28. Herzklopfen?
Adara war oben bei Tom. Dieser trug nun einen weißen Verband über seinem Auge und sah damit aus wie eine Piratenmumie. Sie war bisher noch nicht in seinem Zimmer gewesen. Es war groß, mit anthrazitfarbenen Wänden und edlen Möbeln aus warmem Holz. Vielleicht Palisander oder Walnuss. Und überall fanden sich Leuchten, die trotz der kalten Wandfarbe eine gewisse Wärme ins Zimmer brachten. Sie hatte sich neben ihn aufs Bett gesetzt. Ganz langsam und behutsam ertastete sie die Prellung an seinem Knie, die der Arzt mit einer Salbe bestrichen hatte und löste den Verband vorsichtig. Unter Toms Haut hatte sich ein großer, dunkler Fleck gebildet. Unsicher schaute sie ihn kurz an, fuhr dann aber fort. Schmerz durchzuckte sein Bein, gefolgt von einer unwahrscheinlichen Wärme und ganz schwach glaubte er sogar ein Glühen unter Fé's Hand gesehen zu haben, dann war es vorüber. „Geht es?", fragte Adara leise und sichtlich besorgt, aber Tom stieß nur einen Schwall Luft aus Mund und Nase aus. „Es ist echt heftig, was du da tust", keuchte er nach einer Weile. „Aber es tut gut", fügte er hinzu, gerade als sie schuldbewusst den Kopf zu senken begann. Sie schaute ihn daraufhin eindringlich an und die Frage, ob sie weitermachen sollte, hing zwischen ihnen in der Luft. „Ja, bitte", flüsterte Tom und klopfte auf die Matratze um Fé zu bedeuten, dass sie weiter ans Kopfende rutschen solle. „Weshalb schlagen sie dich? Ich kann das nicht verstehen", murmelte sie, als sie vorsichtig sein T-Shirt nach oben schob und sich seine Seite besah. Nur ganz kurz streifte ihr Blick seine Bauchmuskulatur, die es jedoch vermochte, sie von ihrem Vorhaben abzulenken. „Sie wollten, dass ich gestehe", antwortete Tom müde. Adara schaute ihn nur fragend an. „Das mit meiner Familie vor einem Jahr", erklärte er knapp und stöhnte auf, als Fé wieder schmerzhafte Impulse durch seinen Körper jagen ließ. „Der Arzt sagte, deine Rippe wäre gebrochen", sagte sie leise aber bestimmt „das wird jetzt etwas weh tun." Und es tat weh. Sehr sogar. So sehr, dass sie zwischendrin kurz aufhörte und Tom die Gelegenheit gab, durchzuatmen. „Sag mir, was das ist", forderte er von ihr und spielte mit dem Saum ihres kurzen Kleides. Adara richtete sich auf, blieb aber neben ihm sitzen und schaute seiner Hand zu. „Ein Kleid", entgegnete sie ruhig. „Seit wann trägst du so etwas? Ich hätte dich heute fast nicht erkannt", fuhr Tom fort. „Maria hat es ausgesucht. Gefällt es dir nicht?" Adara schaute Tom lange an, unschuldig und aufrichtig. Aber das war es nicht, was Tom irgendwie störte. „Doch, doch", beteuerte er, biss sich dann aber auf die Lippen. „Ich frage mich nur, ob das wirklich du bist...", flüsterte er und schaute Fé eindringlich an. Wie er den Anblick ihres Gesichtes vermisst hatte. Diese unscheinbar tiefblauen Augen. Und er lächelte bei ihrem Anblick. Lächelte trotz der Schmerzen, lächelte liebevoll und freundlich und suchte wieder Adaras Hand. Doch diesmal entzog sie sie ihm und fuhr fort, seinen Oberkörper zu bearbeiten. Tom schrie, als es in seiner Brust laut knackte, doch kurz darauf fühlte er, wie die Wärme alles bis in die letzte kleine Faser ausfüllte. Mit Schweißperlen auf der Stirn fiel er in die Kissen zurück. Fé schaute ihn mitleidig an. „Es tut mir leid Tom", wisperte sie, doch er legte nur seine Hand auf die ihre, die noch immer auf seiner Seite ruhte. Als sie zu seinem verbundenen Auge kam und den Verband vorsichtig löste, kribbelte es seltsamerweise in Toms ganzem Körper. Er konnte ihren Atem auf seinem Gesicht spüren, wenn auch nur ganz schwach. Ihr langes Haar kitzelte ihn am Bauch, als es sanft darüber fuhr. „Bereit?", fragte Adara und nahm Toms gesamtes Gesicht in Augenschein. Vom makellosen Kinn bis hin zum Haaransatz, über das geschwollene Auge und die regelmäßige, gerade Nase. „Bereit", hauchte er und machte sich auf große Schmerzen gefasst, die aber nicht kamen. Er spürte nur ihre kühle Hand, die sich sachte auf sein Gesicht legte und den Schmerz und die Hitze vertrieb. Sie war ihm so nah. Und auf einmal sah er sie wieder viel besser, als sie ihre Hand wieder wegnahm. Und sah er es. Wie gebannt schauten ihn die zwei schönsten Augen der Welt an, genauso wie seine eigenen zurückblickten und für einen Moment schien die Zeit einfach stehen zu bleiben. Als drehte sich die Welt für eine Sekunde nur um sie und als schneide ihnen der Zauber des Augenblicks die Luft zum Atmen ab.
