47. Der Ruf der Vergangenheit

*** <3 HAPPY BIRTHAY YvonneKiwi :D <3 ***

„Fé!", schrie er gegen die See. Seitdem sie fort war, war das Meer nicht mehr zur Ruhe gekommen. Es machte auf Tom den Eindruck, dass es sich gegen etwas zu wehren versuchte. Immerzu herrschte Sturmwarnung und kaum mehr Schiffe trauten sich die sicheren Küstengewässer zu verlassen in der letzten Zeit waren immer mehr Frachtschiffe überall auf dem Globus spurlos verschwunden, wie die Medien berichtet hatten. Wie vom Erdboden verschluckt, in plötzlich aufziehende, unvorhersehbare Stürme geraten und nicht wieder aufgetaucht. Irgendetwas störte Tom daran, besonders da es ihn merkwürdig dünkte, dass das alles ausgerechnet etwas mit Fé hätte am Hut haben können. Immer wieder fragte er sich, ob sie es wohl geschafft hatte, den Mörder ihres Vaters zu stellen oder ob ihr etwas weitaus Schlimmeres passiert war, als er je zu vermuten gewagt hatte. „Adara Faè Cahaya!", brüllte er gegen den brausenden Wind, der an seinen Haaren zerrte. Tom stand knietief im kalten Wasser. Der Juni war schon lange vorbei und auch Juli und August waren langsam und gemächlich vorübergezogen. Langsam wurde das Klima wieder kälter und er hatte es leid, zu warten. Sie hatte immer davon geredet, dass das Meer sie rief, also musste es eigentlich auch umgekehrt funktionieren, oder? Er hoffte es zumindest. So vieles ging ihm gerade durch den Kopf. Er hatte ein Angebot von Tülay bekommen. Sie wollte ihn bei einem Forschungsprojekt dabeihaben, um ein Medikament gegen eine sehr seltene Erbkrankheit zu entwickeln. Eigentlich hätte er sie Ablenkung gerade gut gebrauchen können, denn er spürte, wie es immer weiter bergab mit ihm ging, je länger er alleine in diesem kleinen Haus versauerte. Er hielt die Enge dieser Wände kaum mehr aus, denn nun erinnerten sie ihn nicht nur an seine Familie sondern auch an die schönen Stunden, die er dort mit Adara verbracht hatte. „Adara Faè Cahaya!", schrie er erneut aus Leibeskräften, doch das Meer antwortete nicht. Immer gleich hoben und senkten sich die Wellen in einem wütenden Muster, sich immer heftiger an die Felsen werfend. Er überlegte ernsthaft, ob er Tülays Angebot nicht doch annehmen sollte, schließlich hatten sie zusammen studiert und sie hätte sich sicher sehr darüber gefreut – auch wenn er ihre Gesellschaft auch heute noch eher unfreiwillig ertrug. Sie war einfach nicht der Typ Mensch, mit dem er sich gerne unterhielt, zumal die Unterhaltungen mit ihr immer sehr eintönig verliefen. Kaum jemand schaffte es, ihren Redeschwall langfristig zu unterbrechen. Er musste zuerst mehr über diese Erbkrankheit herausfinden, bevor er sich entscheiden konnte. „Adara Faè Cahaya! Komm zurück zu mir!", versuchte er es noch einmal, bevor seine Stimme versagte.

