7. Das Versprechen
Ps. Das ist mein absolutes Lieblingskapitel XD Ich hoffe, eures auch? schreibt's in die Kommis ^^ :*
„Weisst du denn nicht mehr, welches Versprechen du mir erst gestern abgenommen hast? Ich werde niemals auch nur einer Menschenseele etwas von dir erzählen. Du... du kannst mir glauben", versicherte er ihr und in seiner Stimme lag eine unendliche Zärtlichkeit. Es folgte eine lange Pause, in der keiner der beiden sprach. „Weißt du, es sind nicht alle Menschen so wie du, Tom", erklärte sie mit einer Sanftmut, die Toms Herz höher schlagen liess. „Mein Urgrossvater zum Beispiel ist vor einhundertzwanzig Jahren von Fischern gefangen worden", erzählte sie. „Sie haben ihn überwältigt und man sagt, dass sie ihn zu sechst hatten festhalten müssen. Sie haben ihn an Land gebracht und gefoltert. Sie wollten wissen, ob es noch mehr von seiner Art gab und wo wir uns befanden. Doch selbst unter Schmerzen und Todesängsten hat er kein Wort gesagt, geschweige denn seine Kräfte offenbart, so wie ich es getan habe. E wird als Schande angesehen. Als Schmach." „Was ist mit ihm passiert?", fragte er, als sie geendet hatte. „Man hat ihn als Trophäe an den Torbogen am Dorfeingang genagelt. Es heisst, dass er in der Nacht darauf verschwunden sei und man seinen Leichnam, halb Fisch, halb Mensch nie gefunden habe. Den Dorfbewohnern war diese Sache immens peinlich, doch sie haben lange Zeit nicht aufgehört nach uns zu suchen." „Man hat seinen Leichnam nie gefunden?" „Nein", antwortete sie ernst. „Obwohl... Wenn wir annehmen können, dass mit ihm das Selbe geschehen ist wie mit mir, dann sieht es ganz so aus, als hätte man am nächsten Morgen einfach einen nackten Mann am Torbogen hängen sehen können, was natürlich die Peinlichkeit der Situation noch unterstreicht", gluckste sie und sie mussten beide lachen. Diese Hypothese war aus ihrer Sicht ebenso plausibel, wie sie aus der Sicht der Menschen lächerlich war und umgekehrt. Aber es tat gut, mit Tom lachen zu können. Bald darauf kniete Tom am Boden zu Adaras Füssen und besah sich die langen Narben an ihren Beinen, die überhaupt nicht so aussahen, als ob man sie erst am Vorabend genäht hätte. „Effektiv. Ich kann die Fäden eigentlich schon wieder ziehen", meinte er stirnrunzelnd. „Na dann mach es doch", erwiderte seine Patientin auf dem Stuhl vor ihm. Tom sah sie verdutzt an, drehte sich dann aber zu seinem Ärzte-Set um und kramte nach der speziell geformten Schere. Es dauerte nicht lange, bis er sie gefunden und desinfiziert hatte. Dann legte er sie ans untere Ende der Naht an Adaras rechter Wade und hielt inne. „Bereit, Fé?", fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen und Adara nickte bestimmt. Dann schnitt er vorsichtig den ersten Knoten auf. Adara verspürte ein Ziehen bis hoch zum Knie, reagierte jedoch nicht. Sie konnte Wunden heilen und Wasser kontrollieren, da würde sie so banale Schmerzen auch aushalten können. Tom war beim vierten Knoten angelangt und der Schmerz kroch Adara den Oberschenkel hoch. Sie biss sich auf die Lippen und kniff die Augen zu. Die Schmerzen beim Zunähen mussten auf jeden Fall schlimmer gewesen sein, da war sie sich sicher und auch immens froh darüber, nichts gespürt zu haben. Der neunte Donati-Knoten war offen und sie hielt den Atem an. Nur noch