Kapitel 32 - Der Angriff
„Endlich wieder drin", seufzte ich und rieb mir meine behandschuhten Hände. Im Gewächshaus war es wenigstens schön warm gewesen. Aber dadurch war uns die Kälte nur so entgegengeschlagen, als wir uns wieder auf den Weg zum Schloss hinauf gemacht hatten. Wenigstens war schon eine Schneise vorhanden, durch die wir einfach nur hatten stapfen müssen. „Kommt, das Essen wird uns aufwärmen", seufzte Hermine und setzte sich wieder in Bewegung. Wir betraten die Große Halle zusammen mit einem Schwung älterer Hufflepuffs und setzten uns an den Tisch. „Ach, ich liebe Essen", grinste Ron, streifte sich Handschuhe und Mütze ab und tat sich sofort etwas vom Braten auf den Teller. Schmunzelnd griff ich nach dem Kartoffelstampf.
„Du, Flora?", wandte Harry sich an mich. „Was gibt's?", wollte ich wissen und schöpfte mir meinen Teller voll. Der Junge beugte sich weiter zu mir. „Wann wollen wir denn das nächste DA-Treffen ansetzen? Jetzt ist die Quidditch-Pause ja vorbei", flüsterte er, sodass ich ihn bei dem Lärm kaum verstand. Ich zuckte mit den Schultern. „Wie wäre es mit heute? Ich will so schnell wie möglich weitermachen", meinte Harry und ein freudiges Funkeln trat in seine Augen. Ich schüttelte meinen Kopf. „Ich denke heute wäre zu kurzfristig. Wahrscheinlich haben nicht alle die Münzen dabei und bekommen das geänderte Datum gar nicht mit." „In zweieinhalb Wochen sind schon Weihnachtsferien. Da gehen wahrscheinlich alle nach Hause, da können wir dann zwei Wochen lang nichts machen." „Ich sage doch gar nicht, dass wir unser nächstes Treffen so lange aufschieben sollen. Nur eben nicht sofort heute Abend. Morgen wäre wahrscheinlich auch noch zu kurzfristig. Wie wäre es mit Freitagnachmittag? Da haben denke ich die meisten frei. Wir machen es nach dem Mittagessen, dann haben wir bis zum Abend Zeit." „Ja, das klingt gut", nickte Harry und zog seine Münze aus seiner Hosentasche. Ich tat es ihm gleich.
„Warte", murmelte ich und hielt seine Hand unter dem Tisch. Prüfend blickte ich zum Lehrertisch. Umbridge schien vertieft in ihr Essen. „Lass sie unterm Tisch und steck sie danach sofort wieder weg", flüsterte ich. Harry nickte leicht und wir änderten das Datum auf den Münzen. Noch ehe diese heiß wurden, ließen wir sie schon wieder in unsere Taschen gleiten. „Gut, am Freitagnachmittag geht's weiter", grinste Harry und griff sich seine Gabel. „Mal schauen, ob alle noch alles können", schmunzelte ich und schnappte mir meinen Löffel. „Auf die beste Lehrerin der Welt", hob Harry seine Gabel in meine Richtung. „Auf den besten Partner", lachte ich und stieß meinen Löffel dagegen. Kichernd begannen wir zu essen.
„Ich will nicht mehr", stöhnte Ron und ließ seinen Kopf auf die Tischplatte fallen. „Pst, Madam Pince ist dort hinten", zischte Harry und blickte über seine Schulter, wo die Bibliothekarin gerade Bücher zurückstellte. „Irgendwann müsst ihr doch mit den Hausarbeiten fertig werden. Morgen haben wir keine Zeit und am Wochenende werdet ihr euch nur wieder davor drücken. Ich zwinge euch lediglich zu eurem Glück", flüsterte ich grinsend. Die beiden Jungs waren alles andere als begeistert gewesen, als ich sie nach dem Mittagessen sofort in die Bibliothek zum Lernen verfrachtet hatte. Jetzt schrieben wir seit geraumer Zeit am Aufsatz für Zaubertränke. Bald sollte auch Hermine von Arithmantik kommen.
