Kapitel 3
Miguel
"Du erzählst mir jetzt alles! Keine Lügen mehr und es wird nichts ausgelassen. Ich will jedes kleine Detail wissen, Madame.", fordere ich sie wütend auf, nachdem ich mit Pedro telefoniert habe.
Sie wischt sich die Tränen aus dem Gesicht, doch sie wollen trotzdem nicht aufhören zu laufen, weshalb ich ihr mein weißes Seidentuch hinhalte.
"Kann ich was trinken?", fragt sie mich leise, nachdem sie mir das Tuch aus der Hand genommen und sich ihr Gesicht abgetrocknet hat.
Ich nicke Xavier zu, der während des Telefonats in den Raum gekommen ist.
"Holst du eben Wasser?", formuliere ich meinen Satz zwar als Frage, dennoch versteht er, dass es eine klare Aufforderung war.
"Also, ich höre.", widme ich mich Amara und setze mich vor sie auf den Schreibtisch, bevor ich die Arme verschränkte und sie mustere. Sie hat sich verändert, eindeutig. Sie ist nicht mehr das kleine Mädchen, dass ich vor vier Jahren habe gehen lassen. Auch wenn sie weint und zusammen gekauert vor mir sitzt, ist sie stärker geworden.
Erwachsener und reifer.
"Einige Monate nach der Beerdigung ist ein Mann bei mir zu Hause aufgekreuzt. Er hat mich schon vorher beobachtet, ich habe ihn immer wieder gesehen, aber ich dachte, das wäre einer von deinen Männern.", fängt sie an.
Ich spanne mich unwillkürlich an.
"Einige Monate? Was sind einige Monate? Du sollst mir alles genau erzählen.", erinnere ich sie an meine Worte.
"Zwei Monate.", fügt sie hinzu.
Xavier hält ihr das Glas Wasser vors Gesicht, dass sie ihm dankend abnimmt und direkt einen großen Schluck trinkt.
Ich deute mit dem Kopf auf die Tür und signalisiere ihm, dass er uns alleine lassen soll. Als die Tür ins Schloss fällt, fahre ich fort.
"Und weiter?"
Ich nehme ihr, während ich auf ihre Antwort warte, das Glas aus der Hand und stelle es neben mir auf den Schreibtisch, weil ich finde, dass sie genug getrunken hat.
"Er ist in meine Wohnung eingebrochen und hat dort auf mich gewartet. Er meinte er käme von Carlos und solle mir ein Angebot machen. Sie hätten gehört, dass ich Kontakt zu dir hätte.", fährt sie fort.
"Was für ein Angebot?", muss ich ihr alles aus der Nase ziehen.
Langsam werde ich ungeduldig und ihr Schweigen, welches nach meiner Frage folgt, macht es nicht besser.
"Ich hab dich verdammt nochmal gefragt, um was für ein Angebot es sich handelt!", knurre ich und schiebe das Glas beiläufig zur Seite, damit ich es nicht aus Versehen vom Tisch fege.
"Und schau mich endlich an!", greife ich nach ihrem Kinn und zwinge sie mir ins Gesicht zu gucken.
Ihre feuchten Augen und die großen Pupillen brechen mir fast das Herz, doch diesmal zwinge ich mich, sie weiter anzusehen.
"Wenn ich für sie arbeite und Informationen über dich Preis gebe, dann würden sie mich in Ruhe lassen und meinen Vater auch. Ich habe ihnen gesagt, dass ich den Zettel nicht habe und dass ich noch nichtmal verstanden habe, was da drauf steht.", ruft sie verzweifelt und greift nach meinem Handgelenk, da ich ihr Kinn noch immer festhalte.
"Wie bitte?", hake ich nach, da ich glaube mich verhört zu haben.
"Die wollten von dir Informationen? Über mich?"
Sie nickt.
"Ich habe ihnen keine gegeben, wirklich!", fleht sie mich an und steht auf, nachdem ich vor lauter Irritation ihr Kinn losgelassen habe.
An der Schulter drücke ich sie zurück in den Sessel.
"Wirklich, du musst mir glauben!", spricht sie mit Nachdruck.
"Und als du ihnen nichts gesagt hast, was haben sie dann gemacht?", ignoriere ich ihre Worte und gehe zum Fenster, um in die Dunkelheit zu starren.
Die Hände vergrabe ich tief in den Taschen meiner dunkelblauen Anzughose.
"Ich sollte diese Drogen verkaufen. Wenn ich einen gewissen Betrag erarbeite habe, dann wollten sie mich in Ruhe lassen.", erklärt sie mir.
Ich erwidere nichts.
Die wollten also wirklich, dass sie sich freikauft?
