Kapitel 11 - Wahre Freunde
„Warum müssen wir sie noch gleich drei Mal in der Woche haben? Und warum schon am frühen Morgen?“, gähnte ich und blickte missmutig auf meinen Kürbissaft herab. „Sie kommt vom Ministerium. Bestimmt hat sie einiges zu ihren Gunsten gedreht“, schnaubte Hermine. Ich runzelte meine Stirn. „Wie? Umbridge ist aus dem Ministerium? Ich dachte Hogwarts und seine Lehrer sind unabhängig?“ Hermine schnaubte erneut. „Das war es auch, bis jetzt. Das Ministerium will sich offensichtlich in Hogwarts einmischen. Nur deswegen ist diese Frau hier, ganz sicher.“ Ich nickte und schob mir einen Löffel Rührei in den Mund. Umbridge kam also aus dem Ministerium. Deswegen faselte sie die ganze Zeit was von wegen der Lehrplan sei mit dem Ministerium abgestimmt und so weiter. Das Zaubereiministerium wollte also nicht, dass die Welt glaubte, Voldemort sei zurück. Und dass wir Schüler keine Zaubersprüche lernten. Andernfalls konnte ich mir nicht erklären, warum wir die ganze Zeit nur die Theorie lasen. Irgendwann seufzte Hermine und erhob sich. „Also dann, wir müssen los“, murmelte sie und schnappte sich ihre Schultasche. Harry mir gegenüber schreckte auf. Offenbar war er kurz eingenickt. „Was ist los?“, nuschelte auch Ron. Ich verdrehte meine Augen. „Ihr beide müsst eindeutig früher ins Bett gehen. Wir müssen jetzt zu Verteidigung“, meinte ich und schaufelte mir den letzten Rest Bacon in meinen Mund.
Kauend verließ ich mit Hermine, Harry und Ron die Große Halle. Die Stimmung vor unserem Klassenzimmer war so düster wie die Aussicht auf den Unterricht. Nur Umbridge trug wie immer ein großes puppenhaftes – fast schon gruseliges – Grinsen im Gesicht. Wir durften uns einen kurzen Vortrag anhören, dann lasen wir weiter im Buch. In Zauberkunst ging es etwas munterer daher und die Aussicht, nach dieser Stunde endlich frei zu haben, ließ uns alle den schrecklichen Tagesbeginn vergessen. Das Mittagessen verlief ausgelassen, danach machten wir uns wieder auf den Weg in die Bibliothek. Zu meiner Überraschung fand sich dort fast die Hälfte des Jahrgangs wieder – darunter alle Gryffindors. „Sie sehen wohl endlich ein, dass es sich lohnt, früh Hausaufgaben zu machen“, flüsterte Hermine mir zu, ehe wir uns an einen freien Tisch setzen. Wir verbrachten die Zeit bis zum Abendessen intensiv mit unseren verschiedenen Aufsätzen. „Komm, Hermine. Flora, lasst uns zum Abendessen gehen“, meinte Ron irgendwann und sprang schon auf. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Der Junge hatte die letzte Viertelstunde nichts mehr gemacht und schien nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet zu haben. „Nur noch kurz, dieser eine Absatz gefällt mir noch nicht und…“, meinte Hermine, doch sie verstumme, als Harry sich ebenfalls erhob. „Ron hat recht, lasst uns gehen. Ich muss ja auch noch nachsitzen und dann wollt ihr ja vielleicht das Auswahlspiel der Quidditch-Mannschaft sehen“, sagte er.
Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Es schüttete wie aus Eimern. Für keinen Sport der Welt würde ich da freiwillig nach draußen gehen. Hermine seufzte, packte aber zusammen und ich tat es ihr gleich. Zu viert liefen wir zum Abendessen. Dort verabschiedeten wir wenig später Harry zu Umbridge. „Also, ich muss dann auch mal los“, meinte Ron wenig später. „Und wohin? Was hast du die ganze Woche überhaupt getrieben?“, platzte Hermine mit einem Mal der Kragen. Ich blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Dann musterte ich Ron. Würde der Rotschopf uns endlich sagen, was er die ganze Woche verschwiegen hatte? „Ähm“, druckste dieser und seine Hand wanderte in seinen Nacken. „Ich hab … also … ich möchte gerne … in die Quidditch-Mannschaft … also hab ich heimlich geübt. Und jetzt gehe ich zum Auswahlspiel.“ „Oh“, machte Hermine und ihre Augen weiteten sich leicht. „Dann wünsche ich dir viel Glück. Glaub an dich und du schaffst es bestimmt“, grinste ich und Ron lief rot an. „Ja … ja … Also bis später.“ Und es schien so, als würde er die Flucht ergreifen. Ich blickte schmunzelnd zu Hermine, die dem Weasley nachsah. „Er hat letztes Jahr in den Ferien zwar immer mit seinen Brüdern im Garten Quidditch gespielt, aber ich hätte nie gedacht, dass er in die Mannschaft will“, meinte ich und holte sie aus ihrer Starre. „Ja … er schafft es ganz bestimmt … ja“, murmelte sie. Ich runzelte meine Stirn und musterte meine Freundin genauer. War sie etwa rot im Gesicht?
