25. Alles hat seinen Preis
„Sehr schön, sehr schön", meinte der ältere Mann hinter dem Tresen und legte den winzigen Aquamarin behutsam zurück zu den acht anderen auf den weißen Stofffetzen, bevor er sich das Vergrößerungsglas vom Auge nahm. „Achtundzwanzig Karat, Facettenschliff, Reinheit VSI, würde ich sagen", meinte und rang sich zufrieden die Hände. „Wenn ich einwenden darf", sagte Henry „diese Steine sind nicht bloß VSI, also mit kleinen Einschlüssen. Sie sind mindestens augenrein, da bin ich mir fast sicher." Der Schmuckhändler schaute ihn einen langen Moment einfach nur an, bevor er weitersprach. „Oh, Sie kennen sich aus?", fragte er interessiert und Adara wusste nicht, ob er damit nur seine Nervosität überspielen wollte oder nicht. Sie konnte diesen Mann recht schlecht einschätzen. „Nun ja, ein wenig", gab Henry etwas bescheiden zu und strich sich über seinen Schnauzer. „Woher haben Sie diese Steine, Miss?", hakte der Händler dann aber an Adara gewandt nach. „Von meiner Großmutter, es sind Erbstücke", erwiderte sie und kaschierte das nervöse Zucken ihres linken Mundwinkels geschickt mit einem charmanten Lächeln. „So so", entgegnete der Mann und schaute sich den Aquamarin noch einmal an. „Sie müssen einst noch intensiver gewesen sein, Aquamarine verblassen mit den Jahren." Schließlich seufzte er, nahm das Okular wieder ab und wiegte den Stein einen Moment in seiner Hand. „Ich kann Ihnen für diesen einen Stein hier sechshundert Euro bar auf die Hand geben", meinte er dann, aber Henry protestierte sofort. „Nein, mein Wertester, das ist leider nicht annehmbar. Sie halten einen Aquamarin erster Güte in der Hand. Sie selbst werden ja wohl erkennen, dass die Farbgebung mindestens eine Doppel-A ist und der Reinheitsgrad ist auch höher. Das sind Aquamarine der besten Sorte und dieser hier mit seinen achtundzwanzig Karat ist mit Sicherheit mehr wert als sechshundert Euro." Kopfschüttelnd wandte er sich dann an Adara, packte die Steine sorgfältig wieder ein, genauestens darauf bedacht, dass kein einziger in den Hosentaschen des dubiosen Händlers verschwand, und meinte dann: „Wir gehen. Über den Tisch lassen wir uns nicht ziehen. Einen schönen Tag." Und damit war die Sache erledigt. Henry steuerte zielsicher zum Wagen, aber in Adara machte sich ein flaues Gefühl breit. „Machen Sie sich nichts daraus, Miss. Es gibt noch viele Käufer hier in Dublin. Und zwar solche, die uns weitaus mehr bezahlen als diese läppischen sechshundert Euro, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen", meinte er, als er ihr die Tür aufhielt. Doch seine Worte vermochten Adara nicht wirklich zu beruhigen. „Sechshundert Euro in der Hand sind besser als elftausend im Kopf", murmelte sie und sah betrübt aus dem Fenster. Henry seufzte leise. Natürlich hatte Adara Recht, besonders da sie unbegrenzt viele dieser Edelstein aus dem Hut zaubern konnte, aber es widersprach Henrys Moral, solchen Betrügern wie diesem ersten Händler in die Karten zu spielen. „Wir werden einfach weitermachen. Vergessen Sie diesen ehrenlosen Typen", meinte er und fuhr vom Parkplatz.
