Umwege
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Der nächste Morgen bricht nach einer viel zu kurzen Nacht viel zu früh an. Das verhasste Zwielicht des dämmernden Tages fällt, als würde es um die Abscheu wissen, versöhnlich sanft durch die Schlitze der Vorhänge in unser Zimmer. Im Anschluss an das Frühstück wollen wir aufbrechen. Taschen und Beutel packten wir bereits am vorherigen Abend, um die letzten Stunden hier frei von Hast zu verbringen.
Schläfrig blinzle ich der Helligkeit entgegen und wende mich in dem inständigen Bemühen, ihr und der Verpflichtung aufzustehen zu entkommen, mit einem misslaunigen Brummen ab. In das überraschend hellwache Anlitz Thorins blicke ich jedoch. Den Anschein erweckt er, seit einiger Zeit bereits wachzuliegen, in den warmen Federn gehalten von dem gleichen Unwillen den betrüblichen Tag zu beginnen wie ich.
Sanft liebkose ich seine Wange. Länger und dennoch gepflegt wie eh und je ließ er den dunklen Zwergenbart wachsen, in dem sich langsam aber unübersehbar die ersten Ansammlungen alterssilberner Borsten aufzeigen, solange wir hier waren. Vorgestern jedoch bat er mich, ihn diesen wieder auf die Zuhause gewohnte Form zu stutzen. Traurig bin ich darum, wirkte er dadurch doch noch majestätischer als normalerweise und gerne vergrub ich die Finger tief in den groben Haaren, um die darunter liegende Haut zu kraulen. Gleichwohl seitdem ich ihn kenne trägt er ihn ungewöhnlich schmucklos für einen Zwerg und wie viele ihn vorwerfen, ungebührlich kurz als König der Langbärte. Im ehrenvollen Gedenken an all diejenigen, die im Drachenfeuer verbrannten, liegt dieser Makel allerdings begründet, wie er mir einst erklärte. Kaum einen schlimmeren Tod kann ein Kind Aules ereilen.
Genießerisch schließt er die Augen und zieht mich näher zu sich heran. Warm ist sein Körper und bewahrend die Brust, an die ich den Kopf schmiege. „Schlaf noch ein wenig, der Tag ist noch fern", flüstert er tröstlich. Leider muss ich ihm widersprechen. „Er ist allzu greifbar nah, hörst du nicht die Lerchen, die ihr das Sonnenlicht begrüßende Lied vor den Fenstern singen." Er brummt grämlich, denn die Wahrheit spreche ich. „Sie verhöhnen mit ihrem fröhlichen Gesang unsere Unlust herauszumüssen. Wollen wir sie nicht überstimmen?"
Er schiebt eines der Beine zwischen die meinen und eine vorwitzige Hand unter den Bund des leinenen Nachtgewands. Umgehend finden die geschickten Finger ihr begehrtes Ziel. Unmissverständlich zeigt er, welche Art von Lauten gemeint sind, mit denen wir die Vögel übertönen sollen und das Verbleiben in den Federn aus guten Gründen hinauszögern könnten. Als besonders leidenschaftlich erlebten wir die Sinneslust in der Feinfühligkeit der Morgenstunden bislang. Jede Berührung intensiver als sonst, jeder Kuss schmeckte nach Verlangen, die Höhepunkte ließen uns erbeben wie Berghänge unter abgehenden Steinlawinen. Momente, die nur uns gehörten, während das Leben im Haus erwachte. Kaum Gelegenheiten werden wir auch dafür zuhause finden, denn zu groß ist die Gefahr entdeckt oder belauscht zu werden.
Nicht sehr bemühen müsste er sich, um mich angemessen vorzubereiten. Die Feuchtigkeit vergangener Begegnungen der Nacht benetzt die zarte Haut noch immer ausreichend. Dennoch nimmt er sich entsprechend Zeit, die Lust zu wecken. Fordert ein, dass ich das Streicheln und Necken und Dringen bis zum Gipfel der Erregung genießen soll. Leicht gelange ich an seinen Scheitelpunkt ohne Rückkehr, denn geschickt wissen seine eifrigen Finger nach Jahren der Erkundung, welche Berührungen mir (besonders) gefallen. Genauso wie ich darüber umfangreiche Erfahrungen sammelte. Keine Stelle seines edlen Körpers, die ich noch nicht liebkoste, küsste oder schmeckte. Jede Vorliebe und Schwäche des anderen, jeden intimen Traum, jede sinnliche Phantasie kennen wir voneinander. Das Vertrauen zueinander so groß, dass weder Scheu noch Scham Gedanken, Taten und Worten Einhalt gebieten.
