Sünde und Erlass

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Eigenartig warm ist mir. Der Körper, jeder Muskel, jede Gliedmaße schmerzt jedoch und im Kopf dröhnt das von einem schnell wie Schmiedehammer schlagenden Herzen getriebene Blut. Die Augen will ich nicht öffnen. Zu sehr sehne ich mich nach Ruhe, nach Frieden, einer Flucht, und sei sie noch so illusorisch, aus dem allzu wahr gewordenen Alptraum, in den wir gerieten. Unweigerlich weiterhin in ihm gebannt muss ich mich sehen, sobald der Geist vollständig erwacht.

Schwer und dunkel sind die Erinnerungen an die letzten Minuten des ausweglosen Versuchs zu entkommen, bevor die Ohnmacht mich umfing. An die Verzweiflung, die Verwirrung, die Schwäche der kampfesmüden Glieder. Aufgebend standen wir am Anfang des Endes unseres Lebens. Trauernd ob der Hoffnungslosigkeit unsere Liebsten und das Sonnenlicht jemals wiedersehen zu können. Gefangen in einem Reich der finsteren Magie, in dem ein monströses Abbild der Zwerge und wohl noch so einiges mehr an längst vergessenen und übermächtigen Bösem haust.

„Astâ?!" Eine sanft-besorgte Stimme dringt leise zu mir vor. Ich will sie nicht hören. Lass mich, möchte ich schreien, hole mich nicht zurück in die trostlose Situation, in der heillose Verzweiflung ihre quälende Macht gebraucht, um uns in Schwermut niederzudrücken! Ich will stattdessen weiter verweilen in der friedlichen Ohnmacht, die mich so gnädig umfing. Schmerz, Kälte, Nöte, Verzagtheit, nichts existiert in ihr.

Jedoch die Stimme hört nicht. Ruft meinen Namen erneut. Ihre Besitzerin streicht mir über die Wange, fängt die klebrige Feuchte der Tränen. Noch niemals zuvor begegnete ich einer verfahren erscheinenden Situation, und es waren derweil viele in meinem kurzen Leben, so mutlos. Immer sah ich Chancen, verließ mich die Courage nicht, vertraute ich auf das Können meiner Begleiter und mir sowie auf das barmherzige Wohlwollen der Valar. Jedoch nun. Es scheint, dass die Schwere des Steins der Unterwelt und Mittelerde voneinander trennt, jedweden achtbaren Gedanken unterjocht und die behütenden Augen und Wesen der Götter uns nicht erreichen kann.

„Astâ?!" Mit tiefsten Widerwillen, jedoch beunruhigt über die verzweifelte Sorge in ihrer Stimme, öffne ich schließlich doch langsam die Augen. Das Licht obwohl warm, schummrig und geruhsam flackernd, schmerzt so unerträglich in ihnen, dass ich ein gequältes Stöhnen nicht unterdrücken kann. „Wo sind wir?", will ich fragen, allerdings die Kehle ist so aufgetrocknet wie Steinstaub, sodass nur ein kratziges, unverständliches Krächzen nach außen dringt.

Ibûna hilft mir dabei, mich aufzurichten, und streckt mir eine Wasserflasche entgegen. Ihr Inhalt ist kühl und erfrischend. Wohltuend erfüllt das Nass den Mund und rinnt den Hals hinab. Wie Wasser aus einem Bergsee schmeckt es. Angereichert mit gelösten Mineralien und vielen Jahrhunderten unberührter Stille. Wundersamerweise neue Kräfte spendet seine Lebendigkeit, die jede Zelle unserer Körper erwecken kann. Jedoch mit ordinären Schnee füllten wir unsere Trinkflaschen, bevor wir aufbrachen. Niemals so eine Wirkung kann dieser entfalten.