„Was ist?", fragte Marlene und schaute zu ihr herüber. Auch heute hatte Adara ihr die ganze Portion Algenbrei überlassen und schaute stattdessen beharrlich ihre kleine, leuchtende Lichtkugel. Doch seit einiger Zeit war sie sichtlich nervöser und nun hatte es auch Marlene bemerkt. Adara schüttelte kaum merklich den Kopf, ihre Stirn war in tiefe Falten gelegt. „Er ruft mich", hauchte sie und konzentrierte sich wieder auf ihre Erinnerung. Marlene ließ es unter murrendem widerstand zu, dass auch ihre Kinder die Bilder der Menschen und des Landes oberhalb der Wasseroberfläche sahen, vermochte sie aber nicht davon abzuhalten und konnte schlussendlich auch Adara nicht zwingen, ihre Lichtkugel erlöschen zu lassen, da sie ja die einzige Licht- und Wärmequelle bildete. Also ließ sie es – wenn auch nicht ganz freiwillig – zu. „Willst du etwa zu ihm zurückkehren?", fragte sie spöttisch und konnte sich ein herablassendes Kichern nicht verkneifen. Adaras Miene blieb nüchtern. Als wäre sie in Marmor gemeißelt, zuckte sie noch nicht einmal mit der Wimper. „Natürlich", erwiderte sie, woraufhin Marlene sich an ihrem Algenbrei verschluckte. „Wie bitte?", presste sie hustend hervor und hörte sich dabei an wie eine verfressene Seekuh mit fürchterlichen Blähungen. Adara wandte sich ihr nur ganz langsam zu, als ob Marlene es nicht wert war, dass sie sich schneller bewegte. „Ich habe es ihm versprochen. Außerdem gibt es hier nicht mehr viel für mich, für das es sich lohnt, hier zu bleiben." In dem Moment, in dem sie es aussprach, fielen auch die letzten Zweifel von Adara ab. Sie hatte hier nur noch zwei Dinge zu tun: erstens musste sie sich und die anderen aus den Kerkern befreien und zweitens... und zweitens musste sie Nemicos unrechtmäßige Herrschaft beenden. In den letzten Wochen waren immer wieder einige Neulinge in den Kerkern aufgetaucht. Und sie hatten ihre schlimmsten Vermutungen bestätigt. Nemico hatte den Palast abriegeln lassen, sodass er der einige war, der der Krönungszeremonie hatte beiwohnen können. Er musste einfach vom thron gestoßen werden. Adara schluckte schwer, als sie daran dachte, wie das zu bewerkstelligen war. Denn da die Regentschaft immer – und zwar ausnahmslos – auf Lebenszeit bestand, musste man den König wohl oder übel umbringen. „Vorausgesetzt, du kommst hier irgendwie raus, meinst du", unterbrach Marlene ihren Gedankengang zynisch und erst war Adara verwirrt, doch dann nickte sie. „Das wird mir shcon irgendwie gelingen. Wir haben schließlich einen großen Vorteil: Wir sind Cahayas und Nemico will uns loswerden." Marlene zog unbeeindruckt die eine Augenbraue in die Höhe. „Oder er lässt und hier einfach verhungern, schon mal an diese Möglichkeit gedacht?", hielt sie hartnäckig dagegen. Natürlich hatte Adara daran gedacht, schließlich gab es hier unten nicht viele Möglichkeiten, um sich die Zeit zu vertreiben. Einige waren schon dem Wahnsinn nahe, oder dem Kältetod. „Dann müssen wir das Ganze eben ein wenig beschleunigen", stellte sie leise fest und schaute von ihrer Lichtkugel auf. Marlene schien es offensichtlich nicht zu verstehen. „Was beschleunigen?", fragte sie alarmiert.

