1 - Das Date

„Hat mich gefreut."

Diese Worte und ein peinliches Lächeln hatte ausgereicht, um den dritten Kandidaten in die Flucht zu schlagen. Merle war sicher, dass sie keinen einzigen der Männer wiedersehen würde. 

Mit schlotterigen Beinen stand sie auf und wechselte den Platz, um auf das nächste Desaster zu warten. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und seufzte, fasste sich jedoch wieder, um nicht sofort den nächsten zu vergraulen. Vielleicht hätte sie sich doch für eine der zahlreichen Apps entscheiden sollen. 

Als Merle aufblickte, stand überraschend eine Frau vor ihr. Die fein geschminkten Augen prüften zuerst Merle, dann die Tischnummer. Die Fremde zuckte mit den Schultern und setzte sich ihr gegenüber auf den Stuhl. Merle wusste noch immer nicht, was vor sich ging und machte große Augen. Natürlich hatte sie nichts dagegen, mit einer Frau zu sprechen, im Gegenteil. Aber dafür hatte sie sich nicht hier angemeldet.

„Da hat wohl jemand was verpatzt. Egal. Ein nettes Plauderstündchen ist mir gerade sowieso lieber als ein Mann, der mir in den Ausschnitt glotzt."

Bei dem Anblick ihrer wohlgeformten Brust wurden sie noch größer.

„Hey!", rief sie scheinbar empört und lachte. „Das war keine Einladung."

Merles Finger verknoteten sich unter dem Tisch. Die Schönheit schien kein Blatt vor den Mund zu nehmen, was ihre Hoffnung einmal mehr schmälerte – sie würde als Häufchen Elend hier rausmarschieren.

„Sorry", murmelte Merle und zupfte an ihrer Bluse herum, rückte das Namensschild zurecht.

„Merle? Der Name ist selten, oder? Ich habe noch nie jemanden getroffen, die so heißt. Weißt du, was er bedeutet?"

Sie verneinte.

„Lass mich nachsehen." Die Frau zog ihr Handy aus der Handtasche und tippte in einem unglaublichen Tempo darauf herum. Und lächelte.

„W-was bedeutet er?", fragte Merle.

„Strahlendes Meer. Das ist ja wunderschön, passt zu deinem Blaustich im Haar! Warst du schonmal dort?"

Merle schüttelte den Kopf und nutzte die Gelegenheit, einen Blick auf ihren Namen zu werfen. „Was bedeutet Amelie?"

„Lass mal sehen." Sie tippte wieder. „die Tapfere oder Tüchtige."

„Eine schöne Bedeutung."

„Findest du?"

„Du nicht?"

Amelie stützte ihr Kinn mit der Hand ab. „Ich denke, er hat etwas Braves an sich. Und das hat wirklich noch nie zu mir gepasst."

Sie schien in eine vergangene Welt zu blicken und offenbarte ein warmes Lächeln. „Gute Zeiten. Daran denke ich gern zurück."

Merle dachte an ihre Jugend zurück und hatte ganz andere Worte im Sinn.

Es hatte nur zwei Minuten gedauert, da spürte Merle Bewunderung in sich aufsteigen. Wie schaffte Amelie das, dieses Gespräch so lässig am Leben zu erhalten? Sie selbst ließ sich mal wieder treiben und schaffte es kaum, eine Frage zu stellen. Das war zum Verrücktwerden.

„Dafür hab' ich keine Zeit", presste Merle aus zusammengepressten Lippen hervor.

„Wie bitte?"

„Die Vergangenheit ist mir egal. In zwei Monaten ist alles vorbei, ich habe nur noch das Hier und Jetzt."

„Wie, alles vorbei?"

„Mein Leben."

„Hä?"

Merle sah ihr das erste Mal in die graugrünen Augen. Ihr zuerst ungläubiges Lächeln, als wäre dies ein Scherz, verwandelte sich in eine unbewegte Maske.

„Du meinst..."

Amelie konnte ihren Satz nicht zu Ende führen, ein Gong verkündete das Ende ihres Gesprächs. Es war an der Zeit, die Partner zu wechseln.

„Das ist meine letzte Chance", seufzte Merle. „Aber so wie es aussieht, kann ich mir das abschminken. Das führt doch zu nichts."

Sie war einfach nicht für Dates gemacht, schon gar nicht für Speed Dating. Trotz ihrer üblen Laune rang sie sich ein letztes, müdes Lächeln ab. Die Kopfschmerzen machten sie verrückt.

„Es war trotzdem schön, dich kennenzulernen."

Amelie runzelte ungläubig die Stirn, als Merle nach ihrer Tasche griff.

„Warte! Bleibst du noch bis zum Schluss?"

„Hab' ich nicht vor."

Sie wollte gerade an Amelie vorbeirauschen, als ihre Hand sie am Arm zurückhielt.

„Hast du noch Zeit für einen Drink?"

Merle drehte sich um und wartete auf eine Erklärung. Denn eigentlich wollte sie sich nur noch im Bett verkriechen und ein paar Tafeln Schokolade verschlingen.

Als Amelie sich ihrer Aufmerksamkeit sicher war, ließ sie von ihrem Arm ab.

„Nicht hier – irgendwo, wo es ruhiger und gemütlicher ist. Ich kenne da ein kleines aber feines Lokal."

Wozu sollte das gut sein?

Ihre Miene schien Bände zu sprechen.

„Nur wenn du willst. Ich würde mich wirklich gerne mit dir unterhalten aber vor allem hören, was du zu sagen hast. Diese fünf Minuten reichen doch niemals."

Das nächste Paar stellte sich schon neben die beiden und beanspruchten die Plätze für sich. Amelie stand auf, ohne sich von ihrem Gegenüber abzuwenden.

„Was meinst du?"

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