Liebe währt für immer, auch wenn sie schmerzt (Sonderkapitel aus Dwalins POV)
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Sonderkapitel aus Dwalins POV
Ganz mulmig ist mir, während wir die breiten Treppenstufen zum Anwesen hinaufsteigen. Jeder Schritt führt uns tiefer in die fast schon lächerlich boshafte Dunkelheit, die hier lauert und jedwedes angenehme Gefühl zu verschlingen scheint. Gefahr spüre ich mit den Sinnen eines Kriegers, obwohl selbst ein kleines Kind diese, wenn auch nicht in all ihrer Verderbtheit, wahrnehmen würde.
Zwei steinerne Wächter, abstrakte Abbildungen von Greifen mit riesigen gebogenen Schnäbeln, langen Beinen, an denen Krallen prangen, die sich haltsuchend um den Sockel legen und dagegen absurd wirkend kleinen Flügeln, bewachen die imposante Eingangstür, vor der die Treppe schließlich endet. Astâ betrachtet die ihre nahe Skulptur mit Abscheu, obwohl sie Besucher, erwünschte wie unerwünschte, wohl eher in abschreckende Angst versetzen sollten. Risse ziehen sich durch das Gestein, lassen das Antlitz des Greifen wie narbenzerfurcht wirken. Vergleiche zu dem der einst hier residierte, zieht sie vermutlich.
Ihr allein gehört nun dieses Herrenhaus, wie so vieles andere Protzige und Vorteilhafte in und außerhalb dieser Hallen, das sich bis vor kurzem noch im Besitzstand von Herzog Storr befand. Eine ertragreiche Köhlerei, drei gutgehende Schneidereien, mehrere Hektar Ackerland, das von zwei Bauernfamilien in Leibeigenschaft bewirtschaftet wird, weitere vermietete Anwesen, etliches an Vermögen und Anteilen an Geschäften und Werkstätten. Für ihr Leben hat sie ausgesorgt und könnte nun entscheiden, dieses gänzlich unabhängig von ihrem Dienstverhältnis zu führen. Niemand von uns würde ihr diesen Entschluss verübeln.
Bisher keinen einzigen Tag verbrachte sie in wirklicher Freiheit. Immerzu hing ihr Überleben von dem Wohlwollen anderer und den Umständen ab, die sich ihr boten. Und noch etwas könnte ihr die Selbstbestimmtheit erlauben: Das Verhältnis mit Thorin unbefangener auszuleben, denn wenn sie beschließt, abseits des Hofes zu wohnen, haben all die missbilligenden und verächtlichen Augen keine Gelegenheit mehr dieses zu entdecken. Vielleicht sogar eine Regelung könnte mein Bruder finden, da sie nun zusätzlich zu Titel, Stellung und Macht Vermögen und Selbstständigkeit erlangte, dass sie der Würde der Königin über Durins Volk genügt. Sollte dies sie glücklich machen, dann ebenso ist es dem meinem Glück erträglich.
Die Scharniere der Tür wurden vier Jahrzehnte nicht mehr bewegt, so dass es einiges an Kraftanstrengung von Thorin und mir verlangt, um sie aufzustemmen. Der staub-modrige Geruch des langen Leerstandes weht uns entgegen, als sie sich schließlich unter Ächzen und Knarzen öffnet. Durch die vielen Luftschächte dringt helles, wenn auch durch aufgewirbelte Staubpartikel getrübtes Tageslicht. Doch das überall vorherrschende dunkle Walnussholz kombiniert mit den weinroten Stoffen von Möbeln, Teppichen und Vorhängen verleihen dem Inneren eine düstere Atmosphäre, die die bereits auf dem Weg hierher gespürte übelgesinnte Finsternis nur noch verstärkt.
Vorsichtig setzt Astâ einen ersten Schritt in ihr Anwesen, angespannt, wachsam, die Hand dort platziert, wo sonst der Griff ihres Schwertes baumelt, ganz so, als befürchte sie einen heimtückischen Angriff. Seinen Angriff. Aus den Hallen geworfen wurde er und allen Wachen und Kriegern untersagt, ihn jemals wieder hineinzulassen. Jedoch trotzdem er entmachtet wurde, Schergen aus den unterschiedlichsten Ständen, teilweise ebenfalls dem Königshaus bösgesinnt, könnten ihn noch immer beistehen und ihm dazu verhelfen doch einen Weg zurückzufinden. Allzeit wachen muss ich über sie, denn er drohte damit, dass wir seine Verurteilung irgendwann einmal bereuen werden.
