102. Und dann kommt das...

Hallo meine Lieben <3 Ich hab am Montag die Uni angefangen. Ziemlich unübersichtlich und kompliziert das alles. Und so wie es aussieht, werde ich nicht mehr viel Zeit haben, um zu schreiben, geschweige denn noch so regelmässig zu updaten, wie es die letzten Wochen der Fall war. Verzeiht mir dafür. 

Ich hoffe, das Kapitel gefällt euch, es ist eines der letzten. <3


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Tülay war drauf und dran, auf dem Absatz kehrt zu machen, da hörte sie etwas Außergewöhnliches. Etwas, das sie so jetzt nicht erwartet hatte. Es klopfte. Langsam drehte sie sich wieder um. Etwas verwirrt schaute sie sich im Labor um, hatte sie doch zuvor niemanden gesehen. Oder war ihr etwas entgangen? Wie ein Radargerät suchte sie jeden Winkel des Labors mit ihrem Blick ab, doch alles schien genau so zu sein, wie es auch sein sollte. Alles war doch in perfekter Ordnung. Und dann klopfte es wieder. Tülay zuckte fast schreckhaft zusammen, fuhr herum und wäre beinahe erneut wie eine Katze hochgefahren, als sie wieder nur knapp vor dem ersten Wassertank zum Stehen kam und auch diesmal in das grimmige, vor Wut regelrecht bebende Gesicht des nichtsdestotrotz überwältigend schönen Meereswesens blickte. Die Lippen der Wasserfrau bewegten sich und Tülays Herz machte einen Satz. Sie konnte kaum begreifen, was sie zu sehen bekam. Bisher hatten sie angenommen, dass diese Wesen nicht zur Zwischenspezifischen Kommunikation fähig waren. Es eröffnete ihnen ganz neue Perspektiven! Die gesamte Forschung konnte maßgeblich revolutioniert werden! Bisher hatte sich auch noch keine der beiden Parteien die Mühe gemacht, mit dem jeweils anderen zu sprechen, oder sonstige Signale auszutauschen. Aber das! Das sah ja gerade so aus, als wollte die Meerjungfrau ihr etwas sagen – auch wenn Tülay bezweifelte, dass es sich dabei um etwas sonderlich Nettes handelte. Ganz aus dem Häuschen drehte sie sich um und suchte erregt nach einem Mikrophon, damit sie die vermutete Sprache dieser Wesen auf Band aufnehmen konnte. Aber kaum hatte sie sich abgewandt, ging das Klopfen wieder los. Es war der im anderen Wassertank sitzende, von Narben nur so übersäte Meermann, der nun ebenfalls gegen die Scheibe klopfte, zwar schwacher als das Weibchen, aber auch er klopfte. In ihren Ohren hörte Tülay schon, wie bei der Nobelpreisverleihung ihr Name ausgerufen wurde. Und dann, ganz plötzlich, wie so oft in ihrem Leben, überrollte die Realität sie wie eine große, übermächtige Welle und ließ sie wie ein begossener Pudel zurück. Sie gab die Suche nach dem Mikrophon auf, denn jetzt erkannte sie endlich, dass die Lippenbewegungen ihrer beiden liebsten Forschungsobjekte auch so Sinn ergaben. Sie sagten beide immer und immer wieder dasselbe, eine Wort. Und Tülay kannte es, schließlich hatte sie es selbst bis kurz zuvor auch immer wieder ausgesprochen. „Adara", flüsterte sie benommen.

