2. Pleite, Pech und Pannen

Mir ahnet ein unglücksvoller Augenblick. - Friedrich Schiller

Nach Rosalies Ausruf kehrte augenblicklich eine bleierne Stille ein, die zentnerschwer auf allen Schultern und Geistern lastete. Antonia, die sich mittlerweile die Hände vors Gesicht geschlagen hatte, fand schließlich als Erstes die Worte wieder.

»Lassen wir die Motorhaube lieber offen, dann kann der Rauch besser abziehen«, schlug die junge Frau mit einem Tonfall vor, der vor leiser Resignation geradezu tropfte.

Ihr rotes Haar, feurig und widerspenstig, ergoss sich derweilen in wilden Strähnen über ihre waldgrüne Bluse, die im spärlichen Licht fast wie die Farbe eines unberührten Waldes schimmerte. Ordentlich steckte der Stoff im Bund einer verblichenen Jeans, deren Enden allesamt in dunkelbraune Stiefel verliefen.

»Das ist doch nicht deine Schuld, Toni.«

Rosalies Stimme erklang zwar leise,  aber gefestigt. Sachte klopfte sie mit einer Hand auf eine Schulter der Fahrerin, versuchte dieser wohl einen Hauch von Zuversicht mitzugeben.

»Berta hat doch mittlerweile fast zwanzig Jahre auf dem Buckel. Irgendwann musste das passieren, oder? Kein Glück währt ewig. Und heute Abend steht eben Fortuna nicht auf unserer Seite.«

Wie immer gab die Blondhaarige ein wahrhaft makelloses Bild ab. Ihre schneeweiße, eng sitzende Hose betonte die fast modelgleiche Figur, während der dunkelblauer Pullover fast samtig weich glänzte. Zu guter Letzt blitzten ihre silbernen Sneakers bei jeder Bewegung leicht auf und brachten somit auf diese denkwürdige Art und Weise ein klein wenig Licht ins Dunkle.

Unwillkürlich schüttelte Antonia den Kopf, sah mit einem Blick in die Finsternis, als läge dort die Antwort auf all ihre Probleme verborgen. Doch am Ende stieß ihr Blick nur auf eine kalte, unendliche Schwärze, die ihr höhnisch entgegensah. »Berta hat uns all die Jahre niemals zuvor im Stich gelassen! Keine einzige große Reparatur - und jetzt... das!«

Just brach ihre Stimme, wurde leiser und leiser, als ob sie das Unheil nicht heraufbeschwören wollte, indem es dieses in Worte ausdrückte. »Ist doch alles wie verhext! Himmel, Arsch und Zwirn - ich kann's einfach nicht glauben!«

Elisabeth, die die Szene bis jetzt stumm verfolgt hatte, trat rasch einen Schritt näher heran. Blanker Ernst schimmerte in ihren Augen, während sie erst Antonia, dann Rosalie und schließlich die rauchende Motorhaube eingehender betrachtete.

»Ruf am besten den Abschleppdienst an«, riet die Brünette mit Nachdruck ihrer Freundin. »Erklär denen, was passiert ist und wo wir uns ungefähr aufhalten. Dann sehen wir weiter.«

In Elisabeths Innerem tobten allerdings unzählige Gedanken, die sie krampfhaft zu bändigen versuchte. Gerade jetzt musste die Brünette allerdings ihre Fassung wahren, denn wenn ihr Verstand jetzt zusammenbrach, wäre alle Hoffnung verloren.

Angespannt biss sie sich auf die Lippe, während sich zur gleichen Zeit ihr Herzschlag beschleunigte und ihr Magen übelerregende Purzlbäume schlug.

»Du bist doch Mitglied bei einem Anbieter, oder?«

»Ja, ja, bin ich!«, rief Antonia hastig aus, ehe sie nur Sekunden später auch ihr Mobiltelefon gezückt hielt. Beinahe hektisch scrollte die Rothaarige durch ihre Kontakte, bis sie schließlich die richtige Nummer fand und anwählte.