„Hey, Flora“, kam es mit einem Mal von hinten und ich drehte mich um. „Was gibt’s?“, wollte ich wissen und blickte von Lavender zu Parvati. „Willst du vielleicht mit uns kommen und dir das Auswahlspiel der Quidditch-Mannschaft ansehen?“, fragte Lavender. „Nein danke, es regnet mir zu sehr. Aber euch viel Spaß und dann bis später“, winkte ich sofort ab. „Na gut, dann bis später.“ Und die beiden verschwanden. „Und was machen wir zwei?“, wandte ich mich an Hermine. Sie blieb einen Augenblick still. „Ähm.“ Sie verschränkte ihre Arme und starrte ihren Teller nieder. „Wie wär’s mit Hausaufgaben?“, hauchte sie schon fast. Ich nickte leicht. „Gute Idee. Je mehr wir heute noch schaffen, desto mehr Freizeit haben wir am Wochenende.“ Hermine nickte. „Genau … Das dachte ich auch.“ „Dann lass uns gleich in den Gemeinschaftsraum gehen. Ich denke, viele unserer Mitschüler werden bei dem Auswahlspiel sein. Also können wir dort gut unsere Aufsätze schreiben“, meinte ich und Hermine nickte erneut. Knappe zwei Stunden hatten wir beide Ruhe im Gemeinschaftsraum. Dann stürmte die Quidditch-Mannschaft mit halb Gryffindor herein und veranstaltete einen solchen Radau, dass ich nicht mal mehr meine eigenen Gedanken hören konnte.
„Hermine, Flora, ich hab’s geschafft! Ich bin Hüter!“, rief Ron uns zu. Ich reckte einen Daumen nach oben in die Höhe, dann packte ich meine Sachen zusammen. „Ich denke, die werden hier noch eine Weile Party machen. Bei dem Lärm macht es keinen Sinn, noch weiter an den Hausaufgaben zu schreiben. Kannst dir ja ein Butterbier gönnen, ich glaube Fred und George haben welches besorgt“, meinte ich und deutete auf das große Fass voller Flaschen. Hermine nickte und lief los. Ich verstaute meinen Aufschrieb in meiner Tasche und lief schnell in den Schlafsaal. Dort verstaute ich meine Tasche neben meinem Nachttisch. Ich lief wieder nach unten und stieß mit voller Wucht gegen jemanden.
„Woah!“ Mit großen Augen taumelte ich zurück. Eine Hand hielt mich fest. „Entschuldige, Flora“, murmelte Harry. „Hey, alles gut. Ist ja nichts passiert. Du bist also wieder da von deinem Nachsitzen? Und, wie war’s? Umbridge hat dir hoffentlich nicht noch einen Abend aufgedrückt. Wie ich ja schon gesagt habe, wenn du Hilfe bei den Hausaufgaben brauchst … oder abschreiben willst. Dann ist dein Wochenende vielleicht etwas weniger stressig als deine bisherige Woche“, meinte ich. Harrys Augen wurden glasig – oder sah das nur wegen dem Licht so aus? „Danke, Flora. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie gut deine Worte tun. Erst recht heute.“ „War das Nachsitzen etwa so schlimm?“, lachte ich, musterte den Jungen vor mir aber gleichzeitig. Irgendwie gefielen mir seine Worte gar nicht. Kam es mir nur so vor, oder stand er leicht gebückt? „Ach was, das Nachsitzen war wie immer, nichts Besonderes“, winkte Harry ab. Genau in diesem Moment zuckte seine Hand hinter seinen Rücken. Ich hätte es als Zufall abtun können. Aber etwas war faul. Ich runzelte meine Stirn. „Wirklich?“, wollte ich wissen und nutzte die Sekunde Verwirrtheit bei Harry, um nach seiner Hand zu greifen.