Erst ergab es keinen Sinn für sie. Vielleicht, dachte sie, imitierten sie die Fischwesen auch bloß, schließlich konnten das sehr viele Tiere. Dann aber kam es ihr doch seltsam vor, dass beide der sonst so scheuen und schwer aufzutreibenden Meermenschen sich ausgerechnet jetzt so furchtlos zeigten und sich beschauen ließen – und das galt ganz besonders für das Weibchen mit der roten Flosse, das sie noch immer so zornig anschaute, als würde sie sie am liebsten lebendig häuten. Und dann formten sie mit ihren Lippen immerzu Adaras Namen. Tülay trat wieder näher an die Wassertanks heran. Irgendwie konnte das doch alles gar kein Zufall sein. Langsam schüttelte sie den Kopf, was ihr einen verwirrten Blick von der Wasserfrau einbrachte, also versuchte sie es anders. „Adara", sagte Tülay erneut und wieder antworteten beide Meermenschen ihrerseits mit demselben, doch stummen Wort. „Wo ist Adara?", fragte Tülay weiter, wurde diesmal aber auf eine Geduldsprobe gestellt. Bevor die Fischwesen diesmal antworteten, schauten sie sich lange an und in Tülay keimten tausend Gedanken darüber, dass sie wohl wortlos – telepathisch – miteinander kommunizieren mochten, doch dann ging schließlich auch ihr auf, dass sie sich nur ratlos anschauten. Sie seufzte. Das brachte doch alles nichts. Und dann, auf einmal und ohne Vorwarnung, legte der Meermann, dessen Körper die Heilfähigkeit offensichtlich schon größtenteils eingebüßt hatte, seine Hand an die Scheibe und wartete. Und Tülay starrte ihn ratlos an. Die rothaarige Schönheit mit dem feurigen Temperament warf ihm vernichtende Blicke zu, doch diese schienen an ihm abzuprallen wie an einer Granitplatte. Und er wartete. Lange musste er warten, bis Tülay endlich in die Gänge kam und zu ihm herüber torkelte. Ihre Knie waren ganz weich geworden, was nachweislich an der Aufregung legen mochte. Zögerlich, fast schon behutsam erhob sie ihrerseits die Hand, legte sie vorsichtig an die kalte Kunststoffwand. Ihr Blick kreuzte jenen des Wesens, das auf der anderen Seite im Wasser schwebte. In seinen Augen lag Wehmut und Tülay konnte nur ahnen, wie es in seiner Seele, die einem dermaßen geschändeten Körper innewohnte, aussehen musste. Sie realisierte auf einmal, dass sich ihre Sichtweise gerade verändert hatte. Sie hatte zum ersten Mal seit Beginn der Forschungsarbeiten den Gedanken gehabt, dass es sich bei den noch völlig unerforschten, heilenden Meereswesen um Seelen handelte. Dass es demnach nicht nur primitive Tiere waren, sondern fühlende, begreifende Wesen. Auf einmal tat es ihr schrecklich leid. Dass sie um der Forschung wegen und um Ruhm zu erlangen so viele durchaus schreckliche Dinge getan hatte. Und jetzt stand sie vor dem Wassertank in ihrem blütenreinen Kittel und hatte dem schönsten Wesen, das sie auf Gottes Erde je gesehen hatte, in die Augen zu blicken. Und sogar Tülay verstand diese so aussagekräftige Botschaft, welche die einfache Geste bedeutete. Der Meermann hatte seine Hand an die Scheibenwand gelegt und wartete darauf, dass Tülay es ihm gleichtat. Es brauchte keiner Worte, um zu sagen, was er damit meinte: Wir sind doch gleich. Und Tülay beschaute sich seine Hand, die in keinster Weise von jener eines Menschen zu unterscheiden war. „Na schön", hauchte sie und musste schwer schlucken, bevor sie schließlich ihre Hand gegen die Scheibe legte. Sie wusste genau, dass in dem Labor keine Kameras waren. So gesichert dieser Ort auch war, so sehr legte man auch Wert darauf, dass keinerlei Informationen an die Außenwelt gelangten – und seien es nur die Aufzeichnungen der Überwachungskameras. Tülay hatte in diesem Moment eine Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung, die einfach alles veränderte. Es ging gegen ihre innerste, moralische Überzeugung, Heilmittelforschung zu betreiben, wenn es auf Kosten offensichtlich fühlender Wesen ging. An Fischen herumzuexperimentieren, die für keinen anderen Zweck gezüchtet wurden, deren Gedächtnis die drei Minuten Marke nicht überstieg und welche sowieso nach drei bis vier Monaten wieder starben, war etwas völlig Anderes. Kaum jemand setzte sich für Laborfische ein, umso mehr gab es jedoch Organisationen, die in den letzten Jahren die Freiheit für Laborratten forderten. Oder die Menschenaffen, wobei Tülay das wiederum fast schon verstand. Und sie hatte ihren Batch nicht für die Sicherheitstür verwendet. Wenn sie die Meermenschen jetzt freiliess, an einem Betriebsfreien Tag, würde ihr das niemand nachweisen können. Ihre Hand glitt an der Scheibe herunter. Ihr war bewusst, dass sie ihr Forschungsteam verriet und der gesamte L.A.U.B. AG immensen Schaden zufügte, aber sie konnte einfach nicht anders, als Die Wassertanks über den Zentralen Computer zu entriegeln. Sie konnte nicht anders, als das Wasser abzulassen und obwohl sie sich immerzu fragte, weshalb sie das bloß tat, wusste sie tief in ihrem Innern, dass sie doch das Richtige tun musste. Diese Wesen waren keine wilden Tiere, welche man während der Jagdsaison schießen oder an denen man herumexperimentieren konnte. Sie gehörten weder in große Wassertanks noch überhaupt an Land und wenn sie sich nun besah, was sie dem Wassermann alles angetan hatten, drehte sich ihr der Magen um. Wie hatte sie das nur ertragen können? Wie hatte sie bloß so blind für all diese Grausamkeit sein können?

