98. Dezemberwinde
Für einmal kommt das neue Kapitel früh morgens und nicht spät abends ;)
nehmt's mir nicht übel :P
Ich weiss, dass in diesem Kapitel nicht wirklich viel passiert. Dennoch hatte ich viel Freude dabei, es zu schreiben, weil ich seil längerem endlich wieder die umwerfende Aussicht auf das schmucke, kleine Haus oben auf den Klippen vor Augen hatte.
Ich zeichne übrigens auch noch immer an Szenen aus diesem Buch, auch wenn es schon sehr bald zu Ende ist und die Kritzeleien noch nicht einmal ansatzweise fertig ausschauen ^^'
Vielleicht plappern ich auch einfach zu viel, die Morgenstunden machen mich immer ganz dusselig. Es ist übrigens 02:24 und ich bekenne mich hiermit definitiv zum Nachtaktivismus.
Viel Spaß beim Lesen <3
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Es war ein einziger, langer, schier endloser Kampf, den Adara gegen das Orakel und den Ozean ausfocht. Jeder andere hätte schon lange aufgegeben, wäre der Erschöpfung erlegen. Vielleicht hätte es sogar überhaupt niemand so weit geschafft. Aber Adara kämpfte weiter, schlug sich immer weiter vor und weigerte sich strikte, jetzt wieder in den Palast zurückzukehren. Ihre Schultern schmerzten, ihre Hüfte tat ihr unsäglich weh und ihr Kopf drohte unter dem Druck, den das Wasser ausübte, zu zerspringen. Aber ihre Flosse peitschte erbarmungslos durchs Wasser, drückte sie Zentimeter um Zentimeter vorwärts, immer weiter hinaus, immer weiter von den verhassten Palastmauern fort. Ihr Herz schlug in schnellem Staccato, trommelte wild in ihren Ohren, trommelte und wirbelte gleich doppelt und ließ sie alles andere überhören. Es war, als wirkte der Muschelpalast eine mächtige Anziehungskraft auf sie aus und wenn Adara auch nur einen Moment lang aufgehört hätte, sich mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft vorzuarbeiten, so war sie sicher, wäre sie wie an einem gespannten Gummiseil zurückgezogen worden und hätte von vorne beginnen können. Aber sie spürte auch, dass dieser Magneteffekt immer schwächer wurde, je weiter sie vorankam. Sie kämpfte sich über die Stadt hinweg und ignorierte beherzt all die Schaulustigen, die mal amüsiert, mal schockiert und im Allgemeinen immer beunruhigter dreinschauten, aber niemals eingriffen. Vielleicht scheuten sie sich vor der Strafe, die sie sich womöglich eingehandelt hätten, womöglich wussten sie aber auch nicht, wen sie mehr fürchteten – Adara oder das Orakel. Adaras Kopf war zum ersten Mal seit langer Zeit wieder völlig leer. Worüber hätte sie auch nachdenken müssen? Das Einzige, das sie mit Sicherheit wusste, war, dass sie ein großes Unglück verhindern musste. Sie erreichte mit Müh und Not die Höhlenlabyrinthe vor der Stadt, die sich tief unten im Meer unter den hiesigen Felsformationen gebildet hatten und erst hier konnte sie ihrem vom Schmerz gepeinigten Körper endlich ein wenig Erholung gönnen. Das Atmen fiel ihr schwer, denn das Wasser schien ihren Körper schier zerdrücken zu wollen. Mit der wenigen Muskelkraft, die ihre Arme noch hergaben, zog sie sich durch die engen, steinernen und stockdunklen Gänge, immer geradeaus und immer nach oben gerichtet, bis sie irgendwann einen Ausgang fand. Hoch über ihr schimmerte ein schmaler streifen leuchtend blauen Wassers, der Rest war stockdunkel und Adara kam auch hier in der Tiefseespalte nur langsam und mühselig voran. Es fühlte sich an, wie durch dicken Schlamm zu schwimmen und ihre ohnehin schon müde Flosse drohte, ihr den dienst bald endgültig zu versagen. Aber Adara hielt nicht an. Noch unerträglicher als ihr körperlicher Schmerz und die Erschöpfung war für sie der