35. Sie haben es gewagt!


Irgendwann wurde die Musik wieder leiser und sie hörten auf zu tanzen. Adara fröstelte und Tom zog daraufhin sein Jackett aus, um es ihr um die Schultern zu legen, aber sie lehnte ab. „Wir sollten wieder zurückgehen", meinte sie leise. Sie forschte wieder in seinem Blick, ganz so als könnte sie damit bis zu seinen Gedanken durchdringen. Vielleicht konnte sie das ja auch, dachte er sich, denn wirklich sicher war er sich da nicht. Fé war – so wie er sie kennengelernt hatte – immer für eine Überraschung gut und allzu voreilig wollte er dann auch wieder nicht sein. Er kratzte sich verlegen am Kopf und hängte sich dann das Jackett locker über die eine Schulter. Wieder anziehen mochte er es nicht. Fé war schon einige Schritte vorgegangen und drehte sich nun wieder zu ihm um. „Kommst du endlich?" In ihrem grünlich schimmernden Kleid sah sie aus wie eine sonderbar gefärbte Rose. Tom hatte in seinem Leben selten etwas so schönes gesehen wie sie. Eiligen Schrittes holte er zu ihr auf und gemeinsam spazierten sie zurück durch den Park, der im Halbdunkel der Nacht lag. Aber ihr Weg wurde erleuchtet von Millionen Lichtern, denn nicht nur in den Kronen der Bäume hockten sie, sondern auch hoch oben über ihren Köpfen am klaren Himmel. Ja, in dieser Nacht schienen sogar die Sterne mit Adara um die Wette strahlen zu wollen. Doch sie übertraf alles um Lichtjahre. Das fand Tom jedenfalls. „Sag mal, Fé, kannst du eigentlich Gedanken lesen?", fragte er dann aus heiterem Himmel und wusste selbst nicht, weshalb ihm diese Frage überhaupt über die Lippen gekommen war. Eigentlich hatte er sie das nicht fragen wollen. Sie allerdings wandte sich ihm mit einem seltsam belustigten Ausdruck im Gesicht zu. „Sag mal, wie kommst du nur immer auf so seltsame Ideen, Tom Right?", erwiderte sie halb lachend, halb im Ernst. Doch dann brachen sie beide in Gelächter aus.

„Heißt das, du kannst zwar einen Sturm im Wasserglas erzeugen, aber einen einfachen Gedanken sollst du nicht zu lesen im Stande sein?", fragte er nach einer Weile in gespielter Beleidigung. Wieder lachten sie beide. Eine Weile war es dann still um sie herum, bis Fé sich wieder fing und das Thema wechselte. „Sag mal, wie viel Geld hast du der Organisation eigentlich gespendet heut Abend?" Sie hatten die steinernen Stufen schon beinahe wieder erreicht und Tom ließ ihr galant den Vortritt – wie es sich für einen Gentleman gehörte. Doch Fé blieb schon auf der dritten Stufe stehen und drehte sich wieder zu ihm um, erkannte dann, dass er verschmitzt lächelte und schaute ihn daraufhin fragend an. Tom vollführte eine umschreibende Handbewegung, ehe er antwortete. „Ach, so ungefähr zehn Euro." Adara war schockiert. Jedenfalls klappte ihr die Kinnlade herunter wie bei einem Fisch am Haken. Es amüsierte ihn, sie dermaßen sprachlos zu sehen, zu beobachten, wie sie förmlich nach Worten rang wie ein Ertrinkender nach Luft – wobei sie als Fischmensch wohl selten solche Empfindungen verspürt haben mochte. Und schon wieder war da dieses seltsame Gefühl in seiner Brust. Es war irgendwie unwirklich, dass Fé bei ihm war. Es fühlte sich an wie ein schöner Traum, dem man noch beim Träumen anmerkte, dass er unmöglich wahr sein konnte. Fé schien noch immer ganz dringend etwas sagen zu wollen. „Aber... Aber... Der große Kassensturz! Tom, das wird doch verkündet!", stieß sie letztendlich hervor und sah aus wie ein begossener Pudel – bis auf die Tatsache, dass das Wasser fehlte, was sie dann jedoch eher vom Pudel zum Fisch gemacht hätte... „Das wagen sie nicht, mach dir da mal keine Sorgen", flüsterte er und grinste verschmitzt. Er ließ seine Augenbrauen zucken und stieg einige der steinernen Stufen empor, griff im Vorbeigehen nach Adaras Hand und zog sie erneut mit sich. „Schließlich werden sie wohl kaum ihren Arbeitgeber an den Nagel hängen!" Oben an der Treppe angekommen stockte er kurz und drehte sich wieder zu ihre um. „Warte mal, du hast meine Frage von vorhin gar nicht beantwortet!", keuchte er empört und zeigte halbherzig mit dem Zeigefinger in die Luft vor seiner Nase. Adara kicherte. „Und du hast wohl vergessen, dass man mir keine Fragen stellt!", erwiderte sie und ging einfach an ihm vorbei. Tom blieb stehen wie bestellt und nicht abgeholt und schlussendlich war es dann Fé, die nochmal kehrt machte und ihn weiterzog.

