04~"Keiner aus deiner Familie hat eine Gabe gehabt."

Diesen Morgen, war Senõra López wieder zu Besuch gewesen.

Sie beschwerte sich sowohl über Abuelo als auch über mich. Sie ärgerte sich über Abuelos sorglosen Umgang mit Geld und auch darüber, dass er mich nicht richtig erzogen.

Außerdem passte es ihr nicht, dass ich eine so genaue Beobachterin war. "Im Falle eines kleinen Mädchens ist das widernatürlich!" Und Sie dann es gerade zu ungeheuerlich, dass wir beide kurze Botschaften füreinander auf dem Tapete im Flur schrieben.

"Das ist doch nicht normal!", grummelte sie. "Das ist doch nicht gesund!"

"Ganz im Gegenteil", erwiderte Abuelo. "Je mehr Worte in einem Haus, desto besser, Senõra."

Im Übrigen missbilligte Senõra López Abuelos mit Tinte beschmierte Hände und seinen Hut mit der schlaffen Krempe, und meine Art, mich zu kleiden, war ihr ein Graus.

Abuelo war nicht gerade zum Einkaufen geboren. In dem vorherigen Dorf, stand er einmal den ganzen Tag verwirrt auf dem Marktplatz herum, und bei seiner Rückkehr brachte er dann eine Schachtel mit Hemden für Jungen mit.

Die Hemden hatte ich immernoch, und eigentlich fand ich sie sogar ganz reizend.

"Sie dürfen nicht zulassen, dass sie das anzieht!", sagte Chiara López, als sie mitbekam, dass ich eines der Hemden zum anziehen rauslegte, denn dieses wollte ich später zu dem Fest bei den Madrigals anziehen. "Die Leute müssen doch denken, sie wäre verrückt."

Ich sah zu dem Hemd und betastete den Stoff. Er war etwas steif, weil Abuelo ihn falsch getrocknet hatte, davon abgesehen aber prima. "Woran erkennt man eigentlich, dass es kein Hemd für ein Mädchen ist?", fragte ich.

"Bei Hemden für Jungen sitzen die Knöpfe rechts. Bei Blusen- bitte merke dir, dass es Bluse heißt- sitzen sie links. Wusstest du das vorher etwa nicht? Ich bin entsetzt!"

Abuelo legte die Zeitung zur Seite, hinter der er sich verschanzt hatte. "Sie sind entsetzt, weil sie keine Ahnung von Knöpfen hat? Knöpfe spielen in internationalen Angelegenheiten nur selten eine Schlüsselrolle."

"Wie bitte?"

"Ich meinte damit, dass sie von wichtigen Dingen Ahnung hat. Natürlich nicht von allen, denn sie ist noch ein Kind. Aber von vielen."

Senõra López rümpfte die Nase. "Bitte verzeihen Sie- vielleicht bin ich altmodisch, aber ich finde, Knöpfe sind wichtig."

"Y/n", sagte Abuelo und sah mich für für Bruchteil einer Sekunde an. "kennt die Hauptstadt eines jeden Landes auf dieser Welt."

"Fast jedes Landes.", flüsterte ich, doch die Erwachsenen hörten es nicht.

"Sie kann lesen und sie kann zeichnen. Sie kann zwischen Suppenschildkröte und einer Riesenschildkröte unterscheiden. Sie kann jeden Baum benennen und auch klettern. Y/n kann und weiß so viel. Man muss schon ausgesprochen dumm sein, um nicht zu merken, dass sie sich außerordentlich gut entwickelt. Entweder dumm oder stocktaub, schließlich erzählt sie es ja jedem. Oder nur ich muss es mir jeden Morgen anhören, ich weiß es nicht."

Abuelo hätte ebenso gut schweigen können, denn Chiara López wischte seine Worte mit einer Handbewegung weg. "Gut, lassen wir das. Aber eines steht fest: es kann nicht für immer so weitergehen."

"Und warum nicht?" Ich klopfte drei Mal gegen den Holztisch, denn das brachte Glück. "Natürlich kann es so weitergehen. Was spricht dagegen?"