Elisabeth und Rosalie verharrten derweilen schweigend auf der kalten Asphaltstraße, während Antonia mit sichtbarer Anspannung auf die Annahme des Anrufes wartete.

Mittlerweile war ihnen die Dunkelheit derart nah heran gerückt, dass sie fast mit bloßen Fingern greifbar erschien. Kein einziges Auto ließ sich weit und breit entdecken, nur eine blanke Einsamkeit, die sie langsam von Kopf bis Fuß wie ein schattenhaftes Leichentuch einzuhüllen begann.

Qualvolle Sekunden verstrichen, doch nichts tat sich. Antonias Hände zitterten, während der blanke Schreck in ihrem Gesicht wie eine Pflanze, die in der Finsternis gedieh, aufblühte.

»Kein Netz«, flüsterte sie, bevor ihre Stimme auf einen Schlag an wutvoller Kraft gewann. »Wenn man es einmal braucht .. dann passiert so ein Mist! Wie viel Pech können wir eigentlich noch haben?«

Elisabeth, die sich vor Anspannung die Stirn massierte, holte sogleich ein paar tiefe Luftzüge ein. »Tja, dann stecken wir wohl richtig in der Patsche, was?«

»Ein richtiges Desaster«, stimmte Rosalie ihr mit düster Miene zu, auch ihr Stimmklang bebte bereits vor unverhohlenem Zorn. »Selbst in der Sahara hat man mittlerweile besseren Empfang als hier! Das ist doch alles ein schlechter Witz!«

Wie zur Untermalung ihrer Worte warf die Sprechende die Arme in die Luft, als ob sie sich durch diese alleinige Geste aus der absurden Realität zu befreien vermochte.

Immer wieder atmete Elisabeth hingegen die kalte Nachtluft ein und aus, doch selbst der frostige Sauerstoff konnte die Verwirrung in ihrem Kopf nicht klären. Wie von selbst setzte sich ihr Körper in Bewegung, als wollte er nicht nur die wachsende Steifheit von den Knochen schütteln, sondern sie auch in eine ruhigere Umgebung geleiten.

Wohl wohin, wo ihr Verstand in einer ruhigeren Stille besser nachdenken konnte. Gute zehn Meter schritt die Brünette letztendlich nach Norden, ihre wandelnde Silhouette schien dabei kaum mehr als ein einsamer Schatten auf dem matten Grau der dunklen Landstraße.

Zu allen Seiten wehte der nasskalte Herbstwind herab, ganz so, als würde er sich einen makabren Spaß daraus machen, mit all ihren Haarsträhnen zu spielen. Unwillkürlich legte sich auch die aufgezogene Kühle wie eine eisige Hand auf ihre Schultern nieder, die sich ihrerseits im unbewussten Widerstand gegen das Frösteln immer wieder hoch zogen.

Schon bald würde ein wütender Sturm aufziehen - dieses drohende Unheil ließ sich nur allzu deutlich an den immer dunkler werdenden Wolken erkennen, die sich in ihrer Gesamtheit wie eine gewaltige Faust am Himmelsbild ballten. Just lief ihr ein Schauer über den Rücken, kalt und doch zur gleichen Zeit auch unangenehm elektrisch.

Großartig. Das wird ja immer besser und besser.

Als der Wind zunehmend an Stärke gewann, zog die junge Frau ihre Arme enger um den Oberkörper, in der Hoffnung, ein wenig Körperwärme zurückzugewinnen. Doch ihre getragenes Ensemble, das sich hauptsächlich aus einer schwarze Lederjacke, dunkler Bluse, ein paar gleichgefärbter Jeans und Stiefel zusammensetzte, wusste kaum ein passendes Schutzschild gegen die eindringliche Kälte abzubilden.