Und er würde Recht behalten. Die kleine Glocke über dem Eingang klingelte, als sich die Tür öffnete und Adara samt Henry und dem Bodyguard in den schmucken Laden traten. Trotz der recht alt aussehenden Holzgarnitur und der spärlichen Beleuchtung vermittelte der Laden einen heimeligen, herzlichen Eindruck. Es roch an alten Büchern und Glaspolitur und in den Schaufenstern unter der Theke waren allerhand alte Stücke ausgestellt. Der Raum glich eher einem Antiquitätenladen als einem Juweliergeschäft, aber man sollte sich nicht vom ersten Eindruck täuschen lassen. Auch viele Schmuckstücke waren zu sehen, die meisten eingebettet in schmucke Holzschatullen mit Samtkissen, auf welchen die Ketten und Ohrenringe ruhten. Hinter der Theke wurde auf einmal ein schwerer Vorhang zur Seite gezogen und aus dem Hinterzimmer trat ein älterer Mann im schicken Wrack und rubinrotem, besticktem Jackett, an dem eine goldene Uhrenkette baumelte. Er stand Henry in nichts nach.
„Sie wünschen?", fragte er freundlich und schenkte seiner Kundschaft ein offenes Lächeln. Keines dieser schmierigen, vorgetäuschten wie es der erste Händler aufgesetzt hatte. Nein, ein ehrliches, ernsthaft interessiertes, wie es Maria immer trug. „Wir haben telefoniert, denke ich. Henry Carmicle mein Name. Wir sind hier, um einige Steine zu verkaufen", meinte der Butler ebenso höflich und blieb dabei so sachlich wie eine Maschine. Das Gesicht des Verkäufers erhellte sich aber augenblicklich. „Ah, ja, ich sehe schon. Ich bin sehr erfreut über Ihr kommen. Bitte, treten Sie doch näher", forderte er sie auf. Einen Moment später begutachtete nun auch er die Edelsteine, die Henry ihm vorlegte. „Wow", entfuhr es ihm, als er den ersten Edelstein gegen das Licht vor sein Okular hielt. „Meine Güte, einen Stein solcher Qualität habe ich schon lange nicht mehr gesehen!", meinte er offensichtlich beeindruckt. „Darf ich fragen, woher Sie diese Prachtstücke haben? Verzeihung, ich möchte Ihnen damit nicht zu nahe treten", meinte er, aber Adara winkte ab. „Das geht schon in Ordnung, denke ich. Es sind Erbstücke meiner Großtante Marie", erklärte sie und schenkte auch diesem Händler eines ihrer charmanten Lächeln, um die Lüge dahinter zu verstecken. Der Mann, dessen schütteres Haar mindestens genauso silbergrau war wie Henrys, kräuselte aber die Lippen und nickte nur anerkennend. „Diese Steine sind wirklich etwas ganz Besonderes", raunte er und sprach dabei wohl mehr zu sich selbst als zu seinen Kunden. „Intensive Farbe, ich würde meinen, sie seien frei von jeglichen Einschlüssen – das bedeutet im Großen und Ganzen, dass sie die höchsten Standards erfüllen und wertvoller sind als Steine niedriger Reinheitsklassen", erklärte er kurz und schaute Adara und Henry kurz an, bevor er den Stein wieder auf das weiße Stofftuch zurücklegte ehe er eine Waage hervorholte. Behutsam wurde der betrachtete Aquamarin dann in die Waagschale gelegt. „Oh, zwanzig Karat", meinte der Händler erfreut. „Das ergibt einen Preis von...", fuhr er fort, zückte einen Taschenrechner und murmelte die Parabeln und Koeffizienten vor sich hin, die es zu beachten galt. „Das gibt einen Verkaufspreis von zehntausendachthundert Euro", verkündete