67. Organisationsprobleme

„Ist alles in Ordnung?", fragte Tom besorgt, als sie Hand in Hand den schmalen Trampelpfad zum Haus hinaufgingen. Adara war noch immer in ihren Gedanken versunken, blickte nun aber hoch. Langsam nickte sie. „Sieh es mal so", versuchte er sie aufzumuntern und stellte sich ihr in den Weg „wir haben noch neun ganze Tage und Nächte vor uns." Er lächelte, als er seine Lippen auf ihre senkte und sie sich küssten, als sie ihre Arme um seinen Körper schlang und sich an ihn drückte wie ein Schiffbrüchiger an eine großes Stück Treibholz. „Komm", wisperte er und gemeinsam brachten sie auch das letzte Stück des sandigen Pfades hinter sich. Es war trotz allem ein herrlich schöner Tag. Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Himmel und das Meer rauschte beharrlich im Hintergrund. Hohe Wellen brachen an den Felsgebilden und die weißen Schaumkronen waren selbst aus dieser Entfernung erstaunlich gut zu erkennen. Die Möwen schrien gelegentlich und der Wind zerrte an den Gräsern und ihrer Kleidung. Noch ehe die Haustür hinter ihnen ins Schloss gefallen war, hatten sich Toms Lippen wieder ihren Weg zu Adaras gebahnt. Sie stolperten auf die Couch zu, seine Rechte Hand ruhte an ihrem Hals, während die andere vergeblich nach Halt suchend in der Luft herumirrte. Er spürte, wie sein linker Fuß hängen blieb - wahrscheinlich an dem dummen Sesselbein, das ihm schon seit langem ein Dorn im Auge war - und keine Sekunde später fielen sie beide wie ein frei in den Raum gestelltes Holzbrett der Länge nach hin, glücklicherweise landete Fé mit dem Rücken auf der Couch und Tom längs auf ihr drauf. Mit einem bedrohlichen Knacken beschwerte sich das Möbelstück über das plötzlich zu tragende Gewicht, doch die beiden Liebenden ließen sich davon nicht beirren. Adara hatte ihre Arme noch immer um Toms Hals geschlungen. Doch in dessen Kopf tauchten plötzlich Bilder und Fragen auf. „Warte", keuchte er zwischen zwei Küssen, schaffte es jedoch nicht gleich, sich von Fé zu lösen. „Warte", wiederholte er, wie um sich selbst zu überzeugen und richtete sich mühsam auf. Es musste eine Sache unbedingt klären, bevor sie wieder miteinander schliefen, obwohl es ihm eigentlich gegen den Strich ging. Fé hatte sich ebenfalls aufgerichtet und schaute ihn abwartend an. „Ich muss eine Sache von dir wissen", begann Tom, doch genau in diesem Moment klingelte sein Telefon. „Verdammt", zischte er und entschuldigte sich, bevor er aufstand und sich auf die Suche nach seinem Handy begab. Als er es endlich gefunden hatte - irgendwie war zwischen die Kiwis und die Orangen in die große Obstschale auf der Küchenzeile gelangt - hob er etwas atemlos ab. „Ja?", keuchte er erwartungsvoll in das Plastikteil. Einen Moment später verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck. „Wie bitte? Das kann nicht sein. Warten Sie, Clarence, sprechen Sie etwas langsamer, ich verstehe Sie ja kaum. Ja. Wie genau haben Sie das bemerkt? In zehn Minuten sind Sie hier? Ja, das kann ich machen. Bringen Sie die Unterlagen gleich mit. Wir sehen uns."

Mit ernster Miene sah er zu Fé hinüber, die noch immer auf dem Sofa saß und das Gespräch mitangehört hatte. Auch auf ihrem Gesicht spiegelte sich ein Ausdruck der Besorgnis wider, auch wenn er bei ihr mit sehr viel Verwirrung vermisch war. „Clarence Perry Rattonburgh kommt gleich vorbei. Anscheinend fehlt Geld in der Organisationskasse", berichtete kurz und warf sein Handy unachtsam auf den Esstisch. „Was?", erwiderte Fé ungläubig und erhob sich, um zu ihm herüber zu kommen. Tom nickte in Gedanken versunken. „Ich kann es mir auch noch nicht erklären", gab er zu. „Du wolltest mich noch etwas fragen", kam sie nach einem Augenblick des beharrlichen Schweigens auf das vorherige Gesprächsthema zurück, doch Tom winkte ab. „Können wir das verschieben? Es dauert glaube ich etwas länger." Adara nickte. „Natürlich, kein Problem." Tom hatte im Moment gerade nicht die Nerven dazu, sich über die Organisation und den vermutlich folgenschweren, aber dennoch unvergleichbaren ungeschützten Sex Gedanken zu machen. Und da Perry bald schon hier sein würde, musste das andere eben warten. Einige Minuten später klingelte es tatsächlich und ein von Securitypersonal umringter Clarence stand wie ein geschlagener Hund vor der Tür. Tom ließ ihn herein und sogleich packte er Blätter und Mäppchen aus seiner Aktentasche. „Ich bin gestern mit Rosa die Buchhaltung des letzten Quartals durchgegangen, wie eigentlich immer - und dann sind wir auf diese... Ungereimtheiten gestoßen..."