Gedanke, zu spät zu kommen und das, was ihr auf Erden am Liebsten war, ein für alle Mal zu verlieren. Tom so weit von sich fort zu wissen hatte ihr Herz schon auf eine mehr als harte Probe gestellt und auch Marlenes Fortbleiben am Hof hatte seine Spuren auf Adara hinterlassen. Sie kämpfte sich an der senkrecht abfallenden Felswand empor, dem Licht und der Wärme entgegen und hatte – wenn es auch eine halbe Ewigkeit in Anspruch genommen hatte – den sandigen, vom Tageslicht sanft schimmernden Meeresboden bald erreicht. Erstmals konnte sie wieder richtig aufatmen und wurde sich bewusst, wie gut es war, endlich wieder frei atmen zu können. Sie hatte fast vergessen, wie anders das Wasser hier oben war. Viel frischer, unberechenbarer und natürlich mit mehr Sauerstoff angereichert. Adaras Lebensgeister schienen von neuem zu erwachen und wenn sie noch immer nicht widerstandslos durchs Wasser glitt, so wurden die Schläge ihres Fischschwanzes doch wieder stärker. Aber leider hielt dieser Effekt nicht besonders lange an. Irgendwann war auch sie am Ende ihrer Kräfte und die Erschöpfung begann allmählich, ihren Tribut zu fordern. Adara schloss verzweifelt ihre Augen. Sie durfte jetzt nicht aufgeben, nicht nachdem sie so weit gekommen war! Als sie einige Momente später kaum noch die Augen offen halten konnte und mehr und mehr mit sich kämpfte, realisierte sie etwas. Das Wasser um sie herum wurde immer wärmer. Und obwohl sie ihre Schwanzflosse kaum noch benutzte, wurde sie trotzdem vorwärtsgetrieben. Und dann ging ihr ein Licht auf. „Die Strömung", murmelte sie. Es musste sich um den Nordatlantikstrom, einen Ausläufer des Golfstroms handeln, der von Mexiko her warmes Wasser nach Europa führte. Erleichterung machte sich in ihr breit. Alleine war sie jetzt zu schwach, um aus eigener Kraft an ihr Ziel zu gelangen. Aber wenn sie die Strömung nutzte und den Norwegenstrom erwischte, dann würde sie automatisch an Irlands Küsten gelangen. Sie musste es einfach nur noch schaffen, wachzubleiben. Sie spürte noch immer, wie eine nunmehr kaum spürbare, schwache Kraft versuchte, sie festzuhalten, sie zurückzuziehen. Aber die Strömung trieb sie immer weiter voran und Adara verspürte eine gewisse Genugtuung darüber. Der Meeresboden zog gemächlich unter ihr vorbei und das tief dunkle Blau wurde immer heller. Das Wasser wurde immer flacher, sie näherte sich der Küste, wenn es auch bedeutend länger dauerte als sonst. Und dann schlichen sich tatsächlich die ersten Felsriffe in ihr Blickfeld. Wie lange war sie so in der Strömung getrieben? Vielleicht eine gute Stunde? Vielleicht auch mehr, so genau konnte Adara es nicht sagen. Doch trotz dieser Erholungsphase spürte sie noch immer pochend den Schmerz in ihren Gliedern, der es ihr fast unmöglich machte, Schultern und Hüfte zu bewegen. Und doch bezwang Adara sich selbst und ihren Körper eine weiteres Mal. Ohne auf ihr massakriertes Becken zu achten, schlug sie mit der Schwanzflosse in die Wassermassen und verließ den Warmwasserstrom, der seinen Weg gen Norden leise rauschend ohne sie fortsetzte. Sie schwamm der Küste entlang, in ihrem Kopf pulsierte und hämmerte und wirbelte es und die seltsame Leere in ihren Gedanken bereitete ein leise wachsendes Schwindelgefühl. Aber auch dies verdrängte Adara mit zusammengebissenen Zähnen. Über ihr rauschten die anrollenden Wellen, die weiter vorne an den Klippen brachen und in den Ozean zurückströmten. Und dann sah sie es. Erleichterung machte sich in ihr breit, erfüllte sie bis in die tiefsten Winkel ihrer selbst. Sie musste nicht mehr lange durchhalten. Sie hatte es gleich geschafft. Direkt