Vergessen, aber niemals vergeben
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Fürchterlich schlecht wird mir. Die Beine zittern. Im Kopf dreht sich alles.
Das ... das kann nicht sein. In einen entsetzlich schrecklichen Albtraum bin ich hineingeraten, obwohl ich unzweifelhaft wach bin.
Verbannt wurde er. Den Hallen mit Schande verwiesen. König Thráin sprach das Urteil aus. Damals, vor vierzig Jahren. Eine lange Zeit, um zu vergessen ... aber niemals zu vergeben.
„Herzog Storr war ganz begierig darauf, dich kennenzulernen, nachdem ich ihm von dir erzählte", erklärt Thorin, doch seine Stimme deucht mir so, so weit entfernt. Nur dumpf, wie durch dichten, kalten Winternebel, der sich klamm auf die Haut legt und die Welt in Schauder stürzt, nehme ich sie wahr.
Er weiß es nicht. Bei Mahal, er weiß nicht darum, was dieser Zwerg mir einst antat!
Der Herzog erhebt sich langsam und selbstgefällig. Keinen Deut veränderte er sich. Ein riesenhafter Zwerg, jedoch nur beinahe so groß wie Thorin und ebensolcher imposanter Statur, bekleidet mit edlen Gewändern und einem schwarzen Mantel aus zu viel Fell und goldenen Verzierungen, der schwer auf den breiten Schultern liegt. Schreckenshaft finster das Gesicht und durch rötlich-weiße Narben furchtbarer Kämpfe entstellt.
Unsagbare Angst überkommt mich, derweil er sich wie es der Anstand verlangt Respekt erweisend vor mir verbeugt. „Es freut mich ebenfalls, hier zu sein." Seine Stimme. Oh Mahal, bitte. Ich hoffte so sehr, sie nie wieder hören zu müssen. Gletscherkälte klirrt darin, die augenblicklich in jedes noch so dünne Äderchen drängt und das Blut erstarren lässt.
„So jung ... so zart ... so unschuldig rein ... der Geschmack einer Jungfrau ist mit nichts Irdischen vergleichbar."
Das Verderben der Erinnerungen droht mich mit scharfen Zähnen und übelriechenden Atem zu verschlingen. Jedoch versuche ich, mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mich die Situation ängstigt,
Vielleicht erkannte er mich nicht. Bestimmt nicht wegen mir ist er hier. Vermutlich nur ein schrecklich widriger Zufall, dass er Thorin aufwartet, nachdem seine Verbannung ablief, denn bei der Art von Tat, die er beging, beträgt der Zeitraum dafür so viele Jahre, wie das Opfer noch von der Mündigkeit entfernt ist. 35 Lebensjahre waren dies in meinem Fall zwar, jedoch so wie Balin mir einst verriet, verhängte König Thráin ein um einige härteres Urteil.
Daher das perfekt gekünstelte höfliche Lächeln, dass ich mir in der Zeit als Höfling gegenüber falsch freundlichen und eigentlich gehassten Persönlichkeiten aneignete, setze ich auf und versuche, das Zittern meiner Hand zu kontrollieren, während er sie ergreift und einen aufmerksamen Kuss auf ihren Rücken haucht. Eisig kalt brennt die Berührung auf der Haut und so hastig, wie es der gebührende Anstand zulässt, ziehe ich sie daher wieder zurück.
Hinter Thorins Sessel in Sicherheit bringen darf ich mich, nachdem das Begrüßungszeremoniell endlich vorbei ist. Als Hofdame ist mir die Anwesenheit so lange auferlegt, bis mein Herr mich aus ihr entlässt. Jedoch kaum frühzeitig wird er mir diesen Gefallen zugutekommen lassen, denn die Konversationen über zurückliegende Ereignisse, die Situation im Berg, dies und jenes, soll ich mit einnehmenden Erzählungen bereichern. Eine ewig leidige Aufgabe, die heut noch viel unangenehmer bedrückt.
Storr fragt nach meiner Herkunft, Familie und den Umständen, wie ich in Thorins Hausstaat kam, und wie froh bin ich darum, dass sie lückenlos plausibel erfunden wurden. Wenn er sie denn hat, hoffentlich erste Annahmen, wer ich tatsächlich sein könnte, werden sie zerstreuen.
Er selbst verbrachte die vergangenen Jahre an verschiedenen zwergischen Höfen, wie er nicht ohne blasierten Stolz erzählt. Der junge König Tyr der Steifbärte ernannte ihn zuletzt sogar zu einem Mitglied seines Rates. Verbannt wurde er, fiel jedoch nicht, verlor keinen Deut an Ansehen und Macht. Wütend bin ich darüber, denn hätte Dwalins Mitleid mich damals nicht hierher gebracht, mein Leben wäre durch seine Tat für immer zerstört gewesen.