Tief ist sein Kuss, mit dem er die von hitzigen Atemzügen trockenen Lippen bedeckt, nachdem er das Hindernis des störenden Stück Stoffs des Nachtgewands beseitigte. Ich ziehe ihn näher an mich heran, auf mich, beinahe in mich. Vergrabe die Hände in den störrischen Haaren, die unsere Gesichter wie ein Vorhang umgeben. Versuche wie eine verzweifelte Ertrinkende im stürmischen Wasser der Lust Halt zu finden an den sehnigen Muskeln des Nackens, während er allzu mühelos, obwohl die Verkrampfung des Höhepunktes anhält, in mich eindringt. Er verweilt einen Moment regungslos, zwingt sich zur Ruhe, zum intensiven Genuss der gebotenen Wärme und Enge. Betörend ist der Anblick. Sein königliches Antlitz beherrscht von der Wonne des Augenblicks. Die starken Kriegermuskeln zitternd ob des Kampfes wider des mächtigen Verlangens, willensschwach in mich zu stoßen.
Ich bette eine Hand an seine Wange, flüstere ihm Wörter der Leidenschaft zu, wie sehr ich ihn begehre und verehre. Erneut küsst er mich. Lange und gründlich und voller stürmischer Gefühle, die unser beider Sein ergreifen. Langsam nur, kaum merklich ist die Friktion, beginnt er sein Becken zu rühren. Vor und zurück, wie sanfte Wellen, die bei absoluter Windstille einzig getrieben von der Kraft der Gezeiten gegen eine Klippe branden. Keinerlei Befriedigung bietet die Bewegung, jedoch bestärkt sie das Versprechen, uns gegenseitig mehr zuteilwerden zu lassen als nur diese. Nähe, auch wenn wir schickliche Distanz wahren müssen. Zärtlichkeit, auch wenn jede Berührung nur im Verborgenen ausgetauscht werden kann. Verbundenheit, auch wenn einjeder nur den König und seine treue Dienerin in der vertrauten Verbindung sieht. Liebe, auch wenn sie bislang unausgesprochen blieb.
Vorsichtig wird er schneller, legt die Stirn an die meine. Sein Atem ein sanfter Hauch, er lässt die Wellen anschwellen, kräftiger, stürmischer werden. Intensiver die Reibung in mir, das Aufeinandertreffen der Leiber von größerer Wirkung. Ich winde mich unter ihm. Stöhne, bettle um mehr, treibe ihn an. Die Fingernägel krallen sich in seinen Rücken. Schmerzen werde ich ihm bereiten, sichtbare Striemen hinterlassen, jedoch ihn wie mich kümmert dies im jetzigen Moment, in dem nur der Augenblick und das Gefühl der Lust zählt, nicht im geringsten.
Er richtet sich auf, kniet zwischen meinen Schenkeln. Betrachtet den sich ihm so schamlos nackt präsentierenden Leib begierig. Lässt die großen, rauen Hände über die erhitzte Haut streichen, eine Andeutung von scharfen Fingernägeln darin. Rache für die Male, mit denen ich ihn kennzeichnete. Zieht den ihm verführerisch ergebenen Körper an der Hüfte näher, um wieder in mich zu gleiten. Tief dringt er dadurch. Verweilt einen Moment. Genießt die Enge und meine ihm enthemmt lüstern den empfundenen Genuss verdeutlichende Reaktion. Bewegt sich schließlich vor und zurück. Ein beständiges Schwappen der sturmgetriebenen Wellen gegen steile Klippen. Gründlich nimmt er mich. Schnell. Langsam. Sanft. Hart, beinahe grob. Zu unbeständig, um nah genug an den Rand des Abgrunds zu gelangen. So lange wie ihm möglich hinauszögern, will er den Fall.