"Nein so kann es nicht weitergehen. Dir fehlt einfach eine Mutter. Bei deinem Abuelo zu leben, tut dir auf Dauer nicht gut."

Abuelo sah Senõra López in die Augen. Sie wich seinem Blick aus. "Ich bitte Sie jetzt darum, zu gehen. Unverzüglich.".

"Ganz bestimmt-"

"Sofort.", knurrte Abuelo und ich bemerkte, die Panik in den braunen Augen der älteren Frau.

Warum mischte sie sich eigentlich so in unser Leben ein? Schon seit neun Jahren lebe ich bei ihm, und es geht mir gut. Wo ist denn da das Problem?

Die Tür viel ins Schloss und Abuelo atmete laut hörber aus. "Die Frau macht mich fertig."

"Abuelo?", fragte ich und er sah mich an. "Ja, mi pequeño?"

"Kann ich vielleicht zu Maribel? Ich komme gegen Mittag auch wieder und dann können wir beide am Abend, gemeinsam zu den Madrigals gehen."

Überrascht zog er die Augenbrauen zusammen. "Warum denn nicht? Mach doch einfach!"

"Oh", ich lächelte. "Dann...gehe ich jetzt?"

"Klar." Er kam zu mir rüber und half mir vom Stuhl.

Ich wusste sehr wohl, dass es viele Möglichkeiten gab, jemanden vom Stuhl zu helfen. Und wie man es tat, konnte sehr vielsagend sein. Senõra López zum Bespielt scheuchte einem mit dem Holzlöffel hinunter. Abuelo dagegen, war sehr behutsam und benutzte wie bei einem Tanz die Fingerspitzen.

"Danke, Abuelo!" Ich lief zur Tür und wank ihm noch. "Tschüss!"

Hastig öffnete ich die Tür und eilte los. Ich angelte mich durch die Gassen, darauf bedacht, keine Wand zuberühren- Schließlich war mein Knie ja erst verheilt.

Eigentlich wusste ich ja rein gar nichts über die Familie Madrigal, trotzdem wirkten sie auf mich wie eine harmlose Familie. Obwohl sie sehr chaotisch durcheinander und laut waren, liebten sie sich und hielten zusammen.

Ich beschleunigte meine Schritte und lief weiter auf die Casita zu. Es konnte sich selbst bewegen, hatte mir Mirabel gestern erzählt.

Am Ziel angekommen, bemerkte ich ein paar kleine Kinder und Mirabel. Sie gestultierte wild mit dem Händen und....sang?!

Ich trat näher auf die kleine Gruppe zu.

"Und was kann Mirabel?", sangen die Kinder. Kichernd beobachtete ich Mirabels Mimik. Sie steckte wohl ziemlich in der Klemme, denn anscheinend wollte sie nicht zugeben, dass sie keine Gabe besaß.

Als wir gestern noch durch das Dorf gelaufen sind, hatte sie mir ihr ganzes Herz ausgeschüttet und gebeichtet, wie unwichtig sie sich ohne Gabe vorkam. Als wäre sie nicht besonders, neben den ganzen Gabenträgern in ihrer Familie.

"Reicht ihr kleinen. Los, geht zurück zu euren Eltern!", meinte ich grinsend und Mirabel blickte mich dankend an. Ich sah sie wissend an und musste ein Lachen unterdrücken.

"Aber Mirabel wollte uns gerade von ihren Super-, Ultra-, Tollen Gabe erzählen!", schrie eines der Kinder. Es war ein Mädchen, mit zwei süßen Zöpfen.

"Ja, also", begann ich unbeholfen. "Es ist so, dass-"

"Oh, Mirabel hat leider keine Gabe bekommen, hm."

Ich seufzte frustiert. War es in dieser Familie üblich, dass man sich ständig unterbrach oder einfach in irgendwelche Gespräche einmischte?

Strafend sah Mirabel ihre Cousine an und auch ich blickte Dolores böse entgegen. Schulterzuckend machte sie sich aus dem Staub und ich wagte vorsichtig einen Blick auf Mirabel. Sie biss sich gepeinigt auf die Unterlippe.