Klarer wird mir im Kopf und die Augen gewöhnen sich langsam an die Helligkeit. Ibûnas besorgtes Antlitz ist das Erste, dass ich wieder deutlicher erkenne. Sie lächelt jedoch erleichtert, als sie bemerkt, dass ich allmählich zurückkehre aus der ohnmachtsgleichen Verzagtheit. „Was ist geschehen?", will ich wissen, während der Blick herumschweift. In einer anderen Höhle sind wir gelandet. Hoch und weitläufig ist sie nicht, eher einem der Gemächer bei mir zuhause gleichend. Die Wände gänzlich aus schwarzem Gestein, glänzend, als wären sie sorgfältig und mit viel Mühe poliert. Inmitten ihr brennt ein hohes rotgoldenes Feuer in einer flachen, breiten Schale, auf der Runen alter Machart mit Silber einpunziert wurden. Den flackernden Schimmer und die wohlige Wärme, die ich anfangs empfand, verbreitet es. Jedoch kein Holz oder Öl sehe ich in ihr. Nur erneut diesen silbergrauen Stoff, der auch auf den Fackelköpfen die Flammen nährte. Faszinierend ist sein Emporflammen, geradezu hypnotisierend. Es bannt unweigerlich den Blick und wiederkehrend ganz schwummrig wird mir im Kopf. So als würde das Feuer wollen, dass ich mich in seinem Spiel aus Funken, Züngeln und Knacken verliere. Warm wird mir. Erinnerungen an Umarmungen, Küsse, liebvolle Worte kommen in den Sinn. Unendlich verweilen will ich in ihnen. So der Wirklichkeit der Gefangennahme und Hoffnungslosigkeit entkommen.

„Ich weiß es nicht. Auch erst vor einigen Momenten kam ich zu mir." Ibûnas Stimme nimmt schließlich die Fesselung. Zum Glück, denn niemals einen Weg heraus würden wir finden, verfallen wir Illusionen. Die Augen brennen, als wäre ich abrupt aus tiefen Traum erwacht. Ich blinzle mehrmals schnell, um Schmerz und aufkommende Tränen zu vertreiben.

Nicht erneut riskierend den Blick in dem Feuer zu verlieren, sehe ich mich weiter um. Um uns herum entdecke ich zum Glück alle meine Gefährten, auch diese, die wir bei der Flucht zurücklassen mussten. Einige von ihnen lehnen mit hängenden Köpfen an den glatten Steinwänden. Genauso sie scheinen gerade erst erwacht und noch ganz benommen von der Ohnmacht. Andere verweilen weiterhin in ihr. Malrus ist unter ihnen und liegt mir nahe. Langsam krauche ich auf ihn zu, taste besorgt nach einem Herzschlag, denn übel zugerichtet wurde er von einem der Zwergriesen und um sein Überleben bange ich. Jedoch glücklicherweise sicher und stark pulsiert das Blut unter meinen Fingerspitzen.

„Irgendetwas betäubte uns, so dass die Ungeheuer uns hierher verschleppen konnten." Lórids Mutmaßung klingt schlüssig, allerdings warum sollten sie dies tun. Töten hätten sie uns allzu leicht können. Stattdessen sogar unsere fallengelassenen Waffen sammelten sie auf und stapelten Schwerter und Äxte recht fein säuberlich in einer Ecke der Höhle.

Jeden Zentimeter Wand untersuchten wir penibel auf einen Ausgang, aber fanden weder Tür noch Öffnung noch sonst etwas. Das Wasser, mit dem Ibûna ihren Trinkbeutel füllte und das sie mir gab, quellt aus einer kleinen Spalte im Gestein. Es scheint nicht verzaubert, sondern nur alt und rein infolge des beständigen Fließens durch Felsen, Grund und Erde. Rauch erzeugt das Feuer, allerdings die Decke so hoch und in absoluter Dunkelheit verborgen, so dass sich nicht einschätzen lässt, ob es einen Abzug gibt.

Gefühlte Stunden vergingen, seitdem wir erwachten, jedoch nichts hörten oder sahen wir von den Zwergriesen oder anderen Kreaturen. Gleichwohl der letzte Rest Hoffnung schwindet immer mehr. Wie lange sind wir hier schon gefangen? Tage, Wochen? Ohne Sonnenlicht können wir leben, allerdings das Zeitgefühl kam auch durch die Ohnmacht abhanden.

