Kapitel 2

Miguel

Automatisch bildet sich ein Grinsen in meinem Gesicht, als sie nachgibt und in den Wagen einsteigt.

"Bild dir bloß nichts drauf ein.", schnaubt sie und lässt sich auf den Ledersitz fallen.

"Lass das mal meine Sorge sein.", erwidere ich, als ich mich kurz zu ihr herunter beuge und ihr zuzwinkere. Dann knalle ich die Tür zu und laufe um mein Auto herum. Der Parkplatz ist leer, obwohl das Cafe gar nicht so abgelegen ist. Ich überlege kurzzeitig, ob ich noch länger warten soll. Vielleicht läuft mir Carlos über den Weg und ich kann das Problem sofort aus dem Weg räumen.

"Wo fahren wir denn hin?", will Amara neugierig wissen, als ich mich auf den Fahrersitz setze und den Wagen starte.

"San Clemente", beantworte ich ihr die Frage. 

Sie rutscht tiefer in den Sitz und zieht die Kapuze in ihr Gesicht.

"Was?", frage ich belustigt. 

"Ich verbind' mir schonmal die Augen.", schmunzelt sie und spielt auf unsere erste Begegnung an, wo ich ihre Augen mit meinem Seidentuch verbunden hatte.

Ich muss Lachen.
"Besser ist das. Aber nicht, dass du wieder brechen musst.", ärgere ich sie. 

Sie boxt mir gegen den Arm.

"Du bist kein Stück stärker geworden, Amara.", provoziere ich sie weiter. 

Das Kribbeln in meinem Bauch und das ziehen zwischen meinen Hüftknochen ignoriere ich. 

"Hör auf jetzt!", will sie unser Gesprächsthema beenden, doch ich denke gar nicht daran, ihr diesen Gefallen zu tun.

"Was sonst?", frage ich auffordernd. Ich kann es nicht lassen, deshalb versuche ich es gar nicht erst.

Schmunzelnd winkt sie ab und schaut aus dem Fenster.
"Unterschätz mich nicht.", warnt sie mich belustigt.

"Das würde ich nie tun.", erwidere ich ernst und schüttel zur Bestätigung den Kopf.


21.37 Uhr

"Was hast du?", frage ich, als wir aus dem Auto aussteigen und sie sich auffällig an den Rücken fast.

"Nichts.", lügt sie mich an und schlägt die Autotür mit Mühe zu.

"Ist es von gerade, als ich dich gegen die Theke gedrückt habe?", will ich wissen und gehe auf sie zu. 

"Es ist nichts!", wird sie laut und macht einen Schritt zur Seite, sodass ich ihr nicht zu nah kommen kann.

Schweratmend schaut sie mich an und spricht eine stumme Warnung aus, die ich ignoriere.
"Ich schaue mir das gleich an."

Sie seufzt leise.
"Damals hat dich mein Wohlbefinden auch nie interessiert, dann tu jetzt nicht so.", brummt sie.

"Amara!", warne ich sie, da sie mir schon wieder auf der Nase herumtanzt.

"Was mache ich hier?"
Sie bleibt stehen und schaut mich fragend an. Ihr Blick ist undefinierbar, so, als kann man erkennen, was für schlechte Erinnerung dieser Ort in ihr weckt.

Ich fahre mir über die Bartstoppeln am Kinn.
"Ich muss mit dir über das hier reden.", erkläre ich ihr und hole wieder die beiden Tüten aus meiner Anzughose.

"Kriege ich Ärger?", will sie wissen und verschränkt die zarten Arme vor ihrem Oberkörper.

"Sieht ganz danach aus.", bestätige ich ihre Vermutung und gehe dann an ihr vorbei zum Eingang.
"Komm mit.", winke ich sie hinter mir her. Dass Knirschen des Schotters unter ihren weißen Sneakern verrät mir, dass sie auf mich hört und mir folgt. 

Es ist ungewöhnlich, sie wieder hier zu haben. Ihre Anwesenheit beruhigt mich und lässt mich fast schon wohlfühlen, sodass ich kurz vergesse, weshalb sie wieder hier ist. Während ich die Tür öffne und warte, bis sie ins Haus geht, fällt mein Blick auf das große Sofa im Wohnzimmer. 

Ich könnte auch morgen mit ihr sprechen und sie heute einfach nur auf einen Wein auf meinem Sofa einladen. 

"Hier hat sich nichts verändert.", unterbricht sie meine Gedanken, während sie den Kronleuchter und die Bilder, die an den hohen cremefarbenen Wänden hängen, fokussiert. 

"Ich bin kaum hier gewesen.", erkläre ich, warum es hier noch immer wie vor vier Jahren aussieht. 
Entgegen meines Willens schiebe ich sie an ihrer zarten Taille in mein dunkles Büro, bevor ich das warme Licht anknipse. Amara kneift kurz die Augen zusammen, als das Licht ihre blauen Augen blendet, bevor sie auch mein Büro genauer unter die Lupe nimmt.