Scharf sog ich die Luft ein. „Harry, war das Umbridge?“ Ich konnte meinen Blick nicht von der blutenden Wunde lösen. Von dem blutenden Satz. Ich soll keine Lügen erzählen. Umbridge hatte Harry gefoltert. Wie krank war diese Frau bitteschön? „Ach, das…“ „Sag jetzt nicht, dass das nichts ist“, zischte ich, blickte mich schnell in alle Richtungen um und zog Harry weiter in die Ecke vor den Treppen hinein. So würde uns niemand aus dem Gemeinschaftsraum beobachten können. „Was…“ „Halt still und sei ruhig“, murmelte ich und schloss meine Augen. Konzentrierte mich. Beschwor meine Magie herauf. Mein Körper fing an zu kribbeln. Meine Hände erhitzten sich. Harry zischte. Ich atmete tief durch. Als ich meine Augen wieder öffnete, war Harrys Wunde verschwunden. Dafür fühlte ich mich wie nach einem kilometerlangen Marathon ohne Wasser. Hustend ließ ich Harrys Hand los und stützte mich an der Wand ab. Schnell legte der Junge einen Arm unter meine Achseln und hielt mich mit aufrecht. „Warum hast du das gemacht?“, wollte er wissen. Ich grinste schwach. „Ein einfaches Dankeschön hätte auch gereicht“, murmelte ich. „Natürlich. Dankeschön, Flora. Ich verdanke dir so viel.“ „Ich könnte Umbridge ja ungesehen in eine Kröte verwandeln“, schlug ich zusammenhanglos vor und nickte der Wand zu.
„Flora? Geht’s dir nicht gut?“ „Weißt du, Harry. Manchmal stellst du echt dumme Fragen.“ „Tut mir leid.“ Und plötzlich zog er mich in eine halsbrecherische Umarmung. „Danke, dass du auf meiner Seite bist“, flüsterte er und ließ mich wieder los. Ich blinzelte mehrmals und runzelte meine Stirn. „Ah, da bist du ja, Flora. Wir haben dich schon gesucht“, vernahm ich mit eine Mal Freds Stimme und ehe ich mich versah, verschwand Harry die Treppen nach oben und die beiden Zwillinge zogen mich zu einem der Sofas. Ich konnte nicht sagen, wann und wer mich später ins Bett brachte. Aber dort wachte ich irgendwann nach Mitternacht wieder auf, schaffte es meinen Pyjama anzuziehen und unfallfrei zurück unter die Decke zu kommen.
„Flora, das Frühstück ist bald vorbei“, schallte Lavenders Stimme durch meine Träume. Ich schreckte hoch, gähnte, rieb mir über die Augen. „Wie spät ist es denn?“, murmelte ich und beantwortete mir die Frage selbst mit einem Blick auf meinen Wecker. Halb zehn. „Mist!“, stieß ich aus und sprang aus dem Bett. Im Eiltempo machte ich mich fertig und hetzte durch die Gänge und über die Treppen bis zur Eingangshalle. „Hallo Flora!“, strahlte mich dort Harry an und ich runzelte meine Stirn. „So gut gelaunt?“ „Ja, sehr gut“, nickte Harry, hakte sich bei mir unter und zog mich in die Große Halle. Dort machte Hermine winkend auf sich aufmerksam und wir setzten uns zu ihr und Ron. „Morgen“, grinste Harry auch die beiden an. „Weswegen strahlst du eigentlich so?“, wollte Ron natürlich sofort wissen. Ich begann mir Porridge zusammenzustellen. „Ähm … heute ist Quidditch“, meinte der Junge mit der Blitznarbe und bot mir Rührei und Bacon an. Ich winkte ab. „Ach … jaah … Übrigens … hast du vielleicht Lust, mit mir zusammen ein bisschen früher rauszugehen? Nur damit ich – ähm – vor dem Training ein wenig üben kann? Dann kann ich schon mal ˋn bisschen reinschnuppern, verstehst du“, sagte der Weasley. Ich warf ihm einen schnellen Blick zu. Der war heute aber ganz schön blass. „Ja, okay“, nickte Harry sofort und ich begann mit meinem Essen. „Hört zu, ich glaube, ihr solltet das besser bleiben lassen. Ihr seid beide weit hinterher mit euren Hausaufgaben…“ Wo Hermine recht hatte.