Kurz darauf saßen die beiden Meermenschen auf dem Trockenen, zwar noch immer in den Wassertanks, diesmal aber waren die Behälter aber nicht mehr hermetisch verschlossen. Jetzt bemerkte die junge Ärztin, dass sich ihr ein neues Problem in den Weg stellte: Die Meermenschen mussten irgendwie aus den Tanks raus. Und sie staunte nicht schlecht, als die Fischschwänze zu leuchten und zu brillieren begannen und bald nur noch zwei scheinbar völlig normale Menschen vor ihr saßen – splitternackt. Es trieb Tülay die Schamesröte ins Gesicht, die sich mit dem Ausdruck tiefster Verwirrung mischte und sie perplex dastehen ließ, wegen dem Pamir nicht hörend, was Marlene und ihr Bruder Samuel über die gen oben offenen, nunmehr leeren Wassertanks miteinander besprachen. „Kleidung", nuschelte Tülay nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag und zog den Rückzug an, auch noch ungläubig zu den Fischwesen-Menschen schielend, als sie langsam die Gittertreppen hochstieg. Draußen vor der Labor-Tür brauchte sie erst eine Verschnaufpause. Innerlich wiederholte sich andauernd, was sich unten gerade zugetragen hatte. Und Tülay konnte es einfach nicht fassen. Und sie begriff auch nicht, welche Auswirkungen, welche Folgen oder welche anderen Aspekte die Tatsache, dass Meermenschen Beine bekamen, auf den Tisch brachten. Sie wusste ja noch nicht einmal, ob sie ihren eigenen Augen überhaupt noch trauen sollte. Und dann fiel ihr Blick auf die Laborkittel. „Kleidung", keuchte sie erneut und griff sich zwei Stück, nahm auch gleich noch zwei Paar der Arbeitsschuhe mit und trat noch immer völlig perplex den Rückweg an.