Jedoch plötzlich beugt er sich vor, greift unter meinen Körper, um ihn allzu mühelos mit der Kraft des Kriegers aufzuheben, und lässt sich mit mir zusammen rücklings fallen. Auf ihn sitze ich nun, seine Männlichkeit noch immer in mir. Ich verstehe. Die während eines Beben fallenden Steine der Klippe sollen das Meer aufwallen und unsere Welt letztendlich untergehen lassen.
Gleichwohl auch der gewaltigste Felssturz beginnt zunächst mit dem Rollen kleiner Steine. Genauso wie er küsse ich ihn vordem. Lange, voller Zärtlichkeit und Zuneigung, während seine Hände begierig den Körper erkunden, zuletzt auf den Hüften verweilen und sie hinunterdrücken, enger an ihn heran. Ich stöhne in den Kuss, beiße behutsam auf seine Unterlippe, bedenke den Hals mit Liebkosungen, richte mich schließlich auf, lasse ihn den Genuss des Anblicks und zwinge die Hände damit sich erneut auf Wanderschaft zu begeben, denn wie ich weiß, erpicht ist er darauf, den Brüsten Aufmerksamkeit zu schenken.
Nun frei seiner Bannung beginne ich das Becken zu bewegen. Vor und zurück. Genügend Friktion von Stein an Stein erzeugend, um mich mit Leichtigkeit an den Rande des Wahnsinns zu navigieren, jedoch ihn vor dem Fall zu ‚bewahren'. Thorin gewährt den Eigensinn dennoch. Beobachtet das aufkommende Entzücken in meinem Antlitz. Lauscht dem immer vehementer werdenden Lauten der Erregung. Er spricht zu mir, raunt Bekunden, wie schön ich bin, wie betörend, spornt mich mit frivolen Worten in Khuzdul an, deren Verbleib in unseren Ohren wohl besser ist, um euch unbescholtene Leser nicht allzu sehr in Aufregung zu versetzen.
Langsam wallend wie im Grund aufsteigendes Wasser nach einem Gewitterregenguss kündigt sich der Orgasmus an. Unaufhaltsam. Mit unbändiger Kraft zehrt er an den Felswänden, löst Stein um Stein, die in die Fluten stürzen und sie zu einem stürmischen Sprudeln aufbrausen lassen. Mit sich hinfort reißt mich der wirbelnde Strom schließlich und spült Körper und Geist über die Klippe ohne Umkehr. Ein Herzschlag der absoluten Besinnungslosigkeit. Nur in Traum und Tod sind wir den Valar ebenso nahe wie während ihm. Für einen Augenblick weiterhin atemberaubt lassen sie mich in ihrer Güte wiederaufleben in der diesseitigen Welt. Haltsuchend, denn Schwindel droht aufzukommen, stemme ich die Hände auf Thorins Brust. Nur langsam kehrt das Bewusstsein und mit ihm das Körpergefühl und alle Sinne zurück. Mit zärtlich rauen Fingern berührt er meine Wange, flüstert mir etwas zu, aber ich vernehme es nur als eine weitere dumpfe Nuance von Rauschen durch das weiterhin aufgewühlte Blut in den Ohren.
Einen gütigen Moment der Erholung gestattet er mir, umschließt dann meine Hände und führt sie von seiner Brust neben sich, so dass ich sicheren Halt habe und ihm gleichzeitig nahe bin. Sanft streicht er eine der losen Haarsträhnen hinter das Ohr, blickt mir dabei bedeutungsschwer in die Augen und bei Mahals Schmiedekunst, das in den Kristallgefäßen der seinen weilende Eiswasser ist so unendlich klar, frei jedweder von Leid, Trauer und Schmerz heraufbeschworenen Einschlüsse, die sonst beständig darin schweben und den Blick versperren auf die Abgründe seiner Seele.
