Kapitel 14 - Kleine und große Strapazen

„Endlich war es das“, seufzte Harry und ließ sich aufs Sofa im Gemeinschaftsraum fallen. Ich folgte ihm. „Du hättest mich wirklich nicht abholen müssen, Flora“, murmelte der Junge und starrte mit halb geöffneten Augen in die letzten Flammen im Kamin. „Hast du mal auf die Uhr geschaut? Ron war so müde, dass er schlafen gegangen ist. Und Hermine habe ich hochfliegen lassen, als niemand mehr da war. Sie ist sogar noch vor Ron eingeschlafen. Wir haben fast zwei Uhr morgens! Ich dachte du liegst irgendwo und verblutest oder Umbridge foltert dich immer noch. Dann hätte heute Nacht aber was gebrannt, das verrate ich dir. Warum hat das so lange gedauert?“ Harry zuckte mit den Schultern. „Sie war einfach nicht zufrieden. Aber ich bin auch zu spät gekommen“, murmelte er. Ich seufzte schwer und griff mir seine Hand, die in ein blutgetränktes Tuch gewickelt war. Ein Glück hatte mich kein Lehrer oder die Hausmeister-Patrouille erwischt, als ich um halb zwei durchs Schloss gegeistert war. Und ein Glück hatte ich auf dem Weg gesucht, den Harry auch wirklich genommen hatte.

„Eigentlich sollte ich das jetzt sofort Dumbledore melden!“, schimpfte ich und zog energisch an dem Tuch. Harry zuckte zusammen. „Tut mir leid“, murmelte ich. Ich hätte Harry besser schützen müssen. Hätte Umbridge irgendwie verzaubern sollen oder so. Ihre Erinnerungen verändern. Löschen. Ich hätte es bestimmt hinbekommen. Wenn Dumbledore erfuhr, wie wenig ich Harry bisher hatte beschützen können… Was kümmerte mich dieser alte Mann eigentlich? Er nutzte mich sowieso bloß aus, warum sollte ich irgendeine Anweisung befolgen, die er mir gab. Ich war immerhin Merlins Erbin! Niemand konnte mir etwas befehlen, nicht einmal der mächtige Dumbledore! Irritiert blinzelte ich. Woher war dieser Anflug von Größenwahn gekommen? Ich schüttelte meinen Kopf. Konzentrierte mich auf Harrys Hand. Und schloss meine Augen. Sammelte das Kribbeln und die Wärme. Kanalisierte sie und ließ sie in Harrys Hand übergehen. Ich hörte sein erleichtertes Seufzen noch bevor ich ganz fertig war. Mit immer noch geschlossenen Augen sank ich auf dem Sofa zurück. Ich war so verdammt müde. „Flora, du darfst jetzt nicht einschlafen. Ich kann verstehen, dass du erschöpft bist. Meine Hand vollständig zu heilen… Nicht einmal eine Narbe ist übrig… Aber ich kann dich nicht in deinen Schlafsaal tragen.“ „Bringst du mich wenigstens bis zur Treppe? Wir gehören beide ins Bett“, murmelte ich und streckte meine Arme aus.

Die Matratze des Sofas wackelte leicht, als Harry aufstand. Behutsam griff er unter meine Achseln. Ich verschränkte meine Arme in seinem Nacken. Er zog mich langsam hoch. Meine Beine begannen zu zittern. Ich sackte ein Stück nach unten. „Woah, immer langsam“, rief Harry und zog mich wieder nach oben. Ich drückte meinen Kopf gegen seine Schulter und schüttelte meine Beine aus. Besser. „Ich fürchte ich muss dich doch in dein Zimmer bringen“, murmelte Harry. Ich schüttelte meinen Kopf an seiner Schulter. „Das kriege ich schon hin.“ Außerdem wurden die Treppen zu den Mädchenschlafsälen zu einer steilen Rutsche, wenn ein Junge sie betrat. Das musste nun echt nicht sein. Aber ob der Junge es überhaupt wusste? Ich bezweifelte es. Ich selbst wusste es auch nur, weil Hermine mir das Buch über die Geschichte Hogwarts‘ empfohlen und ich mich in der ersten Sommerferienwoche furchtbar gelangweilt hatte. Langsam setzten wir uns in Bewegung und arbeiteten uns Schritt für Schritt in Richtung Treppe vor. Dort musste ich mich schweren Herzens von Harry lösen und stützte mich stattdessen an der Wand ab. „Soll ich dich nicht doch lieber…“, begann der Junge, aber ich winkte ab. „Zur Not penne ich heute einfach bei Ginny, wenn ich es nicht einen Stock höher schaffe. Aber ich bin zuversichtlich. Gute Nacht.“ „Gute Nacht.“

Der Aufstieg dauerte lange, eine gefühlte Stunde. Mit jeder Stufe brannten meine Beine mehr. Als ich in meinem Schlafsaal ankam, pochte mein Kopf, als würde ein Männchen mit einem Hammer dagegen schlagen. Aber ich war da. Schwankend hielt ich auf mein Bett zu. Machte mir nicht die Mühe mich umzuziehen. Kuschelte mich einfach nur in die Decke, drückte die Wärmflasche an mich und döste ein.

