Von Drachen und Faien, die die Welt in Dunkelheit stürzen
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Bei Mahal ist das kalt. Schnell ziehe ich den im Schlaf außerhalb der Daunendecke geratenen Fuß, der mittlerweile einem Eisklumpen gleicht, wieder zurück und drehe mich fröstelnd auf die andere Seite. Froh bin ich über die vielen auf mir liegenden Felle und Decken und den Schmelzofen neben mir, dessen wohlige Wärme sofort Behaglichkeit bringt, indes ich mich an ihn schmiege. Thorin jedoch brummt mürrisch, im Schlaf gestört von dem eisigen Klumpen, der sich zwischen seine Beine schiebt.
„Wer ist nur auf die glorreiche Idee gekommen mitten im tiefsten Winter in den Krieg zu ziehen?", knurrt er müde und schlingt wärmend einen Arm um meine Hüfte. Ich kichere leise. „Ihr, Majestät. Und kein Berater konnte sie Euch aus dem störrischen Kopf reden." Die Finger an meinem Rücken kitzeln mich strafend für diese Unverfrorenheit, obwohl ich nur die Wahrheit sprach. „Ich bin nicht dickköpfig", weist er den Vorwurf zurück, dafür verantwortlich zu sein, dass wir inmitten von Schnee und Eis fern jeglicher Behaglichkeit übernachten. Die Zelte gewiss schützend, die Feuerschalen in ihnen zwar wärmend, jedoch allzu biestig kriecht die Kälte durch die Feuerlöcher hinein und martert die in klammen Gewändern steckenden niemals vollkommen aufgewärmten Körper. Daher für einen eiligen Vorstoß, gezielten Angriff und schnelle Vernichtung der Orks einigten sich die Könige bei der gestrigen Beratung, die dennoch bis tief in die Nacht dauerte. Kundschafter werden heute ausgesendet, um ihre räudigen Verstecke in den nahen Bergen des Abendrotgebirges aufzuspüren.
Ich öffne die Augen und blinzle in das Zwielicht eines beginnenden Wintermorgens. Grau ist er und der Geruch von frisch gefallenen Schnee liegt in der Luft, vermischt mit dem Rauch der Feuer, die über Nacht in den Schalen herunterbrannten. Gehen muss ich alsbald. Wärme und Nähe zurücklassen. Mein eigenes ausgekühltes Zelt aufsuchen, damit niemand entdeckt, dass Thorin und ich auch hier das Lager miteinander teilen, vielmehr der ausgeprägteren Behaglichkeit Willen, als zum Zweck ausgelebter Leidenschaft, denn enthaltsam sollten Krieger vor einer Schlacht bleiben, um Körper und Geist nicht zu schwächen.
„Du musst gehen", raunt er, tiefster Unwillen in der Stimme, den eine letzte feste Umarmung ebenso verdeutlicht. Mit desgleichen hauche ich einen Kuss auf seine Lippen und schäle mich mit Überwindung aus wärmenden Armen und Decken. Es fröstelt mich sofort und fürchterlich klamm sind Hose, Hemd, Strümpfe und sogar Mantel in der kalten Luft geworden. Kleine Eiskristalle glitzern in dem Fellbesatz, dort, wo der Atem ihn benetzte.
Seitenausgänge besitzen die Zeltabteile der Könige. Ihnen nah stehen die der engen Begleiter und direkten Bediensteten, daher auch meines. Langsam schiebe ich Fell und Stoff zur Seite und spähe vorsichtig hinaus. Der Geruchssinn täuschte sich nicht. Neuer Schnee fiel über Nacht, jedoch von den zahlreichen Wachen, den ersten von der Kälte aus dem Schlaf Getriebenen und längst vor Sonnenaufgang für ihre täglichen Aufgaben erwachten Marketendern zertrampelt ist die geschlossene Decke bereits. Ein Blick zum Himmel verheißt gleichwohl, dass die Fußspuren nicht dauerhafte so tief bleiben werden. Ein letztes Mal zurück schaue ich und lächle leicht spöttisch und mit einem Anflug von Genugtuung über Thorins griesgrämigen Gesichtsausdruck, als auch er das warme Bett hinter sich lassen muss. „Bis zum Frühstück", verabschiede ich mich und husche hinaus.
