40. Fremde Heimat
Hey ihr lieben! Früher als erwartet bin ich jetzt doch schon wieder zum Schreiben gekommen! *Freude Herrscht* :3 Ihr dürft euch da beim #NaNoWriYeah-Projekt bedanken! Es motiviert total :D Ich hoffe, euch gefällt das Kapitel :* Ly <3
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Er hatte sie geküsst! Dieser Gedanke hämmerte gegen ihre Stirnhöhle wie ein nistender Specht auf Nahrungssuche. Wie ein Pfeil, aber auch weinend wie ein kleines Kind schoss sie durchs Wasser. Der Sprung von der Klippe hatte sie ohne weiteres überstanden. Der hohe Wellengang der stürmischen See und die Tatsache, dass gerade Flut herrschte, hatten ihr in die Karten gespielt. Das Fallen hingegen war viel schlimmer gewesen. Sie hatte gerade am eigenen Leib gespürt, wie sich ihr innerstes schon lange gefühlt hatte. In der Schwebe, ohne jegliche Orientation und zurückblickend auf einen sich immer weiter entfernenden Tom, der schließlich ganz von grauen Sturmböen umfangen worden war. Die Tränen wollten einfach nicht versiegen, so sehr sie sich auch anstrengte. Sie trübten ihre Sicht und lange schwamm Adara deswegen ziellos umher, das Wasser mit ihrer schimmernden Schwanzflosse peitschend als würde sie es bestrafen wollen für das, was es ihr angetan hatte. Als er ihr gesagt hatte, dass sie nicht gehen konnte, war ihr kurz das Herz stehengeblieben und ein Schauer der Panik hatte sich seinen Weg über ihren Rücken gebahnt. Sie hätte in jenem Moment wohl mit allem gerechnet. Dass er sie schlussendlich doch als Bombendetektor – wie er es genannt hatte – dabehalten würde. Aber dass er sie küsste... Nein, damit hatte sie überhaupt nicht gerechnet. Ihr erster Kuss ging an einen Menschen. An einen Menschen, der ihr so unglaublich viel bedeutete und doch auf eine Weise unerreichbar für sie war. Irgendwann klärten sich ihre Gedanken und auch die Tränen versiegten bald darauf. Im Moment zählte nur, dass der Königsmörder ausfindig und dingfest gemacht wurde. Sie hatte noch etwas mehr als einen ganzen Tag Zeit um das zu bewerkstelligen, bevor das Orakel einen neuen Herrscher über die Gezeiten erkor. Und Adara hofft nichts mehr als dass die Wahl nicht auf sie fallen würde, denn dann würde sie Tom niemals wiedersehen. In Gedanken verbesserte sie sich. Wenn der Typ, der schon ihren Vater auf dem Gewissen hatte, sie zuerst fand, dann würde sie Tom auch nie wieder sehen, denn dann wäre sie womöglich tot. Schnell verdrängte sie den Gedanken und schwamm weiter. Bald tat sich vor ihr eine tiefe Spalte auf und Adara legte sich an der Kante einige Momente wartend auf die Lauer, bevor sie schließlich hineintauchte, als sie sicher sein konnte, dass da nichts und niemand war, der sie hätte sehen können. Es fühlte sich seltsam an, plötzlich wieder im Besitz einer Schwanzflosse zu sein. Seltsam gewohnt aber auch. Um sie herum wurde es immer dunkler und das Wasser strömte in immer kälteren Schichten an ihr vorbei, doch Adara ließ sich davon nicht beirren sondern schwamm immer weiter senkrecht nach unten wie vom Talboden magisch angezogen.
Tom ging irgendwann wieder rein, unfähig auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen und ohne überhaupt zu wissen, was er jetzt tun sollte. Er hatte Fé gerade von einer Klippe stürzen sehen. Und er hatte sie geküsst. Mit der flachen Hand schlug er sich immer wieder an die Stirn, bis er schließlich sein Kinn auf der eiskalten Kühlschranktür ruhen ließ und erst einmal durchatmete. Scheisse, war das alles kompliziert! Hätte er nicht denselben Wunsch nach Rache und Genugtuung verspürt, hätte er sie wahrscheinlich gebeten bei ihm zu bleiben. Aber hätte sie wohl jemals ja gesagt? Schließlich war sie eine Kreatur des Meeres und hatte noch Familie – irgendwo da draußen – die auf sie wartete. Und er konnte ihr nicht hinterher. Wenn man unterm Strich alles zusammenzählte, hatte er also eigentlich schon wieder auf einen Schlag alles verloren, was ihm lieb und teuer war. Nur hatte er es Adara im Gegensatz zu seiner Familie gesagt. Irgendwann bemerkte er die Pfütze, die sich um seine Füße gebildet hatte und so entschied er sich für eine nächtliche Dusche, bevor er... Ja, was sollte er jetzt bloß tun? An Schlaf war wohl kaum mehr zu denken. Nicht nach dem, was gerade passiert war. Er musste... Er musste es irgendwie schaffen, jetzt weiterzuleben. Augenblicklich fühlte er sich in der Zeit zurückversetzt. Auch vor einem Jahr hatte er sich so gefühlt. So leer. Immerzu hatte er das Gefühl gehabt, seine Brüder könnten gleich durch die Haustür treten und ihn begrüßen oder dass seine Mutter eines Morgens wieder am Piano sitzen und ihr Lieblingslied spielen könnte. So war es jetzt auch mit Fé. Wie seltsam, dachte er bei sich. Sie war noch keine halbe Stunde fort und dennoch vermisste er sie schon sosehr, dass er sie sich zurückwünschte. „Sie ist nicht tot", wiederholte er immer wieder. „Sie ist nicht tot!" Da war besonders ein klitzekleines Strohhalm, das ihm noch Hoffnung gab. Sie hatte ihm gesagt, dass sie sich wiedersehen würden. Bis dahin würde er auf sie warten, wenn es sein musste. Er würde den ganzen Sommer über auf Fé warten, wenn es sein musste.