Mutlos lasse ich mich an der glatten Wand hinabgleiten. Hunger, Müdigkeit und Verzweiflung plagen das Gemüt. Erneut keinen Ausweg sehe ich aus dieser Situation und mit jedem Atemzug wird es unwahrscheinlicher, dass wir gerettet werden oder uns selbst retten können. Tränen wollen hervorbrechen. Jedoch nützen sie nichts. Schuld will ich mir einreden. Jedoch trifft sie mich nicht. Gedanken, Angst, Hilflosigkeit verschwimmen ineinander und jedes Empfinden wirkt dumpf und schmerzhaft. Ich werde sterben, nicht erst in vielen Jahren, erhobenen Hauptes auf dem Schlachtfeld, so wie es einem Krieger gebührt, sondern hier, gefangen in einer Höhle unter der Erde. Diese Erkenntnis brennt verheerend im Herzen. Grauenvoll ist ihre Last. Die Zerstörung jedweder Hoffnung, kaum zu ertragen.

Der absoluten Resignation will ich mich hingeben, bette den Kopf auf die angezogenen Knie und wimmere leise, da werde in ihr jedoch gestört, als sich einer meiner Gefährten schwer neben mir niederlässt. Tief durchatmend um die Fassung zurückzuerlangen - denn ein Zwerg verzweifelt selbst im Angesicht des drohenden Todes nicht - schaue ich wieder auf und werde von einem Anblick überrascht, den ich zuallerletzt vermutete.

In Prinz Thermyrs Antlitz sehe ich dieselbe Furcht und Trauer, die auch mich bedrückt. Sein Gesicht schattiert sorgenvoll und hoffnungslos, jeglicher Zuversicht und Lebensfreude beraubt. Obwohl noch jung, trägt er Verantwortung für die Krieger, die mit ihm gingen und als Thronfolger die Hoffnung seines Vaters darauf dereinst ein starker, gerechter zukünftiger König zu werden. Jedoch die Zeit der Jugend ist eine schwierige, gezeichnet von Rebellion, Selbstüberschätzung und Unsicherheit. Kein abgrundtief schlechter Zwerg wird er sein, wenngleich meine bisherigen Erfahrungen mir ein anderes Bild zeichneten. Gewiss es sind wenige, doch meine anfänglichen Einschätzungen zu einem Geschöpf erwiesen sich bislang immer als richtig.

Er seufzt und lässt den Blick auf Ibûna verweilen, die uns gegenüber im Schoß ihres Bruders liegend vor Erschöpfung und Angst einschlief. Beinahe gleichen Alters sind sie, jedoch vom Wesen grundsätzlich verschieden.

„Ich habe sie bewusst in Gefahr gebracht", murmelt er plötzlich mit schuldschwerer Stimme. Ich will ihm nicht zustimmen, aber auch nicht widersprechen. Nur durch seinen Leichtsinn und der Unvernunft sind wir hier. Gleichwohl Vorwürfe nützen uns nichts.

„Wisst Ihr, dass sie mir versprochen ist?" Ich schüttle den Kopf. Traurig stimmt mich diese Offenbarung jedoch. Ein Freigeist ist Ibûna, abenteuerlustig und von einem leichten, freundlichen und hilfsbereiten Gemüt. Das Reich des Prinzen allerdings konservativ in den Rollenbildern. Frauen oft gebunden an Haus und Kinder, kaum befugt ihren eigenen Weg zu gehen und jeglichem Mitbestimmungsrecht beraubt. Das er mit mir offen spricht und scheinbar akzeptiert, dass ich zumindest als Kriegerin ihm gleichgestellt bin, daher sehr verwunderlich. Keinen Hehl machte er bislang aus seiner Ablehnung gegenüber meinen innehabenden Rang und dem besonderen Vertrauen, das Thorin mir als König entgegenbringt, obwohl er die Gründe dafür wie viele andere auch nur vermutet.

„Es dauert mich, dass es nicht mehr dazu kommen wird. Sie ist eine ganz liebreizende Person und wäre eine wundervolle Königin an meiner Seite gewesen, ungeachtet dessen ich sie bislang nur einige Male sah." Nicht selten ist dies. Königs- und Adelshäuser versprechen ihre Kinder einander bereits in jungen Jahren. Politische Heiraten sind es, allein dem Zweck dienlich Macht, Ansehen, Bündnisse und Reichtum zu sichern. Nur wenigen ist es vergönnt ihren Ehepartner vor der Hochzeit überhaupt kennenzulernen. Liebe kaum gedeihlich und unglücklich aneinandergebunden bleiben sie ein Leben lang, denn eine Scheidung bei Zwergen zwar möglich, jedoch der Druck der Verantwortung von Familie und Gesellschaft äußerst einflussreich.

