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Das Dressurturnier am Freitag war trotz Gewitter ein voller Erfolg. Da Carmen in Winterthur war, hatte ich nur ein Pferd dabei, Bohemian Rhapsody. Wir hatten das Schulterherein zwar etwas verpatzt und das Kurzkehrt war auch nicht gerade eine Glanzleistung von uns gewesen, aber am Ende reichte es noch für einen neunten Platz. Florence und Westminster erreichten sogar den dritten Rang und die Brünette grinste danach wie ein Honigkuchenpferd. Mit einer Platzierung in dem doch recht grossen und talentierten Teilnehmerfeld würde ich zumindest mit dem Dunkelbraunen beginnen zu springen. Mit Chanel hatte ich vor, nächstes Wochenende zu starten, wir brauchten einfach noch etwas Zeit um zueinander zu finden. Über das Wochenende würde ich eine unangenehme Pflicht erfüllen müssen: mein Vater hatte mich gebeten doch bitte nach Basel zu kommen.

Also sass ich jetzt im Zug Richtung Basel und beobachtete wie Regentropfen an der Scheibe hinunterliefen. Es war seid gestern Abend ununterbrochen am Regnen. Passte irgendwie ganz gut zu meiner Stimmung. Die monotone Ansagestimme verkündete wir würden gleich in Liestal eintreffen. Mein Gegenüber packte seine Tasche und ging. Mit einem wohligen Seufzen streckte ich meine steifen Beine durch. Ich hatte meinem Vater extra die genaue Ankunftszeit nicht verraten, damit ich noch vorher in der Innenstadt shoppen gehen konnte. Ich würde den Pflichtbesuch zuhause so lange wie nur möglich hinauszögern. Als ich in Basel ausstieg, protestierten meine verspannten Schultern gegen das Gewicht meines Rucksackes. Ich hatte einiges an Schulbüchern dabei, was ich gerne deponieren würde. Als ich aus dem Bahnhofgebäude trat, blieb ich eine Weile unter dem Vordach stehen, ratlos wohin ich mich jetzt wenden soll. Der graue Himmel war Ton in Ton mit der grauen Stadt und deren grauen Menschen. Basel war für mich nie schön oder freundlich gewesen. Es schien als ob meine Mutter nicht die einzige mit einem abweisenden Gemüt war.

Gegenüber des Bahnhofs entdeckte ich schliesslich einen Starbucks und die Aussicht auf ein warmes Getränk lockte mich in das Geschäft hinein. Mit einem warmen Chai in der Hand, auf dessen Plastikbecher Olivia ausnahmsweise richtig geschrieben war, spazierte ich durch den De-Wette Park in Richtung des Rheins. Als zwischen den Häusern langsam die Spitze des Basler Münsters sichtbar wurde umspielte trotz allem ein kleines Lächeln meine Lippen. Ich hielt zielstrebig auf die Kirche mit den Doppeltürmen zu. Mit dem rötlichen Sandsteinbau verband ich eine interessante Erinnerung. Die beiden Türme waren von zwei Säulen flankiert, auf welchen Ritter mit Streitrossen thronten. Ich erinnerte mich als ich vielleicht drei gewesen war. Mein Vater hatte sich freigenommen und war mit mir und Alex durch die Altstadt spaziert. Ich war damals völlig vernarrt in Pferde gewesen, etwas das sich bis heute nicht gross geändert hatte. Auf jeden Fall, hatte Alex mir gesagt dass es dort zwei Statuen mit Pferden gab, das Problem war ich hatte sie nicht sehen können weil ich zu klein war. Mein Vater hatte mich mit den Worten: wärst du jetzt auf einem Pferd, könntest du sie sehen, geneckt. Ich fand das überhaupt nicht lustig und quengelte so lange bis ich meinem Vater auf die Schultern sitzen durfte.