einer. Der Schmerz breitete sich blitzartig in ihrer rechten Körperhälfte aus und sie sog scharf die Luft ein. „Geht's?", fragte Tom besorgt und sie nickte heftig mit dem Kopf. Der Schmerz liess wieder nach und sie lehnte sich ihn ihrem Stuhl etwas zurück. „Es geht schon", sagte sie. „Bleibt nur noch das andere Bein", fügte sie stöhnend hinzu. „Nicht ganz", erwiderte Tom gedehnt und zeigte auf die grauen Fäden, die jeweils links und rechts neben der langen Narbe aus dem Fleisch ihrer Wade sprossen und Adara schluckte leer. Tom hatte die Fäden noch gar nicht gezogen. Er hatte lediglich die Knoten aufgeschnitten. „Das wird wehtun, oder?", fragte sie mit geschlossenen Augen. „Ich will ehrlich zu dir sein", begann Tom und schaute ihr direkt in die Augen. „Das wird jetzt wahrscheinlich höllisch wehtun. Das wird wahrscheinlich der grösste physische Schmerz sein, den du je empfunden hast. Nein quatsch, das war nur ein Scherz. Es wird leicht ziehen und vielleicht ein wenig brennen, aber das war's dann auch schon. Es ist etwa doppelt so schlimm wie die Knoten aufzuschneiden und das gleicht ja dem Augenbrauenzupfen. Aber ich schwöre, ich werde alles versuchen, um es so schnell und so angenehm wie nur irgend möglich zu tun, okay?" Sie schaute ihn aus ihren weitgeöffneten, strahlend blauen Augen heraus an, antwortete jedoch nicht. Sie schien zu überlegen. Doppelt so schlimm wie das Lösen der Knoten? Sie würde sterben... Hier und jetzt. „Und nein, ich werde das hier unter keinen Umständen so lassen!", ergänzte Tom, als er ihren Gedankengang verfolgte. „Erstens ist das Infektionsrisiko einfach viel zu hoch und zweitens", er machte eine kurze Pause „und zweitens sieht es einfach nur scheisse aus", beendete er seinen Satz mit einem Seufzen. Sie schauten nun beide auf die stachelartigen Auswüchse, die für Tom aussahen, als hätte der Rasierapparat zeitweise den Geist aufgegeben und Adara musste unweigerlich kichern, was auch Tom zum Schmunzeln brachte. „Na dann", beschloss Adara mit einem ergebenen Seufzen, klammerte sich mit beiden Händen an den Sitz, biss die Zähne zusammen zu kniff die Augen zu. Tom besah sich seine Patientin mit einem stummen Kichern. Die Art wie sie dasass war irgendwie süss. Dann holte er eine Pinzette hervor, desinfizierte sie, setzte sie an den ersten Faden, drückte mit Daumen und Zeigefinger seiner Linken Hand auf die Haut um den Faden herum und zog. Adara zuckte zusammen und schrie. Der Schmerz war unerträglich. Ihre Fingernägel bohrten sich in die Sitzpolsterung. Kaum hatte sie sich erholte durchfuhr sie der nächste, ebenso stechende Schmerz und sie biss sich auf die Lippen. Sie wollte nicht wieder schreien, dafür fühlte sie Nässe um ihre Augenlider. Sie zitterte vor Schmerz. Ihr ganzer Körper war verkrampft, ihre Augen und Lippen zusammengepresst, ihre Finger im Sitz verkeilt. Tränen rannen ihr die Wangen hinab und Schweiss glänzte auf ihrer Stirn. Sie tat Tom unendlich leid. Er hatte nach dem fünften Faden aufgehört. So konnte er nicht weitermachen, so wollte er es nicht. „Fé, ich werde dir ein jetzt ein Schmerzmittel geben, dann wird es besser, ja?", fragte er mit bebender Stimme. Es war zwar Fé, die die Schmerzen verspürte, aber er litt auf jeden Fall mit ihr mit. Adara schluckte und versuchte mit ihrem Kopf zu nicken. Sie