Niemand kommt mir entgegen, während ich nicht den Weg zu meinem Zelt einschlage, sondern zwischen einigen hindurch, aus denen bereits der Geruch von den Truppen stärkenden Gerichten wie Pilzpasteten, Flammkuchen und Met strömt, zum Flussufer laufe. Der Schlaf in den Augen und der verbliebene Geschmack des gebratenen Fleischs vom Abendessen stören mich, zudem quält Durst die Seele.
Eine kleine Stelle im Eis wird beständig freigehalten. Weiber schöpfen dort mit Töpfen und zinnenen Schüsseln Wasser, um es zum Kochen und Waschen zu verwenden. Ehefrauen der Krieger, mitgereisten Händlern oder Handwerkern sind es überwiegend, aber ebenso Dienerinnen von Adligen. Wer denkt, nur Männer und höchstens Kriegerinnen oder Dirnen sind im Heerlager anzutreffen, der irrt. Einem kleinen Dorf gleichen solcherlei meistens. Sogar manchmal Kinder reisen mit und werden auch währenddessen geboren, je nachdem, wie lange der Feldzug dauern mag.
Sie nicken mir freundlich zu und treten respektgebeugt beiseite, denn es sprach sich bereits im Lager herum, dass eine Kriegerin mit goldenen Haaren dem König der Langbärte im Kriegsrat zur Seite steht, und unverkennbar bin ich diese wohl. Unangenehm ist mir das Gewese jedoch, daher schnell frage ich eine von ihnen, ob sie mir ihre wassergefüllte Schüssel überlassen könnte, um mich zu waschen. Sie nickt mit großen himmelblauen Augen, die mir eigenartig wie schon einmal erblickt vorkommen, und reicht sie mir mit zitternden Händen. Jung ist sie noch und ihre schwarzen Haare schimmern selbst im wenigen Licht der Wintersonne wie Rabenflügel. Ihre ganze Gestalt scheint geradezu unheimlich bekannt, gleichwohl ich mich beim besten Willen nicht erinnern kann woher und in welchen Zusammenhang. Sie jedoch umso mehr.
„Niemals habe ich Euch und Eure Großzügigkeit vergessen, dajnûna", wispert sie mit schüchtern-verhaltener Stimme, in der dennoch die Dankbarkeit unüberhörbar klingt, die sie einst überwältigt von der edelmütigen Geste, obwohl es nur schlichte, warme Rosinenbrötchen waren, die ich ihr in die dürren Arme drückte, nicht auszusprechen vermochte. Beinahe die Schüssel gleitet mir aus den Händen, so erschütternd überfällt mich das nichtsahnende Wiedersehen. Hungerleidend, geschunden, dem Tod näher denn dem Leben, bettelte sie damals auf den grauen, leidvollen Straßen vor den Toren der Feuerhallen, als ich mit König Lothin durch diese wanderte.
„Wie?", frage ich weiterhin fassungslos, denn welch unfasslicher Zufall ist es nur, sie hier zu treffen und zudem, in solch einen wohlgenährten, unverhohlen der Armut entronnenen Zustand. Sie lächelt nach wie vor scheu und reicht mir ein sauberes Tuch, mit dem ich mich waschen kann. Mit dem Wappen der Feuerbärte ist es bestickt.
„Tage nachdem ihr mich auf der Straße angesprochen und wohl mein Leben gerettet hattet, kam eine Zofe des Hofes in die schattige Gasse vor der Bäckerei", beginnt sie zu erklären, während das klare, frische Wasser auch den letzten Rest Schlaf verbannt. „Sie war freundlich und unterbreitete mir im Namen des Königs das Angebot, als Dienstmagd an den Hof zu kommen."
