61. Kuss die Zweite
Sein Herz begann wie wild zu pochen, sodass er kurzfürchtete, es würde ihm bald aus der Brust springen. Er konnte auf einmal hören, wie sei Blut in seinen Ohren rauschte, wie es in seinen Zehen pulsierte. Er kam Fé immer näher. Sie rührte sich nicht, machte keinen Wank, hatte ihre Augen noch immer geschlossen. Er würde sie jetzt küssen. Seine Gedanken rasten wie von einem Tornado mitgerissene Blätter orientierungslos durch seinen Kopf, was das Denken nicht nur schwer sondern schier unmöglich machte. Fé's Geruch stieg ihm in die Nase, eine Wohltat für Leib und Seele, ein Bouquet aus süßen und würzigen Duftnoten, die mit dem immer präsenten Salzgeruch verschmolzen.
Und dann tat er es. Und seine Lippen begannen sogleich wieder zu brennen, während in seiner Magengrube abertausende Minifeuerwerkskörper gezündet wurden. Ihre Lippen waren weich, warm und schmeckten seltsamerweise nach Holunder. Ihr Körper war auf einmal so unglaublich nah, dass er aus Versehen ihr Knie mit seinem eigenen streifte. Doch was ihn am allermeisten verwunderte, war, dass Fé ihn auch küsste. Und zwar ziemlich leidenschaftlich! Nur am Rande bekam er mit, wie das monotone Klicken der Kamera wieder und wieder ertönte. Für ihn war die ganze Welt um sie herum wie ausgelöscht. Als hätte man einen Liter Tintenkiller über ein Bild gekippt. Alle Farben verschwammen vor seinen halbgeschlossenen Augen, wurden zu groben, ineinander übergehenden Flecken. Seine Hand wanderte zu ihrem Hals, fand ihren Nacken und zog sie sanft enger an sich heran. Es war ein berauschendes Gefühl. Ihr Atem streifte warm seine Wange und ging ebenso stoßweise wie sein eigener. Irgendwann wurden sie fast schon rüde unterbrochen und fuhren auseinander. „Ist gut! Ihr könnt jetzt aufhören, die Bilder sind im Kasten!", rief der Photograph ihnen zu. Wie von der Wespe gestochen machte Fé einen Satz rückwärts und sie beide wagten es kaum mehr, sich anzusehen. Danach war das Shooting beendet, die Leute packten das Material wieder ein, Der Photograph bedankte sich bei Alexander Palmer für die Zusammenarbeit und gemeinsam witzelten sie über die Geschehnisse des Vormittags. Adara wurde wieder hinter den Sichtschutz gezerrt und aus ihrem Kleid befreit. Fast wie zu Beginn fühlte sich Tom wie ein angebundener Hund, den niemand haben wollte, wie ein Paket, dass man zwar bestellt, aber vergessen hatte abzuholen. Etwas verloren stand er am immer magerer werdenden Set und wartete einfach ab. In seinem Oberstübchen wurde der Betrieb nur sehr langsam wieder aufgenommen. Zu sehr hatte ihn dieser Kuss – dieses unglaubliche Ereignis und der definitive Höhepunkt des Tages – aus der Bahn geworfen, ihn wie der Blitz getroffen. Nur fühlte er sich gar nicht so. Seine Füße fühlten sich so federleicht an, dass Tom schon beinahe versucht war zu glauben, dass sie und nicht sein Kopf an der Wasseroberfläche getrieben wären, wenn