Die Zeitung knallte auf den Frühstückstisch. „Sie haben es gewagt", knurrte Tom am nächsten Morgen und bemerkte dabei nicht, dass seine Kaffeetasse umgekippt war. Erst als der brühend heiße Inhalt auf seine Hose tropfte, sprang er fluchend auf. Henry war sofort zur Stelle und wischte das Gröbste mit einem Lappen weg. Er besah sich die nasse Zeitung genauer und schmunzelte, bevor er sich zu Tom umdrehte. „Da haben die ja mal wieder ganze Arbeit geleistet, wie es scheint, Sir", meinte er und schüttelte genervt den Kopf. „Aber solche Schlagzeilen sind wir ja mittlerweile gewohnt, nicht wahr? Man sollte es einfach ignorieren", fügte der gutmütige alte Butler hinzu und las sich die Schlagzeile noch einmal durch. „Right-Erbe spendet läppische zehn Euro... wie kommen die nur auf so einen Mist?", murmelte er und Tom schaute betreten zu Boden. „Nun ja, Henry... Eigentlich ist es ja die Wahrheit", gestand er peinlich berührt und kratzte sich am Hinterkopf. Der Butler schaute ihn verwundert an, wandte sich dann schlagartig wieder der Zeitung zu und las sich in aller Eile den gesamten Artikel durch. Tom stand daneben wie ein geschlagener Hund und war einfach nur froh, dass der Kaffee auf seiner Hose endlich kälter wurde. Plötzlich lachte Henry und klopfte seinem jungen Chef freundschaftlich auf die Schulter. „Mein lieber Thomas, es sieht so aus, als hätte Ihnen Miss Fé schon wieder die Haut gerettet." Nun war es an Tom, verwundert aus der Wäsche zu schauen. Er schnappte sich die triefende Zeitung und überflog die Zeilen. Und tatsächlich, da stand es. „... Wohl als kleinen Scherz zu verstehen... seine Begleitung, die mysteriöse Adara Cahaya spendete noch am selben Abend... wirklich großzügige Spende... 100'000 Euro...", nuschelte er halblaut, während er immer gebannter auf die Buchstaben starrte. Schließlich ließ er das Papier, das wegen der Kaffeeattacke seinem Lebensende ein großes Stück näher gekommen war, sinken und starrte Henry ungläubig an. Dieser putzte mit einer erstaunlichen Hartnäckigkeit die noch feuchten Kaffeeflecken von dem gepolsterten Stuhl und zuckte nur mit den Schultern, als er Toms Blick bemerkte. Doch er ließ sich nicht weiter beirren und schrubbte weiter auf dem hellen Sitzpolster herum, das später trotz seiner Bemühungen in die chemische Reinigung musste.

