Kapitel 26
Eine Stunde später hatte Thomas sich wieder eingekriegt. Er hatte aufgehört, auf Dean einzuschlagen, der das alles akzeptierte, ohne etwas dagegen zu tun. Er wusste wahrscheinlich, wie es war, wenn man Panik um einen Menschen hatte und dass man da nichts machen konnte.
Ich war mittlerweile auch komplett taub geworden. Ich fühlte mich einfach nur leer, als wenn es nichts mehr geben würde, was Sinn im Leben machen würde, denn so war es ja eigentlich auch. Ich würde in der nächsten Zeit einfach umgebracht werden und würde nicht mehr auf dieser Welt verweilen.
Ich verstand es, dass Dean und Sam es tun mussten, denn ich wusste nun schon von Jason, was alles passieren konnte und ich musste auch ehrlich sagen, dass ich niemals zu so etwas werden wollte. Ich konnte niemandem etwas antun und würde es mir einfach niemals verzeihen, wenn ich dann zu einem Rugaru werden würde.
Es war nur so schlimm, das alles so plötzlich zu erfahren und nicht wirklich etwas dagegen machen zu können. Ich hatte ja nicht, wie bei einer Krankheit, einfach nur noch ein paar Jahre oder Monate vor mir, ich hatte es so verstanden, dass Dean und Sam es wahrscheinlich sogar noch heute oder spätestens morgen durchziehen würden.
„May, es tut uns so leid. Wir können gar nicht sagen, wie grausam das ist. Normalerweise kämpfen wir gegen das Böse, es ist böse und geht auf uns los und dann fällt es uns auch nicht wirklich schwer, ihrem Leben ein Ende zu bereiten, doch im Moment bist du völlig normal und man sieht nicht mal die geringsten Anzeichen ..."
„Ach, seid doch alle still. Ich halte das hier nicht mehr aus, ich muss hier raus!", rief Thomas und fing an, sich mit den Händen durch die Haare zu fahren und wie ein Verrückter durch den Raum zu laufen.
„Ich gehe jetzt und muss mich erst einmal beruhigen, aber ich komme wieder und ich schwöre euch, wenn ihr May irgendetwas antut, dann werde ich euch umbringen, egal ob ich dann in den Knast komme oder sie sonst noch irgendetwas mit mir machen. Es ist mir völlig egal. Sie wird nicht angerührt, haben wir uns da verstanden?"
Dean schwor, dass er mir nichts tun würde und in der nächsten Sekunde war Thomas auch schon aus der Tür raus verschwunden.
Es verwunderte mich ehrlich gesagt. So wie ich Thomas kannte, würde er eigentlich gar nicht von meiner Seite weichen und bis zur letzten Sekunde bei mir sein. Dass er sich stattdessen aus dem Staub machte, versetzte mir einen Stich ins Herz. Als wollte er nicht bei mir bleiben ...
Wir hatten uns geschworen, dass wir immer beieinander bleiben würde, egal was auf uns zukommen würde. Bisher mussten wir zwar noch nicht solche schlimmen Situationen meistern, doch dennoch war Thomas immer bei mir geblieben, auf meiner Seite und hatte mich tatkräftig unterstützt.
Und nun ...? Sollte ich hier alleine ängstlich in der Ecke sitzen, wissend, dass wahrscheinlich in einigen Stunden alles schon wieder vorbei sein würde und ich nicht mehr leben würde?
Ich könnte fast anfangen, zu weinen, doch die Tränen kamen mir momentan einfach nicht. Ich war einfach noch zu geschockt, dass ich nichts mehr fühlen konnte.
„Kann ich wenigstens zu Jason?", fragte ich nach einigen Minuten mit krächziger Stimme. Dean sah mich verwundert an, als hätte er völlig vergessen, dass ich ja überhaupt da war. Dann nickte er einfach nur, lief auf eine Tür zu und öffnete sie ohne einen weiteren Kommentar.
Ich stand auf und trat mit gesenktem Blick in das Zimmer. Mein Herz fing an, schneller zu schlagen, als ich Jason sah, was sich für mich also anfühlte, als würde es erst da wieder anfangen, überhaupt zu schlagen.
„May, es tut mir so leid! Ich wusste es nicht! Es waren die ganze Zeit über zwei Personen, ich konnte die Kontrolle über mein anderes Ich nicht behalten und deswegen habe ich all diese schlimmen Dinge getan. Ich schäme mich so dafür, denn das wollte ich auf keinene Fall! Ich würde doch niemandem etwas antun und jetzt habe ich einfach so viele Menschen getötet!"
Er fing an zu weinen wie ein kleiner Junge und deshalb machte ich automatisch einen Schritt auf ihn zu, allerdings hielt Sam mich sofort zurück. Er hatte Ringe unter den Augen, anscheinend musste er Jason die ganze Zeit über bewacht haben und Sam sah außerdem nicht wirklich sehr gut gelaunt aus.
„May, bleibe von ihm zurück. Er ist gefährlich! Auch wenn er in diesem Moment vielleicht nicht so aussehen mag, ist er ein Monster und wird es auch bleiben. Wahrscheinlich ist er nicht mal wahrhaftig er, das was er sagt kann alles Teil des Rugarus sein, der das sich alles nur ausdenkt. Das tuen sie anfangs, um leichter an Beute zu gelangen."
Sam hatte seine Hand um mein Handgelenk geschlossen und sah mich mit einem fest entschlossenen Gesichtsausdruck an. Er würde seine Meinung nicht ändern, so viel stand fest.
„Sam, es kann dir doch eigentlich egal sein, was ich tue. Ich werde in ein paar Stunden sowieso tot sein und dann kann es doch eigentlich auch egal sein, wenn davor etwas passiert. Mein Freund hat sich sowieso gerade aus dem Staub gemacht und dann werde ich wohl wenigstens meine letzten Stunden bei meinem Bruder verbringen können! Das könnt ihr mir doch eigentlich nicht verbieten!"
„May?" Ich sah zu Jason herüber, der mich gerade voller Trauer ansah. Da hatte Sam sicherlich nicht recht, ich war mir sicher, dass zumindest in diesem Moment der wahre Jason bei uns war, auch wenn es vielleicht nicht lange anhalten würde.
Ich setzte mich schnell neben meinen Bruder, in der Sekunde, in der Sam den Griff um mein Handgelenk etwas gelockert hatte. Ich griff nach Jasons Hand und verschränkte unsere Finger ineinander.
„May, ich bin gefährlich. Du musst weg von mir! Du darfst nicht sterben! Du bist doch völlig gesund!"
Doch ich hatte meine Entscheidung schon längst getroffen. Ich würde bei meinem Bruder bleiben.
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