er es ausprobiert hätte. Auch Fé schien unnatürlich fahrig zu sein, als sie wieder hinter dem Sichtschutz hervortrat, musste noch zweimal zurückkehren, weil sie Hut und Handtasche vergessen hatte und eilte dann schon fast an Tom vorbei ohne ihm in die Augen zu schauen. Auch einige Stunden später, als sie auf dem Weg zum Flughafen waren, herrschte noch diese Stille zwischen ihnen. Tom wurde erst da und reichlich schmerzhaft bewusst, dass sie schon wider beinahe eine Woche „verloren" hatten. Ganze fünf Tage hatten sie in London verbracht. Jetzt bereute er es, dass sie keine Zeit gefunden hatten, um die Stadt zu besichtigen. Adara war die ganze Zeit über mit diesem Alexander unterwegs gewesen und ab Mittwoch hatte Tom die Nase dann voll gehabt, den Aufpasser zu spielen und war im Hotel geblieben. Bei dem Gedanken an Fé, wie sie sich mit diesem Palmer vergnügte, war ihm die Galle sauer aufgestoßen. Nun grinste er bei der Erinnerung. Ja, er grinste. Er grinste, weil er tatsächlich gedacht hatte, ein arroganter, stinkreicher und obendrein sexuell anders orientierter Mann, dessen Haarpracht ganz dezent schon zu schwinden begann, könnte ihm die Frau seines Lebens abspenstig machen. Nicht, dass er selbst mit ihr leiert gewesen wäre, sie hatten sich erst einmal – zweimal, korrigierte er sich in Gedanken – geküsst und so ganz sicher war er sich immer noch nicht, ob Fé seine Gefühle erwiderte. Aber sie hatten sich geküsst und das Gefühl dabei war einfach unbeschreiblich gewesen. Tom grinste auch noch, als er dem Taxifahrer sein Geld überreichte und einen großzügigen Bonus obendrauf legte. Vielleicht war es eben wegen seines Grinsens, vielleicht auch des üppigen Trinkgeldes wegen, aber der Taxifahrer musterte ihn daraufhin nur skeptisch, bedankte sich dann zögerlich und stieg, als sie ein Stück vom Wagen fortwaren, besorgt aus, um die Rückbank genauer zu betrachten. „Ist alles okay mit dir?", fragte ihn Adara, der das breite Grinsen in seinem Gesicht ebenfalls nicht entgangen war. Tom nickte nur zur Antwort. So leicht wie Fé gab sich der Sicherheitsbeamte wenige Minuten später allerdings nicht zufrieden und bestand auf sämtliche Drogentests, die ihm zur Verfügung standen. Doch wie erwartet fielen die allesamt negativ aus. Wie auch sonst? Seine Droge hatte lange blonde Haare und trug den melodischen Namen Adara Faè Cahaya. „Führen Sie irgendwelche Waffen mit sich?", fragte der Mann in der dunklen Uniform plötzlich und riss Tom aus seiner Tagträumerei. „Nein, um Gottes Willen!" Die Prozedur ging noch fast zwanzig Minuten weiter – der Beamte war felsenfest davon überzeugt, bei dem dümmlich Grinsenden irgendwas Illegales zu finden – und endete erst, als jeder Kubikzentimeter seiner Reisetasche doppelt und dreifach durchsucht worden war. Immerhin hatten sie nicht auch noch die Drogenspürhunde auf den Platz gerufen. Ihr Flugzeug erreichten sie dennoch rechtzeitig.