Plötzlich erklang das Kreischen und Flattern vieler Eulen. Die morgendliche Post. Ich zog meine Schüssel etwas weiter an mich heran und beobachtete eine Eule dabei, wie sie Hermine ihre Zeitung brachte. „Irgendwas Interessantes?“, wollte Ron sofort wissen, doch Hermine schüttelte nur leicht den Kopf. „Nein, nur ˋne Klatschmeldung, dass die Bassistin der Schicksalsschwestern heiratet. Lasst mich mal weiter lesen.“ Und schon verschwand Hermine hinter dem Tagespropheten. Ich schob mir einen weiteren Löffel Porridge in den Mund und folgte mit meinem Blick den letzten Eulen, die wieder aus der Großen Halle verschwanden. „Moment mal. O nein … Sirius!“ Mein Herz machte einen Satz und mir blieb das Porridge im Hals stecken. „Was ist los?“, rief Harry schon fast und griff nach der Zeitung. Hermine hielt sie aber eisern fest und das Papier zerriss. Ich schlug meine Hand gegen meinen Kopf. „Was ist denn nun los?“, drängte ich die beiden dann und blickte zwischen ihnen hin und her. „‚Das Zaubereiministerium hat von einer verlässlichen Quelle den Hinweis erhalten, dass Sirius Black, berüchtigter Massenmörder … bla, bla, bla … sich gegenwärtig in London versteckt hält!‘“, las Hermine vor. Ich atmete tief durch um mein Herz zu beruhigen. Sie hatten Sirius noch nicht gefunden. Bloß seinen Suchradius eingegrenzt. Wenn auch leider ziemlich treffend. „Lucius Malfoy, da mach ich jede Wette. Er hat Sirius auf dem Bahnsteig erkannt…“, zischte Harry. Mein Herz begann wieder schneller zu schlagen. Warum musste es denn immer Lucius Malfoy sein? Konnte Dracos Vater nicht einfach ein normaler Zauberer ohne irgendwelche bösen Absichten sein? „…‚Ministerium warnt die Zaubererschaft, dass Black sehr gefährlich ist … hat dreizehn Menschen getötet … ist aus Askaban ausgebrochen‘ … der übliche Plunder. Nun, jetzt kann er das Haus eben nicht mehr verlassen, das ist alles. Dumbledore hat ihn ja ermahnt, dass er es nicht tun soll“, seufzte Hermine. Ich schluckte und atmete tief durch. Hoffentlich würde Sirius jetzt wirklich im Haus bleiben und sich nicht mehr sehen lassen. Er war einfach nicht sicher in London. Erst recht nicht, wenn manche Leute seine Patronusform kannten.
„Hey! Schaut euch das mal an! Diese kleine Meldung hier“, rief Harry mit einem Mal und knallte seine Hälfte der Zeitung auf den Tisch. Ich folgte seinem Fingerzeig und runzelte leicht meine Stirn.
Eindringling im Ministerium
Sturgis Podmore, 38, aus Clapham, Goldregenweg zwei, ist vor dem Zaubergamot erschienen unter der Anklage, am 31. August Hausfriedensbruch und einen Einbruchsversuch im Zaubereiministerium verübt zu haben. Podmore wurde vom Ministeriums-Wachtzauberer Eric Munch festgenommen, der ihn um ein Uhr morgens bei dem Versuch ertappte, sich gewaltsam Zutritt durch eine Hochsicherheitstür zu verschaffen. Podmore, der eine Aussage zu seiner Verteidigung verweigerte, wurde in beiden Punkten für schuldig befunden und zu sechs Monaten in Askaban verurteilt.