Zwischen den düsteren Wolken, die sich wie ein undurchdringliches Netz über das Firmament spannten, brach gelegentlich ein schmaler Mondstrahl hervor. Sein silbernes Licht ergoss sich stets auf die ruhende Landschaft und offenbarte dabei ein endloses, von der Kälte erstarrtes Feld.

Weite Wiesen dehnten sich bis zum kaum greifbaren Horizont aus. Mittlerweile lag das Gras, der späten Jahreszeit geschuldet, in seinen letzten Lebenszügen. Aus diesem Grund wunderte sich Elisabeth auch kein Stück als das Abbild des einstigen Grüns sie unweigerlich an eine zerfledderte Decke erinnerte, die an manchen Stellen bereits große, matschige Löcher aufwies.

Auf der linken Straßenseite lag hingegen ein bebautes Feld brach, mehr trostlos und stumm als seiner früheren Glanzzeiten gleich. Wie zitternde Klauen ragten die Überreste von den vertrockneter Pflanzen aus der Erde hervor und warfen dabei Schatten, die sich wie gequälte, ruhelose Seelen im Wind wiegten.

Elisabeth fröstelte, als ihr Blick unweigerlich an dem unerwarteten Abbild einer Vogelscheuche hängen blieb. Ihre abgewetzten Kleider flatterten wild auf und ab, die rot-weiß gestreiften Ärmel wanden sich fast wie lebendig gewordene Tentakel in der Dunkelheit. Ein riesiger Hut bedeckte den strohigen Kopf, welcher ein dreckverkrustetes Gesicht offen zur Schau stellte.

Leere Knopfaugen und ein aufgenähtes Lächeln stierten ihr in einer Tour entgegen, ein schauderhafter Anblick, der ihr instinktiv ganz und gar nicht behagte.

Was für eine absurde Erscheinung..., dachte Elisabeth bemüht gefasst, konnte aber das seltsame Gefühl, welches sie stets bei der Betrachtung der gekrümmten Gestalt empfand, nicht so leicht loswerden. Irgendetwas an dieser Vogelscheuche erschien ihr mehr als sonderlich, auch wenn ihr der genaue Grund dafür einfach nicht einfallen wollte.

Schließlich zwang sich die Braunhaarige den Blick abzuwenden, doch das dumpfe Unbehagen nagte weiter an ihrem aufgewühlten Gemüt, eine formloser Hauch von Gefahr, der sich wie ein Schatten auf ihre Seele legte. Stärker denn je stieg ihr der kitzelnde Geruch von feuchtem Gras, Herbstkräutern und verrotteter Erde in der Nase empor, während ihre Gedanken zur gleichen Zeit weiter in die Ferne abschweiften.

Urplötzlich durchschnitt ein krächzendes Geräusch die unheimliche Stille und ließ Elisabeth auf der Stelle zusammenzucken. Ihr Kopf schoss instinktiv nach oben, wie ein Tier, das eine Bedrohung witterte und starrte sogleich in die über ihr schwebende Finsternis.

Eine Gruppe schwarzer Raben zog mit hektischen Flügelschlägen und durchdringenden Schreien weite Kreise am Himmelsgestirn. Ihr lautstarkes Gekrächze hallte regelrecht über die Felder hinweg, als ob sie mit aller Macht versuchten ihr eine Art unbekannter Botschaft zu übermitteln. Doch so schnell die flinken Federtiere wie aus dem Nichts aufgetaucht waren, so flogen diese mit der gleichen Geschwindigkeit wieder auf und davon.

»Was, um alles in der Welt geht hier nur vor sich?«, murmelte Elisabeth, der es nun war, als läge ein schwerer Stein in ihrem Magen, der mehr als unangenehm drückte.

Mit stockendem Atem drehte sich die junge Frau wieder um und marschierte sogleich in Richtung ihrer beiden besten Freundinnen zurück.