„Du bist spät“, begrüßte mich Draco zu unserem wöchentlichen Treffen. „Tut mir leid. Hermine und ich haben uns in der Hausarbeit für Snape verrannt und ich habe nicht auf die Zeit geachtet“, entschuldigte ich mich und erwiderte seine Umarmung. „Macht doch nichts. Aber sag mal, hast du deine Hausaufgaben etwa dabei?“, wollte er wissen und deutete auf die beiden Bücher unter meinem Arm. Ich warf einen Blick darauf und konnte nicht anders als zu grinsen. „Jetzt, mein lieber Draco, wirst du das wohl größte Vermächtnis der Zauberei kennenlernen. Abgesehen von mir natürlich“, zwinkerte ich und der Slytherin begann zu lachen. „Na da bin ich aber mal gespannt. Komm, Dobby hat uns sogar Milch und Kekse vorbeigebracht. Ich hätte ihm nicht erzählen sollen, dass wir uns hier regelmäßig treffen. Aber er hat geschworen, dass er es niemandem verrät.“ „Ich hoffe, er kann wirklich die Klappe halten. Nicht, weil ich unsere Freundschaft verschweigen will, bei Merlin, nein! Aber stell dir mal vor, was dann hier los wäre. Was unsere Freunde sagen würden. Deine Eltern. Der Orden.“ „Hey, ich habe doch die gleichen Bedenken. Irgendwann ist das alles hier vorbei und dann spielt es keine Rolle mehr, wer wir sind und woher wir kommen. Du solltest die Kekse echt probieren, sie schmecken genauso wie in meiner Kindheit, da hat Dobby sie zu Weihnachten gebacken.“

Ich ließ mich auf das grün-rote Sofa fallen und schnappte mir einen der Kekse. „Mmh, Schokolade.“ „Schoko-Hafer-Taler nennt Dobby sie. Die Dinger sind großartig. So, was hat es jetzt mit diesen Büchern auf sich?“ „Da muss ich etwas ausholen“, begann ich und schnappte mir das größere der Bücher – das Buch über uralte Magie. „Das hier war Dumbledores Auftrag an mich. Die Anweisung war simpel. Geh in die Winkelgasse. Geh weiter in die Nokturngasse. Finde den Laden für Zaubererbedarf. Hole ein Buch ab. Was glaubst du, wie aufgeregt ich war? Und was für ein Glück ich hatte, dass einer vom Orden gerade da war und mit mir in die Winkelgasse apparieren konnte. So ging das Ganze viel schneller. Also bin ich losgelaufen und habe die Nokturngasse auch gefunden. Aber obwohl ich meinen Zauberstab dabei hatte, hatte ich schon etwas Bammel. Vor allem, als ich dann auch noch einer Gestalt begegnet bin. Aber wir haben uns quasi ignoriert. Den Laden habe ich dann gefunden und dem Inhaber einen Brief von Dumbledore gegeben. Keine Ahnung, was darin stand, aber der Mann ist ziemlich blass geworden und hat mir sofort dieses Buch gebracht. Dann hab ich ihm sein Geld gegeben und bin so schnell es ging zurück in die Winkelgasse. Zurück zum Hauptquartier musste ich leider mit der Bahn fahren. Und Dumbledore war total ungeduldig, als ich das Buch nicht sofort gelesen habe. Er kam sogar persönlich vorbei, um mir zu sagen, dass ich es endlich tun soll. Mitten in der Nacht! Dafür hat dieser alte Mann mich geweckt!“

„Du warst in der Nokturngasse?“, fragte Draco und ich blickte zu ihm. Doch er starrte auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand. Ich schluckte. „Du kennst sie?“ „Natürlich. Jeder Zauberer und jede Hexe kennt sie. Naja, alle Rein- und Halbblüter zumindest. Sie ist zwielichtig und voll von schwarzer Magie. Mein Vater hat mich einmal dorthin mitgenommen. Ich glaube er kennt dort ein paar Leute. Und…“ Draco schluckte schwer. „Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er sich in letzter Zeit öfter dort herumtreiben muss. Zumindest in den Sommerferien habe ich ihn und Mutter manchmal flüstern hören, als sie dachten, ich wäre in meinem Zimmer. Dabei sind einige Namen gefallen, unter anderem Ladennamen aus der Nokturngasse. Flora, was wenn…“ Sein Kopf fuhr zu mir. Ich legte ihm schnell einen Finger auf die Lippen. Er verstummte. „Lass uns bitte nicht über diesen Krieg nachdenken, der uns bevorsteht. Oder darüber, auf welcher Seite deine Eltern stehen. Lass uns bitte nur über diese Sache hier reden. Sie ist wichtig, fürchte ich. Vielleicht sogar entscheidend für den Sieg.“ Draco schluckte erneut, nickte aber.

Ich nahm meinen Finger von seinen Lippen und reichte ihm das Buch. „Das Buch handelt von uralter Magie. Mächtig, wertvoll und äußerst selten, quasi vom Aussterben bedroht. Durch das Buch habe ich erfahren, dass ich sehr wahrscheinlich auch die uralte Magie in mir trage und sie erwachen wird, wenn ich ein Büchlein mit uralten Zaubersprüche finde, die Merlin selbst erfunden hat. Das Buch war in seinem Verließ versteckt. Ich habe es in den Sommerferien gesucht und gefunden. Und genau in dem Moment durchströmte es mich. Ein Kribbeln, unglaubliche Wärme, pure Macht und Magie. Die uralte Magie erwachte in den Moment in mir, als ich das Buch in die Finger nahm. Später hat sich dann herausgestellt, dass dieses Erwachen nicht nur positive Folgen hat. Am Abend hat’s mich richtig aus der Bahn geworfen, ich hatte Fieber und musste spucken und alles. Ich bin nur froh, dass es mir am Anreisetag wieder soweit gut ging, dass ich mit dem Zug nach Hogwarts fahren konnte. Naja, aber jetzt weißt du, dass ich noch ein Stück mächtiger geworden bin. Du und Dumbledore sind die einzigen, die davon wissen, und von dem Buch aus der Nokturngasse. Obwohl ich mir nicht sicher bin, ob Dumbledore weiß, dass die uralte Magie in mir erwacht ist. Vielleicht nimmt er es auch nur an. Das kleine Büchlein von Merlin über uralte Magie kennen nur du und ich. Und das soll auch erst einmal so bleiben. Ich möchte mit dir die uralte Magie in mir trainieren.“

