29~
Müde bis zum geht nichtmehr liess ich mich ins Bett fallen. Bevor mein Kopf das Kissen berührte, war ich weg. Was dazu führte dass ich gar nicht mitbekam was in dieser Nacht geschah. Als ich am Morgen in den Stall kam, führte Florence Nashville von den Koppeln in den Stall. Zuerst dachte ich mir nichts, dann fiel mir der verbissene Gesichtsausdruck der jungen Frau auf. «Das wirrst du mir jetzt nicht glauben», rief sie mir zu. Ich blieb stehen. «Was werde ich nicht glauben?» «Dieser junge Herr», sie deutete auf den kleinen Braunen am anderen Ende der Führkette, «hat in der Nacht Koppel gewechselt.» «Aber dahinten sind doch die Stuten und Wallache…» Mein Verstand ging aufgrund der frühen Uhrzeit viel zu langsam. Als es endlich Klick machte, fluchte ich. «Ja das kannst du laut sagen», meinte Florence. «Der ist in der Nacht hinten bei den Hengsten ausgebüxt und über den halben Hof galoppiert. Über zwei Holzzäune mit Strom drauf.» Der braune Hengst sah für seine Eskapaden blendend aus, nur an der Schulter hatte er eine etwas blutende Wunde. Anscheinend wurde ihm das Gequatsche zu nervig und er begann nervös herumzutänzeln. «Wie auch immer, wir sehen uns sicher noch», meinte die Brünette matt und führte das Pony zu den Stallungen.
Ich wollte gerade in den Stall gehen, als mir Carmen mit Madame Chasseral entgegen kam. «Hast du schon gehört? Eseli hatte Männerbesuch.» Ich nickte. «Florence hat mir erzählt dass Nashville ausgebüxt ist.» Carmen nickte. «Hoffen wir mal das es nächstes Jahr nicht all zu viele Nashville-Fohlen gibt.» Das konnte ja heiter werden. «Wir lassen in einigen Wochen den Tierarzt kommen, um die Stuten durchzuchecken, welche in der Nacht draussen waren. Themawechsel: Franz lässt ausrichten dass das Springtraining heute ausfällt. Er musste dringend nach Zürich.» Ich seufzte. Das Springtraining war eines meiner Wochenhighlights. «Gut, ich gehe zuerst mit Chanel auf den Sandplatz.» Chanel war wieder einmal einsame Spitze. Wir sprangen nicht, aber ausnahmsweise liess sich die Schimmelstute dazu überreden, dass Schulterherein nicht Hals in die Mitte strecken war. Am Ende unserer Trainingseinheit lobte ich sie ausgiebig. Wenn sie in Lausanne so lief, war eine Platzierung in der Dressur kein Problem.
Bohemian Rhapsody hatte heute seinen freien Tag und so war Madame Chasseral als nächste dran. Mit der Fuchsstute übte ich einige kleinere Sprünge. Aufgrund ihres jungen Alters sprang sie noch nicht so hoch und würde nur in Prüfungen bis maximal 1.20m starten. Trotzdem liess sich jetzt schon ihr Talent für die höheren Klassen erkennen. Jeder Sprung der sie machte, schien kaum mehr als ein grösserer Galoppsprung zu sein. Und laut Carmen war bei jedem Sprung auch noch viel Luft nach oben. Gerade ritten wir auf einen Plankensprung zu. Ich hielt meinen Blick auf die Begrenzung des Reitplatzes hinter dem Sprung fixiert. Die grossen Ohren spitzten sich und ich merkte wie sie zögerte. Anscheinend war ihr diese Art von Sprung nicht vertraut. Ich drückte meine Waden etwas fester zu. Sie sprang ab, wenn auch viel zu hoch. Trotzdem lobte ich sie überschwänglich. So würde sie den Respekt vor den Planken verlieren. Ich liess sie in einem grossen Bogen um den Platz galoppieren, bevor ich den Sprung wieder fokussierte. Diesmal zuckte die Fuchsstute nicht einmal mehr mit der Wimper. Ich liess sie umspringen und ritt dann auf einen einladenden Oxer zu. Madame Chasseral legte zu und sprang wieder einmal höher als sie musste. Ich wendete und fokussierte abermals den Sprung. Diesmal hielt ich sie mehr zurück, was sie mit einem unwilligen Kopfschütteln beantwortete. Diesmal übersprang sie sich nicht. Ich liess sie direkt nach dem Sprung wenden, begeistert von ihrer Wendigkeit, auch wenn Michelangelo immer noch unübertroffen war. Zum Abschluss sprangen wir noch einen etwas höheren Steil, dann liess ich sie am langen Zügel auslaufen.