er einen Moment später und Adaras Zuversicht, Tom bald wiedersehen zu können, stieg in diesem Moment rasant an. Doch der nachdenkliche Blick des Ladenbesitzers versetzte ihr gleich darauf wieder einen Dämpfer. „Was ist?", fragte sie verunsichert. Der Händler nahm die Brille ab und schaute sie eindringlich an. „Die Steine sind hervorragend, das gebe ich zu, alles andere wäre auch erstunken und erlogen. Aber für mich als Kleinhändler stellt es ein doch recht großes, finanzielles Risiko dar. Die Aquamarine müssen weiterverarbeitet werden, in Silber eingearbeitet und zu Schmuckstücken umgearbeitet werden. Und dann muss ich sie verkaufen können. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen in meiner derzeitigen Lage nicht mehrere Steine abkaufen, ich bedaure", meinte er sichtlich unglücklich über seine Entscheidung und auch in Adara sank der Mut weiter. Wenn das so weiterging, würde sie niemals genügend Aquamarine verkaufen. „Das ist schade", erwiderte sie so gefasst wie möglich und hielt die aufkommenden Tränen zurück. Keiner, und schon gar nicht dieser Händler sollte sie weinen sehen. Natürlich war sie enttäuscht über den Verlauf der Dinge, besonders da sie nun eine ehrliche Haut gefunden hatten, der nicht allein darauf aus war, sich selbst zu bereichern. Gerade als sie sich zum gehen wenden wollte, warf er aber noch etwas ein. „Aber! Ich kann Ihnen einen Stein abkaufen – als Muster sozusagen. Und dieses Muster zeige ich meinen Kunden und bei Interesse bestelle ich bei Ihnen was ich brauche. Wäre das ein Deal?", schlug er vor und schaute Adara von der Seite her an. Ein unsicheres aber freundliches Lächeln lag auf seinen Lippen und sein Vorschlag war ein Kompromiss, der wahrlich für beide Seiten Vorteile brachte. „Einverstanden", meinte Adara daraufhin mit Mundwinkeln, die sich selbstständig machten und nach oben fuhren. Strahlend schlug sie auf den Deal ein und erhielt im Gegenzug einen allerersten Check im Gegenzug für den einen, kleinen Aquamarin. Zehntausendachthundert Euro stand dort eingetragen, darunter thronte eine Feinsäuberliche Unterschrift. Und nachdem sie sich verabschiedet hatten und schon fast wieder bei der Tür waren, öffnete der Verkäufer noch einmal seinen Mund, schien sich aber nicht sicher zu sein, was er denn fragen wollte. „Wie viel Nachschub können Sie denn liefern?", brachte er schließlich doch noch hervor und entschuldigte sich im nächsten Moment gleich wieder für seine unverschämte Frage, doch Adara winkte erneut ab. „Es ist schon in Ordnung, Sie müssen schließlich wissen, was sie verkaufen können und was nicht. Meine Großtante hat mir etwas über vierhundert dieser Steine vermacht. Sie waren ursprünglich dazu gedacht gewesen, in einem Abendkleid verarbeitet zu werden, dieser Plan wurde allerdings nie in die Tat umgesetzt und nun will ich sie am liebsten alle Verkaufen", erklärte sie und schenkte ihm wieder ein charmantes, entwaffnendes Lächeln. „Aber natürlich, das verstehe ich", erwiderte der Schmuckwarenhändler und hielt ihnen die Tür auf. „Dann auf hoffentlich sehr bald!", meinte er und hob die Hand zum Gruß, als Henry, Adara und der Mann in schwarz draußen und wieder auf dem Weg zum Wagen waren.
