59. Alexander Palmer voraus
Adara wurde geweckt von den wilden Rufen der Vögel, die sich vom rauen Wind die steilen Klippen herauftragen ließen, um sich dann im Sturzflug wieder in die brechenden Wellen zu stürzen. Die Sonne stand schon über dem Horizont und sandte ihre goldenen Strahlen in die Welt hinaus. Sie lag mitten in ihrem Bett, auf dem Rücken, zugedeckt und schaute hinauf in den luftig leichten Stoff des Himmelbetthimmels. Doch plötzlich stutzte sie. Sie hätte schwören können, dass Tom noch bei ihr gewesen war, als sie eingeschlafen war. Und auch hatte sie am Fußende gelegen, quer über der Matratze. Unsicher hob sie ihren Kopf und erwartete bereits fast, dass eine erneute Welle des Schmerzes ihren Körper durchfuhr. Doch nichts passierte. Behutsam bewegte sie ihren Oberkörper erst nach links, dann rechts, streckte ihre Arme vorsichtig von sich, doch noch immer verspürte sie nicht das leiseste Ziehen. Es war weg. Sie setzte sich auf, ziemlich verwundert nun, und schaute sich um. Tom war nirgends zu sehen. Auch fiel ihr auf, dass sie ihre Kleider noch trug, was sie auf eine Weise beruhigte. Mehr aus Zufall glitt ihr Blick in den Spiegel, der an der Wand hing und damit auch auf ihre zerzausten Haare, die in wilden Strähnen über ihre Schultern hingen und teilweise in alle Richtungen abstanden. Und ihre Haut war blass. Fast wie die eines Gespenstes, schoss es ihr durch den Kopf. Aber nicht nur ihre Haut erinnerte an einen Geist. Auch ihre Züge waren eingefallen, zeichneten sich sogar hart ab und verliehen ihr etwas Ernstes, Kaltes. Fast wie auch bei Marlene, die so viel von ihrer Herzlichkeit und äußeren Schönheit eingebüßt hatte. Adara erschrak regelrecht bei diesem ihrem eigenen Anblick. Nur ihre Lippen leuchteten tiefrot in dem schneeweißen Gesicht. Es brauchte sie einiges an Überwindung, sich von ihrem Spiegelbild zu lösen und aus dem Zimmer, das irgendwie zu ihrem eigenen geworden war, auf den Flur zu treten. Aber auch dieser war menschleer, ebenso wie das neue Büro. Sie wagte es nicht, auch in den anderen Räumen nachzuschauen und hielt es für besser, erst wieder ins untere Stockwerk zurückzukehren. Vielleicht war Tom ja dort. Langsam und fast ein wenig unsicher stieg sie die Treppenstufen hinunter und drückte die Türklinke der Tür hinunter, die sogleich lautlos aufglitt. Und da stand er tatsächlich, Tom, mit Kochschürze am Herd. Als er den Kopf hob und sie erblickte, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, das es Adara warm um Herz werden ließ. Sie konnte es nicht erklären, aber dieser Mensch schien der einzige zu sein, der sie ganz vorurteilslos betrachtete, obwohl er sich voll und ganz bewusst war, wer sie war und vor allem, was sie getan hatte. Sie war eine Mörderin und musste in jeder freien Sekunde an ihre schreckliche Tat denken, doch ihm schien es egal zu sein. Ein lächerliches Detail wie ein abgerissener Blusenknopf. Vielleicht verselbstständigte sich ihre Magie deshalb. Weil sie sich selbst in Frage stellte, an sich zweifelte und weder vergessen noch sich selbst verzeihen konnte. Aber Tom konnte es anscheinend. Unerklärlicherweise. „Du siehst besser aus", meinte er in diesem Moment und Adara war sich nicht sicher, ob das Leuchten in seinen Augen vom einfallenden Sonnenlicht herrührte oder nicht. „Danke", erwiderte sie etwas steif und strich sich verlegen eine lose Haarsträhne hinters Ohr. „Hunger?", fragte Tom so selbstverständlich wie eh und je, die Pfanne mit dem fertigen Omelett in die Höhe haltend und noch immer lächelnd. Aber noch bevor Adara auf die Frage antworten konnte, läutete es an der Tür. Tom's Lächeln schmolz dahin wie warmes Kerzenwachs. Er ließ die Bratpfanne wieder sinken und warf ihr einen fragenden Blick zu. Aber Adara wusste