„Da ist McGonagall", zischte Harry mit einem Mal und blickte hinter mich. Ron riss den Kopf nach oben. Ich drehte mich zu Minerva um, die mit zielsicheren Schritten auf unseren Tisch zuhielt. „Miss Dawson", nickte sie mir zu und blieb neben mir stehen. Ich mochte es nicht mehr, wenn sie mich so nannte. Wir waren Minerva und Flora. Wenn sie mich jetzt bei meinem Nachnamen nennen musste, damit es den anderen Schülern nicht komisch vorkam, hatte ich immer das Gefühl, dass sie sauer auf mich war. „Professor, was gibt's?" „Sie haben sich am Samstag nach dem Mittagessen in Dumbledores Büro einzufinden. In angemessener Kleidung." Ich seufzte schwer. Schon wieder eine Versammlung? Wie sollte ich denn da mit den ganzen Hausarbeiten hinterherkommen? „Wie lange werden wir brauchen?", wollte ich wissen und spielte mit der Schreibfeder in meiner Hand. „Ich schätze es wird nur bis zum späten Nachmittag dauern." Ich nickte leicht. Dann konnte ich es danach noch pünktlich zum Raum der Wünsche schaffen und musste Draco nicht extra bescheid geben.
„Das ist alles", meinte McGonagall in die aufkommende Stille hinein, drehte sich um und verschwand mit schnellen Schritten. Ich warf einen Blick in der Bibliothek umher, doch die nächsten Schüler saßen ein paar Tische weiter und unterhielten sich leise – Madam Pince beobachtete sie mit Argusaugen. Keiner schien etwas mitbekommen zu haben. „Habe ich das gerade richtig gehört?", erklang Hermines Stimme mit einem Mal hinter mir und ich zuckte zusammen. „Du gehst schon wieder aus?", wollte sie wissen und setzte sich auf den Stuhl neben mich. Ich zuckte mit den Schultern. „Warum habt ihr in letzter Zeit so viele Treffen? Ist irgendwas passiert?", bohrte meine Freundin weiter. „Ich kann und werde dazu nichts sagen. Und das wisst ihr auch", meinte ich. Ich brachte meine Freunde damit nur in Gefahr. Das waren sie sowieso schon, weil sie von der Existenz des Phönixordens wussten. Aber wenn sie dann auch noch den Inhalt der Besprechungen kannten ... Außerdem war ich mir selbst unsicher, warum wir in letzter Zeit so viele Besprechungen hatten. Meistens gab es kaum etwas Neues zu berichten, außer Hagrids Rückkehr letzte Woche.
„Hagrid wird uns sowieso alles erzählen", holte Ron mich aus meinen Überlegungen. Ich schüttelte meinen Kopf. „Das denke ich nicht, immerhin ist das eine wirklich wichtige Sache. Er bekäme mächtig Ärger, wenn er auch nur ein Wort darüber verlauten lässt. Nicht nur von Dumbledore. Und sowieso ist Hagrid kaum bei den Besprechungen dabei. War er schon vor seiner Mission nicht", meinte ich. „Aber warum?", wollte Harry wissen. Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Vielleicht will Dumbledore ihn nicht dabeihaben. Oder er will selbst nicht so oft dabei sein." „Warum sollte Dumbledore ihn nicht dabeihaben wollen?", runzelte Ron die Stirn. „Dumbledore ist ein komischer alter Mann", seufzte ich. Harry runzelte die Stirn und öffnete den Mund, doch ich ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Er verbirgt etwas, da bin ich mir sicher. Er benimmt sich komisch. Irgendwas stimmt mit ihm nicht. Ich weiß nicht, ob es mein eigener Instinkt ist oder der von Merlin, aber er rät mir zur Vorsicht. Mir ist es egal, was ihr dazu denkt. Ich traue Dumbledore nur so weit wie ich ihn einschätzen kann." Hermine nickte leicht. „Auf deinen Instinkt und Merlin kannst du sicher vertrauen", meinte sie, sah aber dennoch misstrauisch aus. Als wüsste sie nicht, ob sie mir oder Dumbledore mehr vertrauen sollte. „Denkt doch was ihr wollt. Ich schreibe jetzt meinen Aufsatz fertig", seufzte ich und setzte die Schreibfeder wieder aufs Papier.