Ich schlug mir die Hände vor den Mund. Das durfte doch nicht … Das konnte doch nicht wahr sein! Mein Herz raste. Sturgis war entdeckt worden. Er war im Ministerium gewesen wegen dem Orden und deswegen saß er jetzt in Askaban. Drohte uns das allen, sollten wir entlarvt werden? Ein Aufenthalt in Askaban. „Flora, ist das nicht einer aus dem Or…“ „Pscht!“, zischte Hermine und Harry rammte Ron seinen Ellenbogen in die Seite. Trotzdem blickten alle drei zu mir und ich nickte leicht. „War er dort wegen…“ Wieder nickte ich. Sturgis saß in Askaban. Ich hatte ihn zwar nicht so gut gekannt, aber wir waren doch beide im Orden des Phönix, hin und wieder hatten wir mal gequatscht. Und wir kämpften für die gleiche Sache. Was er jetzt nicht mehr konnte. „Was wollte Sturgis um ein Uhr morgens im Ministerium?“, wollte Hermine wissen. Ich schüttelte meinen Kopf. Ich konnte es ihnen nicht sagen. Ich durfte es ihnen nicht sagen. „Erinnert ihr euch, Sturgis sollte doch mich mit nach King‘s Cross begleiten. Moody schien nichts davon zu wissen, dass er verhaftet wurde“, warf Harry ein. „Vielleicht hat er nur nicht damit gerechnet, dass Sturgis erwischt werden könnte“, meinte Hermine. Eine kurze Stille trat ein.
„Nun gut, ich glaube, wir sollten zuerst diesen Aufsatz für Sprout über selbstdüngende Sträucher erledigen, und wenn wir Glück haben, können wir mit McGonagalls Inanimatus-Aufrufezauber noch vor dem Mittagessen anfangen…“ Mit großen Augen blickte ich zu Hermine. Wie konnte sie jetzt einfach so weitermachen, als wäre nichts geschehen? Als wäre Sirius nicht in größerer Gefahr als vorher und als wäre kein Mitglied vom Orden nach Askaban geschafft worden? „Harry und ich gehen lieber Quidditch spielen“, meinte Ron und sprang von der Bank auf. Sein Freund folgte ihm. Hermine schnaubte. „Ihr werdet bei all euren ZAGs durchfallen, wenn ihr so weitermacht!“, fluchte sie und wandte ihren Blick dann mir zu. „Kommst du wenigstens mit in die Bibliothek?“ Ich merkte, dass meine Hände immer noch vor meinem Mund lagen, und senkte sie schnell wieder. „Klar“, murmelte ich und stand auf. Hunger hatte ich keinen mehr.
Eine halbe Stunde später saß ich mit Hermine zusammen in der Bibliothek und es erwies sich als der größte Fehler des heutigen Tages. „Was wollte Sturgis jetzt so spät noch im Ministerium?“ Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. Schüttelte meinen Kopf. Schwieg eisern. „Hat er etwas für Du-weißt-schon-was erledigt? Wollte er wirklich durch eine Tür? War das sein Auftrag?“ „Ich werde dir nichts sagen, Hermine“, seufzte ich und meine Freundin beließ es tatsächlich dabei. Auch wenn sich mich hin und wieder mit intensiven Blicken taxierte. Beim Mittagessen ließ ich meinen Blick schweifen und fand den von Draco. Siedend heiß fiel mir wieder ein, dass wir heute Abend ja unser wöchentliches Treffen hatten. Mir grauste es schon davor. Ich musste dem Jungen vom Orden erzählen und von seinem Vater. Und vielleicht musste ich ihn auch vor eine Wahl stellen. Und ich hatte jetzt schon Angst, wie seine Entscheidung lauten würde.
