20. Türchen

Die letzten Meter rannte ich nach Hause, dann schlich ich mich an meinen Eltern vorbei, was ein Leichtes für mich war, da sie beide in der Bäckerei waren und wie man so schön sagt: Übung macht den Meister.
In meinem Zimmer - ich hatte selbstverständlich noch einen Keksvorrat aus der Küche mitgehen lassen - legte ich meine Tasche auf meinen Schreibtisch und öffnete sie, doch trotz meiner Bemühungen vorsichtig zu sein meldete sich meine Tollpatschigkeit mal wieder zu Wort. Ich stolperte nämlich über den Fuß meines Schreibtischtuhls, machte dadurch eine ruckartige Bewegung mit der Hand und Tikki purzelte unsanft auf die glatte Tischoberfläche.

Jedoch wurde sie, man mochte es Glück im Unglück nennen, dadurch wahrscheinlich aufgerüttelt und öffnete nun langsam ihre Augen. „Tikki! Ich hab mir solche Sorgen gemacht!“, erleichtert hob ich sie hoch und drückte sie an mich, mir war, als wären nun endlich alle Lasten wie Steine von meinen Schultern gefallen, die ich die ganze Zeit mit mir herumgeschleppt hatte.

„M-marinette, du erdrückst mich!“, protestierte ein schwaches Stimmchen und sofort ließ ich meine kleine Freundin aus dem Klammergriff. „Tut mir leid, ich bin nur so froh... Hier, nimm die Kekse, damit du schnell wieder zu Kräften kommst.“
Ich deutete auf den Teller und natürlich ließ sie es sich nicht zweimal sagen. Trotz ihrer Schwäche schoss sie wie ein roter Blitz zu ihrer Leibspeise und setzte sich auf den Tellerrand. Dann mampfte sie auch schon drauf los.

Leise lächelnd lehnte ich mich im Stuhl zurück und ließ meinen Blick durch mein Zimmer schweifen. Ich blieb an den vielen Postern hängen, mit denen ich meine Wände zugekleistert hatte. Was Adrien wohl gerade machte? Hoffentlich ging es ihm besser...
Ich wollte ihn eigentlich bis zu seiner Haustür bringen, aber als er mir an der Metro Station tausendmal versichert hatte, dass es ihm gut ginge, er einfach nur müde sei und nach Hause wollte und auch ich schnell heim gehen sollte, hatte ich mich nicht mehr getraut darauf zu bestehen. Außerdem war mein Stottern wieder schlimmer geworden, denn in der Bahn hatten sich unsere Hände an der Haltestange durchgehend leicht berührt und immer wieder hatte ich ihm Blicke zugeworfen. Leider hatte er oft genau dann in meine Richtung geschaut und ich hatte immer direkt verlegen weggesehen, wenn sich unsere Blicke gekreuzt hatten. Zum Abschied hatte er sich nochmal bedankt und mich flüchtig umarmt. Ich konnte sogar seinen Duft wahrnehmen, eine Mischung aus Apfel, Zimt, Orange - vielleicht ein Weihnachtsshampoo, das er geschenkt bekommen hatte? - und... ja, haltet mich für bescheuert, Camembert.
Entweder Adrien schwärmte heimlich für den stark riechenden Käse - nicht, dass das ein Problem für mich wäre, nein, ich würde für ihn auch lernen, wie man den Käse herstellt und eine Camembertfabrik eröffnen - oder ich verlor langsam den Verstand.
Vielleicht war es auch meiner Müdigkeit zuzuschreiben.

Wie auch immer, morgen war Schule und es wurde so langsam echt spät, also stand ich gähnend auf und begann mich umzuziehen. Doch gerade als meine Kleidung zu Boden fiel, klimperte es plötzlich und ein silberner Gegenstand hüpfte aus dem Haufen, rollte ein Stück und blieb dann scheppernd liegen. „Nanu?“
Verwundert hob ich ihn auf und beäugte ihn. Es war ein silberner Ring, er kam mir seltsam vertraut vor, doch wo hatte ich ihn nur schon mal gesehen?
„Marinette! Was hast du da in der- Oh mein Gott! Wo hast du den her?!“
Hektisch redete Tikki auf mich ein. Ich setzte zum Sprechen an, als es mir wie Schuppen von den Augen viel.
„Nein oder? War der Tag nicht schon kompliziert genug?“, theatralisch ließ ich mich auf mein Bett plumpsen. „Das ist Chat Noirs Ring, stimmt's?“
Erinnerungen blitzten vor meinem inneren Auge auf. Bad Son, der ihn hochhielt, sodass er kurz im Sonnenlicht blitze, und ihn dann wieder einsteckte. Irgendwann im Laufe der Zeit musste er mir untergekommen sein, ob er nun an den Knöpfen meiner Jacke hängen geblieben war, irgendwie in meine Hosentasche gerutscht war oder ob ich ihn vielleicht sogar unbewusst an mich genommen hatte: Hier lag er nun. In meiner Hand.

„Mensch, wie soll ich ihn nur Chat Noir wiedergeben, ohne dass jemand meine Identität erfährt?“, jammerte ich. Tikki seufzte: „Ganz einfach, du gehst als Ladybug. Du kannst ja sagen, dass du den Ring nach dem Kampf mitgenommen hast, damit er nicht verloren geht.“
„Stimmt!“, ich richtete mich etwas auf, doch mein eben gewonnener Elan verpuffte wie ein Maiskorn im heißen Topf. „Und so soll ich den Ring hinbringen?! Ich werde mich ja wohl kaum mitten in die Stadt stellen können und rufen: Hey, hier ist ein Miraculous, eins der mächtigsten überhaupt, ist zufällig einer von euch Chat Noir oder weiß, wer es sein könnte? Weißt du, wie viele Möchtegern Chat Noirs sich dann melden würden?“
Aussichtslos seufzte ich, aber Tikki hatte heute anscheinend die Weisheit in Löffeln gegessen.
„Eigentlich ist das gar keine schlechte Idee", überlegte sie. Bitte was?
Aber bevor ich voreilige Schlüsse zog, wollte ich sie erst einmal ausreden lassen.
„Schau doch, Marinette. Du musst dich gar nicht irgendwo hinstellen, die Lösung deines Problems liegt doch direkt vor dir! Naja nicht ganz, aber sie sitzt zumindest im Matheunterricht neben dir.“

Jetzt stand ich komplett auf dem Schlauch. „Was hat denn Alya damit zu tun?“
Tikki seufzte und half mir auf die Sprünge. „Sie ist dein größter Fan und hst einen Blog, den sich jeder Ladybug-Fan und ich wette auch Chat Noir anschaut!“
Jetzt schaltete auch ich. „Genau! Ich werde gleich morgen nach der Schule zu ihr gehen, als Ladybug versteht sich.“
Zufrieden, weil wir nun immerhin schon einen Anfang hatten, zog ich mich fertig um und ging dann ins Bett, nachdem ich das Licht gelöscht hatte.
„Gute Nacht Marinette", ertönte es. Ich gähnte und kuschelte mich in meine Decke. „Gute Nacht Tikki.“
Dann schlich sich ein gewisser Junge in meinen Kopf und ich murmelte im Halbschlaf noch ‚Gute Nacht, Adrien'.
Das Kichern aus meiner Zimmerecke bekam ich nicht mehr mit, denn ich befand mich schon in meiner Traumwelt, voller Ringe, Marienkäfer, grünen Augen und seltsamerweise auch Camembert.

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