„Und du wirst es nicht einmal deinen anderen Freunden erzählen?“, hakte Draco nach und runzelte leicht die Stirn. Ich schüttelte meinen Kopf. „Ich habe das Gefühl, dass es falsch wäre. Außerdem haben die anderen genug um die Ohren, auch ohne mit mir diese Macht zu trainieren. Und irgendwie … vertraue ich dir eben am meisten. Keine Ahnung, wie das so gekommen ist“, zuckte ich mit den Schultern. Draco schmunzelte. „Wenn man bedenkt, dass ich dich am Anfang für eine minderwertige Weasley gehalten habe, weil mein Vater das so meinte“, lachte er. „Und ich habe dich für hochnäsig und arrogant gehalten und die anderen haben mir nur Schlechtes über dich erzählt. Das habe ich bestätigt gesehen, als du Molly, also Rons Mutter, beleidigt hast. Von diesem Moment an konnte ich dich wirklich nicht ausstehen.“ „Ja, ich gebe zu, das war gemein von mir. Aber ich wollte Weasley nun mal ärgern.“ „Ist aber leider nach hinten losgegangen.“ „Und dann hab ich dich eines Tages im Gang gefunden und du hast mir einfach in meiner Meinung zugestimmt“, schmunzelte Draco. „Ja. Da ging es wohl langsam bergauf mit unserer Freundschaft“, nickte ich. „Rückblickend sehr gut. Wir hätten so viel zusammen verpasst.“ „Und schon wieder klingen wir wie ein Liebespaar“, lachte ich und Draco stieg mit ein.

„Gut, vergessen wir das. Jetzt mal ernsthaft: Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich neben Dumbledore der einzige bin, der von diesem Buch weiß. Und der einzige überhaupt, der von Merlins Buch weiß. Ich freue mich, dass du mir so sehr vertraust.“ „Immer doch, Draco. Jetzt solltest du aber das Buch über uralte Magie lesen, damit du etwas besser bescheid weißt. Ich gehe solange mal Merlins Buch durch.“ Draco nickte und schlug das Buch auf. Ich tat es ihm gleich.

Mein geliebter Erbe. Dies hier ist für dich und nur für dich. Ich lege die Macht aller Mächte in deine Hände. Nutze sie weise. Verfahre mit der Macht, wie es dir beliebt, wie es dir hilft, aber vor allem: Zum größten Nutzen der Zauberergemeinschaft. Schütze die, die sich nicht selbst schützen können.

Meine Finger zitterten leicht, als ich die erste Seite umschlug. Dieses Buch hatte der größte Zauberer aller Zeiten vor Jahrhunderten geschrieben. Und doch wirkte es wie neu. Die geschwungenen Buchstaben sahen aus, als wären sie erst gestern mit frischer Tinte geschrieben worden. Und die Buchseiten waren zwar vergilbt, aber weder beschädigt noch bröckelten sie. Je weiter ich im Buch voranschritt, desto unsicherer wurde ich mir, ob ich die uralte Magie überhaupt in mir tragen wollte. Diese Sprüche und Rituale schienen mir doch etwas zu krass. Da gab es ein blutrünstiges Ritual, durch das ich in der Lage sein sollte, mit Verstorbenen zu kommunizieren. Einen Spruch um Tote wieder zum Leben zu erwecken. Mehrere Sprüche, um Emotionen zu beeinflussen. Rituale, um das eigene Leben zu verlängern. Sprüche gegen dunkle Magie und den Todesfluch. Und noch so vieles mehr! „Das ist alles so unglaublich. So unwirklich“, murmelte ich.

Draco legte seinen Kopf auf meine Schulter und schaute mit mir ins Buch. „Du solltest deinem Ahnherr vertrauen. Schau mich nicht so an. Merlin hat dir seine Magie vererbt, also ist er dein Ahnherr. Und du wolltest die uralte Magie trainieren. Ich denke nicht, dass du in der gesamten Zaubererwelt ein besseres Buch zu uralten Zaubersprüchen finden wirst wie das, was Merlin dir hinterlassen hat. Wir sollten mit einem leichten Spruch anfangen und mal schauen, ob du ihn hinbekommst, wie schnell du ihn hinbekommst, was er für Konsequenzen für dich haben könnte. Oh Merlin, was wenn du in einen mehrtägigen Schlaf fällst?“ Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, aber Draco schaute so ehrlich entsetzt und besorgt, dass ich es schnell wieder verstummen ließ. „Ich denke nicht, das sowas passieren würde. Sonst hätte Merlin Warnungen ins Buch geschrieben. Und wenn doch, dann… Dann gehst du zu Dumbledore und beichtest ihm, dass ich die uralte Magie trainieren wollte und dabei ohnmächtig geworden bin. Dann kann er sich eine Lüge für die Lehrer und alle anderen ausdenken. Und du musst ja nicht sagen, warum du bei mir warst und von der ganzen Sache weißt. Wir hoffen einfach mal, dass ich nicht in einen mehrtägigen Schlaf fallen werde, ok?“ Draco nickte und legte seinen Kopf zurück auf meine Schulter.