Pünktlich verließ ich eine Stunde vor dem Abendessen Hermine mit der Ausrede, dass ich mich noch etwas ausruhen wollte und eigentlich ja auch mit allen Hausarbeiten soweit fertig war. Trotzdem sah sie ziemlich skeptisch aus, als ich ihr noch einmal vom Ausgang der Bibliothek winkte. Ich lief hastig durch die Gänge, auf den letzten Metern schlich ich und kam endlich am Wandteppich mit den tanzenden Trollen an. Noch einmal versicherte ich mich, dass niemand in der Nähe war. Dann lief ich dreimal an der Mauer vorbei und eine Tür erschien. Zaghaft öffnete ich sie und trat in den Raum, den ich die letzten Wochen über so schmerzlich vermisst hatte. Auf dem grünen Sofa saß Draco. Als er mein Eintreten bemerkte, sprang er hoch und eilte auf mich zu. „Flora!“, rief er und flog mir in die Arme. Ich drückte mich fest an den Jungen und zog seinen Geruch ein. „Draco“, murmelte ich. So bleiben wir eine Weile stehen, ehe wir uns wieder lösten. „Komm, lass uns hinsetzen“, meinte der Slytherin und mit einem Mal wich er meinem Blick aus. Ich runzelte die Stirn, folgte ihm aber zu den Sofas und setzte mich neben ihn. „Also“, begann ich, doch Draco blickte nicht zu mir, er sah an mir vorbei. „Draco? Was ist los? Ist etwas passiert?“, wollte ich sofort wissen. Dachte wieder an Harry, der mir seine Folterung hatte verschweigen wollen. Draco seufzte. „Ich muss dir was gestehen“, murmelte er und mein Herz begann schneller zu schlagen. Bitte kein Unglück. Bitte kein Unglück. „Wir haben heute der Gryffindor-Mannschaft beim Trainieren zugesehen. Meine Freunde und ich. Wir … wir waren nicht gerade nett zu Weasley und den anderen.“
Tief atmete ich durch und schloss meine Augen. „Es tut mir wirklich leid, Flora! Ich habe mich mitreißen lassen und es ist mir erst später aufgefallen, als alle abgehauen sind.“ Ich winkte ab und legte meine Hand an meine Stirn. Und ich hatte schon mit dem Schlimmsten gerechnet. „Es tut mir wirklich leid, Flora! Es…“ „Schon ok“, murmelte ich und blickte Draco wieder in die Augen. „Ich muss dir auch was gestehen. Es betrifft mich und auch dich und ist wahrscheinlich größer, als wir beide uns vorstellen können. Und bitte, hör mir erst mal komplett zu, bevor du was sagst.“ Draco runzelte die Stirn, nickte aber leicht. Ich atmete noch einmal tief durch, ehe ich mit meinen Erzählungen begann. „Ich war in den Sommerferien in einem Geheimversteck. Im Hauptquartier einer geheimen Organisation im Auftrag von Dumbledore. Wir arbeiten gegen Voldemort, versuchen seinen Plan zu entschlüsseln, versuchen alle von seiner Wiederkehr zu überzeugen. Beschatten alte Todesser, überwachen wichtige Sachen. Der Einstieg war ziemlich hart. Eigentlich dürfen keine Minderjährigen oder Schüler in den Orden, aber Dumbledore hat mich reingeholt, weil ich Merlins Erbin bin. Die anderen konnten das natürlich nicht verstehen, sie wissen es ja nicht. Und dann die ganze Zeit nur in diesem Haus zu sein. Wenigstens durfte ich ab und zu spazieren gehen, die anderen durften das Haus gar nicht verlassen. Ich hab auch selbst einen Auftrag für Dumbledore ausgeführt, dazu kann ich dir ein anderes Mal mehr erzählen. Jetzt geht es nur darum … Draco, bitte werde nicht wütend. Der Orden glaubt, dass dein Vater wieder ein Todesser ist und Voldemort…“
„Ist er nicht!“, schrie Draco und sprang auf. Ich zuckte zusammen. „Tut mir…“ „Mein Vater ist kein Todesser! Er gehört nicht zu ihm, niemals!“ „Draco, bitte.“ Ich streckte meine Hand nach ihm aus, doch er schlug sie weg. „Fass mich nicht an!“, fauchte er und begann auf und ab zu tigern. Dabei schüttelte er immer wieder seinen Kopf. „Es deutet alles darauf hin.“ „Mein Vater ist kein Todesser! Du lügst! Warum lügst du mich an?“ Seufzend fuhr ich mir übers Gesicht. „Ich hab doch bloß Angst, Draco. Ich will mit dir befreundet bleiben und möchte nicht, dass du wegen deinem Vater auf die dunkle Seite gezogen wirst. Ich will nicht gegen dich kämpfen! Ich will nicht den Feind sein.“ Der Slytherin hielt inne. Ich sah ihn beben. „In den Ferien hat er sich komisch benommen. War öfter und länger weg als sonst. Hat viel mehr vom Ministerium geredet. Von kommenden Veränderungen“, murmelte er. Sein Körper begann stärker zu beben. Mit verzogenem Gesicht und glasigen Augen blickte er mich an. „Ich will nicht, dass mein Vater ein Todesser ist.“
Ich sprang auf, war mit zwei großen Schritten bei ihm und zog ihn in meine Arme. Er vergrub das Gesicht an meiner Schulter und begann leicht zu schluchzen. „Ich will nicht auf der Seite von Du-weißt-schon-wem sein. Ich will nicht gegen dich kämpfen. Ich will unsere Freundschaft nicht verlieren. Ich werde alles tun, um dagegen anzukämpfen.“ „Du darfst nicht gegen sie kämpfen, am Ende tötet Voldemort dich noch. Ich kenne jemanden, der ein Doppelleben auf beiden Seiten führt. Du könntest nur zum Schein bei deiner Familie bleiben.“ „Ich weiß nicht, ob ich das kann.“ „Du bist stark, Draco.“ „Nicht so stark wie du, Flora. Ich will jetzt gar nicht mehr daran denken.“ Also schwiegen wir und ich ließ Draco an meiner Schulter weinen. Schloss meine Augen. Wollte, dass er wieder glücklich war. Dass er zu nichts gezwungen wurde.