„Flora, beeil dich", murmelte Harry und trommelte mit seinen Fingern auf den Tisch. Genervt verdrehte ich die Augen. „Wir haben noch über eine Stunde Zeit. So viel zu besprechen gibt es auch nicht. Du machst mich noch ganz kirre!" Energisch griff ich nach Harrys Fingern und drückte sie auf die Tischplatte. Der Junge schloss seufzend seine Augen. „Ich kann's einfach kaum erwarten." Schmunzelnd ließ ich seine Hand wieder los und aß in Ruhe weiter. „Das ist für dich besser als Weihnachten, hm? Ich verstehe dich ja, aber wie gesagt, wir haben noch massig Zeit und ich werde mich ganz sicher nicht beim Essen hetzen lassen." Harry nickte ergeben und gab endlich Ruhe. Dass er mich nun beim Essen beobachtete, machte die Sache zwar nicht wirklich besser, aber ich ließ mich trotzdem nicht zur Eile drängen. Gemächlich beendete ich mein Mittagessen. Kaum hatte ich mein Besteck weggelegt, sprang Harry auch schon von der Bank. Hermine warf mir einen schmunzelnden Blick zu und formte mit den Lippen ein ‚Bis später', als Harry mich auch schon von der Bank hochzog und in Richtung Ausgang lief. „Du kannst meine Hand jetzt wieder loslassen, weißt du? Ich folge dir auch so", kicherte ich auf halbem Weg. Harry blickte hinunter auf seine Hand, die meine fest umklammert hielt. Sofort ließ er sie los als hätte er sich verbrannt. „Tut mir leid", nuschelte er und seine Wangen wurden zart rosa. „Macht doch nix", kicherte ich und folgte seinen schnellen Schritten hinauf zum Gemeinschaftsraum.
Dort verabschiedete er sich kurz mit einem schnellen Winken. Ich eilte die Stufen zu meinem Schlafsaal hinauf und zog mir dort bequemere Sachen an – Hauptsache raus aus der Schuluniform. Meine Schultasche verstaute ich und steckte mir stattdessen Notizbuch und meinen Zauberstab in meine Taschen. Schnell lief ich wieder in den Gemeinschaftsraum hinunter, wo schon Harry auf mich wartete, von einem Bein aufs andere tretend. Schmunzelnd trat ich zu ihm. Er warf mir ein flüchtiges Lächeln zu und setzte sich sofort wieder in Bewegung. Wir eilten die Flure entlang bis hinauf in den siebten Stock zum Gang mit dem Wandteppich. Harry begann auf und ab zu laufen. Wenig später traten wir in unseren Trainingsraum. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Wir waren echt zu lange nicht mehr hier gewesen, das musste selbst ich zugeben. Ich konnte mir schon gar nicht mehr vorstellen, dass ich am Anfang solch eine Furcht vor unserer geplanten Organisation hatte. Kurz nagten dunkle Schatten an mir, doch diese schlechten Erinnerungen wurden von den besseren überlagert.
„Komm, setzen wir uns", holte Harry mich aus meinen Gedanken und warf zwei Sitzkissen auf den Boden. Ich ließ mich neben ihn fallen und zog mein Notizbuch aus meiner Tasche. „Also, viel gibt es ja nicht zu klären. Alle sind noch beim Lähmzauber. Ich denke, dass auch alle heute erst mal dort bleiben werden. Nach Wochen ohne richtiges Training. Ich glaube kaum, dass die meisten sich die Mühe gemacht und regelmäßig in einem der Klassenzimmer trainiert haben. Bald könnte es aber erste Erfolge geben. Danach machen wir den Verwirrungs-Zauber, haben wir gesagt. Das Anleiten übernehme wieder ich", fasste ich alles noch einmal zusammen und Harry nickte. „Gut, dann lass uns noch etwas in den Büchern stöbern", schlug ich vor und trat zu den Schränken. Harry lief zwar mehr im Raum auf und ab, als dass er wirklich in den Büchern nach weiteren geeigneten Zaubersprüchen suchte, aber das nahm ich ihm nicht übel. Es nervte mich zwar irgendwann und lenkte mich leicht ab, aber ich hielt ihn nicht auf. Ich konnte seine Aufregung verstehen und langsam ging sie auch auf mich über. Die letzten zehn Minuten verbrachte ich also damit, schon einmal die Sitzkissen im Raum zu verteilen, dass sie von den einzelnen Übungspartnern genutzt werden konnten.
Schließlich betraten Hermine und Ron gutgelaunt den Raum und der Rest folgte ihnen im Minutentakt. Harry stellte sich vor die versammelte Mannschaft und ich positionierte mich mit verschränkten Armen neben ihm. „Schön, dass ihr alle wieder hergefunden habt", begann mein Partner. Ich ließ meinen Blick schweifen. Tatsächlich waren alle Mitglieder anwesend. Gut, dass bedeutete, dass alle die Änderung der Münzen mitbekommen hatten. Oder ihre Freunde hatten es ihnen erzählt. Wie auch immer, wir waren vollzählig. „Also, der Plan für heute sieht wie folgt aus", übernahm ich das Reden und trat einen Schritt nach vorne. Sofort wandten sich alle Augenpaare mir zu. „Zuerst einmal wiederholt ihr ordentlich den Expelliarmus. Danach geht's weiter mit dem Lähmzauber. Wenn ihr Fragen habt, Hilfe braucht oder euch nicht mehr sicher seid wie er geht, kommt gerne auf Harry oder mich zu..." „Bei Fragen vorzugsweise zu Flora", warf Harry ein und erntete ein paar Lacher. Schmunzelnd schüttelte ich meinen Kopf. „Ich denke, wir werden bald die ersten Erfolge mit dem Zauber verzeichnen können. Danach machen wir dann weiter mit dem Verwirrungs-Zauber. Aber erst einmal müsst ihr mir einen funktionalen Lähmzauber präsentieren. Legt los."
