Schneegestöber
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Entsetzt blicken wir einer fürchterlichen Ahnung folgend zu der kleinen Insel hinüber ... und tatsächlich ... dort steht sie ... in ihrer noch wunderschönen gleichsam schrecklichen Gestalt - die Bruxa, eine Kreatur des absolut Bösen.
Als wären sie ganz aus feingesponnenen Silberfäden, glänzt ihr langes, spiegelglattes Haar im wenigen Licht der abgeschwächten Sonne, denn es ist ihrer Art wie so vielen Dienern des Feindes verhasst. Das schmale Gesichtchen fein und voller begieriger Sehnsucht und begehrlicher Schönheit. Weiße kaum unter zarten Stoffen verborgene Haut und eisig blaue Augen, die über das Wasser hinweg zu uns hinüberstarren. Gierig. Hasserfüllt. Bei all der bezaubernden Anmut, ich weiß, dass sie nur eine Täuschung ist. Unter ihr ist sie hässlich, verfallend, modrig wie eine vergessene Leiche.
Und nur allzu leicht bröckelt die Illusion ob dieses Wissens und zum Vorschein kommt binnen eines Augenaufschlags ihr grässliches Angesicht. Graue Gewänder die zerfleddert an einem spindeldürren Körper hängen, der überzogen ist mit leichenfahler, narbiger Haut, die so dünn und knittrig wirkt wie uraltes Papier und sich stellenweise in Fetzen löst, sodass darunter das blutleere Fleisch zu sehen ist. Um den Schädel wehen strähnige, pechschwarze Haare und verdecken immer wieder das verfaulte Gesicht, das mich an die der zurückgelassenen Opfer in den verfluchten Zwergenhallen im Abendrotgebirge erinnert.
Mit knochigem Finger zeigt sie auf uns. „Ihr wagt es, meine Ruhe zu stören!", kreischt sie. Ihre Stimme so schrecklich und verderblich wie zischendes Leichengas. Sie schmerzt im Kopf. Dringt bis ins Herz und hinterlässt dort eine unsagbare Kälte und grauenerregende Leere. Unter ihnen krümme ich mich zusammen. Schreie. Thorins Rufe und Flüche weit, weit entfernt.
Ein helles Leuchten wie von einem nahen Blitz blendet die brennenden Augen. Einen schmerzenden Atemzug lang sehe ich nur weiß, dass sich bald in wirbelndes Schneetreiben wandelt. Allein bin ich. Um mich herum nur Eis und Schnee und unheilvolle Winterkälte, die trotzdem mir bewusst ist, dass es nut ein Trugbild sein mag, das die Bruxa dem Geist mit dunkler Magie vorgaukelt, knochentief dringt.
Alsbald entdecke ich jedoch fahle Schatten durch das Gestöber näherkommen. In eine warme Umarmung schließe ich meine Kinder, sobald mir ihre Gestalten gewahr werden. Älter scheinen sie denn in dem Traum vormals, gleichwohl das Bündel in den Armen meiner Tochter weiterhin meinen neugeborenen Sohn birgt. Fragen will ich, was sie in dieser Unwirklichkeit zu suchen haben, doch ihre zutiefst traurigen Augen richten sich auf etwas hinter mir.
Alarmiert wirble ich herum, ziehe das Schwert, das mich glücklicherweise hierhin begleitete. Die Bruxa steht dort ... oder schwebt, denn ihre baren, schwarz verfaulten Füße, an denen einige Zehen bereits fehlten, berühren den Boden nicht. Sowohl Züge ihrer verwesten wie anmutigen Gestalt finden sich an ihr, was sie jedoch umso grotesker wirken lässt. Das Antlitz zur einen Hälfte das einer Leiche, zur anderen das einer jungen Frau. Wahrlich ein Anblick, der nur einem verhexten Geist entspringen kann.
Ich stelle mich vor meine Kinder. Der Schutz ihres Seins, obwohl sie nur die Schatten von etwas sind, was einmal sein könnte, ist mir das Wichtigste. Jedoch plötzlich treten mein Sohn und meine Tochter mir zu Seiten. Mit gezogenen Schwertern, die eindeutige Eigenheiten aus der Hand eines wohlbekannten Schmiedemeisters aufweisen. Nur ihr Vater kann sie ihnen überreicht haben. Erneut alterten sie, scheinen ihre Adoleszenz bereits erreicht zu haben. Starke Krieger wurden sie. Unzweifelhafte Kinder Durins, gänzlich in ihrer Herrlichkeit wie in alten Bücher als besonders heldenhaft, unverzagt und imposant beschrieben. Ihr Adad wird stolz auf sie sein, sollte er sie eines Tages so sehen. Ich bin es.