Adara war die erste, die aus dieser Trance wieder erwachte und ruckartig etwas Abstand zwischen sich und Tom brachte. Nicht viel, aber genug, dass er ihren Atem nicht mehr spüren konnte. Sie atmete tief ein, räusperte sich dann etwas verstohlen und richtete ihren Blick dann auf seine Stirn. „Bleibt nur noch eine", meinte sie seufzend und Tom grinste. „Findest du das etwa schade?", hakte er lachend nach. Auch Fé musste kurz schmunzeln. „Oh ja, natürlich! Mir macht es schließlich einen Heidenspaß, dich hier wieder zusammenzuflicken!", erwiderte sie und machte dann das Pflaster von Pflaster von seiner Stirn ab. „Das sieht ja richtig fies aus", murmelte sie, zeterte aber nicht weiter und vollendete ihren Job ohne auch nur die geringste Spur auf Toms Haut zu hinterlassen. „Danke", raunte Tom und hatte schon wieder nach ihrer Hand gegriffen. Nicht, dass sie es nicht gemocht hätte, aber plötzlich stieg eine unerklärliche Panik in ihr auf. Sie trug zwar eine schier unbändige Freue darüber, dass Tom wieder zurück war, in sich, aber da war auch plötzlich diese Nähe, die sie einerseits genoss, vor der sie sich aber ebenso fürchtete. Sie waren nicht gleich. Und doch war da etwas, das sie verband, so seltsam es auch klingen mochte. Und er schaute sie so durchdringend an, so warmherzig und obwohl er körperlich so stark war, sprach sein Blick Bände, ließ ihn schwach wirken, verletzlich. Schmachtete er sie etwa gerade an?
Wie wachgerüttelt von dieser Erkenntnis stand sie beinahe sprunghaft auf. „Ist etwas?", fragte Tom nun sichtlich beunruhigt, aber Adara schüttelte nur den Kopf, unfähig auch nur ein Wort herauszubringen. Er hatte es tatsächlich geschafft, die aus dem Konzept zu bringen! „Ich muss... muss nur noch... duschen", stotterte sie und fasste sich an die Stirn. Tom schaute sie ungläubig an. „Du willst duschen?", fragte er schmunzelnd und erst da bemerkte Adara ihren Fauxpas. „Ich meine... Nein... Ich... Du weißt schon... Sehen... Sehen wir uns unten?", haspelte sie hilflos und stolperte auf die Tür zu. Toms Grinsen in wurde immer breiter. „Gerne", meinte er „aber Fé?" Adara blieb stehen und schaute zu ihm zurück. „Ja?" „Das ist der Wandschrank."