zitterte fürchterlich. Sie hörte, wie sich Toms Schritte von ihr entfernten, und auch, wie er einige Momente später wieder zurückkam. „Hier", hörte sie ihn sagen und öffnete ihre Augen. Der Schmerz liess langsam wieder nach. Er hielt ihr ein grosses Glas Wasser hin und etwas Kleines, Weisses, Ovales. „Das ist ein zuverlässiges Schmerzmittel. Es wirkt zwar besser, wenn es intravenös verabreicht wird, aber ich hab hier nicht die Mittel dazu, also muss es eben so gehen", erklärte ihr Tom. Adara schaute ihn verwirrt an und er begriff. Sie hatte ja schliesslich noch nie eine Tablette genommen. „Du musst das schlucken", sagte er. „Zuerst nimmst du die hier in den Mund und dann spülst du sie mit einem grossen Schluck Wasser hinunter." Zaghaft nahm Adara das Medikament entgegen, steckte es sich in den Mund und nahm einen grossen Schluck Wasser. Es war fürchterlich. „Und was jetzt?", fragte sie, als sie sah, dass Tom keine Anstalten machte, fortzufahren. „Jetzt warten wir darauf, dass es wirkt. Das sollte jeden Moment passieren", erklärte er. Und tatsächlich. Kaum hatte er es gesagt, begann sich Adaras Sicht zu vernebeln. Ihr wurde ganz komisch und sie konnte sich nicht mehr auf dem Stuhl halten. Die Schmerzen in ihrer Wade nahm sie tatsächlich nur noch von ganz fern wahr. Sie spürte, wie sie hochgehoben und fortgetragen wurde, konnte jedoch nicht dagegen protestieren. Sie hatte keine Kontrolle mehr über ihren Körper, konnte sich nicht bewegen. Sie wurde hingelegt. Sie nahm einen Schatten neben sich wahr, konnte sich aber nicht rühren, nicht schauen, was es denn war. Sie bekam es mit der Angst zu tun. Was passierte da gerade? Sie konnte nicht mehr denken. Wo war sie? Wer war da bei ihr? Sie spürte ein Zupfen irgendwo weit unten. Diese Stelle schien gar nicht mehr zu ihrem Körper zu gehören und doch, und doch fühlte sie diese Stelle. Und dann spürte sie noch ein Ziehen. Und noch eins. Und noch eins. Sie hatte kein Zeitgefühl mehr. Wie lange lag sie schon so da? Wie war sie hierhin gekommen? Weshalb lag sie eigentlich hier und wieso zupfte es denn an dem Punkt so weit unter ihr? Sie sah Sterne über ihr kreisen, die zu Punkten wurden, die wiederum zu Strichen wurden, die anfingen wie die Wellen zu tanzen. Sie sah Delfine, die regenbogenfarben über die Zimmerdecke glitten. Zimmerdecke. Wieso war da eine Decke, wenn sie doch Sterne... und Punkte... und ihre Delfine... Adara schloss mit aller Kraft, die sie noch aufbringen konnte ihre Augen und wohltuende Schwärze umfing sie. „Fé? Fé!", sie hörte, dass jemand rief, hörte es wie durch ein Kissen, durch eine Mauer aus Nebel. Sie wollte einfach weiterschlafen. „Fé! Wach auf! Fé!", hörte sie es nun deutlicher. Jemand rief nach ihr. Jemand tätschelte ihr die Wange und sie kam langsam wieder zu sich. Was war geschehen? Das Tätscheln hatte aufgehört und sie hörte, wie jemand sagte: „Es tut mir so leid." Augenblicklich wusste sie, was gleich geschehen würde. Sie musste unbedingt etwas tun, ansonsten... „Untersteh dich!"
