Ist notiert, wir arbeiten dran
Mein Freund spannt für einen winzigen Moment sämtliche Muskeln an. Ich lege den Kopf schief. Eigentlich weiß er doch, dass ich Körpersprache genauso gut verstehe wie Deutsch und Portugiesisch.
"Bitte denk mal an das zurück, was ich auf dem Sennheiser-Event gesagt habe: Das Leben ist zu kurz für Geheimnisse. Erzähl es mir." Tua zögert weiterhin und ich verdrehe die Augen. "Du machst es schon wieder, hör endlich auf, mich auszuschließen."
"Ich will mich diesmal nicht rauswinden, aber können wir das bitte später besprechen, wenn wir unter uns sind?" Irritiert deute ich mit dem Kopf in Richtung seiner besten Freundin. Sie unterhält sich mit Kaas.
"Es ist doch nur Jenn. Und so wie ich dich kenne, geht's um irgendwas aus deiner Vergangenheit, heißt Kaas war höchstwahrscheinlich live dabei." Tuas Blick schnellt zu seiner Freundin rüber. Er lehnt sich ein Stück vor und flüstert mir zu: "Sie weiß nichts von der Abtreibung."
"Dann hat es was damit zu tun?", frage ich ihn. Er nickt schwermütig. Wieder mustert er Jenn aus der Ferne.
"Setz sie ins Bild", schlage ich vor, ohne groß darüber nachzudenken und mein Freund runzelt die Stirn.
"Ich will nicht darüber reden. Es kommt mir immer noch vor, als hätte ich dir erst gestern davon erzählt", murrt er widerstrebend.
"Hast du aber nicht, unser Gespräch über Mascha ist ewig her. Außerdem musst du eh lernen, dich anderen mehr zu öffnen. Du vertraust Jenn doch."
"Ich hab Angst, Iara."
"Dir passiert nichts. Sie wird ehrlich mit dir sein." Tua sträubt sich trotzdem.
"Ich weiß nicht, ob ich das will."
"Ich war auch ehrlich zu dir damals, und du hast es überlebt. Fass dir ein Herz."
"Okay", gibt er nach und ich schenke ihm ein müdes Lächeln. "Hatten Luk und Aleks dich nicht zu sich eingeladen heute? Wie war's?", wechselt er das Thema und sieht mir aufmerksam in die Augen, während er mir eine verirrte Locke hinters Ohr streicht. Die Erinnerungen an die ernste Unterhaltung mit unserem Traumpaar und meinem Ex-Mitbewohner kehren zu mir zurück. Was sie über Timmi gesagt haben, hat sich tief in mein Gedächtnis gebrannt. Mir wird schwindelig davon. Irgendwann habe ich aufgehört, mir den Kopf über unsere verlorene Freundschaft zu zerbrechen. Und doch kränkt es mich zutiefst, dass der wahre Grund für unseren Bruch gewesen sein könnte, dass er sich geweigert hat, mich als das zu sehen, was ich war - ein Teenager. Ständig habe ich mir Vorwürfe gemacht, weil ich seinen kleinen Bruder geohrfeigt habe. Zwei Sekunden später hat Harvey sich von mir getrennt und das fand Timmi alles andere als cool. Verständlich. Aber anhand seines Verhaltens hat sich damals deutlich gezeigt, dass Timmi ein extremer Familienmensch ist; und dass er mich nicht zu seiner Familie dazugezählt hat, was beim Rest des Kokainklans ganz anders war. Luk war immer eine väterliche Figur für mich, Aleks hatte mütterliche Qualitäten, und Bastian und Stean waren wie große Brüder für mich. Meine Freundschaft zu Timmi hingegen war immer anders und besonders. Wir haben viele tiefgründige Gespräche geführt. Er hat mich wie eine Erwachsene behandelt. Erst im Nachhinein erscheint mir das seltsam.
"Es war schön, aber auch irgendwie komisch", antworte ich.
"Wieso komisch?", hakt Tua nach.