Am Mittag fielen mir wieder einmal mehrere verpasste Anrufe auf, je einer von Lou, Fiona und Orlando. Ich wählte als erstes Fionas Nummer. Als sie ranging, hörte ich zuerst nur «Sie ist dran, sie ist dran» von Lou. Dann ein: «Pscht Lou, sei Ruhig», welches ich eher als Orlando einordnen würde. Dann sprach endlich Fiona. «Hi», begrüsste sie mich überschwänglich. Bevor ich etwas sagen konnte, fuhr sie fort. «Du hast ja geschrieben dass du am Wochenende in Lausanne startest. Deshalb wollten wir, also Lou, Orlando und ich, fragen ob du einen Fanclub brauchen könntest.» Ich lachte. «Ja klar könnt ihr mitkommen.» «Super, wir beginnen gleich damit Plakate zu basteln», scherzte Lou. «Bitte nicht, Chanel und Madame Chasseral finden das sicher nicht so cool», flehte ich gespielt dramatisch. «Wann beginnt die erste Prüfung?», fragte Orlando. «Um halb zehn, aber ich bin erst gegen elf dran», gedankenverloren spielte ich mit einer meiner blonden Locken herum. «Gut, dann werden wir da sein.» Ich hörte wie Orlando im Hintergrund etwas sagte, konnte aber nicht verstehen was. «Liv, brauchst du noch einen Turniertrottel?», stellte Fiona die Frage, von welcher ich vermutete das es die des Amerikaners war. «Ähm…», ich überlegte kurz. Eigentlich hatte ich ja Carmen, andererseits konnte ich Orlando schlecht etwas abschlagen. «Eigentlich nicht, aber emotionaler Support wäre wirklich nicht schlecht.» «Gut, wir werden morgen um halb zehn in Lausanne sein. Lou, frag schon mal deine Schwester, ob sie uns fährt.»
Nach dem Mittag stand longieren für Bohemian Rhapsody, sowie eine halbe Stunde Schritt für Micky auf dem Programm. Ich begann mit Soda, meinen Liebling sparte ich mir bis zum Schluss auf. Da Bohemian Rhapsody ja gestern auf Turnier gewesen war, wurde er heute nur etwas longiert. Einfach locker vorwärts, ohne Ausbinder, damit der grosse Braune sich ordentlich strecken konnte. Er schnaubte entspannt, während ich ihn um mich herum traben liess. Bei seinen Gängen hätte er auch ohne Probleme im Dressurviereck eine gute Figur gemacht. Seine Hinterhand trat fleissig unter seinen Körper und sein Galopp war einfach perfekt: schwungvoll, raumgreifend, bergauf. Nach einer halben Stunde führte ich ihn wieder aus der Halle. Er hatte gestern wirklich alles gegeben und nach dem Vorfall auf dem Abreiteplatz, wollte ich nichts überstürzen.
Die heutige Schrittrunde mit Micky bestand aus dem Weg zum nächsten Kiosk, einer kurzen Pause, damit ich mein Eis essen konnte, er durfte auch etwas Gras naschen, und der gleichen Strecke wieder zurück. Der Schecke sah zwar schon besser aus, das Ödem am Bauch war schon stark zurückgegangen, aber bis er wieder über Hindernisse fliegen würde. Franz hatte gemeint, wenn alles gut ginge, könnte er nächsten Januar in Basel wieder auf seinem ehemaligen Niveau springen, aber bis dahin war es noch ein langer Weg und keiner wusste ob er wirklich nach Basel führte. Mir war viel wichtiger zu wissen, dass Michelangelo immer noch an meiner Seite war. Das war nach allem was vorgefallen war, nicht selbstverständlich. Ich liess meinen Blick über die beinahe spiegelglatte Oberfläche des Sees wandern. Der Wallach neben mir schnaubte. Es war ein harter Fall gewesen. Sonntags noch Schweizermeister, drei Tage später kämpften wir um sein Leben. Doch der wundervolle Schecke war ein Kämpfer. Und dieser wundervolle Schecke riss mich durch ein ziehen am Führstrick unsanft aus meinen Gedanken. Er wollte nachhause, zu seiner neuen Freundin Chanel.
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