Es war eine verdammt seltsame Situation. Jedes Mal, wenn sie sich wieder ein Stück näher zu kommen schienen – und dieses Mal hatte er sie sogar wieder geküsst, wenn auch irgendwie nicht ganz freiwillig, wie es den Anschein hatte – wurde die Distanz zwischen ihnen wieder grösser. Sie schauten sich nicht mehr an, fuhren erschrocken auseinander, wenn sie sich zufällig berührten und in den letzten drei Stunden hatten sie kaum ei Wort miteinander gesprochen. Als das Flugzeug langsam Flughöhe erreichte, schaute Adara verträumt aus dem schmalen Fenster auf die dahinziehenden Wolken unter ihnen. Sie hätte es sich niemals erträumt, diese Aussicht je genießen zu können. Aber trotz der Schönheit der Natur drückten ihre Gedanken wie schwere Gewitterwolken ihre Stimmung. Was war nur mit Tom los? Er verhielt sich so seltsam. Seit sie in London waren, war er immer grimmiger geworden, zuletzt sogar patzig. Dass er Alexander Palmer nicht gerade mochte, wusste sie. Auch, dass zwischen den beiden wohl nie die Männerfreundschaft schlechthin erblühen würde. Und dann war dann noch dieser Kommentar am Set gewesen. Einfach alle hatten es gehört. War er etwa eifersüchtig? Auf Alexander? Und vor allem: Wegen ihr? Und er hatte sie geküsst. Sie wusste nicht, ob sie empört oder glücklich oder sogar eher beunruhigt sein sollte deswegen. Es hatte sich so gut angefühlt, so richtig. Alles in ihr hatte zu vibrieren begonnen, wie wenn wachgerüttelte kleine Nordseekrebse zu tausenden über sie gekrabbelt wären. Jedes einzelne Haar ihres Körpers hatte sich aufgestellt, als er sie sogar noch näher an sich herangezogen hatte. Es war eine so sanfte, so unscheinbare Geste gewesen und dennoch. Und wie er sie zuvor angeschaut hatte. Als blickte er direkt in ihre Seele. Eigentlich hätte sie das verhindern können, ja es sogar müssen, aber bei Tom fiel ihr all das so schwer. Das Verstecken, sich verbarrikadieren, stolz und verschlossen bleiben wie eine Auster, die ihre Perle gut geschützt in ihrem Bauch trug. Dafür war es umso einfacher mit ihm zu lachen. Mit niemandem sonst konnte sie so locker und unbeschwert sein, noch nicht einmal Zuhause. Zuhause. Wie sich das wieder anhörte. „Miss? Möchten Sie etwas?", fragte die freundlich lächelnde Flugbegleiterin erneut und Adara wandte sich ihr etwas verwirrt zu, schüttelte kurz darauf den Kopf. „Nein danke." Sie fing Tom's Blick auf, der sie von der anderen Seite des Ganges her musterte. Er grinste noch immer und Adara konnte nicht aufhören, sich zu fragen, weshalb. Immerhin trafen sich ihre Blicke nun wieder, wenn sie auch der Mittelgang und zwei Sitze trennten. Er war schon ein ansehnlicher Mann, schoss es ihr auf einmal durch den Sinn und sie wandte den Blick peinlich berührt ab, aus Angst zu erröten. Woher war denn das bitte gekommen, fragte sie sich und schüttelte geistesabwesend den Kopf. Eine halbe Stunde später landeten sie schließlich in Dublin. Auf der Heimreise herrschte beharrliches Schweigen zwischen ihnen.
Er konnte sich einen schönen Narren schimpfen. Da hatte er es endlich geschafft, diese kleine Ratte aus ihrem Versteck zu treiben und nach London zu bugsieren und hatte dennoch nicht die Umsicht gehabt, sich selbst ebenfalls auf die Socken zu machen. Er hasste es, wenn ihm sein Ziel durch die Lappen ging. Er fühlte sich so hilflos, wie wenn ihm Sand durch Finger wegrieselte. Er konnte einfach nichts dagegen tun. Nur hatte er auf die Schnelle nirgends mehr in London ein Hotelzimmer gefunden, nicht einmal mehr die Jugendherbergen hatten ihn noch aufnehmen wollen und die Flüge erst! Waren auf den letzten Drücker immer schweineteuer. Er knirschte mit den Zähnen, wie er es in den letzten oft getan hatte, wenn er wieder an Thomas Right gedacht hatte. Er saß am Kamin und starrte mürrisch in die lodernden Flammen. Vor noch nicht allzu langer Zeit, noch im vorigen Winter hatte er hier zusammen mit Bruder und Mutter gesessen, nun war er alleine. Wenn er nur endlich seinen Plan realisieren