Willkommen im Reiche Thorins
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Schwer schleppen wir an den etlichen großen und kleinen Schachteln und sogar einige der Angestellten der Schneiderei müssen uns auf den Weg zurück zum Anwesen begleiten, damit dieser nur einmal von Nöten sein wird. Viel zu viel hat Thorin geordert. Mehrere Wochen werden die Feierlichkeiten zwar andauern und in diesen unzählige Bälle, Empfänge, Bankette und öffentliche Auftritte stattfinden, jedoch zu jedem von ihnen könnten wir unterschiedliche Gewänder und Accessoires auftragen. Ich möchte nicht wissen, wie sehr Gloin als Meister der Münze, der in dieser Funktion auch über das königliche Budget wacht, darüber den Kopf schütteln und Thorin den seinen zurechtrücken wird.
Ab nehmen uns bereits in der Eingangshalle wartende Bedienstete die Last, als wir zuhause eintreffen und Fenna informiert, dass mein Herr mich im nahen Salon erwartet. Berichten soll ich ihm bestimmt, ob alle in Auftrag gegebenen Dinge geliefert wurden. Eine unerwartete Überraschung zeigt sich mir jedoch, nachdem ich die schwere Eichentür öffnete.
„Dwalin!", rufe ich aus und stürme in seine weit empfangenden Arme, die mich einige Zentimeter vom Boden heben und herumwirbeln. Glück durchströmt meinen Körper. Wie habe ich ihn vermisst. Wie froh bin ich, dass er wohlbehalten zurückkehrte. Er schließt mich in seine Umarmung. Vertraut ist sie und innig.
„Du bist zurück, wie schön", flüstere ich mit verhaltener Stimme, so dass sein Bruder Balin und Thorin, die neben uns stehen, es nicht hören können. „Ich habe es dir fest versprochen", raunt er als Erwiderung, genauso leise wie ich. Unser beider Herr weiß zwar um die Art der Beziehung zwischen uns, deren Intensität schon lange über die einer innigen Freundschaft hinausgeht. Dennoch vorsichtig müssen wir mit Handlungen und Bekundungen sein, die dies verraten könnten. Als Mitglied des Königshauses ist ihm eine Verbindung einzugehen nur mit Erlaubnis gestattet. Zweifelhaft ist jedoch, ob ihm Thorin diese jemals geben wird. Zu unterschiedlich ist unser Rang und schaden könnte es dem Ansehen der Monarchie, wenn er eine Zofe heiratet, egal wie sehr oder gerade, weil sie in der Gunst des Königs steht.
Daher nach einer schmerzhaft kurzen Zeit, lösen wir uns wieder voneinander. Als Begrüßung unter Freunden darf sie nicht langer währen. Gleichwohl Balin grinst zufrieden über die dennoch stattgefundene Innigkeit zwischen seinem „kleinen" Bruder und mir und die Freude, die unsere Gesichter offenkundig erhellen. Sollte es dazu kommen, seinen Segen würden wir ohne Zweifel erhalten.
Thorin jedoch scheint kaum berührt. Schwer lässt sich die beim Anblick empfundene Gemütsbewegung aus seinem Mienenspiel schlussfolgern. Weder Begeisterung noch Unbehagen noch Missfallen drückt es aus. Wie schon immer, wenn er uns bisher zusammen sah und seitdem es ihm bewusst wurde, dass dort mehr sein könnte.
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„Die Ankunft der ersten hohen Gäste wird heute gegen Abend erwartet", berichtet Balin, nachdem ein Botenjunge eine Nachricht vom Haupttor überbrachte. „Unsere Späher haben sie unlängst den Schatten des Gebirges betreten sehen. Ein großes Gespann von Wägen, Pferden und Fußvolk."
Gespannt bin ich, welche der Sippen zuerst eintrifft. Sind es die Feuerbärte, an ihrer Spitze König Lothin, der uns einst in seinem Reich empfing und mit deren Sohn und Tochter ich weiterhin, obwohl bereits einige Jahre vergingen, Korrespondenz halte? Oder die Breitstämme, deren Hallen näher liegen, jedoch mir noch völlig unbekannten sind? Möglich, wenn auch unwahrscheinlich, wäre es ebenso, dass die Herrscher und Gesandten einer der weit im Osten liegenden Reiche der Steinfüße, Eisenfäuste, Steifbärte oder Schwarzschmiede, die von Frauen regiert werden, den monatelangen und mühsamen Weg schneller als erwartet bewältigten. Dáin, Thorins Vetter, musste sich leider entschuldigen, denn seine Gemahlin steht kurz vor der Niederkunft des vierten Kindes und eine kräftezehrende Schwangerschaft durchlitt sie bereits, so, dass er sie nicht allein lassen wollte. Lieb wie gleichwohl auch nicht ist mir dies, denn hätte seine Schwester Dísa ihn doch bestimmt begleitet. Trotzdem sie diejenige ist, die Thorin versprochen ist, so wurde sie mir während ihres Aufenthaltes hier vor einigen Jahren eine gute Freundin und ein paar wenige Briefe tauschten wir seitdem.