"Du hast echt keine Gabe bekommen?", fragte eines der Kinder. Das Mädchen klang beinahe entsetzt und ziemlich vorwurfsvoll.

"Ehm"

"Mirabel!" Ein Mann auf einem Esel, wank ihr zu und löste die Seile um einen riesigen Korb, welche auf dem Rücken des Esel befestigt waren. "Eine Lieferung!"

Fragend folgte ich ihrem Blick.

"Du bekommst hier was ganz besonderes, weil du die einzige der Madrigalkinder ohne Gabe bist!" Er überreichte ihr den Korb, gefüllt mit quitschbunten Partyartikeln. Er überlegte kurz. "Ich nenne es...das Nicht besonders besondere, weil du...ehh..keine Gabe hast."

Sie verzog das Gesicht. "Danke."

"Oh und wünsch Antonio bitte viel Glück. Die letzte Gabe Zeromonie war echt eine Enttäuschung." Er lehnte sich zu ihr rüber. "Die letzte war ja deine. Die, die nicht geklappt hat."

Ich sah Mirabel an. Sie sah aus, als hätte sie in eine saure Zitrone gebissen.

Jedes der sieben Kinder sah sie mitleidig an. Vielleicht war es aber auch nicht nur Mitleid.

"Wenn ich du wäre, dann wäre ich wirklich sehr traurig.", meinte das Mädchen und zog das >>sehr<< ziemlich lang, sodass es noch mitleidiger klang.

Mirabel seufzte und setzte ein falsches Lächeln auf. "Nun kleine Freundin, das bin ich nicht. Denn wenn du die Wahrheit wissen willst...Gabe oder keine Gabe, ich bin genauso wie jeder hier in der Familie, etwas besonderes!"

Wir alle neun, sahen auf die Casita. Dort trafen die restlichen Familienmitglieder der Madrigalfamilie Vorbereitungen für Antonios Zeromonie.

Warte? Zeromonie?

Also war Antonios Zeromonie das Festival!

Das Mädchen stemmte die Hände in die Hüfte und seufzte. "Vielleicht ist deine Gabe, dir immer alles schön zu reden."

"Gut ihr sieben, dass reicht jetzt aber mal!", meinte ich schnell. "Hop, hop! Los, ab mit euch!"

Die Kinder verschwanden und ich sah Mirabel von der Seite an.

"Geht es dir gut?", fragte ich vorsichtig und sie nickte. "Klar! Schließlich bin ich auch etwas besonderes und genauso wichtig wie der Rest!"

Ich legte eine Hand auf ihre Schulter. "Natürlich bist du etwas besonderes, Mirabel! Und falls es dir helfen sollte...ich bin auch ohne Gabe geboren."

"Ja, aber keiner aus deiner Familie hat eine Gabe gehabt.", meinte sie und senkte den Blick. "Und trotzdem wirkst du so besonders."

Ich lachte auf. "Wie meinst du, Besonders? Wo denn?"

"Naja.", sagte sie. "Gestern haben alle am Tisch nur über dich geredet und auch Senõra López, redet über dich und deinen Abuelo. Du bist erst seit ein paar Tagen hier und schon ist alle Aufmerksamkeit auf dich gerichtet."

Ich kratzte mich am Kopf. "Aber vermutlich nur, weil ich neu in dem Dorf bin. Ist doch irgendwie klar, dass man da redet. Und Senõra López hängt ständig bei uns rum und redet ständig davon, dass Abuelo mich falsch erziehen würde."

Sie lachte. "Echt jetzt?"

"Ja!" Ich stieg mit ins Lachen ein.

"Also kommt du und dein Abuelo auch wirklich zur Zeremonie?", fragte sie plötzlich und ich zuckte mit den Schultern. "Ehrlich gesagt, wusste ich erst gar nicht, dass er heute seine Gabe bekommt. Aber wir werden schon zur Zeromonie kommen."

"Super!"

1543 Wörter

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