Weiterhin sprachlos schüttle ich den mir von so viel günstiger Fügung des Schicksals schwirrenden Kopf. „Dort traf ich dann auch diese kleine Faie hier", erzählt sie weiter und winkt ein noch jungeres Mädchen herbei, das bislang am Ufer Flecken aus königlichen Hemden wusch. Herankommend trocknet sie sich die vollkommen von Schmutz und Schwefelholzruß befreiten Hände an der sauberen Schürze ab. Voll sind die Wangen und auch sonst keinerlei Zeichen von Hunger überschattet mehr die Schönheit.
Sie jedoch erkennt mich nicht sofort, denn als vermeintlicher Mann, die Erscheinung sorgfältig verborgen unter einer Kapuze, trat ich ihr damals gegenüber, rettete sie vor dem Übergriff eines Soldaten und ‚kaufte' ihr ihre minderwertige Ware ab, mit der sie versuchte, den kargen Lebensunterhalt zu verdienen. „Sie erzählte mir von der Herzlichkeit eines in einen schwarzen Mantel gehüllten Kriegers, der Embleme und Verzierungen trug, die ich wiedererkannte. Daher wussten wir, der, oder vielmehr dieselbe, half uns in der Not und aus dem Elend, denn auch sie wurde kurz nachdem an den Hof geholt."
Bei Mahal, das kann nicht wahr sein. Lothin beobachtete mich, während ich ihnen guttat, jedoch niemals hoffte ich darauf, dass er sich die Mahnungen, die in den Handlungen lagen, selbst nur einen Funken zu Herzen nehmen würde. Gleichwohl die tiefe Freude darüber, dass er sie zum Anlass nahm, um ihnen zu helfen, erfüllt mich so herzlich warm, dass die Kälte des Winters dagegen kaum mehr eine Chance hat.
Vergönnt ist es uns ein paar weitere Minuten zu plaudern, bis eine höhere Dienstmagd sie zum Weiterarbeiten antreibt. Dankend gebe ich Tuch und Wasserschüssel zurück und will mich wieder auf den Weg zu Thorins Zelt machen, da stoße ich mit Lórid zusammen, der unerwartet hinter mir steht. „Bei Mahal, Hoheit, Ihr habt mich erschreckt", keuche ich, während er mit straken Händen meine Arme umfasst, denn rückwärts zu fallen drohte ich beinahe. „Verzeiht", sagt er und lässt sofort los, nachdem sich der Stand deutlich festigte. „Ich habe Euch nur mit einigen unserer Dienstmägde sprechen sehen und dachte, ihr benötigt etwas." Nicht erzählen möchte ich ihm, welch Anlass und Inhalt das Gespräch hatte, daher schnell die Bitte um Hilfe bei der Morgenwäsche benenne ich als Grund. Er nickt akzeptierend und bietet mir an, mich zurückzubegleiten, denn die Gelegenheit um sich freundschaftlich auszutauschen, bot sich uns gestern Abend nicht mehr.
„Ist Eure Schwester auch hier?", frage ich, während wir uns einen Weg durch das langsam vollständig erwachende Heereslager mähenden. „Ihr kennt sie doch, sie war nicht davon abzubringen, wird aber keinesfalls an den Kämpfen teilnehmen, Vater verbot es vehement." Erleichtert nehme ich diesen Standpunkt zur Kenntnis. Zu jung ist sie noch, um die Schrecken der Schlachtfelder kennenzulernen. „Jedoch wird sie mich auf der Kundschaft begleiten und ich wollte Euch fragen, ob Ihr ebenfalls ein Teil meiner Truppe sein möchtet."