Sie wischt mit den Fingerspitzen durch den zentimeterhohen Staub, der auf einer Kommode nahe der Tür das edle Holz ganz grau wirken lässt. Ekelhaft dickt bleibt er an der Haut kleben. Viel Arbeit wird es bedingen, diesen Ort in so etwas wie ein behagliches Zuhause zu verwandeln. Storrs verächtliches Gemüt kroch tief in das Gemäuer und ich mag mir nicht vorstellen, was innerhalb dieser Wände alles geschah. Gerüchteweise nur hörte ich von auszehrenden Schindereien der Dienerschaft, Trinkgelage, die regelmäßig in Exzessen ausarteten und Huren, die er zu sich holte, tagelang festhielt und nur auf Drängen der von den Bordellbetreibern alarmierten Stadtwache mit Anzeichen schwerer Misshandlungen entließ. Jedoch niemand getraute sich ihn zur Verantwortung zu ziehen, gegen ihn auszusagen oder anzuzeigen. Bis jetzt.
„Es besitz ... Potenzial", meint Thorin optimistisch mit einem zusätzlich aufmunternden Lächeln, während Astâ an einer Gardine die Finger vom Staub säubert. Er sprach ihr all dies zu, als Entschädigung für die Tat, nicht wissend, in welchen Zustand Storr sein Hab und Gut abtrat und ohne Überlegung, was sie damit überhaupt anfangen könnte, es überhaupt ihr Eigen nennen will. Denn nachdem wir den Eingangssaal durchschritten und die breite Freitreppe zum oberen Geschoss erklimmen, verharrt sie plötzlich zu einer Steinfigur wie die vor der Türe erstarrt auf deren Absatz. Ich folge ihrem Blick und erkenne sofort den Grund. Das unschöne Antlitz des ehemaligen Besitzers prangt dort groß und düster auf einem Gemälde. Was sie wohl bei seinem Anblick denken und empfinden mag? Angst, Hass, Genugtuung ... welches Gefühl sie auch bewegt, ich gewahre es nicht an ihr, obwohl sie solcherlei doch sonst so offen zeigt.
Thorin bettet eine beschützende Hand auf ihren Rücken, holt sie somit aus der entsetzten Starre. Sehr viel besser denn ich es jemals konnte, vermag er es nun ihren Gemütszustand zu werten, wenngleich mir Astâ erzählte, dass er gleichwohl nicht das Unwohlsein bemerkte und wie fürchterlich sie sich vor Storr ängstigte, als er sie im Salon empfing. Sein Gespür für die Belange und Empfindungen anderer wird bisweilen arg beeinträchtigt durch das überblendende Geglitzer von Macht, glorreichen Versprechungen und Schätzen aller Art. Eine Eigenart, dem viele Zwerge erliegen, jedoch bei niemanden ist sie so verheerend ausgebildet wie bei den direkten Nachfahren Durins. Nicht nur Nobles liegt ihnen im Blut, sondern auch allerlei an Verderblichen.
„Ich glaube nicht, dass ich hier wirklich in Frieden wohnen könnte", flüstert sie schließlich. Sie weiß, dass Thorin keine Mühen und Mittel scheuen würde dieses Anwesen gänzlich nach ihren Vorstellungen für sie auszubauen und umzugestalten. Jedoch verstehen kann ich ihren Entschluss, die Zusprache nicht anzunehmen. Zumindest nicht für sich. „Ich möchte gerne eine Zwergenscholar hier eröffnen, für Jungen und Mädchen gleichermaßen, egal ob adlig oder bürgerlich."
Plötzlich freudig funkeln ihre Augen bei diesem vermutlich spontanen Einfall, und es ist wohl das schönste Licht, dass dieses Anwesen, in dem bislang nur Schmerz und Qualen abgründig herrschten, jemals erleuchtete. Die drückende Schwärze vermag es sogar zu durchbrechen, denn jäh nicht mehr ganz so schrecklich lastet sie auf den Gemütern. Ebenso Thorin scheint von der Idee begeistert. Wie auch könnte er ihre je eine Bitte abschlagen. „Wenn das dein Wunsch ist, dann werde ich den Ausbau gleich morgen anweisen und erlassen, dass ein Lehrkonzept unter deiner Führung und Mitwirkung entworfen wird."