Ich war auf dem Münsterplatz angekommen. Trotz des Nieselregens flanierte ich neben dem Münster auf die mit Bäumen bepflanzte Rheinpromenade. Es war immer wieder erstaunend dass das wilde Alpenflüsschen, welches ich in Felsstadt aus dem Fenster meines Zimmers sehen konnte, hier so breit und tief war, dass Schifffahrt möglich war. Eine kleine Fähre mit dem Namen Leu, also Dialekt für Löwe, überquerte die grauen Fluten des Stroms. Als ich dicht gedrängt zwischen einer älteren Dame mit viel zu viel Parfum und einem Jungen Mann mit Rastalocken auf dem kleinen Bötchen sass, überlegte ich mir ein weiteres Mal ob es schlau war nach Riehen zu laufen. Der Vorort Basels war ein deutliches Stück vom Rhein entfernt. Allerdings wollte ich ja Zeit schinden und so spazierte ich an der anderen Seite weiter. Nach etwa einer halben Stunde gehen kam ich an einem Buchladen vorbei und entschied mich spontan noch ein oder zwei Bücher zu kaufen. Es wurden am Ende zwei Kriminalromane und ich setzte meinen Weg fort.

Etwas mehr als eine Stunde später stand ich mit nasser Regenjacke vor dem hübschen Einfamilienhaus in Riehen. Mein Finger schwebte über der Türklingel. Dreher-Eggenberger war auf dem Schildchen zu lesen. Ich atmete tief durch und drückte entschlossen den Knopf. Ich hörte die Klingel durch die Türe im Inneren läuten. Zuerst rührte sich nichts. Dann hörte ich Schritte auf der Holztreppe. Um diese Zeit konnte das nur meine Mutter sein. Ein Kloss bildete sich in meinem Hals, aber jetzt war es zu spät um wegzulaufen. Ausserdem konnte ich nicht immer weglaufen wenn es Probleme gab. Die Tür öffnete sich und ich blickte in das Gesicht meiner Mutter. Ich bemerkte die winzigen Fältchen um die Augen, das einzige Zeichen ihres Alters. Niemand hätte Stefanie Eggenberger auf älter als vierzig geschätzt, niemand der sie nicht kannte. «Hallo», grüsste ich mit zittriger und belegter Stimme. Das Gesicht meiner Mutter war unverändert ausdruckslos. Sie liess mich aber hinein und ging dann in die Küche, wo ich hörte wie sie an der Kaffeemaschine herumwerkelte. Ich hängte meine nassen Sachen im Gang auf und huschte leichtfüssig die Treppe nach oben.

Die hinterste Tür rechts gehörte zu meinem Kinderzimmer, was an den vielen Pferdepostern unschwer zu erkennen war. Ich stiess die Tür auf und sah mich im Raum um. Alles unverändert. Unter dem Fenster war der Schreibtisch, gegenüber das Bett, an der Wand Einbauschränke und Bücherregale. Mein Blick fiel auf die Rückseite der Zimmertür. Mehrere Autogrammkarten hingen da, es waren sicher dreissig, wenn nicht sogar mehr. Unterschriften von berühmten Reitern, Ingrid Klimke und Steve Guerdat hingen neben Ludger Beerbaum und Isabell Werth. Ich spürte das Verlangen alle abzunehmen und in meinem kleinen Zimmer auf dem Waldstättengut aufzuhängen. Vorsichtig begann ich mit einem Fingernagel das Klebeband abzukratzen welche die Autogrammkarte von Martin Fuchs an der Wand hielt. Ich hatte etwa fünf oder sechs Karten abgenommen, als die schrille Stimme meiner Mutter durch das Haus hallte. «OLIVIA!»

Ich sog tief die Luft ein, straffte die Schultern und ging in die Küche. Meine Mutter sass am Küchentisch, eine grosse Tasse Kaffee vor sich. Auf der Theke standen eine Tasse Tee und noch mehr Tee in einem Krug. «Danke», sagte ich und nippte an der heissen Flüssigkeit. Leider kein Schwarztee, aber auch gut. Meine Mutter begann zu sprechen ohne von ihrer Zeitung aufzusehen. «Du hast also jetzt diese», sie machte eine abwertende Handbewegung, «Trainingsstelle.» Sie sprach das Wort aus als wäre es etwas schlechtes. Ich nahm einen grossen Schluck Tee bevor ich antwortete. «Ja. Ich war gestern mit einem Pferd von dort auf Turnier. Es ist ziemlich gut gelaufen.» Sie nickte nur und trank ihren Kaffee. Eine unangenehme Stille herrschte für einige Minuten zwischen uns. «Du wirst aber in Greppen zur Schule gehen. Und wenn nächstes Jahr wieder so etwas passiert wie in diesem kannst du dich von deinem Pferd verabschieden.» Ich nickte. Auf was hatte ich mich nur eingelassen?

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