Eine Ehre ist die Anfrage, allerdings zuerst Thorins Erlaubnis dafür muss ich einholen. Dieser jedoch scheint nicht begeistert, als wir ihn während des Frühstücks um diese ersuchen. „Nichts gegen dich, Junge, aber Astâ ist mir lieb und teuer wie Mithril." Ich vergaß, dass die Bedingung für mein Mitkommen lautete, immer an seiner Seite zu bleiben. Lórid strafft die breiten Schultern. Kein Zwergling noch junger Krieger ist er mehr, sondern Erbprinz eines mächtigen Thrones. Zwar sah er zuvor niemals ein Schlachtfeld, verdiente sich Erfahrung allerdings in Aufträgen wie diesem und schlug schon so manche Orkmeute, die die Ländereien seines Volkes überfielen. „Ich werde gut auf sie achten, ganz so, als wäre sie meine Schwester, das verspreche ich Euch, Majestät."
Thorin schaut schnaufend zu König Lothin hinüber. Es behagt ihm nicht, mich auf unwägbarer Mission mit einem Mann zu wissen. Eifersucht wird dabei eine Rolle spielen, aber auch die Angst vor der Fährnis, die eine solche in sich birgt. Nicht ungefährlich sind die Lande und das Aufgebot entdeckt haben die Orks bestimmt unlängst.
Dieser jedoch bürgt für seinen Sohn. „Ibûna wird sie ebenfalls begleiten", versucht er Thorin überdies zu beruhigen. „Flatterhaft ist das Mädchen, aber scheint besser auf Eure Astâ zu hören als auf ihre eigene Mutter. Sie werden sich schon nicht in unnötige Gefahr begeben und drei weitere erfahrene Krieger, gerne auch aus Euren Reihen, werden sie geleiten." Die beiden Könige kennen sich lange, vertrauen einander. Daher schließlich stimmt der meine zu, wenngleich ich deutlich sehe, dass es ihm weiterhin Sorgen bereitet.
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„Ich würde mir die Stelle dahinten gerne ansehen." Lórid zeigt auf einen der Ausläufer der nordwestlichen Hänge des Abendrotgebirges, der langgezogen und zerklüftet das Vorland durchfurcht. Spitze Felssporne ragen aus ihm empor, ganz so wie die gewaltigen Stacheln auf dem Rücken eines Urulóki, der sich unlängst in der Landschaft schlafen legte und im Laufe der Zeit zu grauem Stein erstarrte. Eine Legende dazu las ich einmal und erzähle sie Ibûna auf dem Weg. Mit immer noch kindlich großen Augen schaut mich die junge Prinzessin dabei an. Zur Kriegerin wuchs sie heran, jedoch für abenteuerliche Geschichten, faszinierende Mythen und heldenhafte Dichtungen lässt sie sich weiterhin begeistern. Gleichwohl bemerke ich, dass unsere vorneweg laufenden Begleiter ebenso fasziniert zuhören, auch, wenn sie es sich nicht anmerken lassen wollen. Daher lauter erzähle ich.
Einst lebte ein Drache in Mittelerde. Schrecklich war er. Gewaltig in seiner Größe, Macht, Gier und Grausamkeit. In die Gedanken seiner Opfer konnte er eindringen, sie mit Zweifeln und Ängsten erfüllen und so schwächen. Lange beherrschte er den fernen südlichsten Kontinent Ardas und stürzte diesen in das Elend einer kahlen und von Gift und Feuer verdorbenen Einöde, so dass er seither nur das Dunkelland genannt wird und kein Lebewesen mehr seinen Boden betreten konnte. Als der Drache zufrieden mit seinem Werk war, legte er sich inmitten der Verwüstung schlafen und erstarrte irgendwann einmal, bedeckt von Ascheregen, zu Stein. Als imposant hoher Berg ragt er am Horizont auf und schreckt tapfere Seefahrer davor einen Fuß in sein Reich zu setzen.
Einer der drei Krieger, die uns begleiten – ein junger Bursche meines Volkes mit krausem, schwarzen Haar und dem Namen Tymyl – dreht sich zu mir um. „Aber was wäre, wenn es einer von ihnen doch wagen würde?", fragt er interessiert. Keine Auskunft gab die Legende hiervon, gewiss jedoch nur eine Konsequenz kann es geben. „Dann würde der Drache erwachen und die ganze Welt in Chaos, Feuer und Blut stürzen." Er schnauft enttäuscht über die banale Erklärung. Einen epischen Kampf zwischen ihm und dem Helden hatte er sich wohl eher vorgestellt. Ich lache darüber.