Eine halbe Stunde später hatte sich Tom frisch geduscht durch den Flur geschleppt und stieg nun langsamer als ein Faultier auf Schlaftabletten die Treppen hinunter in die Eingangshalle. Aus dem Esszimmer hörte gedämpfte Stimmen, zweifelsohne Henrys, die gerade etwas zu verkünden schien. Als Tom näher kam, sah er, wie das Dienstmädchen wie bestellt und nicht abgeholt an der Tür stand und ihren Kopf gegen das weiße Holz presste. Tom stutzte. „Ida, was tun Sie da?", fragte er unvermittelt und die junge Frau schrak zusammen als hätte man sie gerade mit einem Kessel Eiswasser begossen. „I... i... ich?", fiepte sie und fasste sich empört an die Brust, was in Tom aber keine großen Regungen hervorrief. „Haben Sie etwa gelauscht?", fragte er irritiert und so irgendwie gar nicht glücklich über diesen kleinen Verrat unter dem Hauspersonal. „Gehen Sie mir aus den Augen", zischte er genervt, als er keine Antwort erhielt. Kopfschüttelnd sah er ihr hinterher, wie sie in Richtung Küche davonrauschte und bei sich hatte er schon beinahe den Entschluss gefasst, dieses Mädchen nicht weiter beschäftigen zu wollen. Kaum war sie außer Sichtweite, betrat er den Essraum, in dessen Mitte Fé schon am langen Tisch saß und mit Henry diskutierte, während Maria den Tisch deckte. Schon erstaunlich, wie gut sie mit dem manchmal mehr als grimmigen Butler auszukommen schien, dachte Tom bei sich. Das hatte er irgendwie nicht erwartet. Natürlich freute es ihn und schließlich war Adara eine sehr charmante, witzige und überaus hübsche junge Frau, die es wohl schaffte, jedes Herz im Sturm zu erobern. Wie seins. Bei diesem Gedanken musste er unwillkürlich lächeln. Als sie ihn entdeckte, stahl sich auch auf ihre Lippen ein Lächeln und auch Henry hob den Blick. Als er seinen Arbeitgeber sah, räumte er sofort den Poststapel fort, um dem jungen Mann Platz zu machen, was aber bei den Ausmaßen des Tisches gar nicht nötig gewesen wäre. Im Vorbeigehen klopfte er dem alten Mann freundschaftlich auf die Schulter. „Danke, Henry." Und damit war nicht nur die Post gemeint, sondern alles, was dieser in letzten zwei Wochen für ihn getan hatte. Sein Blick glitt dabei flüchtig über den Stapel in den Armen des Butlers und für einen kurzen Moment glaubte er einen zart Elfenbeinfarbenen Umschlag mit einem nur allzu bekannten Emblem erblickt zu haben und so stutzte Tom, ging einige Schritte zurück und griff nach dem Brief, noch bevor Henry überhaupt registriert hatte, was da vor sich ging. Als er sich umdrehte, drehte Tom das Papier schon grimmig in seinen Händen und hielt es dann vorwurfsvoll in die Höhe. „Ich will das nicht hierhaben, Henry", meinte er kalt. „Aber Master Thomas", protestierte der Butler „Sie hatten Miss Adara doch zugesagt, mit ihr hin zu gehen", meinte er versöhnlich und wies mit den Augen auf einen Punkt hinter Tom, dorthin, wo sich Fé wohl gerade befand, aber Tom drehte sich nicht zu ihr um. „Ich werde bestimmt nicht hingehen, nach allem, was passiert ist", knurrte er weiter „der Klatschpresse will ich schließlich nicht noch mehr Futter liefern." Und mit einem abfälligen Blick auf den Briefumschlag meinte er: „Werfen Sie ihn weg, Henry." In diesem Moment nahm er einen Farbtupfer am Rande seines Blickfeldes wahr und einen Augenblick später stand Fé neben ihm. „Ehrlich gesagt", meinte sie verhalten und warf dem Papier in Toms Händen verstohlene Blicke zu „ist das meine Einladung." Jetzt verstand Tom gar nichts mehr.
„Ihr habt WAS?", rief er entsetzt und sprang von seinem Stuhl auf, als die Geschichte notdürftig erzählt worden war und Fé schaute betreten zu Boden. „Wisst Ihr eigentlich, wie gefährlich das für sie werden kann? Sie ist eine Meerjungfrau!" er fasste sich an die Stirn. „Das darf doch alles nicht wahr sein", keuchte er verzweifelt. Nicht genug, dass sich Fé notgedrungen Henry und Maria anvertraut hatte, nein, sie war auf einer Polizeiwache und bei dem Geschäftsführer eines internationalen Großunternehmens erschienen. Und wieder fragte sich Tom, wie Adara da nur wieder heil hatte rauskommen können. „Dass keiner nach deinen Personalien gefragt hat", murmelte er und schüttelte ungläubig den Kopf. Fés Kiefermuskulatur