15~

Der Rest der Woche verging wie im Flug. Ich war täglich am Stall um Dark Princess zu bewegen. Freitags fand ich sogar die Zeit mit dem Zug in die Klinik nach Nesslau zu fahren um Michelangelo zu besuchen. Ich hatte mich am Samstagmorgen um neun Uhr mit Schwerenhof auf dem Waldstättengut verabredet. Fiona würde als objektive Beobachterin mitkommen. Da Ann-Kathrin uns nicht fahren konnte, beschlossen wir mit dem Zug zu fahren. Das hiess: um sechs auf dem Bahnhof sein, um den Zug nach Zürich nicht zu verpassen. Ich hatte mir am Bahnhofskiosk gerade Kaffee besorgt, als ich Fiona auf mich zukommen sah. Es war auch nicht schwer sie zu erkennen, da wir die einzigen Verrückten waren, welche so früh auf den Zug gingen. In Zürich hatten wir eine Wartezeit von zehn Minuten, was aber trotzdem knapp wurde, da wir das Gleis nicht fanden.

Wir waren beinahe zu spät als wir endlich den Zug nach Lugano fanden. Langsam wurde ich wach, es war ja schliesslich schon halb acht. Doch als die Müdigkeit verflog, kam die Aufregung. Schwerenhof hatte am Telefon angedeutet, er hätte einige Pferde, die ich reiten könnte. Mehr nicht. «Was glaubst du werde ich für Pferde reiten?», fragte ich Fiona, welche müde aus dem Fenster schaute. Diese schreckte aus dem Halbschlaf hoch. «Was? Sorry ich habe nicht zugehört» Ich grinste. «Ich habe dich gefragt was glaubst du was für Pferde ich reiten werde?» Fiona zuckte mit den Schultern. Als die Ansage die Haltestelle Rotkreuz verkündete, packte ich unser Zeug zusammen. Fiona versuchte mir zu helfen, aber mit einem eingegipsten Arm war sie keine grossartige Hilfe. Wir stiegen in einen Bus ein, welcher laut der Anzeigetafel nach Küssnacht fuhr. Er war gut gefüllt, so dass wir stehen mussten. Trotzdem musste ich die ganze Zeit die Landschaft bewundern, welche draussen vorbeizog. Es war ganz anders als die raue Schönheit von Graubünden. Die Gegend hier war hügelig, aber am Horizont konnte man bewaldete Berge erkennen. Ich war besonders gespannt auf den Vierwaldstättersee. Ich war noch nie in diesem Teil der Schweiz gewesen, hatte aber gehört, dass es atemberaubend sein sollte.

Als wir endlich aus dem stickigen Bus raus waren, sah ich mich neugierig um. Fiona war wie immer top vorbereitet und meinte wir müssten an der Seepromenade entlang gehen, dann würden wir schon zum Waldstättengut kommen. Nach etwa einer Viertelstunde Fussweg waren wir aus der Stadt draussen und sahen über den See. Es war windstill und so lag der See spiegelglatt vor uns. Die Landschaft um uns herum war nur hügelig, aber wenn man über den See schaute, konnte man Berge sehen. Und etwas weiter dem See entlang konnte ich einen grossen Hof ausmachen, auf welchem ich schwer das Waldstättengut vermutete. «Glaubst du wir schaffen es bis neun Uhr dort zu sein?», fragte ich Fiona, denn es war schon ein ordentliches Stück Fussweg bis zum Gut. «Ach, komm schon, laufen, nicht reden», mit diesen Worten marschierte die schlaksige Blondine los. Ich folgte ihr, auch wenn ich in meinen Reitstiefeln nicht ganz so zackig marschieren konnte wie sie. Pünktlich um neun Uhr erreichten wir das moderne Metallgitter-Tor am Ende der Auffahrt. Franz Schwerenhof erwartete uns schon.