Allerdings, als ich die Bruxa durch ihre unterstützende Stärke von jedweder Furcht befreit neuerlich ansehen möchte, ergreif beengende Panik das für einen Moment stillstehende Herz. Das Bündel hält sie plötzlich in den knochendürren Armen, streckt die langen krallenbewehrten Spindelfinger einer Hand nach dem Gesichtchen meines Sohnes aus und sieht mich dabei aus blutroten Augen an.
„Er wird sterben", faucht sie mit todbringender Stimme. Prophezeiung, Fluch, Einschüchterung ... ich weiß nicht, welch Absicht hinter ihrer Aussage steht. Jedoch egal ist es. Der Schmerz über ihre Worte ist der grauenvollste, den ich je spüren musste. Er zerreißt das Herz in tausende und abertausende Stücke. Langsam. Leidvoll. Zwingt mich in die Knie. Der Schnee eisig kalt. Der Wind heulend. Das Klagen meiner Kinder quälend anzuhören. Niemals wieder, wird es heilen. Niemals wieder frohgemut schlagen. Niemals vergessen. Niemals vergeben.
Töte mich anstatt seiner, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, flehe ich unter auf den Wangen gefrierenden Tränen. Zu ihr, zu Mahal, zu Ilúvatar selbst. Wer auch immer das Verlangen erhören mag, er soll mir diesen Schmerz ersparen, an dem ich ohnedies leidvoll zugrunde gehen würde.
„Wie du wünschst", hohnlacht die Bruxa und die Kälte und den Verwesungsgestank ihres Wesen kann ich längst übelkeitserregend wahrnehmen, so nah kam sie mir bereits, spüre, wie die Spitzen der Krallen über meine Wange kratzen und wie heißes Blut austritt ... da jault sie plötzlich schmerzerschüttert auf. Die Traumwelt erzittert. Der Sturm flaut ab. Die Eiseskälte verschwindet ... und ich falle tief in eine bodenlose Dunkelheit, die sich unter mir öffnet wie ein jäher Riss in Raum und Zeit.
Samtig-warm kitzeln die Strahlen der Spätnachmittagssonne die brennenden Wangen. Vögel höre ich über mir zwitschern. Weit entfernt das wilde Rauschen eines Flusses. Frisches Gras, weiches Moos und knisternde Blätter des vergangenen Herbstes, fühle ich unter den Fingerspitzen. Langsam nur kehrt das Bewusstsein in das Hier und Jetzt zurück, klammert sich mit aller Macht an Sinneseindrücke, um nicht erneut den Halt zu verlieren.
„Astâ?!" Thorins Stimme jedoch ist es schließlich, die genügend Mut und Stärke verleiht, damit ich mir getraue, die Augen zu öffnen. „Oh Mahal nimmt meinen unendlichen Dank, wie habe ich befürchtet, dich verloren zu haben." Kopf und eine Wange, an der heißes Blut klebt, schmerzen fürchterlich ein bitterer, metallischer Geschmack liegt schwer auf der Zunge. Klamm kleben die Kleider an dem ausgekühlten Körper und nur verschwommen kann ich seine Gestalt, wie sie sich in mein Sichtfeld beugt, wahrnehmen. Dennoch versuche ich mich, mit seiner Hilfe aufzurichten. „Was ist geschehen?"
Er gibt mir einen Schluck Wasser aus seinem Trinkbeutel. Ein wenig vertreibt die klare Kühle Schwindel und Bitternis. „Die Burxa hat uns mit ihrer Zauberkraft angegriffen. Du bist wehklagend unter ihrem Wirken zusammengebrochen, beinahe ertrunken. Zum Glück konnte ich sie mit einem Pfeil töten, der, obwohl ich in Panik nicht genau zielte, direkt in ihr Herz traf. Ein echter Elbenbogen halt, den du da besitzt, der immer sein Ziel trifft. Verhindert hat er womöglich rechtzeitig, dass sie dich gänzlich in ihr Unheil zog. Dennoch warst du seitdem bewusstlos und dein Körper so, so kalt und egal, was ich auch versuchte, er wurde einfach nicht wärmer." Schnell spricht er, aufgeregt und weiterhin mit der ausgestandenen Furcht um mein Leben in der bangen Stimme.
Ich sehe in das Feuer neben mir, dass er wohl dafür entzündete, denn mit wenig Sorgfalt wurden die hastig zusammengesammelten kaum genügend getrockneten Stöcker aufgestapelt. Sehe an mir hinunter, denn von einem Großteil der durchnässten Kleider befreite er den ausgekühlten Körper und hüllte mich stattdessen in Decken und seinen Mantel. Sehe in seine Augen, denn die Sorge über meinen Zustand schimmert darin wie geborstenes Eis. Keinerlei Erinnerungen habe ich an all das, gleichwohl fühle ich Übelkeit und einen vorher nicht dagewesenen Schmerz das Herz martern, der mir fürchterliche Angst bereitet.
