Melme
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Eng und spärlich beleuchtet von mit Zauberkraft am flammen gehaltenen Fackeln ist der Gang, der tief, tief in das Innere des Gebirges führt. Das Gestein der Wände, an denen ich mich vorsichtig Vorantaste, alt und grimmig schweigsam. Die reinen Mineralien und kostbaren Edelsteine darin, die ich gleichwohl deutlich mit den Sinnen erfasse, ebenso stumm. Es sind ihrer viele. Frei von Angst aus ihrem Schlaf gerissen zu werden. Nur selten verirren sich gewöhnliche Zwerge hierher. Nur wenigen ist der Weg überhaupt bekannt.
Das sanfte Tröpfeln von seit Jahrhunderten in haarfeinen Kanälen zusammensickernden und sich durch Poren aus dem Stein drückendem Wasser beständig zu hören. Immerwährend nieseln einige Tropfen von der niedrigen Decke, durchnässen Haar und Stoff und rinnen unangenehm kalt den Rücken hinab. Vorsichtig muss ich treten, um nicht auf dem glitschigen Boden auszurutschen, und die widerwärtig klammen Wände, trotzdem sie uneben gehauen wurden, bieten den zitternden Fingern kaum genügend Halt, um einen schmerzhaften Sturz zu verhindern.
Allein begab ich mich auf den Weg in die Teufe des Berges. Dorthin, wo das magische Wirken derjenigen, die ihre Wohnstätte nicht grundlos gerade hier errichtete, in jedem Stein und Wassertropfen deutlich spürbar wird, stärker wird, je weiter ich mich hinab wage, alle Adern und Venen wie ein Strom aus Silber und Gold und warmen Licht durchfließt. Ich erzittere vor dieser Kraft, gleichwohl jedweder Angst Einhalt gebietende Beherztheit und wohlgemute Hoffnung spendet sie. Aus der alten Erde der Welt, erschaffen aus Liedern und geformt von Gedanken, schöpft sie ihre Zauberkraft wie die über Zeitalter hinweg fortdauernde Jugend und Schönheit aus den Mädchen, die sie daher immerwährend begleiten müssen.
Das obwohl mir der Schimmer gewahr wurde, plötzlich auftauchende Ende des Ganges, öffnet sich in eine Höhle bezaubernder Herrlichkeit und faszinierender Wunder. Schwebteilchen, helllicht und flink wie Glühwürmchen, schwärmen wohin ich auch blicke, und bringen kleine Einschlüsse unbekannter Mineralien im Gestein ringsherum zum Aufflackern, sobald sie ihnen zu nahe kommen. Leer scheint das Gewölbe, bis auf die eher einem alten, verwitterten, mit Efeu und Moos überwucherten Stumpfen eines uralten Baumes gleichende Hütte in ihrem Zentrum.
Jedoch als ich einen ersten Fuß in sie setzte, erwartet mich der moosig-weiche Erdengrund eines Zauberwaldes, in dem Tannen, Buchen, Eichen, Fichten und Erlen plötzlich neben, vor und hinter mir in die Höhe wachsen. Bunte Pilze sprießen empor. Wacholder kriecht hier und da über den geschlungenen Pfad, der sich durch das Dickicht windet. Unter dem Haselgestrüpp verschwinden flink wuschelige Hasen. Zottige Baumbärte wiegen sich in einer leichten Brise, die durch die Wipfel streicht und mit Blättern und Zapfen spielt. Glitzernde Sonnenstrahlen brechen scharf wie Lanzen durch das Unterholz und spenden einzig Licht im tiefem, dunklen Wald, der doch nicht mehr als eine Illusion ist. Zu Sternenstaub würde dies alles zerfallen, sollte ich nur wagen, die Hand danach auszustrecken oder ein Wort über das Zauberhafte zu verlieren.