„Ich muss mich umziehen", meinte Tom nach einer Weile, in der er Henry einfach zugesehen und das Gelesene so weit verarbeitet hatte, dass er wieder klar denken konnte. Gemächlich und besonders darauf bedacht, den übergroßen, noch immer warmen Fleck auf seinem Schoss nicht unnötig zu bewegen, schlenderte er zur Tür.

Kaum hatte er die Schlafzimmertür hinter sich geschlossen, schälte er sich aus seiner Hose und ließ sie in eine Ecke wandern. Er begann allmählich, eine Abneigung gegen heißen Kaffee zu entwickeln, wie ihm auffiel. Vielleicht sollte er wirklich auf Tee umsteigen und sich das Koffein auf andere Weise besorgen, überlegte er. Tom zog eine frische Hose aus dem Kleiderschrank. Eine Sache wollte ihm dabei aber einfach nicht aus dem Kopf gehen. Wieso um Himmels Willen hatte Fé nur so viel Geld gespendet? Doch nicht etwa bloß, um ihm den Hals zu retten, oder? Beim Zuknöpfen des Hosenbundes rutschte er ab und sein Daumen glitt in ein erst auf den zweiten Blick sichtbares ausgefranstes Loch seitlich des Rissverschlusses. Auch diese Szene kam ihm irgendwie bekannt vor. Er verließ sein Zimmer und trat auf den Gang. Nach einigen Schritten stand er dann vor Adaras Tür und wollte klopfen, die Hand dazu hatte er schon in die Höhe gehoben, doch er hielt inne. Hatte er sich damals, an dem Morgen nach dem schrecklichen Sturm nicht jemanden gewünscht, der ihm das Nähen beibrachte? Okay, diesen Gedanken hatte er zwar schneller wieder verworfen als er ihn hätte aussprechen können, aber dennoch. Und plötzlich kehrte die Frage, die er noch am Vorabend erst Fé gestellt hatte, auf ihn zurück: Glaubte er an das Schicksal? Er musste grinsen, als er an Adaras Antwort auf diese Frage dachte. Klar, denn es brauchte schließlich jemanden, der uns ab und an mal einen Arschtritt verpasst. Wie recht sie damit doch hatte. Ohne sie... ja, was wäre eigentlich ohne sie aus ihm geworden? Er wäre wahrscheinlich noch immer zurückgezogen in dem kleinen Häuschen auf den Klippen. Oder vielleicht hätte er sich mittlerweile auch schon von den hohen Felsformationen in die See hinuntergestürzt, wie er es so lange vorgehabt hatte. Er schloss die Augen und versuchte, alle diese Gedanken so weit wie möglich von sich zu schieben. Solche Spinnereien hatten im Moment keinen Platz in seinem Kopf. Auf einmal veränderte sich etwas in seinem Umfeld, alles schien trotz seiner geschlossenen Lider heller zu werden und Tom hörte ein Kichern, bevor er überrascht die Augen aufschlug. Fé stand vor ihm, auf der anderen Seite des Türrahmens. Die Tür hatte sie geöffnet und ihn da stehen sehen, mit zugekniffenen Augen, gerümpfter Nase und hocherhobener Faust. „Kommt da noch etwas?", fragte sie spöttisch und hielt sich die eine Hand vor den Mund. Tom ließ seine Hand fallen. „Ähm... ja, also... nein, eigentlich... ich wollte nur... ich hab... in der Zeitung... hast du schon... Ach eigentlich ist es gar nicht so wichtig, ich geh wieder runter", stotterte er, bis er es schließlich aufgab und kehrt machen wollte, doch Adara kam ihm zuvor. „Ja, das ist fantastisch! Ich hab's gerade gelesen! Wie findest du den Artikel?", flötete sie und lächelte ihn mit strahlenden Augen an. Tom stutzte kurz. „Ähm... also mir gefällt er eigentlich nicht so gut, muss ich gestehen", gab er zu und kratzte sich am Hinterkopf. Nun stutzte auch Fé, drehte