Irgendetwas musste sich schleunigst ändern. Besonders im oberen Stockwerk. Wie ein Jahr zuvor war er schon fast wieder in ein neurotisches Verhalten zurückgefallen und betrat noch nicht einmal mehr die Wendeltreppe, die hinaufführte. Es war einfach zu schmerzhaft – doppelt schmerzhaft, wenn er es bedachte. Er konnte den Anblick der immer gleichen Zimmer einfach nicht ertragen, wie sie in staubiger Stille dalagen und nur darauf zu warten schienen, dass ihre ehemaligen Bewohner endlich zurückkehrten. Erst hatte er alles gründlich geputzt, bis das gesamte Haus durch und durch nach Zitronen-Putzmittel und Eukalyptus-glasreiniger gerochen hatte. Kein einziges Staubkorn war nun mehr aufzufinden, die Bettwäsche ausgelüftet und gewechselt, alle Kleider gewaschen, gebügelt und feinsäuberlich wieder an Ort und Stelle zurückgelegt, aber dieses unerträglich bekannte Gefühl ließ nicht locker. Im Gegenteil. Nun hatte er den Eindruck, dass seine Mutter Rosalia jeden Moment in den Raum kommen und ihn nach irgendeiner Nichtigkeit fragen könnte. Wo er zum Beispiel ihre Gummihandschuhe wieder hingelegt hatte. Nicht dass er absichtlich darauf geachtet hätte, als er sie benutzt hatte, aber sofort wusste er, dass er sie oben im Bad gelassen hatte. „Es wird Zeit für tieferliegende Veränderungen", murmelte er und griff nach seinem Computer. Einen Moment lang überlegte er, ob es das Risiko wert war, das Haus unbewacht zurück zu lassen und selbst loszufahren, um die benötigten Utensilien zu besorgen, doch diesen Gedanken verwarf er sogleich wieder. Zwei Stunden später hatte er alle nötigen Materialien beisammen und bestellte den Inhalt seines Virtuellen Warenkorbes. Für einen Aufschlag von läppischen fünfundzwanzig Mäusen lieferten sie sogar per Expresszustellung und versicherten, dass die Ware innerhalb des nächsten Werktages auf der Matte stehen würde. Er klickte das dafür vorgesehene Feld an, gab Lieferadresse und Kreditkartennummer ein und schickte das Ganze ab. Er war recht zufrieden mit sich. Doch sein halbherziges Lächeln sank in sich zusammen, als ihm bewusst wurde, dass er nun noch einen ganzen Tag totzuschlagen hatte, bevor er endlich loslegen konnte. Doch dann fiel ihm etwas ein, das er zuvor gar nicht mit einberechnet hatte. Erst war versucht, in Panik zu geraten, aber dann erschien wieder dieses nicht so ganz fröhliche Schmunzeln in seinem Gesicht. Er klappte den Laptop zu und ging nach oben – was ihm wie jedes Mal einen Stich ins Herz versetzte. Er begann, alle Kleider, die er erst mit peinlicher Sorgfältigkeit gewaschen, gebügelt, gefaltet und wieder weggeräumt hatte, in Kisten zu packen. Die Betten, die er erst frisch bezogen hatte, lagen bald wieder nackt da und die Bezüge, Kissen und Decken landeten ebenfalls in den Kisten. Das Zimmer seiner Eltern war so schnell bis auf die rohen Gerüste der alten Möbel reduziert, die hinteren Zimmer ebenfalls und das alte Kinderzimmer mit den Stockbetten sowieso. Mit einem Werkzeugkasten bewaffnet machte Tom sich dann daran, auch die Möbel auseinander zu schrauben. Wenn er hier renovieren wollte, mussten die Zimmer schließlich leer sein. Die vollen Kisten stapelte er indem kleinen Vorzimmer, das schließlich in den Flur überging. Bald würde hier nichts mehr an die ehemaligen Eigentümer erinnern. Nur den großen Schrank und die antike Kommode seiner Mutter hatte er nicht abmontieren können. Und irgendwie waren diese beiden sowieso viel zu schade, um einfach auf dem Sperrmüll zu landen. Also fanden auch sie sich bei den vollen Kisten wieder. Tom arbeitete bis tief in die Nacht hinein und als er schließlich fertig war, schleppte er sich wieder in den unteren Stock, wo er sich völlig erschöpft aufs Sofa fallen ließ und bald darauf eingeschlafen war. In seinem Traum – ausnahmsweise keine abgedrehte Version von Game of Thrones in der er Fé immer wieder sterben sah, einmal geköpft von Killerclowns und dann wieder ertränkt von irgendwelchen Baumwesen – saß er auf seiner Couch und Fé neben ihm mit dieser wunderbaren Lichtkugel in ihrem Schoß. Von irgendwo drang Musik zu ihnen, ein Kinderlied, das er schon lange nicht mehr gehört hatte. Und Fé lächelte ihn an, dass ihm das Herz aufging. In der Kugel schwammen unzählige Fischmenschen kreuz und quer durcheinander, sodass Tom nicht wirklich viel erkennen konnte. Fé schaute ihn noch immer übers ganze Gesicht strahlend an, doch in ihren Augen erspähte er nun einen traurigen Schimmer, den er nicht so recht zu deuten vermochte. „Was ist denn los?", fragte er und wollte näher zu ihr hin rutschen, doch er konnte nicht. Er war wie festgewachsen auf seinem Platz, als wäre da eine unsichtbare aber dennoch unüberwindbare Wand zwischen ihnen. Adara legte nur mitleidig den Kopf schief. Toms Blick fiel wieder auf die Lichtkugel. Er konnte sich zwar nicht mehr an die Gesichter erinnern, die sie ihm beim ersten Mal gezeigt hatte, aber ohne es wirklich erklären zu können, wusste er, dass es sich hierbei um ihre Familie handelte. Er betrachtete sie einen langen Moment, bis sich das Gefüge zu verändern begann. Einige schwammen einfach aus dem Bild heraus und verschwanden, bis zuletzt nur noch eine Miniaturversion von Fé mit Fischschwanz übriggeblieben war und ihn ebenso traurig musterte wie das Original. Tom wusste nicht wirklich, was er sagen sollte. Er hätte sie so vieles fragen wollen, aber die Worte wollten ihm einfach nicht von den Lippen gleiten. „Vermisst du sie?", fragte er sie und schaute wieder auf. Sie schüttelte langsam ihren Kopf und ihre Blonden Locken fielen geschmeidig über ihre nackten Schultern. Die leuchtende Kugel, die ihn merkwürdigerweise an die Kristallkugel einer doch recht schrulligen alten Wahrsagerin eines Wanderzirkus erinnerte, drehte sich immer während in ihren Händen. Dabei schien sie eine wohlige Wärme auszustrahlen, die Tom schläfrig werden ließ. Einen Moment lang war es still zwischen ihnen und kurz glaubte Tom sogar, dass die Zeit einfach stehengeblieben war. Er konnte sich noch immer nicht von seinem Platz rühren. Kein Millimeter bewegte sich sein Körper, obwohl er es tatsächlich mit aller Willenskraft versuchte. „Nein, Tom. Ich vermisse dich", erwiderte Fé und auf einmal erschien er selbst in der Kugel. Wie er vor dem Haus stand und über Klippen aufs Wasser hinuntersah. „Wann kommst du wieder?", hörte er sich plötzlich selbst sagen und merkte erst dann, dass es nur die Miniaturversion in der Kugel gewesen war. Doch als Fé nicht auf die Frage reagierte, wiederholte er die Worte nochmals. „Wann kommst du wieder?" Als Adara den Blick wieder hob, erstarrte alles in Tom. Sein Atem stockte und er war sicher, dass sein Herz für einige Schläge zu schlagen aufgehört hatte. Fé schaute ihn unverwandt an. So als sähe sie ihn gerade zum allerersten Mal in ihrem Leben. Mit diesem Bild schreckte Tom aus dem Schlaf. Es war stockdunkel um ihn herum und er schwitzte.

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Happy Birthday YvonneKiwi !! :D

Nur für dich! ;) feiern schön und bleib nicht allzu lange auf, hehe :*

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