sich ebenso wenig zu helfen wie Tom selbst und so ging er mit großen Schritten und gerunzelter Stirn zur Haustür. Adara trat indessen hinter dem Klavier hervor und obwohl sie wegen der massiven Tür nichts sah, nahm es sie wunder, wer denn da so früh am Morgen vorbeikam. Auf der Schwelle mussten zwei Männer stehen, den Toms Kopf kippte erst nach links, dann nach rechts und wieder zurück. „Was wollen Sie denn hier?", fragte er verwirrt und Adaras Vermutung bestätigte sich, als beide gleichzeitig zu einer Antwort ansetzten. Schließlich setzte sich aber die tiefere Stimme durch und brachte die andere mit einem autoritären Räuspern zum Schweigen. „Dieser Mann wollte partout nicht stehenbleiben, meinte er hätte einen Termin mit einer gewissen Adara. Er hat sich nicht aufhalten lassen und abtransportieren konnten wir ihn auch nicht, so sehr hat er sich gewehrt." Der Mann hörte sich mürrisch an. Offensichtlich war es der Chef der Security-Staffel, die Tom angeheuert hatte. Tom seinerseits riss sich in Eile die Kochschürze vom Leib und versuchte dabei so ernst wie möglich zu wirken, was in dieser Situation schon wieder etwas lustig wirkte. „Sie haben also einen Termin?", fragte er ungläubig, zog demonstrativ eine Augenbraue in die Höhe, während er die Arme vor der Brust verschränkte. Der zweite Mann, der sich nun endlich zu Wort meldete, bejahte, bevor er kurz darauf weder verneinte. „Also, nicht so richtig. Jetzt lassen Sie mich endlich los, Sie Rüpel! Jedenfalls muss ich mit Miss Adara sprechen. Dringende Angelegenheit." Und damit drängte er sich durch die halbgeschlossene Tür und an Tom vorbei. Als erstes kam ein riesiger Strauß roter Rosen zum Vorschein, danach ein ziemlich verbeult aus der Wäsche schauender Alexander Palmer, der offensichtlich bis dato mit festem Griff am Kragen zurückgehalten worden war und nun sein Jackett richtete und die Krawatte enger zog. Sogleich erblickte er sie, wie sie auf dem Treppenabsatz stand und ihn verwundert musterte. „Adara! Da sind Sie ja!", begrüßte er sie und trat mit offenen Armen auf sie zu, küsste sie links und rechts einmal auf die Wange und überreichte ihr dann den Blumenstrauß mit den gigantischen Ausmaßen und musterte sie eingehend. „Alexander! Was tun Sie denn hier? Ich dachte, Sie wären in London!", entfuhr es ihr mit einer Mischung aus Verwirrung und Erstaunen. Neben Tom wollte der in schwarz gekleidete Security-Chef schon eingreifen, aber Tom hielt ihn zurück. Mit einer Miene, die ohne weiteres als die Totenmaske eines südländischen Diktators hätte durchgehen können, musterte er Adara und den ihm unbekannten Mann, den Fé eben Alexander genannt hatte. Daraufhin zog der Wachmann bald wieder ab und Alexander setzte sich unverfroren an den Esstisch. Tom schloss murrend die Haustür, hielt dann mitten in der Bewegung inne, schnupperte mit einem seltsamen Gesichtsausdruck und erinnerte sich dann an die Bratpfanne samt Inhalt, die noch immer auf dem Herd stand und vor sich hin brutzelte. Leise fluchend war er in wenigen Sätzen wieder in der Küche und versuchte zu retten, was noch zu retten war. Adara folgte ihm mit interessierten Blicken. Alexander Palmer ließ sich davon nicht beirren. „Es ist schön, Sie wiederzusehen, Adara. Es ist viel passiert in letzter Zeit und da Sie nicht auf meine Briefe geantwortet haben, habe ich mich kurzerhand dazu entschlossen, Ihnen persönlich einen kleinen Besuch abzustatten. Ich hoffe, mir ist die Überraschung gelungen!", verkündete er hocherfreut und bemerkte den bitteren Beigeschmack nicht, den Adaras Stimme annahm, als sie antwortete: „Auf alle Fälle." Ihr Blick pendelte andauernd zwischen dem strahlenden Alexander und dem düster dreinblickenden, mürrischen Tom hin und her. „Gut. Ich muss mit Ihnen übers