Sie hatte es mit aller Willenskraft und Sicherheit gesagt, das wusste sie, und doch war nur ein kaum verständliches Gebrabbel über ihre Lippen gekommen. Sie öffnete ein Auge und sah den verdutzten, über ihr knienden Tom, der mitten in der Bewegung inngehalten hatte, den Arm erhoben und die Hand ausgestreckt. Ihr erster Instinkt hatte sie nicht getäuscht. „Fé!" Tom senkte den Arm wieder und stieg von ihr runter. Ihr war immer noch speiübel. Sie schluckte und stützte sich auf ihre Ellbogen. „Ganz ruhig", sagte Tom mit erhobenen Händen. „Was für ein Zeug... hast du mir gegeben? Ich wusste es. Du... du willst mich nur umbringen und... und über die Tür nageln", brachte sie hervor. „Was? Nein! Ich habe dir eines der besten Schmerzmittel, die es auf dem Markt gibt, gegeben. Du bist sogar eingeschlafen! Du hast überhaupt nichts bemerkt", versuchte er sich zu verteidigen. „Mir ist schlecht", unterbrach sie ihn. „Und ich hab... noch nie in meinem Leben so... farbige Delfine gesehen", fügte sie brabbelnd hinzu. „Bitte was?", fragte er unsicher und verwirrt. „Ich sagte, dass ich noch nie...", wiederholte sie und hob dabei ihren Zeigefinger. „Ach egal." „Sag mal, bist du etwa high?", fragte Tom ungläubig schmunzelnd. „Was fürn Hai? Red keinen Unsinn, ich bin... eine ganz... normale Meerjungfrau. Doch kein... Hai,du Dummi. Da gibt's... gewisse Unterschiede", protestierte sie und Tom krümmte sich vor Lachen. „Ich glaub's nicht!", jaulte er. „Ich glaub's einfach nicht!" Sie liess sich in die Kissen zurückfallen. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie in Toms Bett lag. Es dauerte eine Weile, bis Tom sich wieder erholt hatte. „Kann... Kann ich etwas für dich tun?", fragte er schmunzelnd. „Jaaa...", stöhnte Adara unter den Kissen hervor. „Mach, dass die Stimmen in meinem Kopf endlich ruhig sind, ich will schlafen", murrte sie und Tom prustete wieder los. Selbst ihm als Arzt war eine solche Reaktion auf ein Medikament noch nicht untergekommen. Da Fé aber keine bleibenden Schäden davontragen konnte, durfte er sich ohne weiteres über sie lustig machen. Er hatte alle Fäden ziehen können. Die Wunden waren perfekt verheilt und man sah die Stellen, an denen sich die Fäden befunden hatten kaum noch. Er hatte das Gefühl, dass man sie je länger je weniger sehen konnte. Fé schlief immer noch ihren Rausch aus. Er würde sie von Alkohol fernhalten, wenn sie schon so auf Medikamente reagierte. Er musste kichern. Er hatte ihr mit Sicherheit keine Überdosis verabreicht, er hatte ihr nur eine halbe Tablette gegeben. Diese Menge war für Kinder bestimmt. Er schüttelte sanft den Kopf. Fé war speziell, etwas ganz Besonderes, da war er sich sicher. Sie hatte einige Male im Schlaf etwas gesagt. Unzusammenhängende Worte gebrabbelt. Worte wie Amethyst, Marlene, Muschelpalst, Verrat, Orakel, Falsch, Vater, Sturm, Tod. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Was hatte das alles zu bedeuten? Hatte es überhaupt etwas zu bedeuten? Er würde Fé danach fragen. Sie konnte dem Ganzen mit Sicherheit einen Sinn verleihen. „Wasser", stöhnte Adara und drehte sich im Bett. „Geht's wieder?", fragte Tom freundlich. „Hast du einen Schluck Wasser für mich?", fragte Adara ohne auf Toms Frage einzugehen. Sie erinnerte sich nur bruchstückhaft an das Geschehene und es war ihr peinlich. „Hier, klares, frisches Wasser", sagte Tom ruhig. „Trink, das wird bestimmt helfen", fügte er hinzu, während er ihr das Glas reichte. Adara hatte sich aufgesetzt, nahm dankbar das Glas entgegen und leerte es in einem Zug. „Wie geht's deinem Kopf?" „Besser, danke", erwiderte