwang mich heilfroh aus dem Dressursattel. «Meine Güte, was ist das für ein Sattel», beschwerte ich mich. «Der ist ja steinhart.» Carmen grinste nur. «Yvonne schwört darauf.» Mir war es egal was Yvonne Sutter-Schwerenhof für Sättel mochte. Klar, sie war die Dressurlegende nicht ich, aber etwas Komfort war ja nicht zu viel verlangt. «Und ich schwöre auf meinen Dressursattel.» Carmen half mir auf Madame Chasseral. Wir hatten herausgefunden dass Michelangelos Dressursattel auf die Fuchsstute passte. Als ich in meinem weich gepolsterten Dressursattel sass, seufzte ich auf. Ich verstand nicht wie man freiwillig mit so harten Sätteln reiten konnte. Vielleicht war ich auch überempfindlich. Carmen gurtete nach und ich ritt mit der jungen Fuchsstute auf den Abreiteplatz. Es war ein harter Kontrast zu Chanel. Chanel, die Zicke, welche schon ausschlug wenn ein Wallach nur blöd schaute und Madame Chasseral, die Musterschülerin welche jede Aufgabe meisterte die man ihr gab. Als es an der Zeit war, ins Viereck einzureiten, machte sich ein flaues Gefühl in meinem Magen breit. Ich trabte an und wir kamen über die Mittellinie nach X und hielten an. Ich grüsste und wir begannen zu tanzen. Madame Chasseral zeigte sich trotz ihres jungen Alters von ihrer besten Seite und mit einer sagenhaften 6.9 verliessen wir das Viereck wieder. Klar, es ging noch viel besser, aber Dressur war nun mal nicht meine Disziplin. Wir waren nicht mehr platziert, aber das machte mir nichts aus. Beide Stuten hatten sich bewiesen. Auch wenn Chanel nur beweisen hatte das ihr das Springen mehr lag als die Dressur.
Am nächsten Morgen machte ich Chanel bereit. Carmen half mir die Schimmelstute so sauber wie möglich zu bekommen. Wir hatten eine sehr frühe Startnummer bekommen. Vorteil war, dass es dann noch nicht ganz so heiss sein würde, denn es versprach über dreissig Grad warm zu werden. Der Wind, welcher vom kühlen Genfersee zum Turniergelände hinwehte, brachte auch nur eine kleine Abkühlung. Als ich auf den Abreiteplatz ritt, spürte ich die Blicke der anderen Reiter in meinem Rücken. Recht schnell wurde mir klar, dass es an Chanels Mähne liegen konnte, oder daran, dass sie eben keine mehr hatte. Trotz des unangenehmen Gefühls beobachtet zu werden, ritt ich meine Runden. Chanel war etwas nervös, aber sonst lief sie super. Als ich begann sie einzuspringen, schnellten ihre Ohren, welche sonst wie immer dicht am Hals gelegen hatten, nach vorne und ihr Kopf flog nach oben. Es war wie wenn ein Schalter umgelegt worden wäre. Chanel wollte springen, dafür war sie wie geschaffen. Mit aller Mühe hielt ich sie zurück, damit wir den kleinen Steil nicht um zwei Meter übersprangen. Nach dem Sprung hatte ich alle Mühe sie zurückzuhalten. Mit einem gewaltigen Bocksprung machte sie ihrer Freude Luft, was mich um Haaresbreite in den Sand befördert hätte. Ich nahm die Zügel etwas auf, versuchte das Tempo etwas einzufangen. Dann rief ich wieder «Steil frei» und ritt an. Wieder wurde Chanel so schnell, dass ich das Tempo nach dem Sprung kaum wieder aufnehmen konnte. Frustriert parierte ich in den Schritt durch und ritt zu Carmen.
«Es ist wie verhext», jammerte ich, «Zuhause ging alles wie am Schnürchen und auf Turnier komme ich mit keiner Hilfe durch.» Carmen sah mich mitleidig an. «Naja, die Galopphilfe scheint wenigstens noch zu funktionieren», kommentierte sie trocken. «Spass beiseite, ich weiss was du meinst. Du bist in einer Viertelstunde dran. Das einzige was ich dir anbieten könnte, wäre ein schärferes Gebiss.» Etwas unwohl ich im Sattel hin und her. «Carmen, ich weiss nicht…», antwortete ich zögernd. «Es wäre ja auch nur eine Lösung auf Zeit. Schau, deine Nennung kannst du nicht zurückziehen. Wenn du nach Fontainebleau willst, musst du Erfolge haben. Und so wie Chanel aktuell läuft, gehst du nicht in den Parcours, das wäre Selbstmord. Trab ein bisschen, ich bin gleich zurück.» Nach einigen Runden Trab kam Carmen wieder zurück. In der Hand hielt sie eine Trense, welche verdächtig nach einer Kandare aussah, sowie ein weiteres Paar Zügel. «Eine Kandare?», fragte ich ungläubig. Carmen schüttelte den Kopf. «Ein Pelham. Komm mit Chanel mal kurz raus, damit ich die Trense umbauen kann.» Ich hielt Chanel also am Vorderzeug fest, während Carmen mit geübten Handgriffen die Wassertrense aus, und das Pelham einschnallte.
«Du kannst mit vier Zügeln reiten?», fragte Carmen, während sie den Nasenriemen richtete. Etwas verlegen verneinte ich. «Gut, dann bau ich dir noch die Riemchen rein.» Mit je einem Lederstück verband sie die Ringe für die Zügel. Dann schlaufte sie den Zügel durch die Lederschlaufe. Während sie mir in den Sattel half, schärfte mir Carmen ein: «Du hast jetzt mehr Einwirkung auf sie. Vergiss nicht, ein Pelham hat eine Hebelwirkung. Auch wenn dieses nur kurze Anzüge hat, jeden Zug am Zügel spürt sie im Genick, am Kiefer, im Maul.» Etwas unsicher nickte ich. Carmen klopfte Chanel auf den schlanken Hals. «Aber ihr schafft das. Und jetzt, Vorwärts, sonst kannst du nicht mehr abspringen." Chanel schien sich mit dem Pelham wohler zu fühlen. Sie ging ruhiger und liess sich vor allem viel besser kontrollieren, was mir auch ein sichereres Gefühl gab. Vermutlich hatte meine Unsicherheit sie ebenfalls nervös gemacht.
Als wir in den Parcours einritten hörte ich die blecherne Stimme des Moderators. Ich verstand kein Wort, da hier in der Westschweiz ja natürlich Französisch gesprochen wurde. Ich galoppierte Chanel an. Der Parcours war wie gemacht für die Schimmelstute mit ihrer grossen Galoppade. Sie flog nur so über die Hindernisse und es war ein Vergnügen sie zu reiten. Das Adrenalin rauschte durch mein Blut, während wir auf die finale Linie zusteuerten. Nur noch ein Oxer, dann wäre der Rausch vorbei. Ich presste meine Waden etwas mehr an den Leib der Stute, ein letzter Aufruf alles zu geben. Sie richtete sich auf und gemeinsam segelten wir über den Hochweitsprung. Als wir die Ziellinie überquerten, konnte ich nicht anders als die Zügel in eine Hand nehmen und die andere Faust gen Himmel zu strecken. Wir hatten es geschafft. Wir waren in der Zeit und fehlerfrei, was uns einen Platz im Stechen sicherte. Während Chanel weitergaloppierte, klopfte ich ihr auf den Hals, sie hatte das perfekt gemacht. Ich parierte sie durch und wir verliessen den Sandplatz. Carmen erwartete uns und gab der Stute ein Leckerlie.
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