Pünktlich wie vorausgesagt noch vor dem Abendessen, treffen die Gesichteten ein. Massen an Zwergen zu Pferd und zu Fuß. Grimmig dreinschauende Krieger unter Rüst, Schwert und Axt sind es zumeist, aber auch besser gekleidete Adlige von hohem Rang. Wägen führen sie mit sich, die schwer mit allerhand beladen sind. Geschenke zu Ehren Thorins und seiner Hallen, Handelswaren und mancherlei Dinge, die auf der Reise benötigt wurden, denn von weit her kommen die Steinfüße aus den Ered Engrin und Eisenfäuste aus den Orocarni, wie mir die Wappen auf den Bannern verraten. Zusammen schlossen sie sich wohl, liegen ihre Reiche doch nah beieinander. Mehrere Monate waren sie unzweifelhaft unterwegs, muss ihr Weg sie mit solcherlei Gepäck durch ganz Rhovanion, am südlichen Rande des Düsterwaldes entlang und dann über die Pforte von Rohan geführt haben.
Zwei Könige reiten an der Spitze des Zuges. Rüstungen aus Leder und Metall tragen sie, leicht genug, um ein schnelles und gleichzeitig wenig ermüdendes Vorankommen zu gewährleisten, aber dennoch ausreichend an den wichtigsten Stellen gepanzert, damit Angriffe abgewehrt werden können. Hoffentlich ereilten sie solcherlei nicht.
Mit Gold und Silber punzierte Ornamente sowie imposante Kämme aus Eisenstacheln und eine wie ein steiniger Bergkamm gestaltete Platte, schmücken ihre Helme und heben sie somit von den übrigen Kriegern ab. Das Bildnis eines geballten Faust, die einen gewaltigen Kriegshammer hält, auf dem Brustpanzer des einen und die stilisierte Abbildung eines Gebirgszuges, das von zwei Schwertern überkreuzt wird und die Satteldecke des anderen ziert, bezeichnen ihre Häuser. Schwungvoll steigen sie beinahe gleichzeitig ab, nachdem der gesamte Zug einmarschierte und in der nun gänzlich gefüllten Eingangshalle zum stehen kam.
Thorin tritt ihnen entgegen. Ich weiß, dass er beide Herrscher seit langem kennt. Ihre Heere kämpften mit in der Schlacht von Azanulbizar, ohne auch nur einen Moment zu zögern, nachdem Thráin sie in diese rief. Eine gute Freundschaft verbindet das Königshaus des Erebors mit ihnen. Jedoch nicht mehr, denn zu weit entfernten sie sich räumlich und ideologisch im Laufe der letzten Jahrzehnte voneinander. Beharrliche Traditionen und Denkweisen aus längst vergangenen Zeiten, genährt von der selbst gewählten Isolation zu anderen Zwergenhallen sowie dem Rest von Mittelerde, verhindern so manchen Fortschritt bei der Fertigung von Gütern, dem Abbau von Bodenschätzen, wie auch in der Sichtweise auf gesellschaftliche Ordnungen.
So erkenne ich keine Frauen unter den Kriegern und Mitreisenden. Ihnen ist das Verlassen des heimatlichen Berges nicht gestattet, ebenso das Ausüben mancher Berufe. Kaum Mitspracherecht haben sie bei der Wahl ihres Gemahls, sondern werden vorzugsweise gleich nach der Geburt einem Mann versprochen und mit diesem verheiratet, sobald die erste Blutung einsetzt. Nur wenn der Zugesprochene bereits verstarb oder sich einer anderen zuwandt, wird es ihnen erlaubt, frei zu entscheiden. Gleichwohl erzählte mir Balin, dass dieser Fall äußerst selten vorkommt, denn solange sie ihre Müdigkeit nicht erreichten, kann ihr Vormund eine weitere Heirat nach seinem Gutdünken arrangieren. Eine schreckliche Vorstellung.