Harry und ich beobachteten unsere Mitschüler dabei, wie sie den Expelliarmus übten und dann mit dem Lähmzauber fortsetzten. „Sieht echt gut aus. Sicher, dass den heute niemand mehr schafft?", wandte Harry sich an mich. Ich zuckte mit den Schultern. „Drauf wetten würde ich jetzt auch nicht mehr. Mal schauen, vielleicht..." „Geschafft!", kreischte Ginny mit einem Mal. Ich wandte mich ruckartig ihr zu, doch sie war es gar nicht, die den Lähmzauber gemeistert hatte. Strahlend zeigte sie auf Hermine, die rot angelaufen war. Vor ihr rührte sich Ron langsam in den Kissen auf dem Boden. „Stark, Hermine", grinste er sie an und sie wurde noch ein bisschen röter. Schmunzelnd lief ich zu meiner Freundin. „Das hätte ich eigentlich erwarten müssen", grinste ich sie an. Ich hätte nicht gedacht, dass es möglich war, aber sie wurde noch röter. Schwungvoll drehte ich mich wieder zu den anderen und klatschte in die Hände. „Freunde, nehmt euch ein Beispiel an Hermine! Heute will ich ein paar Ergebnisse sehen. Ich führe höchstens ab fünf Schülern den neuen Zauber ein. Kommt schon, frisch ans Werk!", rief ich.
Aufgeregtes Gemurmel folgte meinen Worten. Ich drehte mich wieder zu Hermine, neben der Ginny und Luna standen und Harry Ron gerade wieder auf die Beine half. „Komm, Loonie, das schaffen wir auch", meinte die Weasley enthusiastisch und zog die Ravenclaw zurück zu ihren Übungskissen. Ich beobachtete die beiden Mädchen kurz und war mir sicher, dass Ginny die nächste sein würde, die den Zauber schaffte. Ein Blick durch den Raum ließ mich aber gleich wieder an diesem Gedanken zweifeln. Durch Hermines Erfolg waren alle noch einmal extra angespornt worden und jeder hatte ein freudiges Lächeln auf den Lippen. Das hier war so viel mehr als einfach nur Unterricht. Wir waren eine Gemeinschaft. Eine Verschwörung. Wir waren Freunde. Wir waren eins. „Geschafft!", rief Ginny wenig später ein weiteres Mal und dieses Mal meinte sie ihren eigenen Erfolg. Lachend setzte sie sich neben Luna auf den Boden und wartete ab, bis ihre Freundin sich wieder richtig bewegen konnte. Dann half sie ihr auf die Beine und die beiden tauschten die Plätze.
Bis zum Abendessen übten alle fleißig weiter und viele Partner zuckten oder zitterten oder erstarrten halbseitig oder für ein paar geringe Sekunden, aber niemand packte den Zauber zur Gänge. Harry blies in die Trillerpfeife und beendete unsere Zusammenkunft. Sein Magen knurrte lautstark in die Stille hinein und wir mussten alle lachen. Harry lachte peinlich berührt und fuhr mit seiner Hand in seinen Nacken. „Ihr habt das alle sehr gut gemacht. Ich bin mir sicher, dass es nächste Woche einige schaffen werden, den Zauber zur Gänze abzuschließen", übernahm ich die Abschiedsworte und zog die Aufmerksamkeit auf mich. „Heute brauchen wir zum Glück nicht ganz so vorsichtig sein, wir sind ausnahmsweise mal vor der Ausgangssperre dran. Seid dennoch vorsichtig und lauft nur in kleinen Gruppen über verschiedene Wege zur Großen Halle. Den nächsten Termin teilen wir euch wieder per Galleone mit. Bis dann." Murmelnd und schwatzend verschwand einer nach dem anderen. Heute verließ ich einmal nicht mit Harry als letztes den Trainingsraum. Stattdessen hakte sich Ginny bei mir und Luna unter und wir machten uns auf den Weg zur Großen Halle, wobei Luna uns von der neuesten Klitterer-Ausgabe ihres Vaters erzählte.