„Ihr seid gut im Geschichtenerzählen, Herrin, nur die Enden lassen zuteil etwas zu wünschen übrig." Nicht persönlich nehme ich die Kritik. „Nicht jede gute Geschichte hat auch einen spektakulären Abschluss. Manchmal sind die ruhigen Ausgänge das, nach dem sich die Protagonisten am meisten sehnen, fern ab von Kämpfen und Heldentaten." Der zweite der Krieger, sein Name ist Malrus und er steht bereits lange unter dem Kommando von Dwalin, daher gut ist er mir bekannt und dementsprechend gerne wählte ihn als Begleiter aus, bleibt stehen, damit ich zu ihm aufschießen kann.
„Meint Ihr mit Liebe und all dem romantischen Kram?" Oft begleitete ich Dwalin in Ausübung seines Dienstes, führte stellvertretend für Thorin Heerschauen an seiner Seite durch oder brachte ihm vergessene Mittagessen vorbei. Niemals ungebührlich geschweige denn einträchtig benahmen wir uns dabei, jedoch nicht dumm sind die Soldaten und Gerüchte über den Grund seines Weggangs, die dem Wahren erschreckend nah kamen, erfüllten schnell den Berg. „Vielleicht. Zumindest nicht die Schlechtesten sind glückliche Enden, in denen sich Geliebte, die so manch Unglück, Trennung und Tragödie ertragen mussten, sich letztendlich in Armen halten können."
Auch Lórid wartet nun auf uns. „Wünscht Ihr denn solch ein Ende für Euch?" Ich überlege. Eine Affäre ohne Liebesglück unterhalte ich mit meinem König, gab ihm Unschuld und das Versprechen, für immer an seiner Seite zu verweilen. Darf ich überhaupt hoffen, jemals Liebe zu empfangen und zu geben, ungeachtet des Wunsches, der trotzdem verständlicherweise besteht? Daher ungern würde ich darauf antworten und bin froh darüber, dass wir plötzlich eine markante Felsformation unweit vor uns entdecken, die aus der schneebedeckten Ebene hervorsticht, die sich an den Fuß der Bergkette schmiegt.
Nicht natürlich erscheint sie, so kreisrund wie die spitzen Megalithen aufgestellt wurden und auch der seltsam vollkommen plane Boden inmitten vermittelt eher den Eindruck, willentlich erzeugt worden zu sein. „Ungewöhnlich", murmelt Lórid und will in den Kreis treten, wird aber von dem uns begleitenten dritten Zwerg mit Namen Amdal, einer seiner Lehrmeister, aufgehalten, der älter und erfahrener ist und in dieser unzweifelhaft die Gefahr spürt, die ebenso mich mit einem unguten Gefühl verbunden beschleicht.
„Wartet, Hoheit, irgendetwas stimmt hier nicht", murmelt er und sieht sich prüfend um. Eine Falle könnte es sein, aber nicht das Talent haben Orks, um solcherlei zu bauen. Gleichwohl entdecke ich plötzlich Runen, die grob in das Gestein gehauen wurden. Schwarze Runen, voller Böswille und Grauen. Ich kann sie nicht lesen, jedoch spüren, dass sie Warnungen aussprechen. „Wir sollten lieber weiter gehen", empfiehlt Amdal. „Das ist ein Faienkreis." Tore zu anderen Welten, denen der Dunkelfaien, bilden sie, so sagen die Legenden. Älter noch als das erste Böse, dass seinen Fuß auf Arda setzt, sind sie, entstanden bereits aus den Misstönen Melkors während der Gesänge der Ainur unter der Anleitung des Allvaters Ilúvatar. Bislang las ich nur über ihre Existenz und verbannte sie daher in das Dasein der Mythen, wenngleich ich Faien der Elemente, des Waldes, Sonne, Mond und Sterne und so manch andere wunderliche und mitunter grauenerregende Lebewesen sah, von denen ich vorher ebenfalls glaubte, sie seien einzig und allein märchenhafte Wesen. Vielleicht wollte ich auch nur nicht an sie glauben, denn schreckliche Geschöpfte sind sie, schlimmer noch als Drachen, die ganze Kontinente in Schmerz, Schutt und Asche stürzen.