sie und errötete kaum merklich. „Mhh... Möchtest du dich duschen?", fragte Tom unsicher. Adara zog die Augenbrauen zusammen und Tom lächelte. „Komm mit, ich zeig's dir. Kannst du gehen?" Mit diesen Worten ging er voraus, aus dem Schlafzimmer hinaus in den Flur und von dort aus gleich wieder rechts. Adara schwankte leicht, konnte ihm aber folgen. Ihr blieb der Mund offen stehen, als sie in das grosse, helle Badezimmer mit der riesigen, in den Boden eingelassenen Badewanne im hinteren Teil kam. Sie schaute sich nach allen Seiten um. Der Raum war mit weissen Fliesen ausgekleidet und an der Decke prangte ein riesiges Gemälde, das Schlingpflanzen, riesenhafte Bäume und eine kleine Oase in verschiedenen Grüntönen zeigte. Links neben der Tür war ein deckenhoher, dunkelbrauner Handtuchtrockner an der Wand angebracht, der Tür gegenüber war eine bodentiefe Fensterfront, damit man von der Badewanne aus direkt aufs Meer blicken konnte. Auf der linken Seite sah Adara einen eleganten, ebenfalls dunkelbraunen Doppelwaschtisch aus Stein, über dem ein grosser Spiegel hing. Licht schien aus kleinen Spots, die in die Decke eingelassen waren und gegenüber dem Waschtisch bemerkte sie ein unförmiges, aus Stein gehauenes Etwas, das wie ein Sitz mit einem grossen Loch in der Mitte aussah. Neben diesem Etwas, in etwa einem Meter Abstand stand ein hoher Quader aus milchigem Glas und dunklen Eckrändern. Der hintere Teil mit der Badewanne war durch zwei schulterhohe Mauerstücke vom vorderen Teil getrennt. Wohl um die Privatsphäre gegen aussen doch noch ein bisschen zu wahren. An den Wänden war auf Schulterhöhe ein zwanzig Zentimeter breiter, ebenfalls gefliester Absatz angebracht, dem Adara mit dem Blick rundherum durch den Raum folgte. Auf diesem Absatz waren überall kleinere und grössere Dinge abgelegt worden. Sie sah das Modell eines Segelschiffes, mehrere Plastikflaschen, die wohl irgendwann das Meer verschmutzen würden, grüne Vorhänge, die an den Fensterrändern gerafft waren und durch dünne, helle Kordeln zurückgehalten wurden. Sie sah mehrere Zylindrische Gläser, die mit Sand, Muscheln und Seesternen gefüllt waren. „Das ist meine kleine Wohlfühloase", sagte Tom und Stolz schwang in seiner Stimme mit. Adara fand keine Worte. Dieser Raum war einfach wundervoll, wie Tom es gerade beschrieben hatte: eine echte Wohlfühloase. „Also, das hier ist die Dusche", begann Tom. „Du stellst dich nachher hier rein", er deutete auf die deckenhohe Glaskammer „und ziehst an diesem Hebel hier. Wenn du dann nach rechts drehst, wird das Wasser kälter, nach links wird's wärmer. Um das Wasser wieder abzuschalten drückst du einfach wieder nach oben. Alles klar?", fragte er mit erwartungsvollem Blick. „Ja, ähm nein", antwortete Adara. „Muss ich da mit oder ohne Kleider rein?", fragte sie etwas zaghaft. Tom musste lachen. „Natürlich ohne! Du kannst sie einfach irgendwo hinlegen. Ich bring dir dann neue." Zwischen ihnen breitete sich wieder eine unangenehme Stille aus. „Dann", murmelte sie und zeigte mit dem Daumen auf die Tür hinter sich. „Ja natürlich", erwiderte Tom, der den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden hatte und verliess mit hochrotem Kopf das Bad. Als die Tür hinter ihm zugefallen war drehte sich Adara wieder um und besah sich die kunstvoll