Seufzend stützte ich meinen Kopf auf meine Hand und stocherte lustlos in meinem Mittagessen. „So schlimm ist das Essen nun auch nicht", schmatzte Ron mir gegenüber. Ich verzog mein Gesicht. „Das Essen ist gut. Ich habe keine Lust auf später", erklärte ich. Erkennen spiegelte sich in Rons Augen. „Du kannst froh sein, dass du da mitmachen darfst", erwiderte Harry. Schnaubend ließ ich meine Gabel fallen und stand auf. Ich stützte mich auf den Tisch und lehnte mich zu Harry vor. „Es ist eine Belastung. Und ich bin nur dabei, weil Dumbledore einen Vorteil für sich darin sieht, weil ich mächtiger bin als er." Energisch stieß ich mich ab. Meine Magie brodelte in mir auf. Ich drängte sie entschieden zurück und eilte aus der Großen Halle. Schnellen Schrittes stieg ich hinauf bis zum Portrait der Fetten Dame. „Drachenlederhandschuhe", murmelte ich das Passwort und trat ein. Der Gemeinschaftsraum war wie ausgestorben. Alle meine Mitschüler mussten sich beim Essen befinden. Umso besser. Ungestört kam ich in meinen Schlafsaal und warf mir Sirius' Mantel über die Schultern.
Ein heißer Schauer durchfuhr mich. Ich hielt inne. Griff mir an den Anhänger meiner Kette, die Draco mir geschenkt hatte. Das kühle Metall brannte an meinen erhitzten Fingern. Mein Herz machte einen Satz. Hatte ich die Uralte Magie zu lange nicht mehr verwendet? Tief atmete ich durch. Machte kontrollierte Atemzüge. Die Macht war mächtig, aber Merlin hatte mich nicht ohne Grund auserwählt. Er hätte es nicht getan, wenn ich seine Macht nicht würde beherrschen können. Die Wärme kribbelte in meinen Fingern. Zog sich durch meine Pulsadern. Mir wurde wohlig warm. Mein Herz stolperte. Mein Blick flackerte. Dann gab meine Magie Ruhe und ließ meinen Körper in Frieden. Ich musste trotzdem so bald wie möglich zaubern. Am besten mit bloßer Hand. Und noch besser mit Uralter Magie.
Zögerlich griff ich nach meinem Zauberstab und steckte ihn in meine Manteltasche. Minerva und Severus wussten, dass ich Merlins Erbin war. Vielleicht würden sie es mir später noch gestatten, irgendwo meine Magie rauszulassen. Am besten weit weg von jeglichen Menschen und durch ihre Abschirmung und Überwachung, damit nichts schiefging. Ich setzte mich wieder in Bewegung und durchquerte den noch leeren Gemeinschaftsraum. Auf dem Weg zu Dumbledores Büro hielt ich mich in den hinteren Gängen und kam ohne Probleme am Wasserspeier an. „Schokofrosch", nannte ich das aktuelle Passwort und die Treppe fuhr aus. Ich stellte mich auf die oberste Stufe und ließ mich nach oben tragen.
Ich klopfte und betrat den Raum ohne abzuwarten. Minerva und Severus blickten mir entgegen; von Dumbledore keine Spur. „Kommt Dumbledore heute nicht mit?", wollte ich wissen. Minerva schüttelte den Kopf. „Er hat etwas anderes zu erledigen", erklärte Severus. „Das ist gut. Ich brauche eure Hilfe und ich will nicht, dass er hiervon weiß." Ich streckte meine Hand nach vorne und sammelte die kribbelnde Wärme in meinen Fingern. Sie kroch als gelbe Partikel aus meiner Haut und sammelte sich um meine Finger. Egal was ich ihnen befehlen würde, sie würden es tun. „Sie ist in letzter Zeit ziemlich aufbrausend. Ich denke, sie ist nicht ausgelastet", erklärte ich und löste meinen Blick von meiner Hand. Minerva und Severus verzogen keine Miene, aber ihre Augen flackerten verräterisch. „Wie können wir dir helfen?", wollte Minerva wissen und in ihrer Stimme schwang eine Spur Besorgnis mit. „Keine Sorge, noch habe ich es unter Kontrolle. Ich denke, ich muss sie nur mal ordentlich rauslassen. Hier in der Schule ist das ja kaum möglich, weder im Unterricht, noch in der Freizeit. Dazu ist das Niveau dieser Magie zu hoch." Kurz war es still. Ich drehte meine Hand ein bisschen. Die Partikel schwangen hin und her. Dann rief ich sie zurück. Sie flossen in meine Haut und zogen wie Lava durch meine Adern. Ich schauderte und rieb mir über mein Brustbein. Ich hatte meine Magie in letzter Zeit zu stark vernachlässigt. Ich hätte es schon erkennen müssen, als ich nach dem Quidditch-Spiel vor Wut einen Ausbruch gehabt hatte. Damals war die Magie auch zu mir zurückgekehrt; Hatte kein Ziel gefunden. Vielleicht staute sie sich seitdem schon in mir an und ich hatte es bloß nicht bemerkt.