Lórid weicht gewarnt zurück und auf den Weg einen großen Bogen um die Steine herum wollen wir uns gerade begeben, da braust ein geradezu verhöhnendes Lachen über die Winterweiße Ebene. „Du hast doch nicht etwa Angst vor solch einem albernen Ammenmärchen!" Erschrocken blicken wir nordwärts und sehen Prinz Thermyr und sein Gefolge auf uns zukommen. Auch er brach mit fünf Kriegern jedoch ausschließlich seines Volkes zur Erkundung auf. Nahe bleiben sie stehen. Überheblich blickt er drein, wie eigentlich immer seitdem ich ihn gestern das erste Mal sah. Mir schenkte er bislang kaum mehr als verächtliche Augenaufschläge und nur allzu deutlich erkannte ich an ihnen, wie sehr es ihm missfällt, dass eine Frau am Tisch des Kriegsrates Platz genommen hat und an diesem sogar das Wort erheben durfte, um Vorschläge einzubringen. Allerdings auch Andere betrachtet er oft mit geringschätzigen Blicken, oder aber gar nicht. Bedienstete scheinen nicht präsent, außer, ihnen unterläuft eine Unachtsamkeit, für die er sie schelten kann.
„Das sind keine Fantasiegeschichten. Ich selbst habe schon Zwerge durch solche Orte in die Unterwelt entschwinden sehen." Amdal, obwohl sonst ein besonnener Krieger, ist hörbar verärgert über solcherlei Ignoranz, jedoch Lórid fast beruhigend seinen Arm. Seitdem er ein kleiner Zwergling war und geradeso das erste hölzerne Schwert halten konnte, kennen sie sich, wie er mir bei der gegenseitigen Bekanntmachung vor unserem Aufbruch im Lager erzählte.
„Auf der Suche nach Orks sind wir, nicht nach Faien, also warum ein Risiko eingehen?", erwidert er ruhig und will sich mit dem Thema abschließend, keine Lust darauf, sich mit dem ihm ebenso unliebsamen Königssohn weiter abzugeben, abermals zum Gehen wenden. Aber da lacht Thermyr aufs Neue. Lauter und höhnender noch als vormals. „Ich zeige dir, dass solch ein Steinkreis keinerlei Gefahren birgt!", brüstet er sich und läuft bereits los, ehe wir ihn auf irgendeine Weise aufhalten können.
Kaum durchbricht sein Fuß die Grenze des Kreises und berührt die flache Erde innerhalb, beginnen die Runen an den Steinblöcken in feurigem Schimmer zu glühen, geradezu wie getrieben durch einen Herzschlag zu pulsieren, mit jedem neuen Aufleuchten heller zu werden. Der Boden unter meinen Füßen scheint zu vibrieren. Leicht nur, wie durch eine noch ferne aber beständig und schnell immer näher herangaloppierende Pferdeherde. Bis plötzlich ein Ruck die Ebene erschüttert. Fein erklingt das Klirren von Eis, ausgehend von den Steinen.
„Kommt heraus!", ruft Lórid Thermyr zu, Furcht in der Stimme, den angstweiten Blick auf seine Schwester gerichtet, die sich panisch an meinem Arm festkrallt. „Ihr verärgert die Faien!" Aber der blasierte Königssohn reagiert nicht. Und dann, öffnet sich die Erde unter uns und wir fallen. Tief ... immer tiefer ... in einen abgrundlosen Schlund aus Dunkelheit, von der jeder Schrei erstickt wird ...
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dajnûna – Hoffnungsfrau
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