„Thorin, wie schön dich zu sehen. Du bist groß geworden." Der Ältere der beiden fremden Könige – zumindest anmutet er mit seinen durchdringend weißen, langen, mit diversen funkelnden Kleinodien geschmückten Bart als solcher – begrüßt den meinen zuerst und legt eine schwere Hand auf seine Schulter. Annähernd gleichwertig in ihrer majestätischen Erscheinung stehen sie sich gegenüber. Selten bin ich dieser Ansicht, ist Thorin doch für mich darin unerreichbar. Gleichwohl würdevoll wie ein Bild aus staubalten Büchern wirkt er. Untypisch riesenhaft für einen Zwerg und dennoch genauso, wie man sie sich, ohne sie genauer zu kennen, vorstellt. Stämmig, glimmende, dunkle Augen, das wulstige Gesicht mit tiefen Falten durchzogen, die von einem ereignisreichen Leben erzählen.
Thorin senkt seinen Blick für einen flüchtigen Moment. Als Herrscher im Exil, Königreich und großer Macht beraubt, die einst Generationen seit seinem Ururururururgroßvater besaßen, ist er ihm als Regent über Hallen, die annähernd so alt sind wie Khazad-Dûm, nicht gleichgestellt. Jedoch lässt er sich dies nicht anmerken. Gäste sind sie in den seinen, die sich in Pracht und Ansehen messen können und bewusst ist er sich dessen.
Der wohl Jüngere der Zwergenkönige dagegen – obwohl ebenso sein Bart unlängst silbern ergraute, jedoch die durchdringenden wasserblauen Augen lassen ihn geradezu schalkhaft wirken – verbeugt sich sogar, wenn auch nicht tief. „Es ist mir eine Ehre, Thorin, dass du mich zum Ehrentag deiner Hallen empfängst." Respektvoll und nicht geheuchelt, klingt seine Stimme derweil. Gleichermaßen sein Reich ist alt, ehrwürdig, groß und schöpft seinen Reichtum aus dem Abbau von Salzen und einigen wenigen nur in den Orocarni vorkommenden Erzen wie den Blutstein, ein wichtiger Rohstoff, um witterungsbeständige Anstriche für Häuser, Spiegel und Schmucksteine herzustellen.
„Baldûr aus den Ered Engrin, mein alter Freund und Brâgi aus den Orocarni, meines Vaters Freund und somit ebenso meiner, ich sowie meine Familie und mein Volk heißen euch und euer Gefolge in meinen Hallen willkommen." Thorin spricht stolz. Unzweifelhaft kann er es sein, auch wenn sie bisher nur einen Bruchteil dessen sahen. Jedoch hat er veranlasst, die Eingangshalle besonders herauszuputzen. Überall von der hohen Decke herabhängende Lampen lassen das Blau der Wände funkeln wie die strahlenden Sonne wogende Meerwasserwellen. Riesige Statuen von großen Kriegern und Königen alter Zeiten starren in feudaler Erhabenheit auf die Ankommenden hinab. Die Torwachen wurden verdreifacht und erhielten allesamt neue Uniformen. Den besten ersten Eindruck wollte er erwecken. Ungeachtet dessen, dass er einige Bereiche innerhalb des Berges ebenso aufwändig herrichten ließ. Ein bedeutender Anlass mit hohen Gästen ist der Geburtstag der vergleichsweise jungen Hallen, der jedoch verdeutlichen soll, was sein Volk selbst in wenigen Jahren imstande ist zu leisten. Als geschickter und machtvoller Nachfahre des großen Durin will er sich bei den anderen Herrschern etablieren, die allzeit im Schatten des ersten Erwachten unserer Rasse standen und weiterhin stehen sollen.
In den nächsten Tagen treffen auch die weiteren angekündigten Könige, ihre Vertreter oder Abgesandten ein.
Der Anblick von Lórid und seiner gar nicht mehr so kleinen Schwester Ibûna, die mir während des Aufenthaltes in den feurigen Hallen vor einigen Jahren Freunde wurden, erweckt eine Begeisterung in meinem Herzen, die es mir unmöglich macht, sie nicht ungebührlich stürmisch zu begrüßen. Thorin sieht jedoch darüber hinweg, denn besonders die junge Prinzessin rennt mir geradezu in die weit offenen Arme und weicht mir seitdem kaum noch von der Seite. Ihr bekannte und neue Geschichten zu erzählen, musste ich sofort nach der Ankunft versprechen. Im Herzen ist sie weiterhin das kleine, energiegeladene Mädchen wie einst, auch wenn sie ihre Kriegsreife unlängst erhielt und wohl schon selbst einige Abenteuer erlebte. Ihr Bruder, gleichwohl ebenso seine Freude über das Wiedersehen unübersehbar in den Augen funkelt, gebärdet sich gemessener, denn als Vertreter für seinen Vater, der wegen einer plötzlichen Krankheit nicht mit reisen konnte, kam er hierher und muss daher als würdevoller Thronfolger auftreten.