Mit einem Mal wurde mir unglaublich warm. Mein ganzer Körper kribbelte. Meine Beine wurden wackelig. Ich gab ein Keuchen von mir. Glitt aus Dracos Griff. Riss meine Augen auf. „Flora!“, rief Draco und fing mich ab. Kniete sich mit mir im Arm auf den Boden. „Was ist los? Was ist passiert? Was hast du?“ Ich kniff meine Augen zusammen. Das Kribbeln war weg. Mir war furchtbar kalt. Und ich war müde. „Keine Ahnung“, murmelte ich und griff mir an den Kopf. „Du musst dich ausruhen. Schlaf etwas, ich passe auf dich auf.“ „Ach Quatsch, das geht bestimmt gleich wieder weg. Ich weiß gar nicht, woher diese plötzliche Erschöpfung kommt“, murmelte ich. Doch Draco erhob sich mit mir im Arm und trug mich einmal durch den Raum. „Der Raum der Wünsche hat dir sogar ein Bett spendiert, dann wirst du jetzt auch darin schlafen. So kann ich dich ja schlecht gehen lassen“, meinte der Slytherin und legte mich vorsichtig auf das unheimlich weiche Laken. Behutsam zog er mir meine Schuhe von den Füßen und deckte mich zu. Trotzdem begann ich zu zittern. „Mir ist so kalt.“ „Du hast auch ganz blaue Lippen. Verdammt, Flora, was machst du denn bloß für Sachen? Warte.“ Ein Rumpeln und schon legten sich warme Arme um mich, zogen mich an einen warmen Körper. Ich legte meinen Kopf auf Dracos Brust. Lauschte seinem beruhigenden Herzschlag. Genoss seine Wärme. Und dämmerte darüber hinweg ein.
„Flora, aufwachen.“ Brummend drehte ich mich von der Stimme weg. Ich hatte gerade noch so schön geträumt. Ein tiefes Lachen erklang. Ich schauderte. „Flora, komm schon. Dobby hat uns extra Frühstück hergebracht.“ „Was?“, murmelte ich und öffnete blinzelnd meine Augen. Draco kniete neben mir auf dem Bett und beugte sich über mich. „Ich bin vorhin in die Küche gegangen und habe Dobby gefragt, ob er uns Frühstück hochbringen könnte. Ich glaube er war etwas übereifrig, aber er hat mir beteuert, dass er es sehr gerne gemacht hat. Schau mal, wir haben fast schon ein halbes Festmahl.“ Der Slytherin glitt von der Matratze und deutete auf die Mitte des Raumes. Dort standen keine Sofas mehr, sondern ein Esstisch und gepolsterte Holzstühle. Und auf dem Esstisch standen Platten und Schüsseln und Krüge. Der Duft von Bacon und Toast schwebte bis zu mir herüber. Mein Magen begann zu knurren. „Wir haben gestern Abend gar nichts gegessen“, fiel es mir auf und Draco begann zu lachen. „Und was denkst du erst, wie uns unsere Freunde ausquetschen werden. Immerhin sind wir seit gestern Abend quasi verschwunden. Ich kann nur hoffen, dass sie noch keinem Lehrer bescheid gegeben haben“, grinste Draco.