Daher vorsichtig bahne ich mir den Weg bis zur Hütte. Eine der Lichtpunkte kommt auf mich zu, umkreist den Eindringling in das Reich ihrer Herrin misstrauisch. Winzige Faien, nicht viel größer als ein Staubkorn, sind es, wie mir Dwalin einst verriet, nachdem ich ihm nach meinem ersten und bislang einzigen Besuch hier von den gesehenen Wundern berichtete. Keine Beachtung schenke ich ihr, gleichwohl ihr Licht mir sehr nahekommt. Warm und weich wie Sommersonnenstrahlen kitzelt es auf der Haut und das zarte Klimpern eines Glöckchens, geradezu wie ein kindliches Lachen wirkend, ist zu hören, kurz bevor die davonschwebt.
Die zwei riesigen Raben, die auf dem Spitzdach hocken, hölzern aber dennoch lebendig erscheinend mit ihren dunklen Augen und dem blau-schwarzen Gefieder, das in der Sonne strahlt wie Labradorit, mustern mich vom oben herab ebenso misstrauisch wie die kleine Faie. Nicht verwunderlich wäre es, sollten sie plötzlich kreischend ihre Flügel spreizen, um die Weite der Höhle zu erkunden, während ich an die schwarzhölzerne mit Efeuranken verzierte Tür klopfe. Dumpf hallt der Ton, obwohl ich zaghaft pochte, verfängt sich an den Wänden und wird von ihnen tausendfach zurückgeworfen. Der Zauberwald hinter mir erschreckt sich vor dem Poltern. Die Blätter rascheln aufgeregt und im brechenden Unterholz verstecken sich knackend allerhand Wesen.
Ohne das ich Schritte näherkommen hörte, öffnet sich die Tür fast augenblicklich mit einem leisen Quietschen der alten Scharniere und dem schleifenden Geräusch der Kante über den unebenen Steinboden. Niemand empfängt mich. Finster ist es im Inneren, gewiss die Anwesenheit Tharkûnas allzu deutlich spürbar.
„Herrin des Schicksals?", frage ich dennoch unsicher. Eintreten möchte ich nicht ohne Erlaubnis. Wer weiß, welch Bannzauber ungebetene Besucher fernhalten sollen oder was für Kreaturen darin hausen. Meine Stimme wird vollends von der Dunkelheit verschluckt. Als Reaktion erhalte ich alsbald ein leises Scharren, als würde das Ende eines Stockes über den Boden gezogen werden.
„Komm nur herein, Kind." Alt klingt ihre Stimme. Knarzig wie verzogene Dielen. Hexen gibt es in Mittelerde. Mit zuckersüßen Worten locken sie ahnungslose Seelen in ihre Hütten und verschlingen sie dort oder nutzen die Knochen und Zähne für ihre Zaubertränke. Während der warnenden Erzählungen die ich als Zwergling hörte, erklang ihr Tonfall gleichermaßen in meinem Kopf wie nun aus der Dunkelheit. Daher zögere ich furchtsam.
„Hab keine Angst", sagt sie, während ihre Schritte näherkommen. „Du bist gekommen, um Rat zu erbitten. Jemand, der dein Herz berührte, liegt im Sterben und nur die giftige Schönheit einer Blume kann ihn retten." Seherin ist Tharkûna. Schicksalsbotin. Heilerin. Gelehrte. Druidin. Alt wie der Mond, geboren aus seinem Licht und dem Stein, der unsere erste Heimat gestaltete. Keine Gefahr geht von ihr aus. Zumindest keine weltliche. Dass sie imstande ist, Flüche und Verwünschungen gegen diejenigen auszusprechen, die ihr oder dem Volk der Langbärte, dem sie seit Anbeginn dient, Schaden zufügen wollen, wird kaum überraschen.
Daher langsam trete ich ein und werde sofort von der Schwärze verschluckt, da selbst das gleißende Sonnenlicht von außerhalb nicht vermag die Finsternis zu durchdringen. „Können wir ein Licht entzünden?", frage ich kleinmütig, denn seitdem ich mehr als einmal in sie fiel, vermeide ich das vollkommene Dunkel möglichst. Tharkûna weiß natürlich um das erlebte und ist nachsichtig, obwohl ich vermute, nicht umsonst sucht sie gerade die verbergende Lichtlosigkeit.