Zusammen blätterten wir erneut durch das Buch und suchten nach einem vermeintlich einfachen Spruch. „Hier, das schaut doch gut aus“, meinte der Slytherin irgendwann und deutete auf eine Seite. Ich runzelte meine Stirn. „Tote Pflanzen wieder zum Leben erwecken? Inwiefern ist das uralte Magie?“ „Naja, den Tod kann bisher kein normaler Zauberspruch überwinden. Für Pflanzen gibt es magische Dünger und alles, aber wenn sie einmal tot sind, kann nichts sie wieder zum Leben erwecken. Insofern ist das schon ziemlich erstaunlich. Und könnte echt was bringen. Stell dir nur mal vor, wie viele seltene Pflanzen man damit retten könnte. Sprout wäre sicher begeistert. Oder Longbottom, der redet doch von nichts anderem als Kräuterkunde.“ Erstaunt blickte ich Draco an. „Du achtest auf Neville?“ Der Junge zuckte mit den Schultern. „Ich bin sehr aufmerksam was die Menschen in meiner Umgebung betrifft. Damit mir nichts entgeht. Und ich habe dich mit ihm in der Bibliothek gesehen.“ Ich konnte nicht anders als breit zu grinsen. Draco observierte also meine Freunde. War das sein Akt der Zuneigung, sein Zeichen auf mich zu achten? Der Gedanke erwärmte mein Herz und so verwarf ich ihn nicht, auch wenn er sich unwahrscheinlich und unglaublich anhörte. „Ok, ist ja alles schön und gut, aber woher sollen wir denn jetzt tote Pflanzen bekommen? Ich würde mich ungern in die Gewächshäuser schleichen und den Zauber dort ausprobieren.“

Plötzlich ein helles Licht. Ich kniff meine Augen zusammen. Drückte das Buch fest an mich. Spürte Dracos starken Griff um meinen Körper. Dann war es vorbei. Ich öffnete blinzelnd meine Augen. Vor uns auf dem Tisch stand ein Topf mit verblühten Gänseblümchen. „Der Raum der Wünsche hat wirklich Ohren“, hauchte Draco. „Gruselig“, murmelte ich. „Das ist deine Chance den Spruch auszuprobieren.“ „Ok. Aber ich möchte, dass du etwas Abstand hältst. Falls etwas schiefgeht.“ Draco presste Lippen und Augenbrauen zusammen, stand aber ohne Widerspruch auf und stellte sich in die Ecke hinter dem Sofa. Ich blickte auf die Seite mit dem Zauberspruch und den dazugehörigen Handbewegungen. Den Spruch musste ich ohne Zauberstab schaffen. Und die Handbewegungen brauchten eine Weile, bis ich sie mir ohne ablesen merken konnte. Der Spruch an sich war einfach. ‚Planteam ad novam vitam.‘ Bei ‚Planteam‘ musste ich aus meinen Händen eine Schüssel formen und sie von meiner Brust über meinen Kopf heben. Bei ‚ad novam‘ musste ich die Schüssel auflösen und meine Hände wie eine schützende Kuppel über die Pflanze heben. Und bei ‚vitam‘ musste ich die Fäuste neben der Pflanze ballen, den kleinen Finger auf den Topf oder die Erde des Bodens legen und den Daumen nach oben abspreizen. Die letzte Handposition musste ich halten, damit aus meinen Daumen und kleinen Fingern die Magie in die tote Pflanze strömen konnten, während ich den Spruch so oft wiederholen musste, bis die Pflanze vollständig am Leben war.

Ich legte das Buch zur Seite. Kniete mich vor den Tisch mit dem Blumentopf. Atmete tief durch. Blickte noch einmal zu Draco. Der nickte mit ernster Miene, die Arme vor der Brust verschränkt. Also legte ich los. „Planteam ad novam vitam“, sagte ich klar und deutlich und machte die entsprechenden Bewegungen. Meine Hände verharrten in der letzten Position. „Planteam ad novam vitam.“ Mein Körper begann zu Kribbeln. Mir wurde warm. Heiß. Dünne Goldfäden zogen sich wabernd von meinen Daumen und kleinen Fingern zu den toten Blumen. „Planteam ad novam vitam.“ Die abgefallenen Blumenblätter flogen an die Köpfe zurück. „Planteam ad novam vitam.“ Die Blätter und Stiele strafften sich. „Planteam ad novam vitam.“ Die Köpfe richteten sich auf. „Planteam ad novam vitam.“ Die Blumen lebten wieder. Ich keuchte auf. Der erste Atemzug verwehrte sich meiner Kehle. Ein Stechen fuhr durch meine Brust. Die goldenen Fäden rissen ab. Kurz wurde alles schwarz um mich herum. Und ich fiel. Zwei starke Hände fingen mich auf. Hoben mich auf starke Arme. Ich kniff meine Augen zusammen.