„He! Stehenbleiben!", donnerte plötzlich eine Stimme zu ihrer Rechten und von der Panik ergriffen machte Adara Kehrt, noch bevor sie den Rufer überhaupt gesehen hatte. So schnell sie konnte bahnte sie sich im Zickzack-Kurs einen Weg durch das Höhlenlabyrinth zurück und als sie glaubte, ihre Verfolger abgeschüttelt zu haben, drückte sie sich in eine kleine Felsnische, sodass sie von außen kaum sichtbar war. Und plötzlich hörte sie es wieder. Das leise Zischen des Wassers, wenn jemand ganz dicht an einer Wand vorbei schwamm. „Findet Sie!", befahl die tiefe Männerstimme. Daraufhin erklang metallisches Rascheln wie von Rüstungen, als sich mehrere Körper in Bewegung setzten. War etwa die Stadtgarde hier? Was machten die denn so weit vom Palast entfernt? Sie wunderte sich. Andererseits war sie den Wachen bekannt und vielleicht würden die tapferen Männer, die so lange unter dem Kommando ihres Vaters gestanden hatten, sogar helfen. Einen Moment wartete sie noch. Was würde passieren, wenn es sich nicht um die Stadtwache handelte? Aber diesen Gedanken schob sie schnell wieder beiseite. Nur die Stadtwache trug Uniformrüstung. Und nur der Oberhauptmann der Stadtwache bellt wie ein tollwütiger Seehund. Wahrscheinlich waren sie ebenfalls auf der Suche nach dem Mörder ihres Vaters, dachte sie sich – und was ihren Mut einen Moment später etliche Etagen hinunter fallen ließ... Wenn die Stadtwache schon einen ganzen Monat lang keinen Erfolg bei der Suche gehabt hatte, beziehungsweise wenn dutzende Männer nach einem Monat noch immer auf der Suche waren, dann hatte sie wohl mehr als schlechte Karten, den Mörder ihres Vaters auf einem Silbertablett präsentiert zu bekommen. Langsam zwängte sie sich wieder aus ihrer Spalte hervor. „Ich bin hier!", rief sie durch die engen Gänge der Höhle und keine drei Sekunden später kam tatsächlich der Hauptmann der Stadtwache um die Ecke – mit einem ziemlich verwunderten Ausdruck im Gesicht. „Adara?!", fragte er verwirrt, doch seine Miene blieb ernst. Gerade als sie allerdings antworten wollte, spürte sie auf einmal einen harten Schlag auf ihrem Hinterkopf und keinen Sekundenbruchteil später wurde plötzlich alles schwarz um sie herum. Sie spürte noch, wie zwei kräftige Hände sie unter den Achseln zu fassen bekamen, bevor sie definitiv nichts mehr mitbekam.