„Wollen Sie mir das nicht lieber geben, Miss?", meinte Henry auf den Check in Adaras Händen zeigend und setzte sich seine Chauffeursmütze wieder auf den Kopf. Adara reichte ihm das Papierstück vom Rücksitz über die Schulter durch und er ließ es im Aktenkoffer verschwinden. „Ich habe ein mulmiges Gefühl bei der Sache", meinte er, als er den Blinker setzte und auf die Straße heraus fuhr. „Wenn er recherchiert, dann wird er sofort bemerken, dass es gar keine Großtante Marie gibt und dass eine so große Schenkung an Aquamarinen nie stattgefunden hat", ächzte er und drehte seinen Kopf wild herum, um auch wirklich jeden Winkel der Kreuzung und des Verkehrs im Auge zu haben. Einen Bentley, wenn auch einen relativ alten, zu Schrott zu fahren, würde ihn teuer zu stehen kommen. „Wieso meinen Sie, Henry?", hakte Adara nun ebenfalls etwas bedrückt nach. „Weil solche Besitzwechsel aufgezeichnet werden. Die Ware ist zu wertvoll, um einfach so verschenkt zu werden. Das wird alles überwacht", meinte er knapp und Adara schluckte schwer. „Wieso haben Sie mir das nicht gesagt, Henry?", keuchte sie und wurde ganz panisch bei dem Gedanken, dass nicht Tom heraus, sondern sie selbst ins Gefängnis hineingehen würde, wenn dieser nette, alte Mann von vorhin tatsächlich nachhakte. „Miss, machen Sie sich keine Sorgen", versuchte Henry sie zu beruhigen. „Ich glaube nicht, dass er irgendetwas hinterfragen wird. Ich denke, er hat Ihre Geschichte geschluckt. Außerdem braucht er das Geld für seinen Laden. Sollte er je auf uns zukommen, werde ich uns schon zu helfen wissen", meinte er. Adara schwieg einen Moment lang. „Sie meinen doch nicht etwa...", brachte sie dann etwas krächzend hervor und verstummte dann wieder. Henry hatte ihren schockierten Tonfall allerdings herausgehört. „Aber nein! Halten Sie mich etwa für einen Mörder? Ich werde versuchen, mit ihm zu sprechen, irgendwie eine Tante Marie aus dem Hut zu zaubern oder ihn im Notfall sogar bestechen. Sie müssen wissen, die meisten Menschen sind leider käuflich."
Adara wurde rot bei diesen Worten. Sie hatte im ersten Moment in der Tatgedacht, dass Henry vorhatte, den netten Händler einfach um die Ecke zu bringenund es war ihr auch überaus peinlich. Und sie schämte sich in einer Weise auchdafür, irgendwie zu den Menschen zu zählen. Sie sah aus wie eine von ihnen,begann sich wie eine von ihnen zu benehmen, sich wie eine von ihnen zu fühlenund damit ja wohl auch, wie eine von ihnen zu handeln. Fast jeder Mensch seikäuflich, hatte er gesagt. War Henry wohl käuflich? Wo lag sein Preis? Womit konnteman ihn wohl dazu bringen, einfach alles zu tun? Oder eben nichts, wie im Falldes Edelsteinhändlers. Und wo lag ihr eigener Preis? Diese Gedanken ließen sieden gesamten Tag über nicht mehr los. Über die folgenden, weitausreibungsloseren Verhandlungen mit mehr oder weniger interessierten und seriösenHändlern und den erfolgreichen Handelsabschlüsse, freute sie sich nur mäßig,bekam die Hälfte davon kaum mehr mit. In ihrem Kopf arbeitete es und ihreGedanken schweiften immer wieder zu Tom zurück. Zu ihm und seiner Familie unddem seltsamen Vorfall, der nun schon ein Jahr zurücklag. Wer hatte ihnen dasnur angetan und aus welchen Gründen? Womit konnte man jene Person dazu gebrachthaben? Und wie um Himmels Willen sollte sie das je herausfinden? Sie wusste jaselbst am besten, wie sehr man auf Rache erpicht war, wenn einem ein so großesStück aus dem Herzen gerissen worden war. Tom durfte es wohl kaum andersergehen. Er hatte am Abgrund gestanden, war innerlich mehr tot als lebendiggewesen, als sie zu ihm gestoßen war. Und sie überlegte weiter. Für sie war eseinfach, den Mörder ihres Vaters ausfindig zu machen. Sie brauchte lediglichdas Orakel zu befragen. Das Orakel, das alles über jeden wusste, solange ersich im Wasser befand. Sie würde ihre Rache schnell kriegen. Aber Tom?
Na? Was geschieht mit Tom? Hallo meine Lieben! Und Entschuldigung. Ich hab lange nicht geupdatet, das tut mir leid! heute aber wieder ein Kapitel ;) Ich hoffe, es gefällt euch! Und wenn ich sehe, dass dieses Kapitel gut ankommt, dann gibt es schon bald das nächste (Neiiiinn, das ist keine Erpressung, hehe) Wie immer: Votes und Kommentare gern gesehen, ich freue mich nämlich immer :D
Bis bald!
Eure Schimmelreiter <3
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