Geschäftliche Reden. Wir möchten Sie nämlich auch für die nächste Linie als Werbegesicht. Der Haken daran ist, dass das Shooting schon in den nächsten Tagen stattfindet. Wären Sie damit einverstanden?" Er schaute sie erwartungsvoll an, doch kein Wort kam über ihre Lippen. Hilfesuchend schaute sie zu Tom, der wiederum Alexander wütend anfunkelte. Nur kurz hob er den Blick und zuckte stumm mit den Schultern, wie um zu sagen, dass sie diese Entscheidung selbst treffen müsse. Schlussendlich stimmte sie zu und Alexander Palmer lud sie zu einem Abendessen am selben Abend in ein renommiertes Restaurant in Dublin ein. Da der Vorschlag, keine Presse und auch sonst niemanden darüber zu informieren von ihm kam und dem auch nichts hinzuzufügen gewesen wäre, war er auch schneller wieder aus dem Haus, als man sich ein Spiegelei hätte braten können. Er hinterließ eine etwas aufgewühlte Adara und einen vor Wut kochenden und überhaupt nicht amüsierten Tom. „Wer zur Hölle war dieser unverschämte Typ?", knurrte dieser und schleuderte die Kochschürze der Haustür entgegen. Bei Adara setzte das schlechte Gewissen ein. „Das war Alexander Palmer. Er ist der Geschäftsführer von Cartier", gab sie etwas beschämt zu. „Was? Dieser Schnösel? Hast du gesehen, wie der sich aufgeführt hat?", wetterte Tom weiter und fuchtelte wild mit dem Pfannenwender in der Luft herum. Irgendwie sah es ja schon fast wieder komisch aus. Adara hatte Mühe, jetzt nicht zu lachen. „Es tut mir leid, Tom, das kommt bestimmt nicht wieder vor", sagte sie und konnte sich ein Grinsen nicht verbieten. Ergeben ließ er seine Arme wieder sinken und warf noch einen letzten, mürrischen Blick in Richtung Tür. „Ich mag den Vogel nicht, basta."
Im späten Nachmittag machten Adara und Tom sich auf schließlich auf den Weg. Er begleitete sie, da er nicht wollte, dass Fé alleine mit diesem schmierigen Typen in einer Großstadt wie Dublin unterwegs war. Dass er ursprünglich gar nicht eingeladen war, ignorierte er beherzt. Schließlich war dieser Palmer auch einfach in sein Haus marschiert wie ein Hauswart mit Generalschlüssel und Passepartout. Sie nahmen seinen feuerroten Ferrari, denn Henry und den alten Bentley zu bemühen, wäre ein unnützer Mehraufwand gewesen, den es sich nicht aufzunehmen lohnte. Die Fahrt verlief recht still, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Fé trug ein einfaches, knielanges, langärmliges, petrolblaues Kleid mit schwarzen Strümpfen und Stiefeletten. Dazu hatte sich ein dünner Mantel gefunden, dessen dunkelgraue Farbe Adaras eleganten Kleidungsstil noch unterstrich. Vor dem Restaurant in Dublin überreichte Tom den Autoschlüssel einem der Männer, welche die ruhmreiche Aufgabe hatten, die Fahrzeuge der Gäste sicher zu parken. An Fé's Seite betrat er den gutbesuchten Saal und marschierte direkt vorbei an der langen Schlange wartender Leute, die vergessen hatte zu reservieren und nun angeschmiert waren. „Die Reservation geht auf den Namen Palmer", informierte er den Platzweiser, der sie nach einem kurzen Blick auf die Gästeliste zu einem Tisch am anderen Ende des Gastraumes führte. Alexander war schon da. Sein erfreutes Lächeln schien ihm aus dem Gesicht springen zu wollen, als er Tom erblickte. „Sie sind gemeinsam hier?", fragte er ein wenig verwirrt und als Tom bejahte, bat er den Kellner um einen zusätzlichen Stuhl. „Verzeihung, das ist mir jetzt ein bisschen peinlich. Ich hatte eigentlich nur mit Miss Adara gerechnet", gestand er und reichte Tom die Hand. „Alexander Palmer, Geschäftsführer bei Cartier, sehr erfreut." Tom wollte antworten, doch noch ehe er überhaupt dazu kam, wurde er schon wieder unterbrochen. Der Kellner hatte den Stuhl gebracht und Alexander bestand nun darauf, ihn Adara höchstpersönlich zurechtzurücken, was