Das Ratschen des Zündholzkopfes an der Reibefläche ist zu hören und wie die Flamme knisternd entzündet wird, Augenblicke nachdem ihr spärlicher Schein licht nur das Dunkel vertreibt. Kerzen, an denen erstarrte, bizarr geformte Wachsnasen davon zeugen, dass sie bereits viele Stunden brannten, werden mit ihr entfacht. Ihr flackernder Schimmer offenbart das kostbare aus Heilsteinen, Drüsen, Kräuterfläschchen, seltsamen Artefakten und allerhand alten Büchern bestehende Sammelsurium einer Seherin, und erfasst schließlich Tharkûnas gebeugte, bucklige Gestalt und diese erschreckt mich sehr.
Kein junges, unschuldiges, reines Mädchen steht gegenwärtig an ihrer Seite, um sie mit ihrer Jugendlichkeit und Schönheit zu bereichern. Alter und Verfall zeichnen sie daher. Tiefe Furchen graben sich durch die Haut, die so dünn und fahl wirkt wie Seidenpapier. Das lange sonst flammenrote in einem dicken Zopf getragene Haar schimmert nun silbern. Knochig erscheinen die leicht zitternden Glieder, die den Anschein erwecken den Körper nur noch wenige Augenblicke in einer aufrechten Position halten zu können. Schwer stützt sie sich daher auf den ihr ihren Namen gebenden Stock mit dem Mondstein an der Spitze. Kaum selbst wird sie den zerfallenen Anblick ertragen können. Allein ihre Augen waren es, die bislang ihr wahres Alter zeigten. Warmherzig betrachtet sie mich mit ihnen und sieht mir den erschrockenen Gesichtsausdruck hoffentlich nach.
Ich verbeuge mich sofort, nachdem der Moment des Schocks verging, tief und ehrfürchtig vor ihr und ihrer Macht. „Seid gegrüßt, oh erleuchtete Mutter des Mondes", wispere ich respektvoll leise. „Den Grund, weshalb ich Euch aufsuche, habt Ihr bereits richtig erkannt." Sie kommt langsam auf mich zu. Das Ende ihres Stockes klackt bei jedem Schritt auf den steinernen Boden. Silbern leuchtender Mondstaub rieselt dabei herab, glüht noch einen Moment nach und zeichnet eine Spur hinter ihr drein.
„Niphredil", flüstert sie andächtig. „Die Blume Lúthiens. Bezaubernd in ihrer Einfachheit und Stark in ihrer Schönheit ... ebenso wie die Liebe." Sanft berühren mich ihre spindeldürren Finger mit den spitzen Nägeln an der Wange. „Du kennst ihre Geschichte?" Wer nicht? Die Elbenmaid Lùthien, die ihre Liebe Beren schenkte, einem Sterblichen. Vor sehr, sehr langer Zeit. Unmögliches gelang ihr. Der listenreiche Sieg gegen Morgoth, dem schrecklichen, dunklen Herren über alles Böse. Sogar das sonst so unerbittliche Herz Mandos' konnte sie mir ihrem Gesang erweichen und ihn somit dazu bringen, ihren Geliebten nach dessen entsetzlichem Tod aus seinen Hallen zu entlassen. Wie gerne hätte ich auch nur einen Funken ihrer Kraft in mir.
Jedoch nicht verständlich ist mir, warum die doch so unscheinbare Blume mit ihr in Verbindung gebracht wird. Tharkûna erkennt die mit der Unwissenheit einhergehende Frage und beantwortet sie mir, bevor ich sie stellen konnte. „Erstmals erschien die Niphredil in Beleriand, im Königreich Doriath, als Lúthien geboren wurde. Und als sie starb, bereiteten ihre Maiden ihr ein Bett aus der weißen Blume. Seitdem wächst sie einzig in Lothlórien, denn der Herrin Galadriel gelang es, einige Samen und ihr Angedenken zu retten."