„Bringtsie da rein!", hörte sie wie von weit her eine kräftige Stimme sagen. Eine Türwurde quietschend geöffnet und Stimmen wurden laut. Geflüsterte Worte drangenan ihr Ohr, doch sie konnte sie nicht verstehen. Irgendwann fühlte sie, wieeine Hand zart über ihr Gesicht streichelte und als sie ihre Augen aufschlug,blickte sie in das vertraute Gesicht ihrer Schwester, die besorgt über siegebeugt war. „Marlene!", keuchte sie und stieß sich mit einem kräftigen Schlagihrer Flosse vom Boden ab. Einen Moment später umschlang sie ihre großeSchwester in einer innigen Umarmung. „Adara, ich bin so froh, dich zu sehen!Ich dachte, du wärst für immer fort", schluchzte Marlene in ihr Haar unddrückte sie noch enger an sich. Ihr Körper fühlte sich seltsam zerbrechlich unddürr an, fiel Adara auf und als sie sich aus der Umarmung löste und an ihrerSchwester heruntersah, musste sie feststellen, dass diese tatsächlich anGewicht verloren hatte. Doch bevor sie etwas sagen konnte, wanderte ihr Blickweiter. Sie waren in keinem ihr vertrauten Teil des Muschelpalastes. HinterMarlene erhob sich eine raue Steinwand wie in einer Höhle. Ganz so, als hätteman den gesamten Raum in den Fels gehauen. Adara stutze. Plötzlich entdecktesie die beiden Kinder, die in einer Ecke kauerten und sie aus großen Augenmusterten. Adaras Blick wurde weicher, als sie sich wieder auf den Boden sinkenließ. Mit Bedauern stellte sie fest, dass auch Caylin Réalta und Léas Solas,ihre Nichte und ihr Neffe nicht gerade gut aussahen. Sie schienen verstört undzitterten am ganzen Körper, waren still und verhielten sich auch sonst so garnicht wie Adara sie in Erinnerung hatte. „Was ist hier nur passiert, Marlene?",flüsterte sie traurig und als sie sich zu ihrer Schwester umdrehen wollte, gingihr endlich das entscheidende Licht auf. Plötzlich wusste sie, weshalb sievorhin eine quietschende Tür gehört hatte. Sie blickte nämlich gerade direktauf die von Rost und Algen überzogenen Gitterstäbe einer Kerkerzelle. Und dasschlimmste an dieser Erkenntnis war, dass sie nicht davor, sondern dahinterstand. Sie waren hier eingesperrt! Protestierend riss sie Augen und Mund aufund bewegte sich unwillkürlich ein Stück darauf zu, bis Marlene ihr eine Handauf die Schulter legte. „Lass gut sein, Adara. Wir kommen hier nicht raus, ichhab schon alles versucht", sagte sie mit belegter Stimme, doch Adara schautesie nur an. Das konnte doch einfach nicht war sein. Marlene war mit nur einemFlossenschlag auf der anderen Seite der Zelle und ließ sich mit dem Rücken amFels hinuntergleiten auf eine spärliche Schlafstelle. Als sie ihre Arme inRichtung ihrer Kinder ausstreckte, schwammen sie zögernd aus ihrer Ecke hervor– Adara stets wie eine Fremde beäugend. Wie sie sich so bewegten, traten ihreRippenknochen unnatürlich hervor und Adara lief ein kalter Schauer über denRücken. Es machte sie unheimlich traurig, sie so zu sehen. Schlussendlichschwamm auch sie zu Marlene hinüber und ließ sich vor ihr zu Boden sinken.Caylin und Léas zuckten verschreckt zusammen und drückten sich ängstlich anihre Mutter, die ihnen beruhigend über die kleinen Köpfchen streichelte, mitihrem Blick, der so viel von seiner einstigen Stärke und dem Stolz verlorenhatte, aber Adara fixierte. „Was ist passiert?" Die Hilflosigkeit sprach ausdiesen Worten und Adara konnte es nicht verhindern, dass ihre Kehle immertrockener wurde. Marlene schüttelte nur langsam den Kopf. „Es ist so vielespassiert, kleines. So vieles." Marlene war ihr plötzlich so fremd. Bei ihremLeben hätte Adara niemals gedacht, ihre große Schwester einmal so schwach undtatenlos zu sehen. So gebrochen. Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Gedanke.„Marlene, sind wir die einzigen hier?", fragte sie alarmiert und durchbohrteihre Schwester förmlich mit ihrem Blick. Marlene schüttelte erneut langsam denKopf. „Die Zellen hier sind voll, Adara. Allein in diesem Teil des Kerkers sindes mehrere hundert." Sie drückte ihre Kinder sanft an sich, doch da sie allezitterten vor Kälte, brachte das sichtlich wenig. „Hunderte sagst du? Wer hatdas angeordnet? Doch nicht etwa der Hauptmann der Stadtwache, oder?", entfuhres Adara erschrocken und nun überlegte Marlene tatsächlich einen Moment lang,bevor sie erneut ihren Kopf sanft schüttelte. „Nein, er hätte keinen Grunddazu. Er hat in Vaters Diensten immer ein gutes Leben geführt." Adara schwiegeinige Sekunden. „Was ich eigentlich damit fragen wollte, Marlene", begann siedann wieder und knetete ihre Finger. „Sind wir die einzigen Cahayas hier, odersind vielleicht...", druckste sie herum und spürte die immense Mühe beimAussprechen der Worte, die schon als bloße Gedanken schmerzten. Nun hob Marleneden Kopf. Adara erschrak regelrecht bei ihrem Anblick. So viel Trauer undMutlosigkeit lag im Ausdruck ihrer Schwester. „Wir sind die einzigen", hauchtesie mit Grabesstimme und drückte ihre Kinder links und rechts noch näher ansie. Adara wagte es nicht, Marlene eingehender dazu zu befragen, obwohl es ihrauf der Zunge lag, ja, sie regelrecht an den Fingerspitzen kitzelte, zuerfahren, was mit ihren Liebsten geschehen war. „Weist du eigentlich, warum manuns hier festhält?", fragte Marlene irgendwann in die Stille hinein und Adaraschüttelte bloß den Kopf. „Man beschuldigt uns, Vater umgebracht zu haben."Adara schlug sich beide Hände über den Mund. Sie wollte schreien, doch ihrerKehle entwich kein Laut, wollte weinen, konnte aber nicht, so tief saß derSchock, der sie wie eine Ohrfeige getroffen und beinahe über den Haufengeworfen hatte. Das war einfach nur unglaublich. „Was?", keuchte sieverzweifelt.
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