Tom's Blutdruck gehörig in die Höhe steigen ließ. Der Tisch war quadratisch und so kamen Tom und Alexander einander gegenüber zu sitzen. Immerhin konnte dieser Vogel ihm so nicht den Platz direkt neben Fé streitig machen, dachte Tom, erkannte aber auch mit sichtlichem Missvergnügen, dass es gar keinen Platz direkt neben Fé gab. Der Abend verlief für ihn recht langweilig. Während Fé und Alexander über die nächste Schmucklinie fachsimpelten und Pläne für die Kampagne schmiedeten, wartete er stillschweigend auf den nächsten Gang und fühlte sich fehl am Platz. Das wurde auch nicht besser, als er wenige Tage später mit dem Flugzeug nach London ging. Alexander Palmer war so freundlich gewesen, ihnen sogleich Flüge zu buchen und so fand sich Tom bald in den Kulissen eines Fotoshootings wieder, das zum Ziel hatte, Fé in möglichst vielen Positionen möglichst gut abzulichten. Alexander Palmer unterließ es dabei nicht, immerzu um sie herumzuschleichen und ihr Anweisungen zu geben. Tom beobachtete dies mit wachsendem Verdruss und war ganz kurz davor, tatsächlich vom Set zu marschieren. „Auch einen Kaffee?", fragte plötzlich eine Stimme hinter ihm und erst als er sich umdrehte, um den Sprecher vorbeizulassen, stellte er erstaunt fest, dass tatsächlich er gemeint gewesen war. Dankend nahm er sich einen Becher. „Ian Bell, Werbe-Manager, freut mich. Ich habe Sie hier noch nie gesehen, wie kommt das?" Er grinste bis über beide Ohren und schien keine bösen Absichten zu hegen. Trotz seines jungen Alters glänzte eine Glatze auf seinem schokoladefarbenen Haupt und mit der dunklen Hornbrille – die irgendwie noch Style zu haben schien – sah er aus wie der typische Nerd. „Oh nein, ich arbeite nicht hier", beeilte sich Tom richtigzustellen. „Ich begleite nur Adara. Tom Rigth, ebenfalls erfreut." Daraufhin erhellte sich Ian's Miene wie eine zugeschaltete siebzig Watt Glühbirne. „Ahh, Sie sind der berühmte Mister Right!", rief er fast euphorisch aus und fuhr damit fort, Tom's Hand zu schütteln, bis dieser sie ihm entzog. „Ja, genau", meinte er forsch, was Ian jedoch nicht zu beirren schien. „Und, wie gefällt es Ihnen bei uns?", fragte er unbeirrt weiter und ohne es zu wissen war er gerade dabei, Tom's Geduldsfäden zu überstrapazieren. „Nun ja, es gefällt mir eigentlich nicht so gut hier", erwiderte er, erst noch um einen friedlichen Tonfall bemüht, den er jedoch ablegte, als er weitersprach. „Es gefällt mir zum Beispiel nicht, dass ich hier seit Stunden wie bestellt und nicht abgeholt herumstehe. Und noch weniger gefällt mir, dass Ihr Chef, dieser Alexander Palmer um Adara herumschwirrt wie eine Bienenkönigin auf Paarungsflug!" Dass er das eben gerade ziemlich laut gesagt hatte, fiel ihm erst auf, als sich die ersten Leute verwundert zu ihm umdrehten. Ian Bell begann zu kichern. „Ich denke, da haben Sie allerdings etwas gehörig falsch verstanden, Mister Right", gluckste er und verschluckte sich beinahe an seinem Kaffee. Tom verschränkte abwartend die Arme vor der Brust und legte seine Stirn in Falten, bis Ian endlich weitersprach. „Nun ja, ich will ja nicht indiskret sein, aber Mister Palmer ist, wie soll ich es sagen, vom anderen Ufer und damit höchstwahrscheinlich nicht wirklich an Miss Adara interessiert, jedenfalls nicht so, wie Sie meinen."
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Hallo! :D hier mal ein extralanges Kapitel! ;) 2'300 Wärter statt der üblichen 2'000 ... So als kleines Dankeschön für das Ranking, das ich euch zu verdanken hab und die irrealen Kommentare, die ich hier immer bekomme :*
die nächsten Szenen werdet ihr wahrscheinlich lieben, ich freue mich richtig, sie schreiben zu dürfen :D
Bis bald meine Lieben! <3
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