„Niphredil ließ sich in diesen Gefilden finden?" Eine erstaunliche Offenlegung. Beleriand verschwand im Krieg des Zorns, der so gewaltig war, dass die Erschütterung der Schlachten vermochte einen ganzen Landstrich im Meer versinken zu lassen. Jenseits des blauen Gebirges, dass einst seine östliche Grenze markierte, lag es. Tharkûna nickt. „Ist es möglich ... könnte es vielleicht sein, dass ..." Ich getraue mir nicht, die Frage auszusprechen. Zu groß die Gefahr, dass die dennoch im Herz keimende Hoffnung enttäuscht wird.
Die alte Seherin lässt sich erschöpft von dem langen Stehen und Reden in einen Sessel sinken, aus dessen Polstern kleine Staubpartikel aufgewirbelt werden. Einige von ihnen niesen leise und schweben aufgeregt umher, was die Vermutung schürt, dass dort ruhende Faien ausgestreckt wurden und nun verärgert blinkend einen neuen Schlafplatz finden müssen.
„Es gab sie, wachsend auf einer Lichtung im Wald auf der anderen Seite des Gebirges. Jedoch seit Jahrzehnten nahm ich den beschwerlichen Weg nicht mehr auf mich." Tage, wenn nicht sogar Wochen, würde es dauern, dorthin zu gelangen, und sicher ist nicht, ob wir die Waldwiese finden würden und Niphredil noch immer dort wächst. Es ist zum Verzweifeln. So nah bin ich einem Heilmittel, einer Rettung für Dwalin, aber dennoch unerreichbar trotz all der Kraft, die ich aufbringe und weiterhin aufzubringen vermag, liegt sie vor mir. Untröstliche Tränen laufen plötzlich kalt die Wangen hinab.
„Du liebst ihn sehr", murmelt Tharkûna und ihre alte Stimme ist warm, beruhigend und so, so heilsam. Sie spendet unverhofften neuen Mut und Zuversicht, wo ich befürchtete, dass keine mehr gedeihen kann. „Er ist derjenige, dem ich so viel verdanke, mein Leben und alles, was ich bin. Ich vertraue ihm mehr denn jedem anderen." Tief in das Herz kann die Seherin schauen, keinerlei Sinn noch Grund hat es daher, ein Gefühl oder Ereignis vor ihr zu verbergen. Dennoch getraue ich mir nicht ihr gänzlich mit eigenen Worten zu erzählen, was Dwalin und mich verbindet ... oder einst verband. Sie ist mir dessen nachsichtig und blickt stattdessen zu einem der sich unter der Last von vielen Dingen biegenden Regale.
„Sei doch so gut, Kind, und gib mir dieses Kästchen, das sich dort oben befindet." Mit dem knochigen Finger zeigt sie zu einem Gegenstand auf dem obersten Regalbrett. Einen kleinen bereitstehenden Hocker muss ich zu Hilfe nehmen, um ihr den Wunsch zu erfüllen. Nachdem ich sie jedoch herunter angelte und schließlich ehrfürchtig in den Händen halte, denn Kostbares ruht unzweifelhaft darin, erscheint sie mir eigenartig bekannt.
„Öffne sie ruhig", erlaubt Tharkûna, als ich sie ihr überreichen möchte. Zögerlich nur komme ich der Aufforderung nach. Allerdings kaum hob ich den kunstvoll mit Schnitzereien verzierten Deckel an, da erfüllen Düfte den Raum, die an blühende Frühlingswiesen erinnern - an den Geruch des aufgewirbelten Staubs während eines reinigenden Sommergewitters - an raschelnde rote, gelbe und orangene Blätterhaufen im Herbst - an ein prasselndes Kaminfeuer das die rotgefrorenen Hände nach einer Schneeballschlacht wärmt. Körper und Geist vermögen die enthaltenen Kräuter zu beleben und nun wird mir gewahr, woher ich das Schächtelchen kenne.
„Oin erhielt es einst von der Herrin Galadriel als Geschenk", sage ich verwundert. „Warum ist es hier?" Tharkûna lächelt einzig als Antwort. Wie ein Schatz hütet der Heiler die bescherten Kostbarkeiten, auch, wenn er ihr Vorhandensein möglicherweise unlängst vergaß. Genauso wie ich das Elbenbuch. Jedoch niemals hätte er es ihr überlassen. Oder fand es etwa durch Zauberei seinen Weg hierher, wohlwissend, dass ich die Schicksalsbotin um Hilfe erbitten werde?! Liegt sie wohl darin verborgen?!