vor ihr lag der Eingang zu der kleinen Bucht. Das Wasser wurde immer seichter, gleich würde sie im Sand liegen und die Fluten würden ihr nichts mehr anhaben können. Mit allerletzter Kraft zog sie sich dann endgültig an Land, so weit, dass das Wasser sie nicht mehr erreichen konnte. Und sie lachte. Trotz der Erschöpfung, trotz der Schmerzen, die ihren gesamten Körper regelrecht schüttelten, trotz der Kälte und des beißenden Windes, der ihr entgegenschlug, lachte Adara und sie konnte gar nicht anders, als zu lachen. Ihr Blick wanderte zum Haus, das hoch oben auf den weißen Kalksteinklippen thronte wie am ersten Tag, dann wurden die schwarzen Ränder, die ihre Sicht schon seit mehreren Minuten einschränkten, so mächtig, dass bald nichts mehr als dickes, undurchdringliches Schwarz vor ihren Augen schwebte. Der doppelte Herzschlag hatte aufgehört. Ihr Atem ging ruhig. Ihr Körper brauchte den Schlaf, die Pause, den Stillstand. Ohnmächtig fühlte sie gerade noch, wie ihr Kopf in den feuchten Sand zurückfiel, danach herrschte nur noch tiefes, ruhiges, erbarmendes Schwarz.
Erst die Kälte vermochte Adara aus ihrer Ohnmacht zu wecken. Ihre Zähne klapperten und sie zitterte wie Espenlaub, als sie ihre Augen aufschlug und endlich wieder mehr wahrnahm als die ewige Schwärze. Sie sah das Meer, wie es in Wellen dunkel und bedrohlich auf die Küste zuhielt, wie es an den Felsen brach und von ihm schließlich kaum mehr übrigblieb als der weiße Schaum der rauschenden Gischt. Ihr Körper rebellierte schmerzhaft bei dem Versuch, sich vor dem eisigen Wind zu schützen. Obwohl sie zweifelsfrei am selben Ort war, so war hier doch nichts mehr so, wie sie es in Erinnerung hatte. Der Himmel war wolkenverhangen und grau, von der wärmenden Sonne fehlte jede Spur und sogar der einst fast golden schimmernde Strand war einer mausgrauen Wüste gewichen. Mühselig setzte Adara sich auf und wurde augenblicklich von einer kalten Böe erfasst. Schützend hielt sie sich die Arme vor die Brust, versuchte wenigstens das letzte Bisschen Wärme, das ihr Körper noch besaß, zu schützen. Das Atmen fiel ihr schwer bei der Kälte. Ihre Nassen Haare, die vom Wind umhergepeitscht wurden, begannen an den Spitzen schon zu gefrieren. Sie musste aufstehen. Sie musste hoch zum Haus, sie musste sich beeilen, wenn sie nicht erfrieren wollte. Sie musste sichergehen, dass es Tom gut ging. Ihre Flosse war verschwunden. Stattdessen lagen zwei sandverschmierte Menschenbeine unter ihr. Schwerfällig und mit großer Mühe schaffte sie es schließlich, sich auf beide Füße zu stellen. Ihre Schritte waren wackelig und vorsichtig in dem kalten Sand und die Eiseskälte machte ihr zu schaffen. Am schlimmsten aber waren die Winde, die auf ihren nackten Körper einzuprügeln schienen, dass Adara fürchtete, unter ihrem eigenen Gewicht zusammenzubrechen. Verzweifelt klammerte sie sich an das Holzgeländer, das den Trampelpfad, der an der Steilwand zum Haus emporführte, absicherte. Sie zog sich mehr nach oben, als dass sie auf ihren Füssen ging, aber sie kämpfte sich durch. Trotz der Kälte, trotz ihres müden Körpers, trotz ihrer schmerzenden Glieder und des Schwindels, der alles in ihrem Kopf zum Drehen brachte. Nur am Rande bekam sie mit, dass auf den langen Grashalmen, die hier überall wild wuchsen, dicke Schichten aus stacheligem, schneeweißem Eis saßen. Die Tür zum Haus war nur angelehnt und so stolperte Adara völlig erschöpft und am Ende ihrer Kräfte ins Innere des Hauses und schaffte es gerade noch so, die Tür zuzustoßen, bevor sie erschöpft auf die Knie sank. Hier drin war es nicht sehr viel wärmer als draußen, was seltsam