Stolz leuchtet in seinen Augen auf, während er ihr anerkennend über die Wange streicht. Er schätzt ihren selbstlosen Eifer und den reinen Sinn für Gerechtigkeit gleichermaßen hoch wie den Mut und die Loyalität als Kriegerin im Kampf. Ebendarum verlor er sein Herz an sie. Denn obwohl er dies vehement ihr und mir gegenüber bestreitet, ich sehe es an den Blicken, mit denen er sie betrachtet, in kleinen liebevollen Gesten und dem unbedingten Drang sie zu beschützen. Er leugnet seine Liebe, um sie und ihr Seelenheil zu schützen, ebenso wie das seine. Gefährlich leben enge Vertraute des Königs und zu viel erlitt sie unlängst, zu oft bereits wurde ihr die Nähe zu ihm zum Verhängnis.
Sobald er sich eingestehen würde, dass er sie liebt, wäre ihr Lebensweg bedroht und ihr Verlust schmerzhafter als jede Wunde, die ein Ereignis bislang in seinem Herzen riss. Die Angst, sie zu verlieren, verdrängt den Drang, sie bedingungslos zu lieben.
Nachempfinden kann ich ihm diese Sorge. Dereinst verlor ich sie, da wir unsere Gefühle allzu offen zeigten. Der Schmerz darüber zerriss mein Leben und klaftertiefe Wunden im Herzen, die niemals verheilen werden. Verborgen liegen sie jedoch hinter einer hartsteinigen Mauer, die ich zum Schutz und aus Verzagen um sie schloss. Gleichwohl wir weiterhin in enger Freundschaft verbunden blieben, der Drang, sie nicht erneut zu verlieren, verdrängt die Angst, die ihr Bündnis zu Thorin heraufbeschwört.
Trotz alle dem, Rührung empfinde ich im Angesicht des vertraulichen, geradezu zärtlichen mit Schätzung und Zuneigung erfüllten Umgangs, den beide miteinander pflegen. Die hingebungsvollen Blicke, die sie tauschen, die fürsorglichen Berührungen, das achtsame Halten ihrer Hand, die sanften Worte. Selten bislang war es mir gewährt sie dabei zu beobachten, denn selbstverständlich in Gesellschaft, und sei sie noch so traulich, ist es das reservierte wenn auch in langen Jahren zueinander hingeneigte Verhältnis zwischen Herr und Dienerin, das ihr Handeln prägt. Nur weil ich um das Mehr weiß, gebaren sie sich mir gegenüber offener, gleichwohl vermutlich aus Rücksicht nicht annähernd so innig wie in ihren Privatgemächern. Von einem sanften Licht scheinen sie dennoch umgeben, während Thorin sie weiter durch die Räumlichkeiten führt, beide dabei mit feurigen Visionen Pläne für die zukünftige Lehranstalt schmieden. Und ich schwöre mir im Stillen erneut, alles in meiner Macht Stehende dafür zu geben, sie und ihr Glück zu beschützen. Denn das ihre soll das meine sein, so, wie ich es ihr versprach.
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Wunderschön und kostbar wie ein reiner Edelstein wirkt sie gehüllt in die ganze edle Pracht des neuen Kleides aus schwerem, dunkelblauem Samt, dass ihr Thorin anlässlich der Feier zu ihren Ehren auf den Leib schneidern ließ. Gleichwohl sie ein wenig peinlich berührt dreinschaut ob des Aufwandes, den Dís trotzend ihrer Bitte diese schlicht zu halten, sich dennoch bereitete. Jeder und jede des königlichen Haushaltes, die davon wissen, unter welchen Umständen sie dereinst in ihn einzog, lud die Herrin zu einem ausladenden Festessen ein. Gute Freunde sind sie seitdem geworden. Engste Vertraute. Beistehende Waffenbrüder. Heimliche Liebhaber.
In Thorins Blick funkelt erneuter wenn auch andersartiger Stolz, während er sie begleitet von dem Applaus der Anwesenden zu ihrem Platz an der Stirnseite des reichgedeckten Tisches führt. Kerzenscheinflackern tanzt auf ihrem ob der vielen herrlich duftenden Köstlichkeiten ganz verzückten Antlitz. Besonders die Pilzpasteten nach Hobbitart, zubereitet laut dem von einer Reise mitgebrachten Originalrezept, die sie seitdem so gerne isst, zaubern ihr ein begeistertes Lächeln auf die Lippen.