Adara war verzweifelt. Sie wusste, Vincent Roderick war ein eiskalter Mensch. Er schreckte vor nichts zurück, nicht einmal vor Mord. Das hatte er zur Genüge bewiesen. Und sie wusste, sobald er hatte, was er schon die ganze Zeit über gewollt hatte und sie und Tom nicht mehr unbedingt brauchte, sie nicht mehr wichtig und unersetzlich waren, würde es für diesen Mann keinen Grund geben, sie noch am Leben zu lassen. Und Tom war drauf und dran, genau das wahr werden zu lassen. Adara wusste, mit der Tinte auf diesem Papier unterschrieb er ihr beider Todesurteil. Aber sie wusste auch, dass er es aus Liebe tat. Aus Liebe zu ihr und in diesem Moment von allen konnte sie nicht anders, als zu weinen und es tat gut, endlich weinen zu können nach all der langen Zeit der Tränenlosigkeit und des Zweifels. All die Hoffnungslosigkeit der letzten Monate fiel von ihr ab und kam gleich wieder zurück in der Form neuer, noch verzweifelter Hoffnungslosigkeit, denn nun wusste sie mit Sicherheit, dass sie allein der Grund und die Ursache war, dass Tom dem Tod immer näher kam. Und sie wünschte sich mehr alles andere, auch wenn es ihr Herz in tausend Splitter zerspringen ließ und ihre Seele regelrecht aus ihrem Körper trieb vor Verzweiflung, dass er sie doch vergessen hätte, als Marlene ihren Auftrag hatte ausführen wollen. Denn selbst wenn ihre Liebe keine Chance bekam und sie bis ans Ende ihres Lebens tief unten im Ozean verbringen musste, weitab von jeglichem Tageslicht, so würden sie beide wenigstens leben können und sie hätte die Gewissheit, dass nicht sie für Toms Tod oder Unglück verantwortlich war. Jetzt, selbst nach all der Zeit, hätte sie sich sogar freiwillig dazu entschieden, in den Muschelpalast zurückzukehren. Sie hätte sich dazu verpflichtet, alles zu tun, was das Orakel ihr auftragen wollte, sie hätte sich dem für sie bestimmten Schicksal sofort ergeben. Nur dass Tom leben konnte. Leben durfte. Und sie sandte Stoßgebete zum Himmel und zur See, schickte ihre dringendsten Gebete zum Gott der Menschen und zu dem großen Orakel der Meere, das sie trotz ihres Widerwillens nur zu beschützen versucht hatte. Noch nie zuvor hatte sich Adara so sehr gewünscht, doch nur einmal auf die leuchtende Kugel gehört zu haben. Stattdessen hatte sie es beleidigt und verhöhnt und nun, in den letzten Minuten ihres Lebens, gekettet an einem Fleischerhaken aufgehängt, erkannte sie endlich das Wohlwollen, mit welchem das Orakel ihr entgegengetreten war. „Bitte nicht", flehte sie stumm. „Bitte nicht." Tom wurde ein Stift in die zitternde, blutende Hand gedrückt und das gefaltete Papier vorgelegt. „Unterschreib", forderte der Polizeioberkommissar mit Grabesstimme und Tom nahm den Deckel des Stiftes ab. Sein Blick suchte Adaras, sie konnte es nur verschwommen sehen. „Bitte nicht", formten ihre Lippen, doch die Worte verließen ihre Kehle nicht. Sie konnte sich eine Welt ohne Tom nicht vorstellen, wusste sie doch, wie es sich anfühlte, durch abertausende Kilometer von ihm getrennt zu sein. Aber den Tod konnte sie zwischen sich nicht ertragen. Tom schaute sie noch immer reglos an. Wenn sie doch nur nicht so dumm gewesen wäre, hierher zu kommen. Wenn sie doch nur geahnt hätte, was hier gespielt wurde. „Ich liebe dich", drangen die sanften Worte an ihr Ohr. „Unterschreib endlich!", fuhr ihn Vincent Roderick an und das Klicken einer Pistole ertönte kalt und wurde von den blanken Wänden widergeworfen. Der Lauf der Waffe klebte an Toms Schläfe, doch dieser fixierte noch immer Adara, die da hing, in der Mitte des Raumes, weinend und betend. Und sie verfluchte den Umstand, so dermaßen ohnmächtig zu sein. Als Roderick erkannte, dass Tom auch nicht unterschreiben würde, wenn er ihm zehn Pistolen an den Kopf hielt, ließ er seinen Arm ausschwenken und zielte nun auf Adara. „Nicht!", stöhnte Tom schwach und setzte den Stift aufs Papier. Der Revolver sank ein Stück und nun war es an Adara, das einzige in ihrer Macht liegende zu tun. Toms Hand bewegte sich keinen Millimeter, die Unterschrift kam nicht aufs Papier und die Waffe begann auf einmal in der Hand des Schützen zu zittern, als dieser vor Schmerz zu schreien anfing. Toms Blick verhakte sich in ihrem, bevor er einen Moment später träumerisch trüb wurde. Roderick sank auf die Knie, sich die Ohren krampfhaft zuhaltend. Tom hingegen wurde mit jeder Sekunde ruhiger und zufriedener und Adara erkannte mit blutendem Herzen, dass es tatsächlich die einzige Möglichkeit war, sein Leben wieder lebenswert zu machen. Indem er sie einfach vergaß. 

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OMG Leutee, windlight123 hat ein paar megasüsse FanArts gemacht :3

Schaut mal her:

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