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Nachdem ich bei Schwerenhof im Büro alles geklärt hatte und meine Sachen in das kleine, aber gemütliche Zimmer unter der Dachschräge des Mitarbeiterhauses, gebracht hatte, war meine Mission jetzt: Pferde bewegen. Auf dem Plan standen Dressurstunden. Carmen war mir als Pflegerin zugeteilt worden und war eine grosse Hilfe beim Bereitmachen der Pferde. Auf dem schönen Putzplatz draussen vor dem Stall machten wir als erstes Bohemian Rhapsody bereit. Ich versuchte gerade mehr schlecht als recht den Rücken des dunklen Wallachs zu striegeln. Es war sicher 20 cm grösser als Michelangelo, aber auch einiges zierlicher und feiner gebaut. Er war unglaublich brav und stand lammfromm da, ohne herumzuzappeln. «Ist er immer so brav?», fragte ich, während ich mich auf die Putzbox stellte um endlich an den Rücken ranzukommen. Carmen schüttelte lachend den Kopf. «Auf der Weide ist er unglaublich. Jedes Pferd hat wahrscheinlich schon mehrere Male eine Schramme von ihm verpasst bekommen und kein Zaun ist ihm zu hoch.» Sie bückte sich und pinselte die tellergrossen Hufe mit Huföl ein. «Weisst du wie er zu reiten ist?», fragte ich und striegelte energisch den Rücken des Wallachs, was dieser sichtlich genoss. «Er soll ziemlich fein zu reiten sein, aber auch ziemlich minimalistisch. Wie beim Probereiten.» Gut, das konnte man auch über Michelangelo sagen, also sollte es nicht so eine krasse Umstellung sein. Andererseits konnte man in meinen Augen kein Pferd mit dem gescheckten Westfalen vergleichen. Jedes Pferd ist anders aber er ist viel mehr als ein Pferd für mich.
Kurz darauf sass ich im Sattel des riesigen Hannoveraners und ritt auf das Dressurviereck zu, welches direkt am See lag. Ich muss zugeben, dass ich in der halben Stunde, die ich mir zum Abreiten genommen habe, mein Blick oft über die fantastische Aussicht schweifte. Sodas Bewegungen fühlten sich so anders an als Michelangelos. Er legte mit einem Schritt so viel mehr Distanz zurück. Er ging schwungvoller und strahlte auf mich mehr Selbstvertrauen aus. Als Raffaela, meine Dressurtrainerin, den Platz betrat, wusste ich sofort: jetzt galt es ernst. Soda war in allen Gangarten abgeritten und wollte jetzt Arbeiten. «Guten Tag, du musst Olivia sein», begrüsste sie mich. Ich nickte nur. «Wie ich seid ihr bereits aufgewärmt, so dass wir gleich starten können.» Mir fiel der Dialekt der gebräunten Schwarzhaarigen auf. Ich war mir nicht sicher, aber tippte stark auf Wallis. «Heute werde ich nicht unterrichten. Du reitest wie immer und ich werde mir Notizen machen», sie zeigte auf das Klemmbrett unter ihrem Arm, «nach der Stunde werde ich dir Feedback geben und dir eine kleine Aufgabe für die nächste Stunde geben. Soweit klar?» Ich nickte.
