12~
Es hätte alles so schön sein können. Doch dann kam der schicksalshafte Mittwoch. Es fing damit an dass es warm war. Es war vor der Schule schon über 20 Grad und es sollte über 30 Grad warm werden. Die Schule verlief normal, doch je länger der Morgen dauerte, desto nervöser wurde ich. Die Direktorin wollte nach dem Mittag mit mir und meinen Eltern sprechen, ein Gespräch, welches ich nicht unbedingt brauchte. Fiona war immer noch nicht in die Schule gekommen und so sassen Lou und ich nur zu zweit an dem Tisch in der Mensa. Lustlos stocherte ich in meinem Essen herum. Lou, welche schon beinahe fertig war, sah mich streng an. «Du musst was Essen, sonst kippst du in dieser Hitze noch um.» Ich schüttelte nur lustlos den Kopf und seufzte resigniert. «Ich kriege heute den Ärger meines Lebens und kann froh sein, wenn ich dieses Jahr noch überhaupt ein Pferd von weitem sehe.» Trotzdem nahm ich einen Bissen meines, jetzt kalten, Reis.
«Es gibt sicher eine Lösung. Du schaffst das schon, ich glaube an dich.» Ihre Finger streiften kurz meinen Handrücken. «Deine Eltern sind nicht durch die ganze Schweiz gefahren, nur um dich zusammenzustauchen», ich legte das Besteck auf das Tablett und vergrub den Kopf in meinen Händen. «Ich werde ganz sicher auf irgendeine richtig strenge Schule müssen.» Lou bedachte mich mit einem Mitleidigen Blick. «Wenigstens schicken deine Eltern dich nicht ins Kloster», versuchte die Dunkelhaarige mich aufzumuntern. Um Lou wenigstens teilweise zufrieden zu stellen, würgte ich einige Bissen hinunter, obwohl meine Kehle wie zugeschnürt schien. Mit hängenden Schultern machte ich mich auf ins Büro der Direktorin. Als ich über den Campus schlurfte, sah ich den weissen Rolls-Royce meiner Eltern die Auffahrt hochfahren. Wie immer mussten sie raushängen, wie viel Geld sie hatten. Ich beschleunigte meine Schritte, um ausser Sichtweite zu verschwinden. Nervös klopfte ich an die Tür des Büros und trat ein. Die Direktorin war eine ältere Frau mit einem strengen Gesicht und einer sehr auffälligen Hakennase. «Nimm bitte Platz», forderte sie mich auf und wies vage auf die drei Stühle vor ihrem Pult.
Nur wenig später, traten auch mein Vater und meine Mutter ein. Und wieder wurde mir ins Gesicht gedrückt, wie sehr ich meiner Mutter ähnelte. Das gleiche spitze Gesicht, die gleichen blaugrünen Augen und die gleichen blonden Haare. Nur trug ich meine im Gegensatz zu ihr kurz, so dass die widerspenstigen Locken kaum bis auf meine Schultern fielen. Ihr Gesichtsausdruck war beherrscht, doch ich wusste, dass dies nicht mehr lange der Fall sein würde. Als meine Eltern Platz genommen hatten, begann die Direktorin zu sprechen: «Schön dass sie kommen konnten, Herr Dreher und Frau Eggenberger.» Meine Mutter lächelte ihr perfektioniertes, falsches Lächeln: «Gerne, worum geht es denn?» Mein Herz setzte für einige Herzschläge aus. Die Gedanken rasten in meinem Kopf. Mir war als würde mir gleich schwarz vor Augen als die Direktorin antwortete.
«Es geht um die schulischen Leistungen ihrer Tochter. Es gibt da einige Punkte, die ich gerne mit ihnen besprechen möchte.» Das falsche Lächeln war meiner Mutter wie aus dem Gesicht gewischt, mein Vater sah mich fragend an. «Ihre Tochter hat in diesem Semester drei Schulverweise bekommen. Keiner davon ist für einen kleineren Regelverstoss.» Ich wurde langsam aber sicher panisch, der entsetzte Blick meiner Mutter half kein bisschen. «Zwei für das Nichteinhalten der Nachtruhe sowie einen für Respektlosigkeit einer Lehrperson gegenüber. Dazu kommen weitere zwei Verweise aus dem letzten Semester, für Respektlosigkeit.»