„Nun, die anderen werden mit dem Beginn der Versammlung auf uns warten", begann Severus langsam und Minerva und ich wandten uns ihm zu. „Wir könnten vorher einen gut geschützten Ort aufsuchen, an dem du deine Magie loslassen kannst", schlug er vor. Ich nickte lächelnd. Nur allzu gerne. Dann würde ich schon während der Besprechung keine Probleme mehr haben. „Du hast schon einen Ort im Sinn, oder?", fragte Minerva und der Zaubertrankmeister nickte. „Mein Haus." Ich konnte es nicht verhindern, dass mir der Mund aufklappte. „Du lässt mich wirklich in dein Zuhause?", erkundigte ich mich. Das kam so ... unerwartet. „Es ist nur ein Haus. Ich bin lediglich in den Sommerferien dort", meinte Severus, dann hielt er inne und schüttelte leicht den Kopf, wie als bereute er seinen Vorschlag schon. „Also gut, es ist die beste Möglichkeit. Lasst uns gehen. Wo ist denn das Haus?", meinte ich. „Spinner's End. Cokeworth. Es ist das einzige dort mit einem Kamin am Flohnetzwerk, du kannst es nicht verfehlen", erklärte Severus, trat zum Kamin und warf Flohpulver hinein. Er stellte sich in die verfärbten Flammen und war wenig später verschwunden.
„Ist das zu fassen? Noch nicht einmal mich hat er all die Jahre zu sich nach Hause eingeladen", schnaubte Minerva. Ich zuckte mit den Schultern und trat zum Kamin. „Flora?", hielt meine Hauslehrerin mich auf. Ich drehte mich zu ihr. „Was gibt's?" „Geht es dir wirklich gut? Deine Magie..." „Sie ist mächtig, aber ich kann sie kontrollieren. Wie gesagt, ich muss sie bloß ab und zu ordentlich rauslassen. Bisher gab es immer genügend Möglichkeiten, aber in letzter Zeit ist das eben nicht mehr der Fall. Und ich habe das Gefühl, dass sie noch stärker wird", erklärte ich, drehte mich wieder zum Kamin und rutschte kurz darauf durch das Flohnetzwerk. Ich stolperte aus dem richtigen Kamin und richtete mich auf. Severus stand vor mir in einem düsteren Wohnzimmer. Staubpartikel tanzten in der Luft. Ich schluckte trocken und schaute mich im Raum um. Die Wände waren voller Bücherregale. Ein kleiner Flur führte direkt zur Haustür. Die Treppe zu einem weiteren Stockwerk sah ich nirgends, aber irgendwo musste es ja weitergehen. Minerva stolperte hinter mir fluchend und hustend aus dem Kamin und ich machte schnell einen Schritt zur Seite. Sie klopfte sich den Ruß von ihrem Mantel und sah sich kurz um, ehe sich ihr Blick auf mich heftete. „Also Flora, leg los. Wenn wir zu lange brauchen, werden die anderen Fragen stellen."
Ich nickte. Schaute mich ein weiteres Mal im Raum um und überlegte, was ich mit meiner Magie anstellen konnte. Ich streckte meine eine Hand aus. Erst einmal musste der ganze Staub hier verschwinden. Konzentriert rief ich das Kribbeln aus meinem ganzen Körper herbei und lenkte es in meine Hand. Wärme schoss aus meinen Fingerspitzen, vermischte sich mit goldenen Partikeln, die sich im ganzen Raum verteilten. Ich wusste nicht, ob ich es mir nur einbildete, aber kurz glaubte ich, dass Minerva hinter mir erstaunt keuchte. Es dauerte nicht lange und der Staub war Geschichte. Dann schloss ich meine Augen. Konzentrierte mich auf die alten Möbel, um sie wieder erstrahlen zu lassen. Sandte meinen Zauber zu den Bücherregalen, um die Bücher zu schützen. Das Kribbeln wurde weniger. Die Wärme ließ nach. Mein Herz schlug gleichmäßig in ruhigem Takt, so viel langsamer als vorher, und doch normal. Als wäre ich wieder ausgeglichen. Im Reinen mit mir und meiner Magie. Vielleicht sollte ich mich nun regelmäßig im Raum der Wünsche auspowern, wenn ich mich mit Draco traf. Ich öffnete meine Augen wieder. Die Partikel und ihr Schimmern verschwanden langsam, Stück für Stück. Ich senkte meine Hand. Seufzte. „Jetzt ist es besser", nickte ich.