Er warf Tom hilflose Blicke zu und stützte sich auf die massive Tischplatte, als würden ihn seine Beine nicht mehr tragen wollen. Sein Gesicht war hochrot angelaufen und der arme Mann schwitzte fürchterlich. Tom klopfte ihm gutmütig auf die Schulter. „Setzen Sie sich erst einmal. Und dann erklären Sie mir ganz in Ruhe, was nicht stimmt." Er stellte ihm ein großes Glas Wasser hin, welches Clarence in wenigen Zügen ausgetrunken hatte. Adara füllte einen Krug mit Wasser, darauf erpicht, bloß nichts zu verschütten und sich unbeabsichtigter Weise hinter der Theke in einen Fisch zu verwandeln. Tom schien denselben Gedanken gehabt zu haben, denn er musterte sie aufmerksam, beinahe schon besorgt. Doch sie stellte das gläserne Gefäß schließlich auf den Tisch und setzte sich zu Tom und Clarence Perry Rattonburgh an den kreisrunden Tisch. „Schauen Sie hier", meinte der Mann mit dem mausgrauen Schnurrbart und dem kahlen Haupt auf einige Dokumente zeigend. „Diese Zahlungsausgänge schienen mir suspekt. Als ich dann etwas nachgeforscht habe, sind immer mehr dazugekommen." Er wischte sich mit einem Taschentuch übers Gesicht. Nun runzelte auch Tom die Stirn. „Was sind das für Überweisungen?", fragte er den Vorstandsvorsitzenden und nahm die Dokumente an sich. „Ich weiß es nicht, das ist ja das Seltsame. Auch Rosa - unsere Kassiererin - konnte sich darauf keinen Reim machen. Es handelt sich über dutzende Zahlungen in den letzten zwei Jahren, immer über einige tausend Euro auf ein Konto auf den Bahamas." „Über wie viel sprechen wir hier, Clarence?", wollte Tom wissen. Er war wieder ganz der ernste Geschäftsmann, den Adara seit dem Sommernachtsball nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Sie stand schon einige Zeit still schweigend daneben und beobachtete die Szene. Clarence Perry Rattonburgh hatte offensichtlich Mühe, mit der Sprache rauszurücken. Erneut tastete er sich erst mit dem Tuch über die Stirn, bevor er stotternd zu sprechen begann. „Insgesamt... nun ja, ähm... nun ja, ich denke... zweieinhalb Millionen." Tom zog scharf die Luft ein. Ein beharrliches Schweigen setzte ein, in dem Tom sich erneut die Zahlungsausgänge anschaute. „Wie konnte das nur passieren?", murmelte nach einer Weile und schüttelte fassungslos den Kopf, bevor er seinen Blick wieder hob und den älteren Mann musterte. Dieser schien regelrecht auf seinem Stuhl zu schrumpfen. „Ich ich ich weiß es wirklich nicht", versicherte er mit erhobenen Händen, was Tom keineswegs zufriedenstellte. „Ich will, dass der Verantwortliche gefunden und zur Rechenschaft gezogen wird. Haben wir uns verstanden?", stellte er klar und musterte Clarence erneut, der unter den Worten zusammengezuckt war. Enttäuscht schüttelte Tom den Kopf und schnalzte mit der Zunge. „Sie haben keine Ahnung, was das zu bedeuten hat, nicht wahr?" Er hob eine Augenbraue und ließ seinen Blick nicht von dem schwächlichen Mann mit der Halbglatze weichen. Dieser schien sogar noch mehr zu schwitzen als zuvor - sollte dies überhaupt möglich gewesen sein. Schließlich schüttelte er allerdings den Kopf und Tom erhob sich seufzend von seinem Platz. „Ich rufe jetzt die Polizei und melde den Diebstahl. Danach werden wir sehen, wie wir weiterfahren müssen." Adara schenkte dem Mann, der wohl nicht mehr lange auf seine Pension zu warten brauchte, einen mitleidigen Blick. Er wirkte schon fast verängstigt und konnte nun wirklich nicht viel für den Schlammassel.

