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Tuas Aufforderung nach unserem Streit am Telefon nicht nachzukommen, wäre mehr als dämlich von mir. Wir wollen beide, dass unsere Beziehung funktioniert, diese unerschütterliche Gewissheit habe ich aus dem Urlaub mitgenommen und das ist der Grund, weshalb ich zielstrebig, wenn auch langsam, auf das vietnamesische Restaurant zumarschiere an diesem kalten Abend. Meine Hände habe ich in meinen Jackentaschen vergraben, denn ich habe mein wärmendes Paar Handschuhe zu Hause vergessen. Sonst passiert mir sowas nie. Ich bin wohl noch ziemlich durch den Wind, nach unserer hitzigen Diskussion.
Tua steht sich die Beine in den Bauch auf den Stufen, die zum Eingang des gemütlichen Lokals hinaufführen. Als er mich am Ende der Straße erspäht, schnippt er die restliche Asche von seiner Zigarette und drückt sie im Aschenbecher über dem Mülleimer vorbildlich aus, statt den Stummel auf den Gehweg fallen zu lassen. Unschlüssig bleibe ich unten am Fuß der Treppe stehen. Immerhin sieht mein Freund minimal weniger furchteinflößend aus, als ich erwartet habe.
"Sagst du mir mal, was das am Telefon vorhin sollte?", fragt er ernst.
Ich presse die Lippen aufeinander und streiche mir die Haare aus dem Gesicht. "Es ist einfach mit mir durchgegangen, ich war sauer auf dich", antworte ich.
"Immer noch?"
"Ob ich immer noch sauer bin?"
Er nickt nur knapp.
"Keine Ahnung, irgendwie schon. Ich verstehe dich aber auch. Wenn ich wüsste, was mit dir los ist, würde es mir besser gehen, das ist alles. Na ja, und meine Intuition sagt mir, dass es bei dir nicht anders wäre. Dir würde doch eine riesige Last von den Schultern fallen, wenn du dich mir endlich anvertrauen würdest."
Er sieht mir in die Augen und blinzelt schweigend. "Meine eigene Intuition schätzt die Lage anders ein", meint er schließlich. "Sie will mir weismachen, dass ich zusammenbreche, sobald ich dir oder sonst jemanden davon erzähle. Für mich hängt alles am seidenen Faden. Ich funktioniere nur noch, tagein-tagaus, als wäre ich eine beschissene Maschine. Aber die Alternative macht mir verdammt nochmal Angst. Wenn ich dir sage, was mit mir los ist, schneide ich mir damit ins eigene Fleisch."
"Aber du schneidest die Kugel raus", kontere ich.
"Danke, ich weiß, aber dann verblute ich vielleicht. Vertrau mir bitte, wenn ich dir sage, dass uns beiden nicht damit geholfen ist, wenn ich ausgerechnet jetzt einknicke; so kurz vor Weihnachten, bevor wir mit deiner Familie feiern. Ich will das nicht." Er tritt einen Schritt an mich heran und nimmt mein Gesicht in seine Hände. "Und du willst das auch nicht", behauptet er mit fester Stimme und sieht mir dabei eindringlich in die Augen.
"Okay", entschließe ich mich, ihm zu vertrauen, schlinge beide Arme um ihn und hauche ihm einen Kuss auf die Wange.
Tua lässt es nicht darauf beruhen, sondern zieht mich zu sich und presst mich gegen seinen Körper, während er mich lang und gefühlvoll küsst. Am liebsten würde ich laut losheulen wie ein Schlosshund, aber ich weiß, dass uns das erstens nicht weiterbringen und zweitens ihn bloß unnötig verunsichern würde.
Als wir uns voneinander lösen, schlagen unsere Herzen wieder im Gleichtakt."Zurzeit ist es nicht einfach, hm?", fragt Tua mich, als wir an unserem Tisch drinnen sitzen. Er hält meine Hand. Vielleicht darf ich mich tatsächlich daran gewöhnen, dass ihn die Liebesbekundungen in der Öffentlichkeit nicht mehr stören.
"War schon mal besser", erwidere ich und blicke auf unsere miteinander verschränkten Finger, bevor ich ihm ein sanftes Lächeln schenke. "War aber auch schon mal schlechter."
Mein Freund lächelt ebenfalls und nimmt dem Kellner die Speisekarten ab.