Ich drückte meine Schenkel gegen den Bauch des Wallachs und er reagierte sofort, in dem er losschritt. Ich achtete darauf den Schritt fleissig und vorwärts zu reiten und nicht in mein altes Muster zu verfallen und das Pferd mit der Hüfte anschieben zu wollen. Ich nahm die Zügel kürzer und wir trabten an. Ich versuchte mein Bestes zu geben und wirklich locker mit der Bewegung mitzugehen, aber das klappte nicht so recht und so warf es mich im Sattel hin und her. Vorsichtig linste ich zu Raffaela hinüber, welche gerade etwas notierte. Soda und ich parierten nochmal in den Schritt durch und zeigten ein, meiner Meinung nach, akzeptables Schulterherein an der langen Seite. Die Reitstunde ging besser als gedacht, aber nach der Stunde waren sowohl Bohemian Rhapsody als auch ich total durchgeschwitzt. Wir gingen Schritt am hingegebenen Zügel und ich versuchte nicht daran zu denken, das gerade nochmal mit Chanel zu machen, welche einen Platz weiter von Carmen gerade warmgeritten wurde. Ich lobte den Hannoveraner ausgiebig und besprach die letzte Stunde mit Raffaela. «Positiv aufgefallen sind deine feinen Hilfen und seine sofortige Reaktion. Eure grösste Schwäche scheint mir das ausgesessene Traben zu sein. Bis nächsten Donnerstag möchte ich, das du ihn täglich etwa 10 Minuten ohne Steigbügel reitest. Es fördert den Sitz und wird dir im Trab beim Aussitzen helfen. Achte aber darauf nicht mit den Beinen zu klammern.» Ich nickte und stieg ab. Der Wallach war deutlich grösser als Michelangelo, weshalb ich mich nicht besonders elegant aus dem Sattel schwang.
Die Stunde mit Chanel verlief vom Aufbau her gleich, ich versuchte zu reiten wie immer und Raffaela machte sich Notizen, nur ritt ich schlechter. Die sture Schimmelstute reagierte in gar nicht auf meine Schenkelhilfen und Anlehnung konnte ich erst recht vergessen. Anscheinend identifizierte sich Chanel nicht als Selle Francais sondern als Giraffe. Nach der Stunde war ich völlig ausser Atem und Chanel war anscheinend nicht einmal ins Schwitzen geraten. Raffaela kam auf mich zu und ich konnte einen Blick auf ihr Klemmbrett erhaschen: es war dicht beschrieben in einer kleinen, aber ordentlichen Handschrift. «Positiv Hervorheben möchte ich ihren Schwung und die raumgreifenden Gänge, allerdings ist sie auch sehr schlecht am Zügel gegangen und du konntest sie kaum rund reiten. Ich denke ihr müsst euch aneinander gewöhnen, dann wird das besser. Chanel ist eine richtige Diva und testet ihre Reiter anfangs sehr. Sei konsequent und setz dich durch. Sie muss lernen, das sie dich nicht für blöd verkaufen kann.» Ich nickte. Chanel war überhaupt nicht mein Typ Pferd, ich wusste nicht was ich beim Probereiten in ihr gesehen habe und am liebsten würde ich jedes andere Pferd des Hofes reiten, aber wenn ich mit einem Pferd eine reelle Chance hatte, dann mit dieser zerrupften Schimmelstute.
Ich hatte nie gewusst wie viel Arbeit ein Ekzemer machen konnte, bis ich mit Carmen Chanel versorgte. Nach dem Reiten wurde sie nicht nur abgespritzt, sondern auch gewaschen. Sobald sie trocken war, trugen wir auf alle wunden Stellen Salbe auf. Obwohl wir sie auch noch gründlich mit Insektenspray eingesprüht hatten, legte Carmen ihr noch eine Ekzemerdecke mit Halsteil und eine Fliegenmaske an, bevor sie auf eine der weitläufigen Weiden kam. Sobald Chanel mit freudigen Bocksprüngen über die Weide tobte, spazierten Carmen und ich weiter zu den Sandpaddocks, um nach der Fuchsstute Madame Chasseral zu suchen. Ich hatte nicht mehr die Energie um zu reiten, weshalb ich sie longierte und nachher gemeinsam mit Carmen noch mit ihr spazieren ging. Für ein Jungpferd benahm sie sich sehr vorbildlich. Sie scheute vor nichts und zappelte auch nicht herum. Aber sie musste alles ins Maul nehmen. Egal ob Longe, Strick oder Putzzeug, nichts blieb verschont.
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