Keinehalbe Stunde später stand ein Wagen auf der Wiese vor dem Haus und keinGeringerer als Oberkommissar Vincent Roderick trat zur Tür herein. „Ah, sosehen wir uns also wieder", begrüßte er die Anwesenden mit einem zugegebenabschätzigen Blick. Obwohl niemand etwas sagte, konnte man die Spannung im Raumförmlich riechen. Tatsächlich roch Adara etwas, doch das war mit Sicherheitnicht die Spannung sondern vielmehr das beißende Rasierwasser, das an demBeamten haftete wie ein Ölteppich und sie zum Würgen brachte. Tom hingegenverspürte bei m Anblick des Polizisten den heftigen Drang, ihm die Nase zubrechen. Er beherrschte sich aber, nicht zuletzt weil Fé im selben Raum war. Erräusperte sich und bemühte sich um ein möglichst neutrales Auftreten, schildertedie Sachlage, blieb dabei jedoch auffällig kühl und distanziert. Es waroffensichtlich, dass keiner der beiden Männer große Lust verspürte, mit demjeweils anderen zusammenzuarbeiten. Der Kommissar schien sich dennoch sehr fürdie verschwundenen Organisationsgelder zu interessieren und den Fall ernst zunehmen, auch wenn er Tom mehrmals durch die Blume aushorchte, ob er denn nichtselbst Hand angelegt hätte. Natürlich hatte er es nicht dermaßen offenformuliert, aber dennoch war die Botschaft angekommen und hatte nicht gerade zueinem freundschaftlichen Verhältnis zwischen den beiden beigetragen. Nach einergefühlten Ewigkeit und einem schier endlosen Hin und her von Fragen undGegenfragen, auf die selten eine Antwort folgte, kamen sie endlich zu einemSchluss. „Ich werde die Bankenverbindungnachverfolgen lassen. Wenn wir Glück haben und die Transaktionen perOnlineüberweisung getätigt wurden, lässt sich die IP-Adresse ausfindig machen.Dann hätten wir den Übeltäter ziemlich schnell", meinte Vincent Roderick undstrich sich übers Kinn. Er war versunken in seinen Gedanken und starrte auf diePapiere in seinen Händen. „Ich werde das weiterleiten und melde mich bei Ihnen,sobald wir etwas haben." Einen letzten, abschätzenden Blick warf er sowohl Tomals auch Adara zu, dann zog er von dannen, fast zwei Stunden nachdem er hieraufgekreuzt war und auch Clarence machte sich ziemlich schnell aus den Socken.Der Arme war mittlerweile bis auf die Knochen durchnässt von seinem eigenenSchweiß. Als die Haustür hinter ihnen im Schloss landete, atmete Adara hörbartief ein, verschluckte sich an den Überbleibsel des miefigen Männerparfums undhustete so sehr, dass sie um Atem ringend zum Fenster stürzte. Tom folgte ihralarmiert, doch der plötzliche Husten legte sich ebenso schnell, wie ergekommen war. „Das eben war ziemlich seltsam", brachte sie hervor und schauteihn an. Sie stand der ganzen Sache mit gemischten Gefühlen gegenüber, ebensowie Tom, der noch nicht darauf geantwortet hatte. „Findest du nicht auch, dassRoderick viel länger hier geblieben ist, als es nötig gewesen wäre?", fragtesie in die Stille hinein, ihren Blick nicht von Tom weichen lassend. Diesernickte langsam. „Vielleicht hast du recht. Clarence hat sich aber auch äußerstseltsam verhalten. Ich kenn ihn so gar nicht. Als hätte er vor etwas Angstgehabt. Schon die ganze Zeit über." Er konnte sich darauf keinen Reim machen.Irgendetwas war hier durch und durch faul, er wusste nur noch nicht was. „Denkstdu, er hat das Geld genommen?", fragte Fé nach einer Weile nachdenklich. AberTom schüttelte nur den Kopf. „Nein. Er wäre niemals so dumm, uns auch nochdarauf aufmerksam zu machen. Ich an seiner Stelle hätte mich stillschweigendaus dem Staub gemacht. Wahrscheinlich ist genau das auch schon passiert, alsokönnen wir uns das Verhörspiel eigentlich auch sparen." Er hatte es leid, seineKräfte für solch belanglose Dinge aufzuopfern. Die Organisation war schließlichgut versichert, dafür hatte seine Mutter immer gesorgt. Die Polizei musstejetzt nur noch den Langfinger ausfindig machen und schon würde das Geld ersetztwerden. So kompliziert konnte das ja schließlich nicht sein. Die Sonne standtief am Himmel, in wenigen Stunden würde sie schon wieder untergehen und Tomkonnte es kaum fassen, dass ihm nun schon wieder ein Tag, den er mit Adarahätte auskosten können, entronnen war. Blieben also nur noch acht übrig.Unfassbar, wie schnell die Zeit doch rennen konnte. Wie ein Marathonläufer mitTurboschuhen. „Lass uns etwas essen", schlug er vor und vertrieb weitereGedanken an das Thema Diebstahl endgültig aus seinem Oberstübchen.


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Hallo :) Soo, jetzt hab ich eeeeeeeenlich das nächste Kapitel fertig gestellt ^^ Ab Morgen haben wir die ganze Woche über Übungs-Maturitäts-Prüfungen. (Scheisswort XD)

Ich weiss nicht mehr, wer gefragt hat oder unter welchem Kapitel, aber ich habe die Photographie, die bei Tom auf dem Klavier steht mal gezeichnet (Oder es zumindest versucht.) Ihr findet das Bild, wenn ihr unter Medien schauen geht oder unter dem Kapitel "42. Beautiful Memories". Ich hoffe, es gefällt euch :)

<3 <3 <3

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