sich um und Tom hatte schon Angst, er hätte sie beleidigt, als er erkannte, dass sie lediglich die Zeitungsausgabe von ihrem Bett holte. Er bereute es, die letzte Nacht nicht wieder an ihrer Seite verbracht zu haben, aber am gestrigen Abend hatte sich einfach keine Gelegenheit mehr ergeben und so waren sie beide alleine in ihren eigenen Betten eingeschlafen. Jetzt hielt Fé ihm die Titelseite entgegen und Tom errötete ein wenig. „Rekordsumme: Über 2,5 Millionen an Wohltätigkeitsveranstaltung gespendet", prangte in fetten, schwarzen Lettern die Schlagzeile im oberen Bereich, darunter hatte man ein Bild von ihm gesetzt. Ein älteres schon, es mochte noch aus der Zeit seines Studiums stammen. Warum hatten sie kein aktuelles genommen, wo doch so viele Photographen auf dem Ball waren? „Um ehrlich zu sein habe ich den noch gar nicht gelesen", meinte er verlegen grinsend. Fés Augenbrauen stürzten sofort aufeinander zu. „Wovon sprichst du dann?", wollte sie wissen. Ihre Mundwinkel waren seltsam in die Höhe gezogen. „Seite sieben", erwiderte Tom und Adara blätterte sogleich drauf los. Er ließ ihr Zeit, sich den Text durchzulesen und wartete ihre Reaktion ab. Nach einer Weile begann sie schließlich zu lachen und schlug sich eine Hand vor den Mund. „Ich kann verstehen, dass dir das nicht so gefällt, Tom", presste sie hervor und wischte sich eine Träne weg. „Sie bezeichnen dich hier im gleichen Satz als hochnäsigen Schnösel und nicht ernstzunehmenden Witzbold. Und mich nennen sie... oh... eine schöne unbekannte... die Thomas Right aus dem Zylinder gezaubert hat. Nun gut, ein Zylinder war es zwar nicht und gezaubert hast du auch nicht wirklich, aber das mit dem unerwarteten Auftauchen stimmt ja wohl im wahrsten Sinne des Wortes", verkündete sie und rang sich ein Lächeln ab, als sie wieder von dem Papier aufblickte. „Tut mir Leid für dich, Tom." Er winkte ab, erinnerte sich dann aber, weswegen er überhaupt hergekommen war – nebst seiner Hose natürlich. „Was ich dich eigentlich fragen wollte, Fé: weshalb hast du der Organisation so viel Geld gespendet? Die meisten Leute dort sind Scharlatane, die das ganze Jahre über faul auf ihren Hintern sitzen und selbst mehr Geld kassieren als sie nach Indien oder Malaysia weitervermitteln."

Adarazuckte nur leichtfertig mit den Schultern. „Vielleicht wollte ich dir aucheinfach die Blamage ersparen? Stell dir nur mal vor, wie die sich ihre Mäulerüber dich zerrissen hätten, wegen den zehn Euros. Jetzt bis du lediglich einkleiner Scherzkeks." Tom bemühte sich vergebens, Adara mit einem strengen Blickzu bedenken, wie es sein Vater früher stets bei ihm getan hatte, denn die jungeFrau strahlte ihn förmlich an und böse konnte er ihr sowieso nicht sein. Nichtnach dem wundervollen Abend, den sie gestern miteinander verbracht hatten.     


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Okay, ich hab grad bemerkt, dass die Kapitelüberschrift SEHR mehrdeutig verstanden werden kann XD ich dreh durch vor lachen, ich kann nicht mehr! Hoffe, ihr hattet einen kleinen Schock, als ihr das gesehen habt XD hab euch alle Lieb, das nächste Kapitel wird der Knaller, das verspreche ich euch, es hat mir sehr gefallen, es zu schreiben. Das hier ist für @the_toasted_toast weil sie sonst nicht schlafen kann ;) hdl <3


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