Geruhsam beginne ich das Becken auf und ab zu bewegen, weiterhin vom Anblick der tiefen Eisseen gebannt, fasziniert davon, wie sich Lichtpunkte darin brechen, die Schattennebel der Lust darüber hinwegziehen, sie allmählich immer gewaltiger von dem Beben und Fallen kleiner Steine aufgewühlt werden. Ein beständiges rhythmisches hinein- und hinausgleiten. Er kommt mir entgegen, sobald ich mich sinken lasse. Zieht sich zurück, sobald ich mich erhebe. Ein perfekt aufeinander abgestimmtes, sanftes Wogen von Fluten gegen harten Fels, der sich mit jeder Bewegung immer weiter zersetzt.
Herrlich fühlt es sich an, intensiv, erregend und erneut beginnt das Gefühl mich an den Rand zu bringen, jedoch weiß ich, meine Pflicht ist es, ihn nun über sie zu stoßen. Dennoch ist es mir zuwider, wie schnell die See zu einem alles verschlingenden Monster aufbraust, die Schaumkronen der Wellen weiß schäumen, die Strudel der Lust wirbeln und sprudeln und ihn unaufhörlich in den Abgrund ziehen. Gerne hätte ich den Anblick länger genossen. Jedoch unrettbar verloren ist er bereits und ein Abbruch, ein Verlangsamen, jegliches Hinauszögern mit grauenhaften Folgen verbunden. Bei aller gewährten Zärtlichkeit, Sanftheit und Geduld, er ist der König und nimmt sich mit Recht, was ihm zusteht. Auch wenn ich die Beherrscherin seiner Lust bin, allzu maßlos darf ich die Gewalt dennoch nicht missbrauchen.
Daher schneller werde ich, gewähre, dass er die Hände auf den Hüftknochen platziert und die Bewegung lenkt, jedes Einhalten unterbindet. „Hör nicht auf!", befiehlt er, mit nachtsamtener Stimme zwar, jedoch die Dunkelheit des zu befolgenden Gebots ist allzu deutlich herauszuhören. Als ob ich mir dies getrauen würde. Die Oberschenkel schmerzen, die Arme zittern, jeder Atemzug brennt in der Lunge, kaum noch Kraft kann ich aufbringen. Ich spanne die Muskeln um ihn herum an und allein durch diesen kleinen, zusätzlichen Reiz, bricht ein gewaltiges Stück der Klippe heraus, fällt donnernd in das Wasser und lässt Wellen und Strudel und Gischt hinaufspritzen.
Thorin stöhnt abgrundtief und ungehemmt, wirft den Kopf zurück, vergräbt die Finger in der Ekstase heftig in meinem Fleisch. Schmerzhafte Male werde ich davontragen. Ein letztes Auf und Ab, ein letztes Beben der Muskeln, und er fällt. Tief und hart, sich zitternd klebrig-weiß und heiß in mich ergießend. Ein Gefühl der Erfüllung, auf viele verschiedene Weisen.
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„Ich hoffe, wir werden uns bald wiedersehen", erbittet sich Gerontius von Thorin und legt ihm eine schätzende Hand auf die Schulter. „Ich verspreche es dir", sichert dieser mit aller Aufrichtigkeit eines Königs zu, „vielleicht schon bald, unbedingt, wenn du die 100 Jahre schafftest, die du dir vornimmst zu leben und ich dir und deiner Familie von Herzen wünsche."
Die gesamte Familie Tuk versammelte sich, um uns zu verabschieden. Belladonna und ihre Schwestern schauen recht traurig darüber, auch wenn ich ihnen versprach, Thorin zu drängen, dass wir bald schon wiederkommen. Ein zartes Halsbändchen aus geflochtenen Fäden und darin verwobenen schwarzen und weißen Perlen schenkte sie mir, um mich an dieses Versprechen und unsere Freundschaft zu erinnern, obwohl es für beides keinerlei Gedankenstütze bedürfte.
Gandalf nickt uns zum Abschied lediglich jedoch mit hohem Respekt verbunden zu. Eigenartig verhielt er sich die letzten Tage. Etwas schien ihn umzutreiben. Eine gewichtige Aufgabe vielleicht. Zum Schutz vor wiedererstarkenden dunklen Mächten wurden die fünf Istaris einst von den Valar nach Mittelerde geschickt. Zwei von ihnen, die alles Wasser beherrschten, gelten bereits in den Südlanden, in denen es einstmals seinen Ursprung hatte, als verschollen. Was jedoch das Gespräch, dass er mit Thorin führte, mit seinem Auftrag und der entstandenen Übellaune zu tun haben könnte, erschloss sich mir weiterhin nicht.