"Vor drei Tagen, da bin ich nicht los gegangen. Ich wollte nicht mehr. Ich wollte da aussteigen, sie haben mich ja einfach gezwungen. Es war mir egal, verstehst du?"
Sie weint wieder, während sie mir das erzählt.
"Und dann?"
Ich drehe mich um und schaue in ihr verweintes Gesicht.
Ihre Augen sind immer noch rot und glasig, doch diesmal zittern zusätzlich auch ihre Hände.
"Nichts.", lügt sie mich an.
Ich balle meine Hand zur Faust.
"Ich habe gefragt, was dann passiert ist.", wiederhole ich mich deutlicher.
Ich kenne Carlos und ich kenne die Vorgehensweise der Mafia. Niemals lassen diese Leute irgendetwas durchgehen. Schon gar nicht, wenn sie beschlossen haben, dass man in ihrer Schuld steht.
"Sie haben mir aufgelauert.", schluchzt sie und sieht mich verzweifelt an.
Mein Blut gefriert in meinen Adern.
"Wer?", will ich erneut angespannt wissen.
"Ich kannte sie nicht. Sie waren zu dritt.", erzählt sie völlig von der Rolle. Sie ist so nervös, dass sich ihre Worte fast überschlagen.
"Haben sie dir am Rücken weh getan?", kombiniere ich stirnrunzelnd und fordere sie mit einer einfachen Handbewegung auf, sich hinzustellen.
Kurz danach stellt sie sich vor mich hin, dann drehe ich sie um und ziehe blitzschnell ihren Pullover hoch, weil ich diese Ungewissheit nicht mehr aushalte.
Wie ich vermutet hatte, ist ihr zarter Rücken überseht mit Blutergüssen und roten Flecken. An einigen Stellen kleben sogar noch Blutreste. Ihr Atem zittert und anscheinend muss sie sich stark zusammenreißen, nicht erneut laut los zu weinen.
"Ich habe nichts gemacht, Miguel, wirklich. Sie haben mich einfach zusammengeschlagen.", schluchzt sie, während ich noch immer ihren Rücken anstarre.
"Wirklich, ich habe nichts gemacht.", wiederholt sie sich verzweifelt, vermutlich weil ich nicht antworte.
"Bei solchen Leute muss man nichts gemacht haben.", erkläre ich ihr leise, dass es nicht ihre Schuld ist.
Sie zuckt ängstlich zusammen, als ich mit meinen Fingern über die Hämatome fahre und genau darauf achte, nicht zu viel Druck auszuüben.
"Hatten die ein Messer?", frage ich irritiert, als ich einen blutigen Schnitt an ihrer Rippe sehe.
Ich drehe sie ins Licht, sodass ich es besser sehen kann.
"Das ist nicht so schli-"
"Ob die ein Messer hatten!", werde ich lauter und schaue mir den circa fünf Zentimeter langen Schnitt weiter an.
Tränen laufen ihr aus den Augenwinkeln und tropfen auf den Boden, bevor sie schließlich leicht nickt.
"Scheiße, warum hast du mich nicht angerufen?", fauche ich fassungslos und beginne damit, ihre Rippen abzutasten und weitere Verletzungen wie Knochenbrüche ausschließen zu können.
Fast schon wütend schiebt sie meine Hände von ihrem Körper und nimmt Abstand zu mir ein.
"Weil du meine Mutter getötet hast? Weil du mich entführt hast, weil du mich geschlagen und beleidigt hast? Deswegen vielleicht?!", schreit sie mich heulend an und will mich schubsen, doch ich bin schneller und greife nach ihren Handgelenken.
"Ich hatte Angst, dass du mich umbringen lässt, wenn ich dir das erzähle! Ich hatte Angst, dass all das hier wieder von vorne anfängt. Du bist doch kein Stück besser, als die!", gibt sie verzweifelt zu und versucht ihre Hände erfolglos aus meinem Griff zu befreien.
Ich runzle die Stirn.
"Du weißt, dass ich dir sowas nicht antun würde."
Gekränkt von ihren harten Worten lasse ich ihre Handgelenke los und halte ihr das Wasserglas hin, woraufhin sie noch einen großen Schluck nimmt.
"Trink das aus, dann gehen wir nach oben. Ich mache deine Wunden sauber.", teile ich ihr mit und mache ihr klar, dass ich darüber nicht diskutiere.
Sie greift nach meinem Arm, als ich an ihr vorbei gehen will.
"Ich.. ich will nach Hause.", gesteht sie mir.
"Nein. Heute nicht mehr. ", verbiete ich es ihr und gehe aus dem Büro.
Sie kann in dieser Situation definitiv nicht mehr nach Hause, aber das werde ich ihr zu einem anderen Zeitpunkt verklickern.
"Komm mit.", rufe ich ihr zu, während ich die Bürotür öffne und mich zu ihr umdrehe.
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