Nach schrecklichen Stunden, in denen ich beständig vor Angst und Bange zitterte, erhebt sich Storr schließlich. „Da ich lange in Euren Hallen abwesend war und mein Anwesen ohne Verwalter zurückließ, der es vor dem Zerfall hätte bewahren können, werde ich mich jetzt auf die Suche nach einer Unterkunft begeben. Habt Dank für die Audienz, Majestät und das vorzügliche Gespräch mit Eurer Leibdienerin." Wie froh bin ich darüber, dass er endlich gehen möchte und hoffentlich nie, nie wiederkommt.
Thorin jedoch schüttelt mit dem Kopf. „Bitte, Herzog, Ihr werdet doch nicht ernsthaft eines dieser Etablissements aufsuchen wollen, die Eurem Stand nicht würdig sind. Gerne könnt Ihr eines meiner Gästezimmer beziehen, solange Ihr möchtet." Das meint er nicht Ernst?! Bei Mahal, merkt er nicht, wie unwohl ich mich die letzten Stunden fühlte?! Oder ist es ihm wichtiger sich diesem Zwerg anzubiedern, der trotz allem immer noch vermögend ist, Einfluss und hohen Titel besitzt! Ein häufiger Gast war er einst am Hofe, wohl Gönner und bedeutsame Persönlichkeit, obwohl kaum jemand ihn wegen seines unseligen, anmaßenden und gefühllosen Charakters gerne hier wie selbstverständlich ein- und ausgehen sah, so wie mir Dwalin erzählte.
„Astâ wird Euch derweil ein Bad einlassen." Thorin deutet mir, die implizierte Anweisung in dem Angebot, sofort auszuführen. Innerlich zittere ich bei dem Gedanken seine Seite verlassen zu müssen, im schlechtesten Falle allein mit dem Herzog in einem Raum zu sein. Jedoch auffällig wäre es, würde ich dagegen Widerspruch erheben. Daher dienstbeflissen knickse ich den Befehl annehmend, und eile mich, die Badestube herzurichten, während eine Bedienstete Storr zu seinen Gemächern führt. Unanständig nahe kommt er dem jungen Mädchen dabei, wie ich missbilligend feststellen muss.
Jedoch nicht schnell genug bin ich unbenommen der Routine dafür. Die sich langsam öffnende Tür in meinem Rücken derweil ich den letzten Zusatz ins Wasser tröpfeln lasse, beschwört einem der beruhigend duftenden Wasserdampfwärme trotzenden eisigkalten Schauer herauf, der zuckend und brennend in alle Glieder kriecht und sie ganz taub und starr werden lässt.
„Euer Bad ist gleich fertig hergerichtet, Herr", versuche ich ihn zu beschwichtigen noch etwas zu warten, vielleicht einen Gang oder was auch immer zu erledigen, jedoch es nützt nichts. Von einem sanften Klicken begleitet, der sich für mich gleichwohl wie ein donnernder Schlag anhört, drückt er die Tür hinter sich in das Schloss. Mit aller Stärke und allem Willen, die ich aufzubringen vermag, kämpfe ich darum das Zittern und die Angst zu unterdrücken und setze nichtsdestominder mit einiges an Beschwerlichkeit erneut das gekünstelt höfliche Lächeln auf, bevor ich mich zu ihm umdrehe.
Storr lehnte sich mit blasierten Grinsen und Macht und Gewalt demonstrierenden verschränkten Armen gegen die hölzerne Zarge, dreht dabei ein halbgefülltes Weinglas zwischen den goldringbewehrten Fingern einer großen Hand. Anstößig lüstern gleitet sein Blick über mich. Brennt wie Feuer. Demütigt. Entfacht einen Schrecken, den ich lange schon nicht mehr erleiden musste. Unangenehme Übelkeit steigt in mir auf. Jedoch die eherne Maske der Stärke muss ich weiterhin aufrecht erhalten, damit er keinen Verdacht schöpft, dass mich die Erinnerungen daran niederzuwerfen drohen, wie er einst ebenso, mit dem gleichen Ausdruck, dem gleichen Gebaren, vor mir stand. Ich unterdessen zitterte und bibberte und Mahal anflehte zu sterben, sodass ich diesen Schmerz und diese Demütigung nicht erfahren müsste.