war. Als Adara den Blick hob, blieb ihr die Luft weg. Überall lagen verstreut dutzende Zettel und Papiere, auf dem Boden, den Stühlen, dem Sofa, selbst vom Flügel und der Küchenzeile hingen verwahrlost die beschriebenen Papierbögen. Und da war sie wieder, die Panik, die sich in Adaras Brust breit machte, ihre die Luft abschnürte und ihr Herz zum Rasen brachte. „Tom?", rief sie unsicher in die fast schon beängstigende Stille hinein. Nur der Wind draußen pfiff um die Hausecken und brauste geräuschvoll gegen die Fassaden. Ansonsten war kein Geräusch zu hören. Adara zitterte bitterlich, ihre Haare – noch immer triefendnass – lagen kalt und unangenehm über ihrem Rücken und der Sand, der einfach überall an ihr zu kleben schien, kratzte und juckte auf ihrer eisigen Haut. Sie griff nach einigen Blättern, die in ihrer Nähe lagen. Es waren Toms Recherchen über Brian Mc Duff und die L.A.U.B. und Adara hatte gerade den Artikel über Bethany Farmer gefunden, der Tom auf die richtige Spur gebracht hatte. „Henry? Maria?" Keiner antwortete ihr. Sie war ganz allein im Haus hoch oben auf den weißen Klippen. Allein inmitten den Überbleibseln eines wahrhaften Papierkrieges. Was war hier bloß geschehen? Als sie ihre Füße endlich wieder zu spüren begann, stand sie behutsam auf und sammelte auf ihrem Weg die herumliegenden Papierreste auf. Nur sporadisch überflog sie, was auf den Zetteln geschrieben war. Alles lag kreuz und quer durcheinander, aber außer den Blättern war nichts sonderlich auffällig. Alle Vasen standen wie gewohnt an ihren Plätzen, die Stühle standen ordentlich am Tisch, alle Schränke waren geschlossen. Nur das Papier war überall. Das Papier. Adara wunderte sich über dieses seltsame Phänomen. Warum lag überall Papier? Und warum war keiner hier? Warum hatte Tom seinen Anhänger nicht angerührt und weshalb war die Haustür bloß offen gewesen? Adara stutzte und blickte auf das Blatt hinunter, das sie gerade in den Händen hielt. „Hochzeit... Benedict Mc Duff... Adoption der beiden Söhne... Zweieiige Zwillinge...", murmelte sie, als sie las. Ihr Blick flog nur so übers Papier, mit zunehmender Geschwindigkeit verschlang sie die Worte, die dort schwarz auf weiß geschrieben standen. In ihrem Kopf begann sich wieder alles zu drehen, als die Gedankenflut, die sie seit heute Morgen verschont hatte, wieder in ihren Kopf zurückkehrte und sie mit aller Kraft packte. „Brian... Nachnamen des Stiefvaters... Bruder weigerte sich... Vater unbekannt... Mit achtzehn Namen geändert... Heute..." „Adara, bist du das etwa?", zerriss Tülays überraschte Stimme die Stille und Adara schrak von dem Artikel hoch. Das konnte nicht wahr sein. Das durfte nicht wahr sein. „Was machst du denn hier?", fragte ihr Gegenüber und kurz darauf folgte ein noch verwirrteres „und warum bist du nackt? Und nass?" Aber Adara hörte es nicht mehr, denn vor ihre Augen hatte sich ein schwerer, schwarzer Vorhang gelegt, der alles Licht davon abhielt, zu ihr durchzudringen und alle Geräusche seltsam in Watte packte, sodass kaum mehr als ein viel zu hohes, schmerzhaftes Piepen übrigblieb. Und dann verlor sie das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.
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Es ist zwar nicht perfekt und an Gras, Meer und Himmel muss noch so einiges gemacht werden, aber dennoch hoffe ich, dass ihr die Szene erkennen könnt ^~^
(Für jene, die einen Tipp benötigen: es ist die Szene in der Abenddämmerung nach dem großen Fotoshoot in London und kurz bevor sich die zwei *endlich* ihre Liebe gestehen. )
Gute Nacht <3
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