Rosalie, die beide Hände vor der Brust verschränkt hielt, schenkte sowohl Antonia als auch ihr einen scharf geschliffenen Blick. »Also, Mädels,« sprach sie mit einem gereizten Tonfall, der besser nicht weiter herausgefordert werden durfte. »Was machen wir jetzt? Der Vorschlag mit dem Abschleppdienst fällt ja wohl ins Wasser, hm?«

Hörbar laut seufzte der Rotschopf auf, doch es war an Elisabeth, erstmals das Wort zu ergreifen.

»Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit... Antonia, hast du in deinem Fach vielleicht ein paar Landkarten liegen? Wir müssen uns unbedingt ein Bild von der Gegend machen. Vielleicht gibt es ja in der Nähe eine größere Straße, an der wir uns hinstellen könnten. Mit Glück fährt jemand dort vorbei und könnte uns womöglich mitnehmen.«

Erst runzelte die Angesprochene sichtbar die Stirn, doch dann glitt ein flüchtiger Hauch von Hoffnung über ihr Gesicht hinweg. »Ja... ja, ich glaube tatsächlich, dass ich noch welche im Handschuhfach habe!«

Ohne weitere Worte wandte sie sich rasch um und sprintete zu ihrem Auto, während das roten Haare wie ein leuchtender Streifen in der düsteren Nacht glitzerte.

»Hoffen wir's«, murmelte Rosalie wenig überzeugt und zog schließlich die Schultern fröstelnd hoch. »Aber mal ehrlich, denkt ihr wirklich, dass es hier überhaupt in der Nähe eine befahrene Straße gibt? Wir stehen hier doch am absoluten Arsch der Welt!«

Elisabeth zuckte wortlos mit den Schultern.

»Weißt du, ich glaube, wir sollten erst einmal jede Option nutzen, bevor wir uns geschlagen geben.«

Nur wenige Momente später gesellte sich Antonia, die ein zerfledertes Landkartenbündel mit sich trug, wieder an ihre Seite.

»Seht ihr, vielleicht wendet sich je«tzt alles zum Besseren«, meinte die Fahrerin, während sie die erste Karte behutsam über das leicht beschlagene Autofenster ausbreitete und dort mit beiden Händen festhielt.

Unwillkürlich beugten sich die drei näher. Mit schürzenden Lippen betrachtete Rosalie die verzeichneten Linien und Markierungen auf dem Papier. »Warte mal... und wo genau sind wir hier?«

»Gute Frage«,  murmelte Elisabeth, den Finger prüfend auf die Karte gedrückt. »Da hinten müsste... das Waldstück sein, oder? Das heißt, wir sind ungefähr... hier.«

»Und das bedeutet...«, spannte Antonia den Faden des Gespräch mit einer nachdenklichen Miene weiter, »wir müssen auf jeden Fall das hier rechts liegende Waldstück durchqueren und hoffen, dass wir auf der B9000 landen. Die Straße wird eigentlich zu jeder Tages- und Nachtzeit stark befahren, da sollte uns sicherlich jemand aufgabeln können.«

Augenblicklich trat ein unangenehmes Schweigen ein, währen die drei Freundinnen die Bedeutung dieser Worte zu verarbeiteten versuchten.
Schließlich durchbrach die Blondhaare die aufgekommene Stille mit einem empörten Aufschrei.

»Ihr wollt jetzt nicht ernsthaft sagen, dass wir mitten in der Nacht durch diesen verdammten Wald laufen sollen?!«

Elisabeths Gesicht blieb angespannt. »In dieser verlassenen Gegend werden wir auf jeden Fall nicht aufgelesen. Bisher ist mir zumindest noch kein anderes Auto unter die Nase gekommen. Und ein Handynetz gibt's hier auch nicht. Vielleicht haben wir auf der anderen Seite mehr Glück.«

Rosalie warf erneut ihre Hände in die Luft, dieses Mal allerdings mehr ein Zeichen absoluter Verzweiflung als der Ausdruck von unverhohlener Wut.

»Großartig! Wirklich toll! Was kann bei einem Mitternachtsspaziergang durch ein unbekanntes Forststück schon alles schief gehen?«

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