Gemächlich stößt er sich von dem Türrahmen ab und schreitet anmaßenden Schrittes auf mich zu. „Du hast tatsächlich gedacht, ich habe dich nicht auf den ersten Blick erkannt?" Seine Worte wie kaltes Gift. Schreckliche Schmerzen beschwören sie herauf. „Schon als Thorin angefangen hat über seine blondgelockte, bildhübsche Dienerin zu erzählen, habe ich erahnt, wer seine kleine private Hure in Wirklichkeit ist, und wurde nicht enttäuscht, als du dann vor mir standest. Genauso verführerisch wie dereinst, wenn auch nicht mehr ganz so jung und bestimmt alles andere als unschuldig rein."
Die Maske fällt, wird von seinen harschen Fingern in Abertausende Stücke zertrümmert, als er vor mich tritt und sie grob unter mein Kinn schiebt. Ihrem Schutz beraubt zeigt die Angst ihm ihr nun unverhülltes Gesicht. Ich sehe es an der Genugtuung, die sein Antlitz mit selbstgefälliger Dunkelheit überzieht. Er labt sich an ihr wie an einer Süßspeise. Furcht ist es, die er begehrt, die ihn Lust bringt, ihm Befriedigung bereitet. Von schrecklich böser Art ist er. Niederträchtig. Durchtrieben. Widerlich hässlich in seinem ganzen Sein. Genauso wie all die anderen verabscheuenswerten Kreaturen, die ich seit ihm bekämpfen konnte, gegen die ich mich immer behaupten konnte, die mir keinerlei Schaden zufügen konnten ... denn zur Kriegerin bin ich derweil herangewachsen. Bin kein kleines, schwaches Mädchen mehr, das vor Angst versteinert und alles über sich ergehen lässt.
Als mir dies klar wird, ich die Stärke in mir erkenne, die mit jedem Herzschlag warm und mutmachend durch den Körper hindurch fließt, löst sich die eiskalte Erstattung plötzlich, in die mich Furcht und Panik stürzte. Ich wende den Kopf, entreiße mich damit seinem Griff. „Verschwindet! Sofort!", zische ich ihm entgegen. Unerschütterlich hart klingt die Stimme.
Für einen kurzen Augenblick scheint er irritiert von der ungewohnten Gegenwehr. Niemand wagte es wohl bisher, sich ihm und seinem Willen zu widersetzen. Doch dann kehrt skrupellos das blasierte Lächeln zurück. „Du bist dreist ... das gefällt mir." Er greift nach meinem Handgelenk, so schnell, dass ich nicht rechtzeitig reagieren kann. Auch er ist ein Krieger. Entsetzenerregend schmerzhaft ist der schraubstockartige Griff. Er zwingt mich mit ihm in die Knie, beugt sich drohend groß und mächtig über mich.
„Vierzig Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet, ihn mir in allen Einzelheiten vorgestellt, während ich gedemütigt in der Verbannung verweilte", knurrt er von oben herab. Einem Warg in seinem schrecklichsten Blutdurst gleichend. Das Antlitz verzehrt zu einer hässlichen Fratze, die eines Orks erschreckend ähnlich.
Unverzagt jedoch blicke ich zu ihm auf. „Vierzig Jahre habt Ihr an mich gedacht und damit gehadert, wie sehr ich Euch geschadet habe. Vierzig Jahre indes habe ich keinen einzigen Gedanken mehr an Euch verschwendet."
Wüt über diese Demütigung, steigt feurig in ihm auf. Hart wirft er mich auf den Boden, schlägt mir mit einer solchen Unbeherrschtheit in das Gesicht, das mir für einen Moment ganz schwindelig wird. Die Wange brennt erbittert. Aufgeplatzt ist die Haut vermutlich an den Stellen, wo die Goldringe sie heftig traf, denn wie warmes Blut entlang ihrer fließt und von der Kennlinie auf den steinernen Boden tropft, kann ich spüren.
Storr wendet sich ab, entledigt sich gemächlich dem schweren Gürtel mit der Scheide, in der ein massiges Zweihänderschwert steckt, und platziert beides zusammen mit dem Weinglas achtsam auf einem der niedrigen Hocker. Den schmerzenden Kopf schüttle ich derweil verzweifelt, um den behinderten Schwindel zu bekämpfen. Alle Sinne brauche ich in diesem Kampf, in dem es um mehr geht als nur mein Leben.