„Kannst du mich in den Arm nehmen", bitte ich in der aufkommenden Verzweiflung ob seiner Gewalt und nur allzu rasch kommt er diesem Wunsch nach, schließt den unter plötzlichen ungehemmten Tränen heftig zitternden Körper in eine schützend-beruhigende Umarmung. Stark ist er. Ein unerschütterlicher Fels, trotzend jedweder Flutwelle, die das Leben auf ihn oder seine Liebsten einbranden lässt. Jedoch Situationen gibt es dennoch, in denen gleichermaßen er schwankt, sich hilflos fühlt, überfordert von Gefühlen und vor allem Ängsten, die er sich dann auch als Krieger zugesteht. Diese hier, ist eine solche, das weiß ich wohl. Gleichwohl zeigen will er mir dies nicht, denn niemals zuvor mehr als jetzt gerade brauche ich ihn.
Nicht weiter heimwärts ziehen wir an diesem Tag, trotzdem der Fluss nahe ist. Jedoch davon aus geht Thorin und ich hoffe es sehr, dass die Bruxa wirklich tot ist. Des Nachts liege ich in seinen Armen, fühle mich wieder sicher und wärmer, und kann dennoch nicht schlafen. Die Befürchtung quält, dass der Schmerz im Herzen, obwohl er milder wurde, für immer bleibt. Ununterbrochen versuche ich, mich daran zu erinnern, was die Dämonin mir zeigte, denn das es die Vision von etwas Unheilvollen war, das spüre ich deutlich. Jedoch nur klirrende Kälte, die durch den Körper schaudert, beschwört das Nachdenken herauf. Thorin bemerkt das Zittern und zieht mich enger in seine Umarmung. Unsere letzte Nacht in Freiheit, so haben wir sie uns nicht vorgestellt.
„Findest du keinen Schlaf?", fragt er übermüdet klingend und haucht mir einen tröstlichen Kuss auf die Wange. Ich schüttle den Kopf, rutsche näher an ihn heran, kuschle mich tiefer an seine Brust und in das Fell seines Mantels, den ich weiterhin tragen darf. Er riecht so gut nach ihm. Ein verbrennender Ast des Lagerfeuers knackt laut, während ein Käuzchen in der Ferne ruft. Wie gerne würde ich für immer hier liegen bleiben.
Beruhigend streicht er mir über den Rücken. „Möchtest du erzählen, was dich ängstigt?", fragt er leise. „Wenn ich das nur könnte", antworte ich traurig und erklären ihm das Dilemma und dennoch einhergehende Gefühl, das meine Brust ganz eng werden lässt und mir den Atem vor Furcht nimmt. „Ich bin mir sicher, da die Bruxa nun tot ist, wird sie dir nichts mehr anhaben können. Was auch immer sie dir zeigte oder antat, es wird nur ein Trugbild bleiben." Wie gerne würde ich seine Zuversicht teilen, jedoch sie beruhigt mich so weit, dass ich erschöpft von den Ereignissen schließlich doch einschlafe.
Die letzte Etappe des Weges legen wir schnell und ohne erneute Vorkommnisse zurück, erlauben uns sogar eine längere Rast am Ufer des Sees und beobachten Enten und Schwäne, die sich derweil darauf niederließen, wie sie über das glitzernde Wasser paddeln und darin nach Nahrung gründeln. Es ist so friedlich hier und kaum vermisse ich den immer lärmenden, immer hastigen Trubel des Berges. Jedoch zurück müssen wir. Der Proviant geht zu Ende und Sorgen werden sich unsere Liebsten unnötig bereiten, sollten wir noch länger fernbleiben.
Mit einem Stein der als Keil diente, hielten wir die Tür in den Berg hinein einen Spalt offen, so dass wir sie leicht in der Felswand wiederfinden können. Zwergentüren besitzen bekanntlich die nützliche und gleichwohl leidliche Eigenschaft, fast vollständig mit ihrer Umgebung zu verschmelzen, sobald sie sich schließen. Selbst ihre Erbauer haben dann oft Schwierigkeiten, sie wiederzufinden und oft mit Sprüchen muss man sie zusätzlich beschwören, damit sie sich wieder öffnen lassen.
Ein Strom der beständig warmen, nach Feuer, geschmiedetem Eisen, Kohlestaub und Steinbruch riechenden Luft dringt durch die Öffnung hinaus. Der Geruch der Heimat. Ein letztes Mal blicken wir in den Wald und ganz so, als wolle er uns stellvertretend für alle Geschöpfe, die darin hausen, verabschieden, kriecht der kleine Hase, der erschrocken davon hoppelte, als wir die Ebene das erste Mal betraten, aus dem Unterholz hervor, stellt sich auf die Hinterbeine und schnüffelt mit niedlich wackelnder Nase.
Thorin hält die Tür für mich auf. Jedoch die Schwelle übertrat ich noch nicht gänzlich, da nimmt er mich überraschend in den Arm. „Einen letzten Kuss in Freiheit", haucht er und verschließt meine Lippen sanft mit den seinen. Ich hoffe dessen nicht.
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