„-ra. Flora? Komm schon! Flora!“ Blinzelnd öffnete ich meine Augen wieder. Atmete tief und schwer durch. Ich lag auf dem Sofa. Draco kniete neben mir. Er schloss die Augen und atmete tief durch. „Das waren die längsten zehn Sekunden meines Lebens“, murmelte er und drehte sich nach hinten. „Du musst etwas trinken“, sagte er und hob meinen Kopf an. Setzte ein Glas an meine Lippen. Gierig trank ich das kühle Wasser. Seufzte auf. „Sind die Blumen am Leben?“, wollte ich wissen. „Ja. Und du übrigens auch. Kurz dachte ich, du würdest wirklich draufgehen. Aber das sah unglaublich aus! Dieser ganze Spruch, die Handbewegungen, die Goldfäden aus deinen Fingern. Und du selbst hast auch golden geglüht! Nur ganz leicht, ich hätte es fast übersehen.“ „Ich hab es geschafft“, grinste ich und auch Draco begann zu grinsen. „Ja, du hast es geschafft. Und je öfter du das machst, desto weniger Kraft wird es dir rauben, da bin ich mir ziemlich sicher.“ „Dann sollten wir es noch einmal probieren.“ „Aber erst nächste Woche. Jetzt ruhst du dich erst einmal ordentlich aus und dann gibt es auch gleich Abendessen. Ich bin mir sicher, deine Freunde werden misstrauisch, wenn du schon wieder Samstagabend das Essen verpasst.“ Ich nickte und ließ mir mit seiner Hilfe in eine sitzende Position helfen. Wir schwiegen und blickten auf die lebenden Gänseblümchen. Es gab keinen Zweifel mehr: Ich besaß die uralte Magie und sie war verdammt stark.

Der Wecker klingelte direkt neben meinem Ohr und ich schaltete ihn schnell aus. Gespannt hielt ich meinen Atem an und lauschte. Nichts rührte sich. Erleichtert atmete ich wieder aus. Ich hatte meinen Wecker extra eine Viertelstunde früher gestellt, damit ich mich fertigmachen konnte, bevor Hermine aufwachte. Meine Freundin hatte heute nämlich Geburtstag. Und ich wollte sie überraschen. Schnell und leise huschte ich aus meinem Bett, schnappte mir meine bereitgelegte Kleidung und schlich mich ins Bad. Mithilfe meines Zauberstabs war ich in weniger als zehn Minuten fertig und huschte wieder nach draußen. Dann kramte ich Hermines Geschenk aus meinem Koffer. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich es tatsächlich fertiggebracht hatte, ihr eine Mütze zu stricken. Mit Bommel dran. Natürlich hatte ich Magie dazu verwendet, aber doch hatte es nur zwei Anläufe gebraucht, bis ich es auf die Reihe bekommen hatte. Die Mütze sah aus wie gekauft. Also perfekt. Und natürlich durfte der neueste Roman auch nicht fehlen. Ich warf einen Blick auf meinen Wecker und eilte zu Hermines Bett.

Kurz darauf klingelte ihr Wecker und ich schaltete ihn direkt aus. Dann riss ich ihren Vorhang zur Seite. „Zum Geburtstag viel Glück. Zum Geburtstag viel Glück. Zum Geburtstag, liebe Hermine, zum Geburtstag viel Glück!“ Hermine schreckte auf und blickte sich orientierungslos um. Dann fixierte sich ihr Blick auf mich und sie begann zu strahlen. „Oh Flora. Das wäre doch nicht nötig gewesen!“, rief sie aus und nahm mein Geschenk entgegen. „Natürlich! Immerhin hab ich deinen Geburtstag letztes Jahr verpasst. Die Mütze hab ich übrigens selbst gestrickt. Dazu hast du mich inspiriert.“ „Und das Buch? Das ist ja ein Muggelroman. Wo hast du sowas her? Vor allem, da wir noch gar nicht in Hogsmeade waren. Wobei ich bezweifle, dass du sowas dort findest.“ Ich musste breit grinsen. „Ich hab Tonks geschrieben und sie gebeten mir einen Muggelkatalog zu schicken. Sie liebt das Teil. Sie hat es behalten, nachdem ich es ihr zurückgeschickt habe. Ich hab mir ein Buch ausgesucht, was sie besorgen sollte, und es extra mehrfach in dem Katalog markiert. Und ihr das Geld sogar passend dazugelegt. Sie hat mir eine ganze Seite Pergament lang beschrieben, wie sie dieses Buch gekauft hat und was für einen Spaß es ihr gemacht hat. Es war sehr lustig.“

Hermine stieg in mein breites Grinsen mit ein und ich erinnerte mich nur zu gerne an die Korrespondenz mit Tonks in den letzten Tagen. Zum Glück gab es hier so schnelle Eulen, denn ich hatte erst am Sonntag daran gedacht, dass ich Hermine ja auch ein Muggelbuch schenken konnte. Und wir hatten schon Donnerstag. Es hatte also keine fünf Tage gedauert. Wobei es schon ziemlich knapp geworden war. Ich hatte Tonks noch am Sonntag geschrieben. Am Montag hatte ich ihre Antwort mitsamt Katalog bekommen. Am Dienstag hatte sie meine Antwort erhalten. Und am Mittwoch hatte sie das Buch gekauft und es mir zugeschickt. Es war so spät angekommen, die meisten meiner Mitschüler hatten schon geschlafen. Nur ich war vor Aufregung noch wach gewesen und hatte vor dem Fenster gesessen und gewartet, bis die Eule endlich dort gelandet war und ich Hermines Geschenk an mich nehmen konnte. „Jetzt solltest du dich aber erst einmal fertig machen. Dann gehen wir frühstücken. Vielleicht gratulieren dir auch noch ein paar Leute. Und wir haben in der ersten Stunde Zaubertränke, da sollten wir nicht zu spät kommen.“ Hermine nickte, legte meine Geschenke vorsichtig neben sich und sprang dann aus dem Bett.