„Such nur, ob du sie findest", fordert sie mich auf. Vorsichtig lege ich einen nach den anderen der getrockneten Kräuterbüschel auf einen Tisch. Bisher kamen mir wenige der Pflanzen bekannt vor, gleichwohl ich sie nur anhand gesehener Zeichnungen einem Namen zuordnen kann. Beinahe der Grund ist bereits zu sehen, da berge ich ein schwarzes Samtsäckchen. Allzu leicht fühlt es sich jedoch an und ich zweifle an einem brauchbaren Inhalt.
Tharkûna gleichwohl nickt auffordernd und ermutigend und so entknote ich die Bänder, die es verschlossen hielten, und schüttle mir die enthaltenen Wunderdinge in die Hand. Samenkörner sind es. Kleine, unscheinbare, braune, spitze Samenkörner. Fragend nach ihrer Bedeutung ersuche ich die allwissende Frau mit meinen Blicken.
Schwerfällig erhebt sie sich, kommt langsamen Schrittes auf mich zu und umschließt meine Hand mit den Samenkörnern darin mit den ihren. „Niphredil", flüstert sie andächtig. „Der gerettete Samen. Die Herrin Galadriel wusste in ihrer weisen Voraussicht, dass du sie eines Tages brauchen wirst."
Kaum zu begreifen ist dieses plötzliche Glück. Flirrende Aufregung strömt durch meinen Körper und lässt mich erzittern. Mit diesen wenigen Samen bereits lassen sich so viele retten. Neue werden aus den gedeihenden Blumen fallen und erneut wachsen. Jedoch die Hoffnung für Dwalin und Thona ist verloren, wie mir jäh bewusst wird. Zu lange Zeit wird es brauchen, bis die Ersten erblühen und damit Heilung bringen können. Tränen darüber vergieße ich. Tränen der Freude und der Trauer gleichermaßen. Wie sehr schmerzt mein Herz in dem Bewusstsein, die endgültige Lösung in den Händen zu halten, jedoch nichts mehr für beide tun zu können. Der Gram droht es mir qualvoll aus der Brust zu reißen.
„Nein", holt mich Tharkûna ruckartig aus der Verzweiflung zurück. „Hoffe nicht, mein Kind, denn Hoffnung liegt nicht in deiner Hand. Sie ist vergänglich, niemals Gewissheit und von Dingen und Ereignissen abhängig, die du nicht beeinflussen kannst. Allein der Glaube daran, dass alles gut wird, wird dir keine Erfolge bringen." Verwundert betrachte ich sie. Ihre Worte sind wahr, das begreife ich schnell. Tatenlos saß ich an Dwalins Krankenbett, bettete zu Mahal, dass er ihm helfen solle, musste dennoch mit ansehen, wie es ihm immer schlechter ging. Erst die Erinnerung an das Elbenbuch und die Entscheidung, Ori darin suchen zu lassen, eröffnete uns einen Weg. Ihn gegangen bin ich und stehe nun hier, mit dem Heilmittel in meinen Händen. Jedoch allein mein Wille wird die Samen nicht zum Gedeihen bringen. Schon gar nicht rechtzeitig.
„Fea und Hroa sind nur gemeinsam stark und zu großen Taten fähig, gleichwohl nichts sind sie ohne Melme, der Liebe. Für sich selbst und zu anderen. Sie ist der Ansporn für all unsere Handlungen. Nur aus Liebe handeln wir umsichtig, mutig, selbstlos. So wie Beren, um seine Luthien zu gewinnen und so wie Luthien, um ihren Beren zu retten." Ich schüttle dennoch verzweifelnd den Kopf. „Ich kann ihn nicht lieben, ich darf es nicht ... nicht so, wie er es will und mehr als jeder andere verdient."