Plötzlich ein rotes Aufblitzen in meinem Augenwinkel. Ruckartig wandte ich mich um. Dann folgte der Schmerz. Keuchend stolperte ich nach hinten. Presste meine Hände an meine Seite. Ging in die Knie. Kniff meine Augen zusammen. „Flora!", schrie Minerva. „Verdammt! Wurmschwanz!", brüllte Severus. Wurmschwanz? Das war doch Peter Pettigrew. Warum war er hier? Keuchend öffnete ich meine Augen wieder. Musste blinzeln, damit meine Sicht schärfer wurde. „Du hättest nicht herkommen dürfen! Jetzt muss ich dein Gedächtnis verändern", spie Severus dem übergewichtigen Mann mit dem Rattengesicht entgegen, dessen Zauberstabhand zitterte. Minerva stand vor mir. Ihr Protego schirmte uns beide ab. „Los Flora! Flieh zum Orden!", rief sie. Machte einen Schritt weiter auf Pettigrew zu. Ich wollte mich hochhieven, doch meine Beine zitterten zu sehr. Ich fiel wieder nach hinten. Stöhnte. Der Schmerz breitete sich in meinem Körper aus. Mit ihm etwas Dunkles.
Plötzlich packten mich Hände und zogen mich hoch. Ich schrie auf. Ein Blitz durchfuhr mich. „Los!", rief Minerva, zog mich zum Kamin und stellte eine Verbindung zum Netzwerk her. „Wir sind direkt hinter dir", sagte sie. Ich glaubte ihr nicht. Sie stieß mich nach vorne. Ich fiel. Rauschte durch das Flohnetzwerk. Stieß an Kaminen an. Der Schmerz wurde schlimmer. Immer weiter. Immer weiter. Immer mehr. Immer mehr. Dunkle Magie. Ein Licht blitzte auf. Grimmauldplatz. Ich warf mich herum. Es kostete meine ganze Kraft. Ich flog aus dem Kamin. Konnte mich nicht abfangen. Flog durch die Luft. Schlug auf dem Boden auf und rutschte ein Stück weiter. Ich schrie. Presste meine Hände erneut an meine Seite, wo der Fluch mich getroffen hatte. Mein Kopf drehte sich. Meine Sicht drehte sich. Ich kniff meine Augen zusammen.
„Flora!", kreischte Tonks. Ich verzog das Gesicht. Zu laut. Stühle quietschten. „Was ist passiert?", vernahm ich Bills Stimme. Dann immer mehr Stimmen. Alle durcheinander. Alle zu laut. Jemand zog meinen Kopf auf seinen Schoß. Ich öffnete blinzelnd meine Augen. Sirius. „Was ist passiert?", fragte er. Beugte sich zu mir herunter. Sprach leise. Endlich leise. Kingsley kniete sich zu meiner verletzten Seite und griff nach meinen Händen. Ich schrie und krümmte mich weg. Er sollte sie nicht wegziehen! „Flora, wir müssen deine Wunde ansehen", sprach der Dunkelhäutige eindringlich. „Alle anderen raus hier!", bellte Moody. Ich hörte seinen Stab überdeutlich auf den Boden treffen. Sirius drehte mich an den Schultern wieder herum. „Wir..." Ich keuchte. „Wir wurden angegriffen", erklärte ich. „Flora, du musst deine Hände von der Wunde nehmen", sprach Sirius. Ich blickte zu ihm hoch. Direkt hinter ihm stand Moody. Alle anderen waren weg. Sirius. Kingsley. Moody. „Halt sie fest", bat ich und riss meine Hände nach oben. Sofort griff Sirius danach. Ich schrei auf. Der Schmerz wurde schlimmer. Immer mehr. Immer mehr. Immer weiter. Immer weiter. Dunkle Magie. Sie breitete sich aus.