„Thorin hat sich deine Jungfräulichkeit zwar genommen, aber dennoch, nur um dich brechen zu sehen, werde ich zu Ende führen, was ich dereinst begann. Schreien wirst du. Leiden. Mich schließlich anbetteln, aufzuhören. Jedoch keine Gnade werde ich gewähren." Noch verschwommen ist mein Blick, während er zurückkommt und mich grob am Arm wieder auf die Beine zieht. Mit einem das Verderben einleitenden Ratschen zerreißt der Stoff des Kleides. In Fetzen hängt mir der Saum des Ausschnitts von den Schultern. Hart ist der erneute Aufprall auf den Steinboden, als er mich auf die andere Seite des Raumes schleudert. Höhnisch sein Lachen über den qualerfüllten Schrei, der mir entkommt.
Mein ganzer Körper ist gehüllt in Schmerzflammen, jedoch die Unverzagtheit unberührt. Er ist ein Monster, ja, aber viele und schrecklichere vor ihm bekämpfte ich bereits. Der Mutspruch verleiht neue Kräfte und schafft dringend benötigte Klarheit im Kopf. Neben mir liegend sehe ich plötzlich sein Schwert. Keinen Moment zögere ich, greife danach, ziehe es aus der Scheide und richte mich wenn auch schwerfällig und leicht schwankend auf.
Unsäglich schwer liegt es in den Händen. Kaum, nur mit vor Anstrengung zitternden Armen ein paar Zentimeter über den Boden halten, kann ich es. Der Herzog lacht spöttisch, ja sogar leicht belustigt klingend ob des Anblicks. „Ach Mädchen, leg die Waffe weg, du weiß doch eh nicht, wie man vernünftig damit umgeht." Er sah nicht das Zeichen der Kriegerinnen, das meinen rechten Handrücken schmückt, denn die langen Ärmel des Kleides verbargen es vor ihm. Sorgsam, einem inneren Gefühl nach, achtete ich darauf. Nicht vorzustellen vermag er sich, dass Thorin mich zu einer von ihnen ausbilden ließ.
Alle Kraft, jeden Funken, der in mir ruht, sammle ich und hebe das Schwert zum Angriff. Einen Wimpernschlag lang scheint er darüber erstaunt. Einen Moment der Unachtsamkeit, den ich auszunutzen vermag und muss, bevor mich die Stärke wieder verlässt. Schnell ist der Vorstoß, unerbittlich und unüberlegt, dennoch gezielt der Treffer gegen sein Bein. Das Schwert so schwer, dass der Knochen unter der niedergehenden Gewalt bricht, anstatt dass die Schneide eine Wunde reißt. Sein überraschter Schmerzensschrei gleichwohl so laut, dass wohl das gesamte Anwesen ihn hört.
Zusammen bricht der Herzog und krümmt sich schreiend und wimmernd und gebrochen auf dem Steinboden windend. „Verdammte Hure!", kreischt er seinen Zorn hinaus. Minuten vergehen, jedoch wie Sekunden nur fühlen sie sich an. Gleichwohl was dann geschieht, nehme ich gedämpft in Raum und Zeit wahr.
Die Tür zur Badestube wird aufgerissen, fast aus den Angeln gerissen, so ungehalten stürmt Thorin herein. Dwalin und Balin folgen ihm. Zurück von ihrer Reise kehrten sie wohl währenddessen. Einen Moment stocken sie, geschockt und sprachlos ob Situation und Anblick. Noch immer mit dem Schwert in den zitternden Händen stehe ich da, das Kleid in Fetzen an meinen geschundenen Körper hängend, das Gesicht blutig und wund. Vor mir krümmt sich der weiterhin schrecklich fluchende Herzog im Schmerz. Der Knochen seines Beines ist so zertrümmert, dass dieses vollkommen schief steht, und wohl doch eine Wunde riss ich ihn, denn eine klebrige Lache von Blut bildet sich langsam.
„Was?", fragt Thorin völlig entsetzt. Nun, da sie hier sind, verlässt mich der letzte Rest an Kraft mit einem einzigen Wimmern. In bitterliche Tränen würde ich ausbrechen, wäre da nicht noch immer Storr, dem sie trotzdem er geschlagen wurde, Genugtuung bereiten würden.
Dwalin schiebt sich an Thorin vorbei und als er erblickt, wer dort auf dem Boden liegt, wer mir und wem ich vermutlich Schaden zufügte, versteht er die Situation. Erschreckend finster wird sein Blick und die Hände ballt er zu felsenfesten Fäusten. „Was tut der denn hier?!", knurrt er Unheil und Vergeltung für diese Freveltat ankündigend.
Thorin schaut ihn verwundert an, dann mich, von mir zu Storr, dann wieder zu Dwalin. „Kann mich mal bitte jemand aufklären, was bei Durins Bart hier geschehen ist?!"
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