verzierte Decke, die in abwechselnd zarten und kräftigen Grüntönen gestrichen war und das Gefühl vermittelte, die Raumdecke befände sich zehn Meter weiter oben. Dann begann sie sich auszuziehen und hängte ihre Kleider feinsäuberlich an dem Handtuchtrockner auf. Dann zog sie an dem Edelstahlknauf, der die Tür der Dusche versah und ging in den geräumigen Nass-Raum mit dem Steinboden. Drei der vier Duschwände waren aus Glas, das von den Knien bis zu den Schultern milchig war, die vierte Wand und der Boden der Dusche waren dunkelgrau und standen im Kontrast mit dem glänzenden Duschkopf über ihr. In der Dusche hätten ohne weiteres vier Leute Platz gehabt. Sie zog an dem Hebel vor ihr und kaltes Wasser schoss aus dem Duschkopf. Tom stand gerade wieder vor dem grossen Kleiderschrank seiner Mutter und kramte frische Kleider daraus hervor, als er einen dumpfen Knall hörte. „Tom?", rief Fé einen Augenblick später von unten. „Scheisse, was ist da nur passiert?", fuhr es ihm durch den Kopf und er rannte aus dem Zimmer. Hätte er sie besser noch einen Moment liegen lassen sollen? Hatte das Medikament doch noch nachgewirkt und Fé die Kontrolle über ihren Körper verlieren lassen? Er eilte durch den Flur, die Wendeltreppe hinunter, durch den anderen Flur und kam rutschend vor der Badezimmertür zum Stehen. „Fé? Was ist passiert. Fé?", rief er hektisch durch die Tür. Er hörte das Wasser immer noch rauschen. Fé stand womöglich immer noch unter der Dusche. Er konnte da jetzt nicht reingehen, oder? „Ehrlichgesagt könnte ich hier gerade etwas Hilfe gebrauchen", kam die Antwort von der anderen Seite. Was zum Teufel sollte das denn bitte heissen? Tom keuchte. Was sollte er jetzt tun? „Wie meinst du das jetzt?", fragte er verblüfft. „Nun ja, ich meine, dass ich jetzt gerne hätte, dass du hier hereinkommst und mir kurz hilfst", erwiderte sie. Tom stockte der Atem. Das konnte sie doch wohl nicht ernst meinen. Wobei sollte er ihr wohl helfen können? Er zog die Augenbrauen zusammen. „Wo bist du gerade, Fé?" „Unter der Dusche" „Und... du willst, dass ich reinkomme. Jetzt", stellte er sicher. „Ja, genau das möchte ich", bejahte sie. Er verharrte einen weiteren Moment vor der Tür und stritt sich im Geiste mit sich selbst über das, was er jetzt tun sollte. Er konnte ja schlecht einfach so ins Bad spazieren während sich eine junge Frau dort duschte. Nackt. Unter der Dusche. Auch dann nicht, wenn sie es ausdrücklich wünschte? Schlussendlich machte er die Tür auf und ging mit geschlossenen Augen auf die Stelle zu, wo die Dusche stand. Er stellte sich mit dem Rücken zur Dusche hin. „Was ist los?" „Wenn du dich umdrehen und die Augen öffnen würdest, dann wüsstest du es!", kam die ungeduldige Antwort und Tom spürte, wie sein Kopf puterrot wurde. Nackte Menschen zu sehen war eigentlich nichts Neues für ihn als Arzt. Jedenfalls wenn sie bewusstlos oder tot waren...