Auch die Ankunft von König Folcwine, seiner Schwester Herehild sowie ihren Familien aus Rohan – das einzig eingeladene fremde Volk, denn tiefe Freundschaft verbindet sie und uns seit Generationen – die ich ebenso etliche Jahre nicht sah, lässt mich kaum mehr Atmen vor Freude. Alt sind die geschätzten Menschen jedoch geworden und führen mir unweigerlich vor Augen, dass das Leben eines Zwerges länger währt als ihres.
Die vier Abgesandten der Breitstämme, todernst dreinschauende Adlige hohen vom Königshaus abstammenden Geblüts, deren Reich unweit liegt, sind mir dagegen unbehaglich. Nur mit Thorin, einigen Anderen des Hofes und den Gästen, die ihrem Stand angemessen sind, reden sie während ihres Aufenthaltes. Eine abstoßende Kälte strahlen ihre herabwürdigenden Blicke aus, mit denen sie die übrigen Zwerge, besonders die Dienerschaft, betrachten.
„König Trym der Steifbärte aus den Forodwaith Gebirge", kündigt ein ihn extra begleitender Ausrufer an. Das Aussehen des noch recht jungen Herrschers gibt die Bezeichnung seines Volkes in perfekter Weise wieder, denn der halblange, schwarze Bart steht fest von seinem Kinn ab und endet in einem geflochtenen und mit Edelsteinen verzierten Zopf. Die wachen, grauen Augen erinnern mich an die von Kili, denn der gleiche Schelm springt mir aus ihnen entgegen. Unwillkürlich muss ich lächeln, während er Thorin mit einer eleganten aber eigenartig anmutenden Verbeugung begrüßt, bei der er die Beine übereinanderschlägt, einen Arm vor die Brust nimmt und den anderen nach hinten streckt. Die Frauen die Thorin begleiten, mich inbegriffen, werden von ihm allesamt, egal ob Adlige oder Dienerin, mit einem Handkuss geehrt.
Idûn, älteste Tochter der Königin Iduna der Schwarzschmiede aus den Helcar Bergen, und damit auch Thronfolgerin, denn bei diesen wird die Linie durch die Herrscherfrauen weitergewoben, ist eine ausnehmend hübsche Zwergin. Ihre Haare sind schwarz wie Ebenholz, die Lippen rot, als wären sie mit Blut benetzt, die makellose Haut überzogen von einem eigenartig silbernen Schimmer, den ich bislang noch nie an irgendeinem Geschöpf der Erde sonst sah.
Thorin berichtet mir jedoch von der damit verbundenen Legende. Dass eine Königin ihres Volkes einst von der Sternenkönigin Varda mit diesem Glanz gesegnet und auserkoren wurde, auch über die Männer zu herrschen. Als Dank dafür, nachdem sie der Valier half, den höchsten Berg des Gebirges zu besteigen, auf dass sie einen durch böse Mächte erschütterten und heruntergefallenen Stern den sie fand, wieder ans Firmament setzen konnte.
Interessiert aber schläfrig von dem langen und ereignisreichen Tag lausche ich am Abend dieser schönen von Thorins tiefen, beruhigenden Stimme vorgetragenen Erzählung, eingekuschelt in den wärmenden Decken und Fellen des Bettes, nah liegend an seiner Seite. Es schlich sich in den zurückliegenden Jahren ein, dass ich fast jede Nacht dort verbringe. Bitten muss er mich kaum noch darum.
Ruhevoller schlafen wir beide dadurch. Einsamkeit, schlechte Träume, Kälte ... all das belastet die Nächte nicht mehr. Von Vorteil für alle ist dies, wie wir uns einreden, um das höchst Unsittliche und damit äußerst Gefährliche zu legitimieren. Es ist jedoch nur eine Frage der Zeit, bis wir diese Angewohnheit aufgeben müssen. Entweder, weil jemand das Treiben entdeckt, oder die erreichte Mündigkeit es moralischer noch verwerflicher werden lässt und Thorin zu seiner und meiner Sicherheit die Vernunft über Herz und Verlangen stellen wird. Gleichwohl bis dahin genießen wir die Zweisamkeit und Ruhe. Was soll schon geschehen?
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