konnte! Er hasste es, das Notwendige aufschieben zu müssen und besonders in diesen Tagen saß er wie auf Kohlen. Wenn es ihm gelang, wenn er mit alledem durchkam und man ihm nichts nachweisen konnte – so schwierig konnte es schließlich nicht werden, dem Right-Schnösel auch einen Unfalltod anzuhängen – wäre er bald schon Chef zweier Großkonzerne. Er rieb sich eifrig die Hände. Ein wildes Grinsen stahl sich über seine Lippen und nur eines vermochte seine gierige Vorfreude noch zu drücken, nämlich der Gedanke an den langen Weg, der ihm noch bevorstand. Aber er kannte Bekannte. Er kannte Leute, die Tom selbst vor Gericht glaubhaft als psychisch labil und kurz gesagt paranoid präsentieren konnten, Leute mit hochdekorierten Titeln, wie ihn auch sein Bruder gehabt hatte. Er strich sich genüsslich über den üppigen Schnurrbart, während er daran dachte, wie er am einfachsten an Thomas Right herankommen würde. Vielleicht über die Wohltätigkeitsorganisation? Er kannte da einige Vorstandsmitglieder, mit denen er noch eine Rechnung offen hatte. Hier machten sich seine eigenen Kontakte wieder bezahlt, denn wer konnte schon von sich behaupten, ebenso die Polizei wie auch die Mafia unter die eigene Kontrolle bringen zu können? So schwierig war das gar nicht. Man brauchte nur das Gerücht zu sähen, jemand – und in diesem Fall Thomas Right – hätte seine Familie umgebracht und alle Justizliebenden Narren der Stadt würden ihn verurteilen und ihn hinter Schloss und Riegel sehen wollen, wenn nicht sogar noch Schlimmeres. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er in gewisser Weise sogar dafür gesorgt hatte, dass man Tom nicht schon längst verurteilt hatte. Wenn er doch nur nicht den Brandermittler geschmiert hätte, der offiziell bestätigt hatte, dass der Brand wegen nachlässiger Wartungsarbeiten ausgebrochen war. Dann hätten die Polizisten oder spätestens die Häftlinge im Knast diesem miesen kleinen Bengel den Garaus gemacht. Zermürbt von der ganzen Denkerei ließ er sich in seinen Sessel zurückfallen. Er gönnte sich einen Drink, einen einheimischen Scotch Jahrgang 76. Wenn doch nur Nemico, dieser miese Verräter, seinen Teil der Abmachung ordentlich erledigt hätte! Dann hätte er nun diesen Schlamassel nicht am Hals. Beim nächsten Mal musste er seine Vorgehensweise besser durchdenken, nicht so impulsiv und übereilt handeln. Sonst kam er nie auf einen grünen Zweig. Wieder ballte er seine Hand zur Faust. In London hätte es bestimmt so viele gute, wenn nicht perfekte Gelegenheiten gegeben, ihn zu erledigen, diesen Milliardären, der seines Geldes nicht wert war. So viele Möglichkeiten, den sich in Sicherheit wägenden unter falschen Vorwand aus seinem Versteck zu locken und ohne groß Aufsehen zu erregen einfach um die Ecke zu bringen. Wie schön war das Gefühl in seiner Magengrube, wenn er daran dachte, Thomas Reginald Right, den letzten seiner Art, ins Gras beißen zu sehen und zu wissen, dass die Ungerechtigkeit, die all die Jahre über seiner Familie gelegen hatte, endlich ausgeglichen würde. Und niemand, aber auch wirklich niemand würde auch nur ansatzweise vermuten, dass ausgerechnet er dahintersteckte. Er war versucht zu lachen, hielt sich aber zurück. Nahm noch einen Schluck Scotch und schaute weiter in die Flammen im Kamin.
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Hallo meine Lieben :)
Tut mr leid, dass ihr warten musstet. Morgen geht bei mir die Schule wieder los und eigentlich hätte ich noch Mutter Courage und ihre Kinder von Bertold Brecht lesen müssen für Deutsch, aber hei, was soll's? ;)
Ich bin ganz kurz davor, mein erstes Buch an verschiedene Verlage zu schicken, zögere aber aus mir unbekannten Gründen noch. Irgendwie fühlt sich das so unrealistisch an. Und irgendwie sind auch grad so viele andere Dinge in meinem Leben einfach wichtiger, ich weiss auch nicht. Vielleicht ist das auch bloß eine der faulsten Ausreden der Welt ahaha x)
<3
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