„Von welchem Berg sprach der Zauberer mit dir?", frage ich Thorin daher vorsichtig, kaum, dass wir die grüne Grenze des Auenlandes zur Wildnis überschritten. Nicht zurück blicke ich, denn der Wunsch länger in seinen Hügeln, Feldern und Wäldern zu verweilen würde mich sonst schmerzlich treffen. Er schnauft. Eigentlich nichts darüber erzählen will er mir. „Über Erebor", murmelt er schließlich doch. Ich schrecke auf. Die bekannte qualvolle Sehnsucht zeichnet sein Antlitz, wie immer, wenn er vom Einsamen Berg spricht, der verlorenen Heimat von Durins Volk. „Gandalf schlug mir vor, mit einer Armee nach Osten zu ziehen, um den Drachen zu erschlagen und mein angestammtes Königreich aus seinen dreckigen Klauen zurückzuerobern."
Ein schauderhaftes Unterfangen. Nur aus Erzählungen kenne ich Größe und Schrecklichkeit des Drachen Smaug und allein ob dieser vermag ich einzuschätzen, dass ein Heer enormer Zahl, schwer bewaffnet und geharnischt bis an die Bärte, vonnöten sein wird, um ihn auch nur ansatzweise gefährlich zu werden. Selbst die zusammengerufenen Krieger aller Zwergenreiche könnte eine solche Stärke schwerlich stellen. Davon abgesehen, im Berg direkt wird es diesen unmöglich sein, ihn anzugreifen, daher müsste man ihn mit einer List oder einen Köder zuerst hinaus auf die Ebene locken.
„Ich habe ihm jedoch gesagt, dass die Zeit dafür noch nicht gekommen ist", spricht Thorin weiter. „Tharkûna sah einst, als mein Vater dieses Vorhaben schon einmal plante, Zeichen vorher, die den richtigen Augenblick ankündigen. Raben, die zum Berg zurückkehren. Eine Konstellation von Sternen, Sonne und Mond und Schicksalsfügungen, die mein Haus zuvor ereilen müssen, jedoch ohne sie genau zu benennen. Entwicklungen in der Welt, die von enormer Bedeutung für das Gelingen solch eines Unterfangens sind. Ich spüre, dass sie noch nicht vollends eintraten." Er sieht erwartungsvoll zu mir hinüber, als wäre ich gar ein Teil von ihnen.
„Und der See, über den ich dir niemals folgen soll?" Thorin runzelt die Stirn, ganz so, als erinnere er sich nicht genau an diesen Wunsch oder nahm bisher an, dass er ihn im Traum an mich richtete. „Der Lange See nahe des Berges. Wir müssten ihn überqueren oder umgehen, um an unser Ziel zu gelangen." Ich verstehe. Solltes es einmal dazu kommen, dass die Zeichen und Fügungen sich erfüllen, er aufbricht, um unsere Heimat zurückzuerobern, mit einem Heer im Rücken oder allein, will er nicht, dass ich ihn begleite. Kein Gefühl, weder Trauer noch Enttäuschung noch Erleichterung, stellt sich in mir bei der Erkenntnis ein.
Saumselig lenken wir die Ponys durch die sommergrüne und blumenduftende Landschaft, die an den leicht zu nehmenden Wegen vorbeizieht. Doch als wir zur Mittagszeit an das Ufer des reißenden Flusses Lhûn gelangen, der die Grenze zum Reich der Zwerge der Ered Luin bildet, zügelt Thorin das seine nach Südwesten und nicht über die große Brücke, die uns gen Heimat führen würde. Fragend schaue ich ihn an. „Ich will dir etwas zeigen", antwortet er nur und lächelt beruhigend. „Ob wir nun heute Abend bereits oder erst morgen eintreffen, wird keinen Unterschied mehr darstellen."