Tatsächlich gratulierten Harry und Ron Hermine, aber erst, nachdem Ginny es tat und die beiden daran erinnerte, was heute für ein Tag war. Ich selbst fasste während Geschichte einen Entschluss und zog Hermine in der Mittagspause in die Küche. Sofort kamen ein paar der Hauselfen auf uns zu. „Hallo. Meine Freundin hier hat heute Geburtstag. Ihr hättet nicht zufällig einen kleinen Kuchen oder so für sie?“, wollte ich wissen. „Aber natürlich!“, vernahm ich Dobbys Stimme und wir drehten uns zu ihm um. Mein Mund klappte auf. „Das ist eine zweistöckige, dekorierte Torte. Sag mir nicht, ihr habt sowas immer auf Lager“, meinte ich. Dobby schüttelte grinsend den Kopf, dass seine Ohren flatterten. „Harry Potter hat Dobby von Miss Grangers Geburtstag erzählt, Miss. Da hat Dobby einen Kuchen für sie gebacken.“ „Das ist kein Kuchen, das ist ein Meisterwerk“, hauchte ich und zog Hermine zum nächsten Tisch. Mit einem Mal knarrte die Tür und ich spannte mich an. Wenn jetzt Draco auftauchen würde, hätten wir alle ein Problem. Doch es waren nur Harry und Ron. „Ach hier seid ihr! Und wie ich sehe, hat Dobby euch schon den Kuchen gezeigt. Der ist ja riesig geworden, Dobby! Ich hatte doch gesagt, etwas Kleines reicht aus“, meinte Harry, während Ron sich schon mit glänzenden Augen uns gegenüber setzte. Wir aßen also zusammen die Torte und mussten danach rennen, um noch pünktlich zu Umbridges Unterricht zu kommen.

„Warum habe ich mich noch gleich dazu überreden lassen?“, brummte ich und schlang meine Arme fester um mich. „Ach Flora, so schlimm ist das Wetter doch gar nicht!“, lachte Hermine. Ich blickte sie von der Seite an. Sie hatte ganz rote Wangen. „Mir frieren die Finger bei diesem Wind ab. Außerdem hält der Herbst richtig Einzug.“ „Was erwartest du denn Ende September?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Jedenfalls nicht, dass Fred und George uns quasi dazu nötigen, ihrem Quidditch Training zuzuschauen. Es ist ja nicht einmal ein richtiges Spiel. Ich hätte die Hausaufgaben vorschieben sollen.“ Doch die waren schon größtenteils alle erledigt und das wussten die Zwillinge auch. Und selbst wenn nicht, sie hätten mich niemals in Ruhe gelassen, bis ich ihrem aufgezwungenen Angebot zustimmte. „Ach, Hausaufgaben können doch warten. Ich will Ron – ähm, ich meine, ich will die Mannschaft spielen sehen!“ Ich zog meine Augenbrauen nach oben und blickte wieder zu Hermine, deren Wangen noch etwas röter geworden waren. „Du willst was?“, hakte ich nach. „Die Mannschaft. Ich will die Mannschaft spielen sehen“, nickte Hermine. „Ich bin mir sicher, du hast gerade…“ Eine besonders starke Böe verfing sich in meinem Mantel und ließ mich gegen Hermine taumeln. „Verfluchtes Wetter! Lass uns bloß schnell ins Stadion gehen, da wird es hoffentlich weniger windig sein“, zischte ich und zog Hermine hinter mir her.

Wenig später saßen wir mit ein paar anderen Schülern auf der Tribüne und beobachteten unser Quidditch-Team beim Aufwärmen. Dann stiegen die Spieler in die Luft und los ging das Training. Ich zog meine Jacke noch ein bisschen enger um mich. „Viel zu kalt“, grummelte ich. „Jetzt sei doch nicht so, Flora. Oh, schau mal, der Ball fliegt zu Ron!“ Ich beobachtete den neuen Hüter der Mannschaft dabei, wie er zwischen zwei der drei Torringe hin und her flog. Dann blieb er vor einem stehen. Angelina schoss den Ball. Ron versuchte noch daran zu kommen, doch da war er schon durchs andere Tor. „Ach, das wäre jedem passiert. Angelina hat echt getrickst“, meinte Hermine. Ich zog meine Augenbrauen nach oben und blickte sie an. „Ich hab doch gar nichts gesagt. Warum verteidigst du ihn dann?“ Ihre Wangen wurden dunkler. „Hab ich doch gar nicht! Oh, schau mal, Harry hat anscheinend den Schnatz gefunden.“ Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Spielfeld zu, doch was auch immer Hermine geglaubt hatte zu sehen, war schon wieder vorbei. Harry trudelte entspannt oberhalb des Spielfeldes auf seinem Besen. Die drei Treiberinnen setzten zu einem neuen Angriff an und wieder konnte Ron den Ball nicht halten. Warum war er überhaupt Hüter geworden? Wenn er schon jetzt keinen Ball halten konnte, würde das bei den Spielen auch nichts mehr werden. „Fred und George haben ihn abgelenkt, siehst du“, nickte Hermine und ich folgte ihrem Fingerzeig. Die beiden Weasleys lenkten tatsächlich mit winkenden Bewegungen ab, die sie allerdings in Richtung Lee machten, genau die entgegengesetzte Richtung von Ron.

„Hermine, warum…“ „Oh, schau mal!“ Ich gab es seufzend auf und beschloss, meine Freundin zu einem späteren Zeitpunkt auf ihr komisches Verhalten anzusprechen. Sie benahm sich ja fast so, als würde sie Ron doch ein bisschen mehr mögen, als sie bereit war zuzugeben.