arbeitete, das konnte er sogar über die Entfernung sehen. Zum ersten Mal fand er, dass Adara müde aussah. Er hatte sie zwar schon seit Tagen nicht mehr gesehen, aber unter ihren Augen hatten sich tatsächlich sanfte Ringe gebildet. „Die hätten dich einsperren können!", rief er an der Grenze zur Wut. Wie konnte sie nur so unüberlegt handeln? Und vor allem: Weshalb um Himmels Willen forderte sie ihr unverschämtes Glück auch noch dermaßen heraus? Fühlte sie sich so unbesiegbar, dass sie sich gleich einem riesen Publikum samt Presse stellen wollte? War sie wirklich so dumm und vor allem: Hatte er sich tatsächlich so sehr in ihr getäuscht? „Jetzt kommen Sie mal wieder runter, Thomas!", schaltete sich nun aber Maria ein und stellte sich mit in die Hüften gestemmten Armen neben Adara. Toms Mund klappte unter ihrem strengen Blick auf wie eine ungesicherte Ladeluke. Waren denn alle hier vollkommen übergeschnappt? Henry hielt ihm irgendetwas hin, das nach einer EC-Karte aussah. Bei näherem Betrachten stellte es sich aber Ausweis heraus. Als Fés, um genau zu sein. Ein Kloss bildete sich in Toms Hals. Adara hatte einen Ausweis? Als nächstes wurden ihm eine Geburtsurkunde, ein Schulzeugnis, eine Krankenversicherungsnummer und zu guter Letzt eine Kontobescheinigung samt Steuerbescheid vorgelegt. Als er die Papiere überflog, fielen Tom beinahe die Augen aus dem Kopf. „Wo... Wo habt ihr die denn her?", keuchte er verwundert und überrumpelt zugleich. Und dann überbekam ihn ein ganz übler Verdacht. „Die sind doch nicht etwa gefälscht? Das ist illegal!" Aber alle drei schüttelten synchron die Köpfe. Maria ergriff wieder das Wort und in ihrer Stimme war nun deutlich mehr Ruhe und Wärme als zuvor. Sie nickte hinüber zu Henry. „Unser gute Henry hier hat einen Bruder. Charles. Und Charles arbeitet ganz oben bei der Staatsverwaltung. Er war so gütig, uns in dieser kleinen Angelegenheit behilflich zu sein", erklärte sie und machte eine ausladende Bewegung. Toms Augenbrauen schnellten in die Höhe. „Ihr habt noch mehr Leute eingeweiht?", keuchte er verzweifelt und verstand nicht, wie die drei, die ihn nun so unschuldig anschauten, nur so unüberlegt sein konnten. „Das war nicht nötig", entgegnete Adara. „Wie, nicht nötig? Seit ihr verrückt?", blaffte Tom etwas grob zurück. Fé schluckte die Bemerkung hinunter, als wäre sie an ihr abgeprallt, aber als sie wieder sprach, bekam Tom zu spüren, dass er gerade einen Schritt zu weit gegangen war. „Denkst du, ich wäre die einzige Meerjungfrau, die sich zur Zeit an Land tummelt?", fragte sie mit zittriger Stimme. „Wie es der Zufall so will, ist Charles Frau wie ich. Und wo denkst du, nimmt Cartier den Großteil seiner Schmucksteine her? Jedenfalls nicht von den korrupten Minenarbeitern aus Peru!" D Kloss in Toms Hals wurde immer grösser. Adaras Augen füllten sich mit Tränen. „Und wenn du denkst, dass ich das alles einfach so gemacht hätte, dass ich das gern gemacht hätte, dann irrst du dich! Ich muss auf diese Veranstaltung, weil ich den Schmuck tragen soll. Das war die Abmachung mit Cartier. Deswegen haben wir dich aus dem Knast holen können, du Idiot!" Und mit diesen Worten rauschte sie aus dem Raum und ließ die Tür hinter sich knallen. Ihre Stimme war zuletzt kaum mehr als ein heiseres Zittern gewesen. Hilfesuchend schaute Tom zu Maria und Henry, doch die hatten nur strenge Blicke für ihn übrig. Als auch Tom aufstehen wollte, wurde er zurückgehalten und wieder auf seinen Stuhl gedrückt. „Es gibt noch etwas, dass Sie wissen sollten", meinte Henry und schaute ihn eindringlich an.
Jesus, ich habe so sehr gelacht, als ich dieses Kapitel geschrieben habe, das glaubt ihr mir ja gar nicht!! XD Ich hoffe ihr habt bei der Wandschrank-Pointe auch etwas geschmunzelt ^^ Darf ich nochmal aufmerksam machen auf die grandiose Geschichte meiner Freundin Ysilra (die ich nebenbei betalesen darf ^^)? "Keitha" ist wirklich umwerfen gut, witzig, unvorhersehbar und vor allem: magisch *-* ich LIEBE es :) würde mich freuen, besonders da ich a weiss, dass einige dort auch schon eifrig mitlesen ;) Bis bald! LG Janine aka Schimmelreiter
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top