„Gleichwohl bist du hier. Aus Liebe zu ihm." Tharkûna öffnet mit den ihren meine Hand. Klein und so, so wertvoll ruhen die Samenkörnchen darin. Ich stelle mir vor, wie meine Liebe sie zum Wachsen bringt, wie wunderschön sie anzusehen sind, wie Dwalin mit ihr geheilt wird und mich in seine Arme schließt, während Tränen darauf fallen wie Regentropfen.
„Komm", fordert Tharkûna und führt mich zur Tür. Gleißend helles Sonnenlicht erfüllt das Innere der Hütte, nachdem sie sie einen Spalt nur öffnete. „Wirf sie hinaus." Zweifelnd sehe ich sie an. Wenn ich dies tue, sind sie verloren, denn niemals werde ich sie wiederfinden können. „Vertrau mir", sagt die Seherin und ja, ich vertraue ihr und ihrer Weisheit. Daher ohne hinterherzublicken, werfe ich sie Samen nach draußen und Tharkûna schließt die Tür wieder.
Ab wendet sie sich danach von mir, jedoch nur, um einen Weidenkorb unter dem Tisch hervorzuholen. „Versprich mir eins noch, Kind", wünscht sie und überreicht ihn mir. „Höre immer auf dein Herz. Es wird dir den Weg zeigen, den du gehen musst, um glücklich zu werden." Schon einmal gab mir eine weiße Frau diesen Rat. Nicht zu jeder Zeit befolgte ich ihn allerdings. Schuldbewusst nicke ich daher zusichernd. Sie Seherin lächelt und öffnet dann erneut die Tür, weit dieses Mal, so, dass ich hindurch ins Freie treten kann.
Das Licht blendet. Nichts sehen kann ich zuerst. Jedoch warm und wohlig wie Sommersonne legt es sich auf die Haut und erinnert mich an die vielen Ausflüge auf die blühenden Wiesen, die sich hinter der Anhöhe vor den Toren des Berges ausbreiten. Wie oft lag ich dort mit Dwalin im hohen Gras, umgeben von Blumen und Schmetterlingen, lauschte den summenden Bienen und vergnüglichen Vogelliedern und beobachtete die Wölkchen, die über uns den blauen Himmel entlangzogen, derweil unsere Pferde unweit grasten. Frei und glücklich fühlte ich mich allzeit während dieser kostbaren Stunden. Keine Verpflichtungen, keine Ränke, keine Etikette begleiteten uns bis dorthin, denn außerhalb der Schatten des Berges lag unser Ort der Zweisamkeit. So manchen Kuss gaben wir uns dort, versteckt zwischen hohen Gräsern. So manchen Schwur leisteten wir, wissend darum, dass er nur hier Gültigkeit besitzt.
Langsam nur gewöhnen sich die Augen an die Lichtfülle. Gleichwohl ich annehme wieder klar sehen zu können, denke ich zu träumen. Verschwunden ist der tiefe, dunkle Zauberwald und anstatt ihm eine grasige, sonnenlichtüberflutete Lichtung mit nur wenigen hohen Linden an ihrem Saum breitet sich in der Höhle aus. Vögel sitzen zwitschernd zwischen den Ästen. Jedoch das Herrlichste an dem bezaubernden Anblick ist, über und über ist sie bewachsen mit wunderschönen weißen Blümchen. Mit Niphredil.
„Nimm so viele du tragen kannst", erlaubt Tharkûna hinter mir. Allerdings zögere ich. Zu Sternenstaub könnten sie zerfallen, sobald ich nur die Hand nach einer von ihnen ausstrecke. „Das wird nicht geschehen", versichert die Herrin über den Zauber. „Sie sind echt und beständig, genauso wie deine Liebe, denn aus ihr erwuchsen sie."
Gerührte Tränen brennen hinter den Augenlidern, jedoch keine Zeit will ich damit vergeuden, sie zu weinen. Samtig weich fühlen sich die Stängel der Niphredil an und leicht lassen sie sich pflücken. Schnell füllt sich der Korb und aufgrund ihrer Zartheit jeden einzelnen Zwerg in Thorins Hallen könnte ich mit der gesammelten Menge zweimal heilen.
Ich habe es geschafft.
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