Meine Mutter war geschockt. In ihren Augen konnte ich die masslose Enttäuschung sehen. Mein Vater, den sonst nichts aus der Ruhe bringen konnte, warf mir einen verletzten Blick zu. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich mich so schlecht gefühlt. «Und was schlagen sie jetzt vor?», fragte mein Vater, nachdem er sich etwas beruhigt hat. «Mit dieser Anzahl von Verweisen kann ihre Tochter beim besten Willen nicht an dieser Schule bleiben. Sie kann noch bis Ende nächste Woche hierbleiben, dann muss sie gehen.» Mein Vater nickte. «Besteht die Chance, dass Olivia noch eine Matura machen kann?» Natürlich, mich fragte niemand, es wäre ja nicht so dass es um meine Zukunft geht. «Um die Matura zu machen, müsste sie an einer neuen Schule die fünfte Klasse wiederholen. Ausserdem müssten ihre Noten auch einen Sprung nach oben machen.»
Sie reichte ein Blatt zu meinen Eltern hinüber, welches ich als Auszug aus meinem Zeugnis erkannte. Dem entsetzen Aufkeuchen meiner Mutter nach, war es nicht besonders überragend. Meine Mutter legte das Blatt auf den Pult. «Welche Schule würden sie empfehlen?» Die Direktorin tippte etwas in ihren Laptop. «Es gibt da einige Internate, welche ich für passend erachte. Eines davon wäre zum Beispiel dieses.» Sie drehte uns den Laptop zu. Geöffnet war eine Website. «Educandato Parastelle di Lugano», las ich vor. Die Direktorin nickte. «Dieses Internat hat wie unseres einen hervorragenden Ruf. Ausserdem stehe ich mit der Direktorin in direktem Kontakt, sie ist wirklich eine sehr fähige Frau.» Die Landschaft sah zwar ganz hübsch aus, aber die Lage war ein Problem. «Das ist im Tessin», stellte ich etwas dämlich fest. «Ich kann nicht so gut Italienisch.» Die Direktorin tippte etwas anderes auf ihren Laptop. Als sie ihn uns wieder zudrehte, war eine andere Website offen. «Dieses wäre in der Nähe von Arbon. Es ist ein gemischtes Internat, bis jetzt habe ich nur gutes gehört. Sie sind jedoch nicht so elitär wie unsere Schule.»
Ich wollte schon entgegnen, dass dies kein Problem ist, als meine Mutter sagte: «Gibt es eigentlich das Heilig Kreuz noch?» Alleine der Name schien mir nichts gutes zu versprechen, umso geschockter war ich als ich die Antwort der Direktorin hörte. «Natürlich gibt es diese Schule noch... Warum eigentlich nicht, wenn es ihnen der geeignete Platz für ihre Tochter erscheint.» Meine Mutter nickte. «Deine alte Schule?», fragte mein Vater etwas perplex. Die Blondine nickte. «Anstand und Disziplin erscheinen mir für Olivia das richtige.» Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Ich wusste nicht viel über die Schule meiner Mutter, nur dass es eine Klosterschule war. Mir kam Louisas dummer Scherz vom Mittag in den Sinn. Da hatte meine Zimmergenossin wieder mal etwas verschrien. «Wo ist diese Schule, wenn ich fragen darf?», meldete ich mich etwas kleinlaut. Die Direktorin drehte uns wieder ihren Laptop zu. «Greppen», antwortete meine Mutter kurz angebunden. «Wo?», fragte ich, verwundert über den Ortsnamen, welchen ich noch nie gehört hatte. «Am Vierwaldstättersee.» Die Bilder des Klosters verrieten mir etwas: Greppen war ein Kaff.
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