Stolpernde Schritte. „Wie geht es Flora?", hörte ich Minerva fragen. Erkannte die Panik in ihrer Stimme. Spähte zu meinen beiden Lehrern. Sie waren unverletzt. Erleichtert atmete ich auf. „Was ist passiert, verdammt? Flora meinte, ihr wärt angegriffen worden?", blaffte Sirius und drückte meine Hände. Kingsley schob meinen Mantel und meinen Pullover hoch. Mein schöner Mantel. Geschenkt von Sirius. Er betastete die Umrisse der Wunde. Ich keuchte auf. Minerva und Severus knieten sich zu mir herunter. „Ich musste noch etwas in meinem Haus besorgen. Die beiden kamen mit. Wir wurden dort von Pettigrew überrascht. Ich habe sein Gedächtnis verändert", erklärte der Zaubertränkemeister sporadisch. „Sie muss sofort zu einem Heiler", befand Kingsley. „Ich bringe sie zu Poppy", beschloss Minerva. Nein. Zu wenig Zeit. Dunkle Magie. Überall. Severus schob seine Hände unter meinen Körper. „Nein!", rief ich und drehte mich weg. Krümmte mich. Keuchte. „Flora, du musst geheilt werden!", rief Minerva. „Es ist zu spät", hauchte ich. Riss meine Hände aus Sirius' und presste sie wieder auf meine Wunde.
Merlins Erbin. Ich besaß Macht. Ich konnte mich selbst heilen. Ich würde es niemals rechtzeitig zu Madam Pomfrey schaffen! „Wie meinst du das? Warum ist es zu spät?", wollte Sirius wissen. Drehte mich an den Schultern wieder zurück. „Dunkle Magie. Sie ist überall", hauchte ich. Sirius' Blick flackerte. Sein Blick schoss zu Moody. „Macht die Augen zu!", befahl ich. Minerva und Severus wussten Bescheid. Die anderen drei sollten so wenig wie möglich mitbekommen. Zu ihrer und meiner Sicherheit. „Flora, du wirst hier jetzt nicht sterben! Vergiss es!", rief Sirius und drückte meine Schultern. „Ich werde nicht sterben. Augen zu!", schrie ich. Zuckte zusammen. Keuchte. „Bitte", flüsterte ich. Ohne es zu wollen, floss eine Träne aus meinem Auge, als ich zu Sirius blickte. „Na schön. Los, macht schon!", blaffte Moody, humpelte zum Tisch und zog sein magisches Auge heraus. Er warf es in eine Box und blieb mit dem Blick zur gegenüberliegenden Wand stehen. Kingsley seufzte, doch er tat es dem Mann gleich und stellte sich neben ihn. Sirius atmete tief durch, ehe auch er die Augen schloss.
Ich schloss meine ebenfalls. Konzentrierte mich auf meine Magie, auf Merlins Macht, die erbittert versuchte, die dunkle Magie zurückzudrängen. Ich gab all meine Kraft in diesen Akt. All meine Magie. Zog sie aus jedem Winkel meines Körpers zusammen und sammelte sie an meiner Wunde. Langsam spürte ich die Heilung. Und die Erschöpfung. Ich hörte nicht auf. Ich durfte nicht aufhören. Meine Magie begann, die dunkle Macht zu verschlingen. Stück für Stück meinen Körper zu läutern. Ein Strahlen – so hell, dass ich es durch geschlossene Augen sehen konnte – umgab mich und breitete sich im Raum aus. „Weiter, Kind", hauchten Worte durch den Raum. In meinem Kopf? In Wirklichkeit? War es meine Mutter? Oder Merlin selbst? Ich hatte keine Ahnung. Vielleicht hatte ich sie mir auch komplett eingebildet. Meine Magie wurde schwächer. Die Wärme nahm ab. Das Kribbeln verschwand. Und doch hatte ich den Kampf gewonnen. Erleichtert atmete ich auf. Öffnete meine Augen einen spaltbreit. Ich war so müde. So erschöpft. Meine Hände sackten nach unten. Mein Körper wurde schlaff. Sirius riss seine Augen auf. Betastete sofort die Wunde. Da war nichts mehr. Nur makellose Haut. Und ein Loch in meinem Pulli.
„Wie hast du das gemacht?", wollte der Mann wissen. Kingsley und Moody traten wieder zu uns. Ich konnte nicht anders als leicht zu grinsen. „Das bleibt mein Geheimnis. Ihr dürft niemandem etwas sagen", hauchte ich. Schloss meine Augen. So müde. „Die Besprechung sollte verschoben werden. Wir bringen Flora zurück nach Hogwarts. Ich werde ein Auge auf sie haben", meinte Minerva. Arme schoben sich unter meinen Körper. Hoben mich hoch. Drückten mich an einen Körper. Der Flug durch die Kamine war unangenehm. Dann Ruhe und Frieden. Und noch während wir durch die Gänge von Hogwarts eilten, schlief ich ein.
Die Idee dazu ist mir ganz spontan während einer Vorlesung gekommen, wie findet ihr sie?
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