Gleichwohl erst eine Rede die Dís vorbereitete, müssen wir über uns ergehen lassen - verzeiht, dieser natürlich ehrfürchtig und die knurrenden Mägen mit der Standhaftigkeit eines Zwerges ignorierend lauschen. Wie gern wir alle sie bei uns haben und an welch glücklicher Fügung des Schicksals, das Tharkûna uns beiden bei der Geburt in die Wiege legte, es doch lag, dass ich sie fand und mit hierher brachte. Wie jung sie damals war. Was für große Abenteuer sie seitdem erlebte. Wie sie daran wuchs und an Stärke gewann. Vierzig Jahre sind eine lange Zeit, auch im Leben eines Zwerges und dass wir hoffen, noch viele weitere miteinander verbringen zu dürfen.
„Ich danke Euch, Herrin. Ich danke euch allen, für eure Freundschaft und Liebe", schluchzt sie von Tränen der Rührung ergriffen. Thorin lässt eine die Danksagung wertschätzende Hand über ihren Rücken streichen. Jedoch so viel mehr bedeutet die Geste, gleichwohl nur wahrnehmbar für die, die um ihre besondere Verbindung wissen. Ein Versprechen liegt darin. Auf eine zukünftige Lebenszeit, vierzig weitere Jahre und noch ewige darüber hinaus, gute wie schlechte, in Wohlstand, Sicherheit und von Zuneigung und Herzenswärme erfüllt. Er wird sie ihr geben – als Einziger von uns wirklich und bedingungslos geben können. Alles in seiner Macht und Habe Stehende, notfalls sogar sein Leben, dafür einsetzen. Und ich erkenne in ihrem Blick, dass ihr diese Zusicherung, vermittelt nur durch diese so einfache Berührung, in diesem Moment bewusst wird und wie viel es ihr bedeutet, derart beschenkt zu werden. Trotzdem in gleicher Weise etwas unheimlich scheint ihr das Gelöbnis.
Eine ausgelassene Feier genauso wie erwartet, mit Lachen und erinnerungsvollen Geschichten, während wir genüsslich speisen und trinken, wird es schließlich. „Und wisst ihr noch, als wir auf dem Rückweg in Bree im Haus von Bruni und Luisanne einkehrten?", fragt mein Bruder mit deutlich durch den reichlich genossenen Wein von den sonst so steifen Gebaren gelöster Zunge. „Bei Mahals dicken Bauch, mein Lebtag habe ich nicht so viel gegessen wie an unserem letzten Abend dort. Ich glaube, seitdem nie mehr gänzlich leer wurde mein Magen." Wir lachen und die damals mit Anwesenden nicken zustimmend mit den Köpfen. Wie begehrt waren dereinst die Pilzpasteten bei uns, deren Nachfolger nun halbaufgegessen auf dem Tisch vor sich hin dampfen. Als vollkommen unbeschwert, trotzdem wir Thráin nicht fanden und daher ohne ihn oder jegliche neue Information über seinen Verbleib zurückkehren mussten, sind mir diese Tage in Erinnerung geblieben. Thorin noch kein König. Astâ noch nicht mehr als seine Dienerin. Gleichwohl für mich bereits etwas sehr Kostbares.
Viele unschätzbar herrliche Momente teilten wir auf dieser Reise. Kamen uns näher, verbrachten Nächte miteinander, unbescholtene natürlich, umso wertvoller waren sie allerdings dadurch. Ich wüsste um ihren Wert, jedoch ihn gebührend zu bewundern und wie sehr ich sie liebe, erkannte ich während dieser Tage.
„Ich erinnere mich noch lebhaft an eine Haarspange, die ich damals auf dem Markt in Bree sah." Ihre Bemerkung lässt mich plötzlich aufhorchen. „Sie war wunderschön, aus Leder gefertigt und mit einer wirklich kunstvoll gestalteten, goldenen Rose verziert. Leider seitdem niemals wieder habe ich etwas annähernd Ähnliches gefunden." Sehr gut kann ich mich ihrer ebenfalls entsinnen. Perfekt hätte sie ihre Haare geziert, wie ich erachtete.