Nicht lange reiten wir im gemächlichen Schritt den Flusslauf abwärts entlang. In eine weite Bucht mündet er irgendwann, die durch eine schmale Enge in das trennende Meer Belegaer flutet. Nicht viel existiert (mehr) in diesem Teil Mittelerdes, das Lindon genannt wird. Früher einmal, als das Reich der Menschen in Aman blühte und mächtig war, bewohnten edle Elben diese Lande, das als Heimat von Musik und Gesang galt. Nur noch wenige ihrer einst zahlreichen Art sind verblieben. Immer stärker zieht es sie fort von Mittelerde. Überdrüssig sind sie der vergänglichen Schönheit und des Leids und suchen ihre Erfüllung stattdessen in der einstigen Heimat Aman, dem Land der Valar, denen sie von Erus Kindern am liebsten sind.
Und als Thorin nicht die Richtung des allmählich immer reißendender und breiter werdenden Flusslauf verlässt, wir schließlich einen gut gebauten, steinernen Weg betreten, wird mir langsam bewusst, was er mir zeigen möchte und geradezu kindliche Aufregung ergreift mich in der Erwartung des Anblicks. Die Sommersonne geht gerade in einem zauberhaft anzusehenden rot-orangenen Farbenspiel am westlichen Himmel unter, als wir die Kuppe einer kleinen Anhöhe erreichen. Weit und breit vor uns erstreckt sich der Golf von Lhûn, ein mit wellenruhigem Wasser gefülltes Becken umgeben von hohen Klippen, an denen sich steingraue Türme und Gänge, Hallen und Häuser in der filigranen, kunstfertigen Bauweise der Elben schmiegen. In ihrem Zentrum, am Fuße der Anhöhe, befinden sich kleinere Bauten, leere Bootshäuser und verwaiste Docks und ein weit in das Wasser ragender, breiter Steg. Die grauen Anfurten, ein Hafen wundersamer Schönheit und bedeutender Geschichte.
„Beeindruckend", flüstere ich fasziniert und versuche, die Tränen der Ergriffenheit vor Thorin zu verbergen. Wir steigen ab und führen unsere Ponys den Hang hinab. Das Echo ihrer auf die glatten Steinplatten treffenden Hufe verhallt in der Einsamkeit. Heutzutage verlassen die Schwanenschiffe der Elben lediglich den Hafen, früher einst, herrschte hier jedoch aufgeregte Betriebsamkeit. Schätze aus Mittelerde wurden gen dem längst unterfangenen Reich Númenor verschifft, Krieger aus fernen Ländern, die Elben und Menschen in großen Schlachten unterstützten, genauso wie bedeutende Persönlichkeiten und Wesen kamen hier an. Hier zu stehen, auf dem Boden, der von ihnen begangen wurde, über den sie Mittelerde betraten oder verließen, ist ein ausnehmend erhabenes Gefühl. Der Umweg lohnte sich.
Die Nacht verbringen wir in der Geborgenheit eines der verlassenen Häuser, das dennoch wirkt, als hätten sich seine Bewohner erst kürzlich fortbegeben und planten zudem, nicht lang fortzubleiben. Einrichtung und Stoffe sind staubfrei, Fensterscheiben, Türen und Möbel vollkommen intakt. ĭn der gut vor Ungeziefer gesicherten Speisekammer hängt Trockenfleisch von der Decke, in Steintöpfen finden wir gedörrtes Obst, Linsen, Erbsen und Bohnen. Selbst das Holz im Kamin wurde so aufgestapelt, dass man es ohne große Umstände entzünden kann.
Ein gutes, reichhaltiges Abendmahl richten wir uns und zusammen mit der mitgegebenen Verpflegung aus Kastanienkuchen, Pasteten, Brot und Käse wird es ein regelrechtes Festmahl, das wir im Feuerschein des Kamins verspeisen. Satt, warm und sicher legen wir uns schließlich in einen der viel zu großen, aber unwirklich gemütlichen Betten zur Ruhe. Das sanfte, ferne Rauschen der Meereswellen wiegt uns schnell in einen erholsamen Schlaf, den letzten in ungezwungener Freiheit.
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