Er hatte wohl keine andere Wahl. Er würde hier und jetzt sein Gentleman-Image verlieren. Tom drehte sich ganz langsam um und öffnete seine Augen. In der Dusche stand niemand. Was zum...? schoss es ihm abermals durch den Kopf und er blickte sich suchend um. „Hier unten...", seufzte Adara und Tom schaute zu Boden. An der gläsernen Duschwand klebte eine silberne Schwanzflosse, die mit einem lauten Platschen auf dem Boden auftraf, als er die Glastür öffnete. Da, auf dem Boden der luxuriösen Regenwalddusche hockte Fé nun wieder als Meerjungfrau, mit nassen Haaren und auf ihre Ellbogen gestützt. „Ich komm nicht mehr an den Wasserknopf ran", erklärte sie mit entschuldigender Miene. Tom war nach Lachen zumute, so banal ihm diese Situation vorkam. Ein schmunzeln konnte er sich jedoch nicht verkneifen. „Was ist an meiner Situation denn bitte so lustig?", fragte Adara. „Meerjungfrau in Nöten und der Herr lässt sich alle Zeit der Welt um seinen Hintern hierher zu bewegen." Nun mussten sie beide lachen. Tom würde ihr ganz bestimmt niemals erzählen, dass er gedacht hatte, sie wollte ihn unter der Dusche verführen oder sonst was mit ihm tun. Das war ihm einfach viel zu peinlich. Wie war er nur auf die Idee gekommen, dass Fé so sein könnte? Und Adara hätte ihm nie gestanden, dass sich ihr Körper noch immer bei jedem Mal, wenn Tom in ihr Sichtfeld trat, anspannte. Obwohl sie eigentlich keine Angst mehr vor ihm hatte. Er setzte einen Fuss in die Dusche und beugte sich zum Wasserregulationsventil um es zuzudrücken. Auf halben Weg rutschte er aber auf dem nassen Boden aus, schlug mit der Nase an der steinernen Duschwand auf und glitt an ihr herab auf den Boden. „Mist", fluchte er leise. „Pass auf, du blutest", sagte Adara erschrocken. Das hatte sie nun wirklich nicht gewollt. Tom tastete seine schmerzende Nase ab. „Gebrochen", stellte er mit einem leisen Seufzer fest und kniff schmerzhaft die Augen zusammen. „Das wird morgen richtig wehtun", fügte er in Gedanken hinzu. „Darf ich mal sehen?", fragte Adara leise. „Du kannst nichts tun, Fé." „Doch, kann ich", erwiderte sie ohne zu zögern. Sie hatte ihre Finger schon an Toms Nase gelegt und augenblicklich durchfuhr ein wohliges Kribbeln Finger und Nase und er merkte, dass das Blut nicht mehr innseitig an seinen Nasenflügeln herabfloss. „Du kannst das auch bei anderen?", fragte er mit der immer noch von Fé zugehaltenen Nase. Adara musste kichern. „Klar. Und noch einiges mehr, wenn du wüsstest!", gluckste sie. „Wenn ich was wüsste?", fragte Tom neugierig, was ihm einen strafenden Blick einbrachte. „Wenn du es sowieso nicht sagen willst, dann hör auf, mich mit solchen Bemerkungen anzustacheln!", rief er in gespielt empörtem Tonfall und mit immer noch zugehaltener Nase. Ein Moment des Schweigens verging, in dem Tom durch die Wasserstrahlen Fé zuschaute, wie sie sich auf ihre Hand konzentrierte. Er schaute ihr perfektes Gesicht an, ihre perfekte Haut und ihre traumhaften, speziellen, blauen Augen. „Ich denke, deine Nase ist jetzt wieder heil", erklärte sie dann plötzlich. Das Kribbeln in seinem Gesicht hatte aufgehört. Er befühlte seinen Nasenrücken und kam zu dem Schluss, dass sie rechthatte. „Danke Fé." Er stand mit wackeligen Beinen auf und drehte das Wasser ab. Dann setzte er sich wieder neben die Meerjungfrau in seine Dusche. „Keine Ursache", erwiderte Adara „erstens hab ich das gern gemacht, und zweitens...", sie legte eine Pause ein. „Und zweitens hätte das einfach nur scheisse ausgesehen", ergänzten sie wie aus einem Mund und prusteten wieder los. „Das ist jetzt blöd gelaufen", sagte Tom nach einer Weile. Adara schaute ihn von der Seite an. „Was denn?"
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