"Setz dich, es gibt viel zu besprechen.", räuspere ich mich, weil ihr suchender Blick Unwohlsein in mir auslöst. 
Auch wenn dieses Büro täglich geputzt wird, habe ich Sorge, dass ihre Adleraugen irgendwo noch Blutspritzer finden könnten. 
Ich weiß nicht einmal, warum ich davor Angst habe. Sie weiß, was ich tue und ich weiß, dass sie das weiß. 

Doch trotzdem will ich nicht, dass dieses Bild von mir wieder präsent wird. Ich will nicht, dass sie mich am Tag unseres Wiedersehens direkt mit Mord, Tod, Blut und Gewalt assoziiert. 

Auch wenn meine Worte nicht verhindern können, dass sie sich noch einmal exakt umschaut, setzt sie sich letztendlich doch in den großen Stuhl vor meinem Schreibtisch. 

"Ich hab Informationen, dass du Kontakte zum Jalisco-Kartell hast.", beginne ich und hoffe, während ich mir Whiskey einschenke,  inständig, dass meine Vermutungen falsch sind und meine Informanten zum ersten Mal nicht richtig liegen.

Amara antwortet nicht. Stattdessen beobachtet sie die honigfarbene Flüssigkeit in meinem glänzenden Glas, wie es hin und her schwappt und kleine Luftblasen aufsteigen. 

"Antworte mir.", spreche ich nun mit Nachdruck, auch wenn meine Stimme damit wieder einen unhöflichen Ton annimmt.

"Nein.", lehnt sie ab und schüttelt vehement den Kopf. Um ihre Worte zu untermauern, verschränkt sie die Arme vor der Brust, überkreuzt ihre Beine und lehnt sich fast schon arrogant in den Stuhl zurück. 

"Was?", frage ich irritiert, weil ich mit allem gerechnet hatte, nur nicht mit einem Nein.

"Ich habe Nein gesagt.", wiederholt sie sich und zuckt mit den Schultern, bevor sie sich wieder in meinem Büro umsieht und mir keine Beachtung mehr schenkt. 

"Ich habe gehört, was du gesagt hast.", brumme ich und versuche ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich zu richten.

"Dann frag doch nicht so dämlich.", schnaubt sie belustigt und runzelt kurz abwertend die Stirn, bevor sie sich erhebt und elegant zu meinem Bücherregal herüber läuft. 

In welchem Film bin ich hier?

"Dann haben wir doch jetzt alles geklärt, oder? Gibst du mir wieder eins von deinen vielen Büchern? Den Medicus habe ich jetzt schon sechs Mal durchgelesen.", wechselt sie seufzend das Thema und fährt mit dem Zeigefinger über die Bücherrücken vor ihr. 

"Gar nichts haben wir geklärt.", übergehe ich ihre Provokation und knalle das Whiskeyglas auf meinen Schreibtisch, nachdem ich einen großen Schluck von der goldenen Flüssigkeit getrunken habe. 
Das kalte Getränk kühlt zwar meine Kehle, trotzdem koche ich weiterhin innerlich vor Wut. 

Das Klirren des Glases lässt sie kurz aufschrecken, sodass sie einen Moment auf das Glas schaut, dass von meiner Hand noch fest umschlossen wird, bevor sie wieder weiter nach einem geeigneten Buch sucht. 

"Ich sehe nicht zu, wie du in diese Szene abrutscht. Ich hab mir das lange genug angeschaut, aber wenn du anfängst zu dealen, dann überschreitest du eine Grenze!", beginne ich, obwohl ich nicht ihre volle Aufmerksamkeit habe.

"Amara!", werde ich laut und haue mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass ein paar Tropfen von der teuren Flüssigkeit auf das Holz meines Schreibtisches tropfen.

Diesmal bekomme ich ihre Aufmerksamkeit.
"Ich rutsche nicht ab!"

"Überleg dir jetzt gut, was du sagst.", warne ich sie.
"Überleg dir gut, ob du mich noch einmal anlügen willst.", füge ich wütend hinzu und nehme sie mit zusammengekniffenen Augen ins Visier. 

Anstatt ein vernünftiges Gespräch mit mir anzufangen, verdreht sie kindisch die Augen. 

"Und hör verdammt nochmal auf deine Augen so respektlos zu verdrehen. Es ist jetzt Schluss mit dem Mist.", bestimme ich und lehne mich mit verschränkten Armen gegen die Tischkante.

Früher stand sie hier und hat vor Angst gezittert. Die Zähne hat sie nicht aufbekommen und jetzt? 

"Ich bin kein Kleinkind, Jimenez, ich kann sehr wohl auf mich aufpassen." motzt sie und lässt endlich diese dämlichen Bücher in Frieden. 

"Ist das so? Dann sag mir, warum du auf der Abschussliste des Jalisco-Kartells stehst! Nennst du das aufpassen ?"
Wütend mache ich einen Schritt auf sie zu, woraufhin sie nun doch zurück weicht und mir verrät, dass sie immer noch Respekt vor mir hat. 

"Woher weißt du das?", runzelt sie mit der Stirn und hält Sicherheitsabstand zu mir.

"Ich weiß es eben. Ist dir nicht klar, in was für eine Gefahr du dich begibst, verflucht?!", werde ich lauter, während ich um sie herumgehe und wild mit den Händen vor meinem Gesicht herumfuchtel. 