Mein Herz setzte einen Schlag aus, doch ich beruhigte es schnell wieder und zuckte mit den Schultern. „Wer weiß, ob das überhaupt jemandem aufgefallen ist. Sonst benutze ich einfach als Ausrede, dass ich was für den Orden erledigen musste.“ „Du bist gut, und was sag ich?“ „Überm Lernen in einem leeren Klassenzimmer eingeschlafen?“, schlug ich vor und Draco fing abermals an zu lachen. „Hoffen wir einfach, dass niemand es gemerkt hat. Und jetzt steh endlich auf, ich will mit dir frühstücken.“ Mir wurde unglaublich warm und mein Körper begann zu kribbeln. Schnell schlug ich die Decke zurück und kämmte mir auf dem Weg zum Tisch mit meinen Fingern notdürftig meine Haare. Ich setzte mich. Draco schenkte mir Kürbissaft ein und wir bedienten uns an Dobbys Festmahl. „Wie geht’s dir eigentlich? Du hast mir gestern einen ganz schönen Schrecken eingejagt“, fragte der Junge zwischen zwei Bissen Rührei. Ich schluckte meinen Marmeladentoast herunter. „Mir geht’s wieder gut. Ich hab prima geschlafen und ich find’s klasse, dass wir beide jetzt mal zusammen frühstücken können.“ „Und du hast echt keine Ahnung, was das gestern Abend gewesen sein könnte?“ Ich zuckte mit den Schultern und dachte nach. „Naja. Letzte Woche hatte ich das schon einmal. Da ist … Hast du schon mal was von uralter Magie gehört?“ Draco runzelte kurz die Stirn, nickte dann aber. „Die ist in mir quasi erwacht. Und deswegen hat’s mich auch kurz aus der Bahn geworfen und ich lag einen Tag lang mit Fieber flach. Vielleicht kam gestern noch mal ein Schub nach oder so. Ich habe auch ein Buch dazu, das kann ich dir nächsten Samstag mitbringen. Dann erzähle ich dir von meinem Auftrag für den Orden, der hängt unmittelbar damit zusammen.“ „Ist gut, aber das ist mir gerade zu hoch. Es ist früher Morgen.“ Lachend nickte ich und aß weiter.
Nach dem Frühstück umarmten Draco und ich uns noch einmal fest, dann schlich ich mich als erstes aus dem Raum der Wünsche und eilte über die Flure bis zum Gemeinschaftsraum. „Wo warst du?“, fuhr mich Hermine an, kaum dass ich das Portraitloch hinter mir gelassen hatte. „Was?“, brachte ich im ersten Moment nur heraus. „Gestern Abend. Und heute morgen. Du warst nicht hier, nicht im Schlafsaal, nicht beim Essen. Ich war schon kurz davor McGonagall oder Dumbledore zu fragen.“ „Tut-Tut mir leid, Hermine. Ich habe kurzfristig einen Auftrag bekommen. Wegen Du-weißt-schon-was. Ich war bis gerade noch unterwegs.“ „Oh.“ Hermines Augen weiteten sich. Sie trat einen Schritt zurück. „Ach so. Tut mir leid, dass ich dich so angefahren habe.“ Ich winkte ab. Warf einen Blick aus dem Fenster. Was für schönes Wetter wir heute hatten. Nichts im Vergleich zu den letzten paar Tagen. „Wollen wir nicht etwas draußen spazieren gehen? Wir sind doch mit all unseren Hausaufgaben fertig.“ „Willst du dich nicht lieber etwas hinlegen? Oder hattest du bei deinem Auftrag die Möglichkeit zu schlafen?“ Mein Herz machte einen Satz. „Ja, ich konnte ein paar Stunden schlafen. Komm, ich ziehe mich nur schnell um und dann können wir los.“ Der Spaziergang draußen im Freien tat uns beiden gut, entspannte uns und ließ uns eine Zeit lang den stressigen Schulalltag vergessen. Hermine versuchte zwar, mich über meinen erfundenen Auftrag auszufragen, aber ich schwieg eisern und sie gab es so schnell wie gestern wieder auf.
Zum Abendessen trafen wir in der Großen Halle auf Ginny und unterhielten uns bis in die späten Stunden mit ihr. „So, ich gehe heute mal früh ins Bett. Will morgen ausgeruht sein“, meinte ich irgendwann nach zehn und stand auf. Kurz fiel mein Blick auf Harry und Ron, die schon seit heute morgen an den Hausaufgaben sitzen mussten. Sollte ich ihnen meine Aufsätze geben? Ich schüttelte meinen Kopf. Die beiden hatten gestern beschlossen, dass sie all ihre Hausarbeiten auf heute verschieben würden. Da waren sie jetzt selbst Schuld, wenn sie in Zeitdruck kamen. „Gute Nacht“, wünschte Ginny mir, ehe sie sich wieder Hermine und ihrer Unterhaltung über magische Kreaturen zuwandte. Ich verschwand in mein Bett.
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