Pünktlich zu Dracos und meinem Treffen traf ich im Raum der Wünsche ein, doch wie fast immer war der Slytherin schon vor mir da. „Hey“, grinste ich und strich mir über meine kalte Nase. „Du bist ja ganz rot im Gesicht“, zog der Junge die Augenbrauen zusammen und schloss mich in eine Umarmung. „Woah, bist du kalt!“, rief er aus, löste sich von mir und begann, mir über meine Arme, Hände, Wangen und Ohren zu reiben. Ich grinste schief. „Macht dich das nun zu meinem festen Freund oder Bruder?“, witzelte ich. Draco hielt kurz inne und schien ernsthaft darüber nachzudenken. „Ich würde großer Bruder bevorzugen. Nur leider bist du älter als ich. Also bin ich wohl dein kleiner Bruder.“ „Wohl eher jüngerer Bruder. Du bist einen halben Kopf größer als ich und wirst bestimmt noch etwas weiter in die Höhe schießen. Keine Sorge, mir geht’s gut“, murmelte ich, als Draco seine Hand auf meine Stirn legte. „Ich war bis gerade eben draußen im Quidditch-Stadion und habe unserer Mannschaft beim Üben zugeschaut. Schau mich nicht so an, ich wäre viel lieber drinnen geblieben. Aber Fred und George haben mich überredet und ich habe schon fast alle Hausaufgaben fertig. Und dann hat Hermine auch noch angefangen von Ron zu schwärmen. Indirekt. Ich dachte eigentlich, die beiden mögen sich nicht so sehr. Aber naja, es heißt ja: Was sich liebt das neckt sich. Oh, ist das eine komische Vorstellung. Ron und Hermine.“ Ich schauderte.

„Lass uns nicht über die beiden nachdenken. Wie war deine Woche?“, meinte Draco. Ich kicherte. „Normal, wie immer. Ach, Hermine hatte am Donnerstag Geburtstag, aber das war auch schon das einzig Aufregende. Und wie lief’s bei dir so?“ „Dasselbe. Schule wie üblich. Willst du gleich wieder die Uralte Magie ausprobieren?“ Schmunzelnd holte ich Merlins Büchlein aus meiner inneren Manteltasche, bevor ich diesen an einem Garderobenständer aufhängte. Der Raum der Wünsche sah heute aus wie ein gemütliches Wohnzimmer. An einer Wand loderte ein Feuer in einem Kamin, davor standen zwei Sessel und ein niedriger Tisch. In der Mitte des Raumes standen drei Sofas um einen Couchtisch und in der rechten Ecke befand sich tatsächlich eine Kochnische. Zu gerne würde ich einmal in die Schränke spickeln, ob denn auch Essen vorhanden war.

„Hast du den Raum deswegen so gemütlich erdacht?“, wollte ich wissen. Draco zuckte mit den Schultern. „Mir gefiel die Vorstellung mit dir nach Hause zu kommen. Nicht in diesem Sinne, Flora!“ Ich begann zu lachen. „Der Tag ist mir heute eindeutig zu romantisch belastet. Welchen Spruch sollen wir denn heute ausprobieren?“ „Wieder den vom letzten Mal“, meinte Draco. Wie auf Kommando erschien ein helles Licht und auf dem Couchtisch in der Mitte stand ein Topf mit verblühten Primeln. Draco setzte sich auf das rechte Sofa, ich kniete mich vor den Topf auf den Boden und schlug noch einmal Merlins Buch auf, um meine Erinnerung zu Spruch und Handbewegungen aufzufrischen. Nickend klappte ich das Buch zu und atmete noch einmal tief durch, um mein aufgeregtes Herz zu beruhigen. „Du schaffst das“, flüsterte Draco und ich blickte zu ihm. Er saß nach vorne gelehnt, die Ellenbogen auf den Knien, die Hände ineinander verschränkt. Und er lächelte leicht, was mein Herz etwas beruhigte.

Ich nickte und wandte mich wieder der Pflanze zu. „Planteam ad novam vitam.“ Ich machte die Handbewegungen, konzentrierte mich voll und ganz auf den Zauber und meine innere Macht. „Planteam ad novam vitam.“ Das bekannte Kribbeln und die Wärme wallten in mir auf, durchströmten mich und schossen als Magiefäden aus meinen Daumen und kleinen Fingern heraus. „Planteam ad novam vitam.“ Die abgefallenen Blumenblätter flogen an die Köpfe zurück. „Planteam ad novam vitam.“ Die Blätter und Stiele strafften sich. „Planteam ad novam vitam.“ Die Köpfe richteten sich auf. „Planteam ad novam vitam.“ Die Blumen lebten wieder. Keuchend sackte ich nach hinten gegen das Sofa, doch ließ meine Augen offen, damit Draco nicht wieder einen Herzinfarkt erlitt wie letztes Mal. Mein Freund sprang sofort auf und kniete sich neben mich. „Wie geht’s dir?“ „Ich bin nicht ohnmächtig geworden“, krächzte ich. Draco sprang auf und eilte um das Sofa herum. Wenig später hörte ich Wasser rauschen. Die Kochnische war funktionsfähig! Der Junge kam mit einem Glas Leitungswasser wieder. Ich nahm es ihm ab und trank es in großen Zügen leer. Erleichtert seufzte ich auf. „Du bist nicht ohnmächtig geworden, das ist ein großer Fortschritt“, nickte Draco und stellte das Glas auf den Tisch neben die Blumen. „Jetzt muss nur noch diese Erschöpfung nach dem Zauber verschwinden und voila, ich kann den Spruch aufsagen, ohne dass es mich etwas kostet. Bloß die Goldfäden kann ich nicht verstecken, also kann ich den Spruch nicht in Gegenwart von nichtwissenden Personen einsetzen.“

„Planst du jetzt etwa einen Streifzug durch die Gewächshäuser?“ Draco grinste schief. „Das könnten wir doch auf unsere Liste nächtlicher Aktivitäten schreiben. Gleich neben Baden im schwarzen See im Sommer bei Nacht“, zwinkerte ich und der Slytherin brach in schallendes Gelächter aus. „Komm, auf dem Boden ist es doch unbequem.“ Er reichte mir seine Hand und zog mich hoch. Zusammen setzten wir uns auf das mittlere Sofa und begannen noch einmal in Merlins Büchlein zu blättern, Dracos Kopf auf meiner Schulter und mein Kopf gegen seinen gelehnt.