"Aleks hat über Timmi geredet."
"Wie geht's dir damit?"
"Nicht so gut", gebe ich zu. "Aleks vermutet, dass er sich vielleicht bald mal mit mir aussprechen will. Die Mutter seines Kindes ist in der Entzugsklinik und seit er sich allein um seinen Sohn kümmert, scheint er weniger zu konsumieren und sein Leben mehr zu reflektieren."
"Möchtest du eine Aussprache?", fragt Tua skeptisch.
"Ich weiß nicht", murmle ich. "Ich habe es akzeptiert, als er nach der Trennung von Harvey nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, auch wenn es schwierig war. Keine Ahnung, ob ich mich wohl bei dem Gedanken fühle, ihn plötzlich wieder in mein Leben zu lassen. Ich will mich auf die Menschen konzentrieren, denen ich auch wichtig bin. Wie siehst du das?", frage ich ihn und Tua legte seine Hände an meine Taille. Ich tipple noch ein paar Zentimeter vorwärts, bis unsere Körper sich berühren.
"Du hast stark darunter gelitten, dass er sich mir nichts dir nichts von dir abgewandt hat. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob du vollständig verstanden hast, wie sehr sein Verhalten nach eurer Trennung dich verletzt hat. Er hat sich auf die Seite deines Ex-Freunds geschlagen, und das kann man ihm nicht so richtig verübeln, immerhin ist Harvey sein kleiner Bruder. Aber er hat dich danach behandelt wie eine Aussätzige. Das macht ihn nicht zu einem schlechten Kerl. Jenn mag ihn, und wenn sie jemanden leiden kann, hat das seine Berechtigung, du kennst sie ja. Das Ding ist aber, dass du nie eine zweite Chance von ihm bekommen hast und inzwischen ist so viel Zeit vergangen, dass ich mich frage, ob du ihn wirklich noch vermisst, oder ob du dich nur an die Vergangenheit klammerst. Du hast gelernt, ohne Timm klarzukommen; du brauchst ihn inzwischen nicht mehr. Jetzt ist die Frage nur noch, ob du ihn in deinem Leben willst. Stell sie dir aber bitte erst, wenn er tatsächlich einen Schritt auf dich zumacht. Und solange das noch nicht der Fall ist, tu's dir aus dem Kopf raus." Er küsst mich auf die Stirn, als wolle er seine Worte damit unterstreichen. Lächelnd bemerke ich, das mich diese Zärtlichkeiten gar nicht mehr überraschen. Es fühlt sich vertraut an. Besser als unser Versteckspiel von früher, als unsere Beziehung im Grunde genommen verboten war. Anfangs habe ich mich so geärgert, dass ich mich ausgerechnet in Tua verknallen musste. Er ist immerhin einer der Künstler gewesen, die ich bei Universal mit betreut habe. Seit ich aus dem Laden raus bin, kann ich freier atmen. In jeder Hinsicht.
"Ihr seid so süß, ne?", ertönt Jenns verträumte Stimme auf einmal und ich grinse.
"Wir arbeiten dran." Tua lächelt.
"Jenn", sagt er.
"Was gibt's, Großer?"
"Lass uns 'ne Runde um den Block drehen. Zu Fuß." Sie checkt die Uhr an ihrem Handgelenk.
"Geht klar, halbe Stunde hab ich."
"Was machst du in der Zwischenzeit?", fragt Tua mich.
"Ich bleibe hier und quatsche mit deiner Band", beschließe ich und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. "Holst du mich ab, wenn ihr fertig seid?"
"Mach ich. Bitte stell den Jungs keine Fragen darüber, warum ich so ausgetickt bin, ja? Ich erkläre dir das, wenn wir zu Hause sind."
"Gut", willige ich ein. Er küsst mich und als er sich von mir löst, sieht er mir ein letztes Mal in die Augen. Ich erschaudere wohlig. Wie ich es auch drehe und wende: Ich liebe diesen Mann.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top