Dass ihre Augen glasig werden, entgeht mir nicht, deshalb wende ich mich von ihr ab. 

"Ich... ich wollte da aussteigen, aber dann hat mir jemand aufgelauert. Mir Angst gemacht.", gesteht sie mir endlich mit brüchiger Stimme.

Ich bin froh, dass sie endlich mit mir redet, doch trotzdem hätte ich mir eine andere Antwort gewünscht. 

"Wer?", will ich sofort wissen.

"Dios, ich weiß es nicht. Große Typen, schwarz gekleidet. Ich hab sie noch nie gesehen."
Nervös vergräbt sie ihre Hände in ihren Haaren, während sie sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch fallen lässt.

"Was wollten sie von dir?"

"Den Bauplan.", flüstert sie mit zittriger Stimme.

"Jetzt erst? Nach vier Jahren?"
Ich verstehe nicht ganz, warum die Handlanger vom Jalisco-Kartell erst jetzt zu Amara kommen. Warum kommen sie nicht erst zu mir? Immerhin bin ich derjenige, der den Zettel haben wollte. Sie sollten sich mit mir auseinandersetzen, nicht mit einer unschuldigen Studentin.

"Sie waren schon öfter bei mir. Jedes Jahr.", gesteht sie mir und sieht mich aus glasigen, großen Augen an.
Ihre roten Augen versetzen mir einen Stich in der Magengegend, während ich darüber nachdenke, warum sie mir wohl nie etwas darüber gesagt hat. Und warum hat von meinen Männer nie jemand etwas davon mitbekommen?

"Haben Sie dir weh getan?", will ich wissen, obwohl ich Angst vor der Wahrheit habe.

Als sie nickt, spüre ich die Wut in mir hochkochen. Ich habe es versucht, ich wollte mich zusammenreißen, weil ich sie nicht wie bei unserer ersten Begegnung verschrecken wollte. Aber wenn jemand mein Mädchen anpackt, garantiere ich für nichts. 

"Was haben Sie gemacht?", knurre ich und gehe um sie herum, um mich auf dem Schreibtisch abzustützen. 

"Geschlagen und getreten."
Obwohl ihre Stimme leise ist und ziemlich stark zittert, verstehe ich jedes Wort. 

"Scheiße!", fluche ich und schlage mit der flachen Hand gegen das Bücherregal, sodass einige Bücher mit einem dumpfen Geräusch auf den Teppichboden fallen und Amara erneut zusammenzuckt. Fast schon reflexartig drückt sie ihre Hände auf die Ohren; eine Angewohnheit, die sie damals schon hatte. 

Immer wenn es laut wurde oder sie sich unwohl gefühlt hat, hat sie ihre kleinen Hände auf ihre Ohren gedrückt. 

"Ich kümmere mich darum. Du bleibst solange hier.", bestimme ich, nachdem ich mich wieder gesammelt habe, und greife nach dem Telefon auf meinem Schreibtisch.

"Ich kann das alleine regeln!", steht sie plötzlich auf und zieht sich die Kapuze vom Kopf. Sie will nach dem Hörer in meiner Hand greifen, doch ich ziehe ihn weg, bevor sie ihn überhaupt zu fassen bekommen kann.

"Achja? Wie denn? Willst du wieder zusammengeschlagen werden? Erschossen werden? Wie willst du das verdammt nochmal regeln?!", werde ich laut und lege den Hörer weg, um weiter auf sie zu zugehen.

"Ich..-"

"Es reicht jetzt! Du lässt mich das machen. Wenn du mit deinem Staatsexamen fertig bist, fängst du bei mir an. Anders geht es nicht, sonst du wirst ständig in Gefahr sein.", informiere ich sie und lasse keine Widerrede zu.

"Du musst nicht auf mich aufpassen!", diskutiert sie tatsächlich weiter.

Auch wenn ich mir geschworen hatte, ihr nie wieder Angst machen zu wollen, umschließe ich ihr Kinn. Nicht fest, aber trotzdem bestimmend.
"Wirklich? Ich war nämlich einen Monat in Kolumbien und sofort gerätst du in die schiefe Bahn und hast Probleme mit einem verschissenen Kartell! Und jetzt stellst du dich hier hin und sagst mir, dass ich nicht auf dich aufpassen brauche?!", zische ich ihr entgegen, während mein Blick auf ihren roten Lippen liegt.

Dieses Mädchen macht mich so unglaublich wütend und gleichzeitig so sehr an. Das schlimmste ist ihre Naivität, die sie anscheinend noch immer nicht abgelegt hat.

Ich kneife die Augen zusammen und lasse ihr Kinn los, als ein Schluchzen ihre Lippen verlässt und sie anfängt zu weinen. Sie legt ihre Hand auf ihren Mund, um ihr Weinen zu unterdrücken und lässt sich von mir zurück in den Stuhl drücken.

Ohne mich von ihrem Gefühlsausbruch beirren zu lassen, wähle ich eine Telefonnummer und leite alle Schritte ein, die nötig sind, um Amara zu beschützen.

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