„Hermine? Ich hab mal eine Frage?“ Das gestrige Verhalten meiner Freundin ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Und da wir gerade alleine in der Bibliothek waren um die letzte Hausarbeit zu schreiben, wollte ich die Gelegenheit nutzen und sie darauf ansprechen. „Etwa zu Zauberkunst? Flora, du bist doch Spitzenschülerin.“ „Nein, es geht nicht um die Schule.“ Nun blickte Hermine von ihrem Pergament auf, die Augenbrauen zusammengezogen. „Um was geht es dann?“ „Naja. Um Ron und dich“, platzte ich direkt heraus. Wozu lange um den heißen Brei reden? Und prompt verfärbten sich Hermines Wangen so rot wie die Haare des Weasleys. „Was … das … warum … wir … was soll da sein?“ Ich leckte mir über die Lippen. Ihr Gestammel sagte mir schon einiges. „Nun, du hast ihn gestern sehr deutlich vor mir verteidigt, obwohl ich gar nichts zu seinen Patzern gesagt habe.“ „Es waren keine Patzer!“ Meine Freundin schlug sich die Hand vor den Mund und wurde noch etwas röter. Ich konnte mir ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Dennoch begann mein Herz bei meinen folgenden Worten schneller zu schlagen. „Kann es sein, dass du Ron mehr als nur einen normalen Freund magst?“ Das Mädchen spannte sich an und wurde totenstill. Dann zog es die Beine auf den Stuhl und legte die Arme darum.

„Weißt du“, begann Hermine und seufzte schwer. Verzog das Gesicht. Sackte leicht in sich zusammen. „Ich weiß einfach nicht, was mit mir los ist“, begann sie schließlich und starrte penibel vor sich auf die Tischplatte. „Weißt du, ich dachte er ist ein Idiot. Ein normaler idiotischer Freund. Aber dann waren wir zusammen im Sommer in diesem Haus eingesperrt. Es ging ja nicht anders als dass wir mehr miteinander zu tun hatten. Besonders als Harry noch nicht da war. Du warst so oft mit dem Orden eingespannt oder hast dich zurückgezogen. Ginny hat sich mit den Zwillingen beschäftigt und die ganzen Erwachsenen hatten ihre eigenen Dinge zu tun. Da haben Ron und ich uns eben etwas besser kennengelernt. Und ich finde ihn … nett. Er ist gar nicht so ein großer Idiot, wie ich immer dachte. Ich … ich verstehe das einfach nicht.“ Ich schluckte. Leckte mir über die Lippen. „Hermine. Ich hab zwar keine Ahnung von dieser Art von Gefühl, aber kann es sein, dass du in Ron verliebt bist? Oder zumindest auf dem besten Weg dorthin?“ Hilflos zuckte meine Freundin mit den Schultern. „Ich hab doch auch keine Ahnung von sowas. Vielleicht … Ich weiß nicht.“ Schwer atmete ich durch.

„Ich denke da müssen wir einfach warten was das Schuljahr so mit sich bringt. Die Dinge einfach laufen lassen. Dann findest du bestimmt mehr über deine eigenen Gefühle heraus und wir können mal abwarten was Ron so tut. Aber eins sag ich dir: Sollte er dich in irgendeiner Weise verletzen, verzaubere ich ihn in eine Kröte und verwandle ihn so schnell nicht wieder zurück.“ Hermine lächelte schwach und nahm nach ein paar schweigsamen Minuten ihre Schreibarbeit wieder auf. Ich griff mir ein Buch und tat so, als würde ich lesen. In Wirklichkeit flogen meine Gedanken von Hermine zu Ron und wieder zurück. Wenn meine Freundin wirklich in den Jungen verliebt war, musste ich anfangen, ihn etwas mehr zu mögen. Klar mochte ich ihn, aber bisher empfand ich unsere Beziehung mehr als entfernt bekannt. Zwar hatte ich vorletzten Sommer bei den Weasleys gewohnt und war letzten Sommer mit ihnen im Grimmauldplatz gewesen. Zwar hatte ich in meinem ersten Jahr hier in Hogwarts viel mit Ron zu tun gehabt, doch das lag rückblickend wahrscheinlich nur daran, dass ich viel mit Harry zusammen gewesen war und geübt hatte, und er halt immer auch dabei gewesen war. Seit es nicht mehr notwendig war, verbrachte ich viel mehr Zeit mit anderen Freunden. Mit Hermine. Mit Lavender und Parvati. Und auch mit den anderen Gryffindors freundete ich mich immer mehr an. Sollten Hermine und Ron aber schlussendlich zusammenkommen, musste ich unsere Bekanntschaft auf ein freundschaftlicheres Niveau heben. Zu gerne war ich dazu bereit, sollte es Hermine freuen.

Ich seufzte und schüttelte meinen Kopf. In Krisenzeiten über Beziehungen nachzudenken war komisch. Auch wenn Freundschaften im Krieg umso wichtiger waren. Nun blieb mir nur noch zu hoffen, dass Ron Hermines Gefühle – wenn sie denn wirklich existierten – nicht verletzen und vielleicht sogar erwidern würde. Eher das letztere, denn was Gefühle anbelangte, war der Weasley ein Trampel sondergleichen.

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