"Ich kann dich übrigens doch nicht nach Hause bringen, heute bleibe ich nicht ewig im Bunker", warnt er mich vor, als ich die Seite mit den Suppen aufschlage. "Achso?", hake ich nach.
"Momo ruft an, sobald seine Schicht endet. Ich habe ihm versprochen, dass wir die Nacht bei mir sind. Er wollte mit mir über Hannes sprechen."
"Was ist mit ihm?"
Tua wendet den Blick ab und sieht aus dem Fenster. "Er hat sich an dem Abend, an dem du die Jungs kennengelernt hast, noch mit jemandem geprügelt und damit gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen. Jetzt sitzt er wieder in U-Haft."
"Scheiße, das tut mir leid", murmle ich und meine es auch so. Klar, ich kann Hannes nicht wirklich leiden, aber er ist immerhin einer von Tuas besten Freunden und ich erinnere mich noch gut daran, wie es mich damals mitgenommen hat, als Tarik für ein paar Monate in den Knast musste.
"Momo und ich wollen ihm einen Anwalt zahlen, der ihn vielleicht rausholt, damit er wenigstens seinen Geburtstag draußen mit uns feiern kann."
"Von welchem Geld denn?", rutscht es mir raus.
Tua grinst. "Das mit den Schulden war ein Scherz, Iara. Ich bin kein armer Schlucker", versichert er mir. "Ich weiß zwar, wie es ist, wenn man nichts hat, aber genau deswegen ist mein Lebensstandard niedrig. In den letzten Jahren habe ich auf die verschiedensten Sachen gespart."
"Auf die Traumreise?", erinnere ich mich vage an das, was er am Strand erwähnt hat.
"Nicht nur auf die. Hannes braucht den Anwalt jedenfalls dringender als ich 'nen protzigen Jaguar. Wär schon geil, aber Bruder über Zaster."
"Den Luxus hätte ich dir gegönnt", sage ich und streichle mit dem Daumen über seinen Handrücken.
"Status ist nichts", geht er bitter darauf ein.
"Das war bloß ein Witz. Ich finde es gut, dass ihr euch auf die Art für Hannes einsetzen wollt."
"Das bin ich ihm schuldig", konstatiert Tua nüchtern.
"Dir geht gerade im Allgemeinen viel durch den Kopf, oder?", hake ich nach.
Seufzend lehnt Tua sich in seinem Stuhl zurück, steckt die Hände in die Hosentaschen und sieht mich schief an. "Eine ganze Menge auf jeden Fall. Das mit Hannes kommt noch obendrauf. Außerdem mache ich mir Sorgen um Jenn und Tarik, die haben mehr Stress als ihnen gut tut im Moment."
"Ja", bestätige ich. "Die Zwei machen mir auch Sorgen. Aber ich glaube fest daran, dass sie sich wieder zusammenraufen. Tariks Wille ist stark."
"Wem erzählst du das?" Er setzt sich wieder aufrecht hin und trinkt einen Schluck von dem hausgemachten Eistee, den wir uns beide bestellt haben. "Sie sagt, sie hat das Gefühl, er nimmt ihre Bedenken nicht ernst."
"Tut er auch nicht", nehme ich kein Blatt vor den Mund und klinge dabei genauso unbegeistert, wie ich es tatsächlich bin. Ich habe schon mit Tarik darüber gesprochen. Er muss sich am Riemen reißen, wenn er seine Freundin nicht verlieren will.
Ein Schmunzeln legt sich auf Tuas Lippen. "Er ist fast so stur wie du manchmal."
Ich kann mir kein Lächeln aufzwingen, obwohl ich es gern würde. "Eigentlich ist er dir viel ähnlicher. Tarik sucht nach Betäubung, um sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen, was für ein Mensch er ist. Wenn ich nicht über mich nachdenken will, suche ich Ablenkung bei Freunden, nicht in Rauschmitteln."
Mein Freund zieht fragend eine Augenbraue hoch. "Stimmt das?"
"Etwa nicht?" Ich stütze mein Kinn auf meinen verschränkten Händen ab. "Was weißt du, was ich nicht weiß?"
Doch unser Essen wird an den Tisch gebracht, deshalb verliert sich die Frage im endlosen Raum ... Erst Stunden später, als Tua von der Bunker-Party verschwindet, ohne sich von mir zu verabschieden, treibt seine skeptische Nachfrage plötzlich wieder umher auf dem stürmischen Meer meines Bewusstseins.
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