In Thermyrs Stimme allerdings entdecke ich eine nur allzu bekannte Zärtlichkeit, während er über sie spricht und der Blick, den er weiterhin auf sie richtet, ist weich und hingebungsvoll. Er empfindet unlängst mehr für sie als nur eine von seinem Vater gewollte Verpflichtung zum Wohle des Reiches.

„Ihr habt einen Fehltritt getätigt, das stimmt", sage ich schließlich. Verletzen will ich ihn nicht noch ihm irgendeine Schuld zuweisen, die ihn womöglich mehr belastet als die, die er sich selbst bereits auferlegte. „Aber einst war ich genauso wie Ihr. Jugendlicher Leichtsinn, Überschwang und Ungehorsam brachte mich und meine Gefährten oft in Schwierigkeiten." Ein betrübtes Lächeln kann ich nicht unterbinden, während die Gedanken derweil an Thorin und Dwalin abschweifen. Wie oft ich sie zur Verzweiflung brachte mit dem Übermut.

Er senkt traurig den Blick, lässt die Hände mutlos zwischen die Beine fallen. „Dennoch entkamt Ihr ihnen immer, wohl auch mit ihrer bereitwilligen Unterstützung aus Liebe, die sie für Euch empfinden. Die Hoffnung, dass wir diese Gefahr heil überstehen werden, habe ich nicht mehr." Ich ebenso, aber zeigen will ich ihm dies nicht. Genauso wenig nützlich wie Schuldzuweisungen ist Verzagtheit. „Es tut mir leid. Das Leben aller habe ich beendet, nur, weil ich zu blasiert handelte. Ich hätte auf euch hören und nicht in den Faienkreis gehen sollen. Eigentlich sogar habe ich als Zwergling an all diese Geschichten über Faien und Riesen und Bruxas und Tavari geglaubt. Meine Mutter, Mahal habe sie selig, hat sie mir immer vor dem Zubettgehen erzählt. Trotzdem, mein Stolz und das Gefühl mich beweisen zu müssen, war stärker."

Ich wende den Blick von ihm. Als ehrlich empfinde ich die Entschuldigung. Viel Kraft und Mut wir sie ihm gekostet haben.

Zur Einsicht zu gelangen, etwas Falsches getan zu haben, und um Verzeihung dafür zu bitten, erfordert diese Stärke. Die Abbitte anzunehmen zeugt jedoch ebenso davon.

„Geschehenes ist Vergangenheit, verzagt daher nicht an ihr. Ändern könnt ihr sie nicht. Aber daraus lernen." Eine gütige Hand lege ich auf seinen Arm und er schaut ob der wohl ungewohnt sanften Berührung auf. Wenig Zuspruch, Trost und Verständnis für Fehler wurde ihm wahrscheinlich bisher zuteil. Ein Kronprinz trägt ebenso die bedrückende Last der ständigen Untadeligkeit. Thorin verlangt desgleichen allzu oft von Fili, daher kenne ich die Auswirkungen und die beständige Angst vor dem Versagen und der damit einhergehenden Enttäuschung.

Sein Blick schwimmt in erleichterten Tränen. Das Versprechen - sollten wir es doch irgendwie hier heraus schaffen - niemandem etwas von seinem Fehltritt zu erzählen, gebe ich ihm. Er nickt mir dankend dafür zu.

Aber dann plötzlich, ist ein dumpfes Rumpeln und abscheuliches Scharren zu hören. Das noch immer brennende Feuer flammt aufgeregt hoch empor, scheint in Erregung zu tanzen und schliert beängstigende Schattenbilder an die schwarzen Wände, deren Schimmer jäh verblasst. Ein Murmeln ertönt, erfüllt die Höhle. Worte kann ich aus ihnen heraushören. Mystisch gesprochene, alte Zauberformeln bilden sie.

Die, die mutlos einschliefen, Schrecken auf. Die, die verzagend in die Leere der Höhle starrten, ziehen kampfbereit ihre Waffen. Ein kleiner Spalt in einer der Wände erscheint, wird länger, bildet schließlich den Umriss einer Tür, die sich mit einem donnernden Schlag öffnet.


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