«Guten Morgen», grüsste er uns freundlich, «Willkommen auf dem Waldstättengut.» Ich wusste nicht recht was sagen, weshalb Fiona das reden übernahm. «Hallo. Ich bin Fiona Narrodini, Olivias mentaler Support und Beraterin», sagte sie mit einem Grinsen. Endlich fand ich die Sprache wieder. «Dieser Hof ist einfach atemberaubend», brachte ich hervor. Was auch ganz der Wahrheit entsprach. Das Waldstättengut stand mit seinen hochmodernen Gebäuden in einem krassen Gegensatz zum Auenhof, dessen Charme von den zweihundert Jahre alten, schön renovierten Gebäuden herrührte. Schwerenhof lachte nur. «Wir haben die Anlage erst vor drei Jahren gebaut. Vorher stand hier ein alter Bauernhof, der schon ziemlich verfallen war.» Er führte uns über den gekiesten Platz zu einem Stall. Das erste was mir auffiel war, wie unglaublich sauber alles war. Das Holz der Boxen war in einem schönen Rotholzton und das Metall glänzte matt. Eine junge Frau mitte 20 war gerade dabei, einen hübschen Fuchs mit breiter Blesse aus dem Stall zu führen. «Leider habe ich gleich eine wichtige Sitzung, weshalb Carmen euch den Hof zeigen wird. Sie kommt gleich zurück.»

Schwerenhof verschwand, während wir auf Carmen warteten und den Stall bewunderten. Alle Pferde sahen umwerfend aus, es war luftig und roch angenehm nach Pferd und Heu. «Hallo, du musst Olivia sein», begrüsste mich die junge Frau als sie wieder kam. «Ja, und das ist Fiona, meine Beratung.» Ich schüttelte ihre Hand. «Gut, ich bringe noch schnell Camaccio auf den Paddock, ich bin gleich wieder da.» Sie ging zur Box eines Braunen, welcher mir ziemlich bekannt vorkam. «Das ist doch Aline Schwerenhofs Pferd», wisperte ich Fiona zu. Dieses nickte überrascht. Kurz darauf kam Carmen wieder. «Gut, beginnen wir gleich hier. Es gibt vier Ställe mit je 30 Boxen.» Ich war sprachlos. Hier konnten 120 Pferde untergestellt werden. «Alle Ställe sind gleich aufgebaut und sind um den Hauptplatz angeordnet. Der ist dort drüben», sie wies auf das entgegengesetzte Ende der Stallgasse, wo die Tür einen Spalt weit offen stand. «Wer versorgt all diese Pferde?», fragte Fiona neugierig. «Jeder Reiter hat einen Pfleger zugeteilt, der sich um seine Pferde kümmert und mit auf Turniere kommt», antwortete Carmen, während wir ihr durch die Stallgasse folgten. In der Mitte blieb sie stehen. «Hier sind die Putzplätze mit Solarium, sie wies auf drei Putzplätze zu unserer linken.

«Hier gegenüber ist die Sattelkammer.» Sie öffnete die Schiebetür und ich hätte nie geglaubt dass mich eine Sattelkammer so beindrucken könnte. An jeder Wand waren Schränke aus Holz. Die junge Rothaarige zog einen auf. Drinnen hingen, fein säuberlich versorgt, Sattel, Trensen, Gamaschen, eine Putztasche und weiteres Zeug, welches bei mir eher in den Spind reingeworfen wurde. «Der Sattel ist auf einem Sattelwagen, den man einfach hier rausfahren kann. Ausserdem», sie hob die Schabracke ein bisschen, «Ist hier unten genug Stauraum für Putztasche, Helm und so weiter.» Ich war beindruckt wie durchdacht das alles war. «Und wo wird das Futter aufbewahrt?», fragte ich aus reiner Neugier. Carmen grinste und zog eine weitere Schranktür auf, welche sich jedoch als wirkliche Tür entpuppte. Es standen mehrere Tonnen und Säcke in dem versteckten Raum. «Gehen wir weiter», Carmen schloss die Tür wieder und wir traten wieder hinaus auf die Stallgasse.


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