„Warum hast du sie dir damals nicht gekauft?", erkundigt sich Thorin erstaunt. Astâ zuckt mit den Schultern. „Sie wahr mir wohl zu teuer. Ihr müsst bedenken, Majestät, dereinst hatte ich nur das schmale Auskommen einer Dienstmagd zur Verfügung." Sie lächelt bezaubernd, um den leicht bemängelnd gemeinten Scherz abzuschwächen. Dennoch reagiert Thorin empört, und wenn auch deutlich übertrieben gespielt, so denke ich, eine Diskussion darüber, dass sie ihm hätte Bescheid geben können, werden beide noch führen. Wenn sie nur wüssten...
Die Gesellschaft löst sich auf, je später der Abend wird, denn der Tag für die Bediensteten unter ihnen beginnt morgen sehr früh, Balin vergriff sich zu ausgelassen am Wein und wird von Oin in sein Zimmer begleitet, Gloin und seine Gemahlin müssen ihren kleinen Sohn zu Bett bringen, genauso wie Dís Fili und Kili, obwohl beide Jungen lautstark dagegen protestieren. Halb erwachsen sind sie ja schließlich bereits! (Lauschen gleichwohl immer noch gerne die aufregenden Geschichten ihres Onkels und zum Einschlafen die ihrer Mutter.) Bombur und die Dienstmagd Gillial räumen respektvoll stumm die übrig gebliebenen Reste des Festmahls vom Tisch. Einst vor vielen Jahrzehnten aufgrund eines wohlwollenden Wunschs Astâs erhielt sie ihre Stellung hier, obwohl ihr Gemahl Handlanger in einem heimtückisch geplanten und ausgeführten Anschlag auf die königliche Familie war. Gemeuchelt wurde er von den Drahtziehern jedoch, noch bevor er ihre Namen verraten konnte, und großherzig wie meine Freundin nun einmal ist, ergriff das Mitleid sie, so dass sie um ihre und die Aufnahme ihrer Tochter bat.
„Es war ein wirklich schönes Fest", seufzt Astâ zufrieden und lehnt sich mit einem bald halbvollen Glas Wein an den Lippen in ihren Sessel zurück, als sie, Thorin und ich schließlich alleine im Salon zurückbleiben. Wir können ihr nur zustimmen. Sehr viel lieber sind mir solcherlei Zusammenkünfte in kleinen, vertrauten Kreisen allemal denn pompöse Bälle. Das wärmende Feuer im Kamin, vor den wir uns setzten, flackert den späten Abend trotzend weiterhin munter. Einen schweigenden Moment verlieren sich die Gedanken in den Lohen.
An unsere erste Begegnung erinnere ich mich zurück. Wie schwach sie wirkte. Zerschunden von Trauer, Schmerz und Angst. Kaum fähig darüber zu sprechen, was ihr Schreckliches angetan wurde und welch Leid sie bis zu diesem Zeitpunkt bereits in ihrem jungen Leben erfahren musste. Eine tiefe Verbundenheit zu ihr spürte ich augenblicklich. Als wäre es tatsächlich eine bedeutsame Fügung des Schicksals, dass sich unsere Lebenswege kreuzten - es vorherbestimmt gewesen, dass wir nun, vierzig Jahre später, gemeinsam hier in Frieden und Zufriedenheit sitzen. Die Entscheidung, sie hierher zu bringen, war alleinig eine des Herzens und trotzdem sie mir Leiden zufügte, die quälender sind als alle, die ich bisher erdulden musste, niemals bislang habe ich sie bereut.
„Ich werde mich zurückziehen", sagt Astâ schließlich und erhebt sich müde. Dennoch, die sanft über Thorins Schulter streichende Hand und das vielsagende Lächeln, als er diese ergreift, um zum Abschied einen zärtlichen Kuss auf die Innenfläche zu hauchen, verdeutlicht, dass sie auf ihn warten wird.
„Hab eine gute Nacht, Dwalin", wünscht sie mir und obzwar ihre Finger auch meine Schulter sanft streifen, eine gänzlich andere Intention als bei Thorin hat die Geste inne. Schätzend wird sie gemeint sein, dankend, Vertrauen und tiefe Verbundenheit verdeutlichend, gleichwohl einzig und allein nur kameradschaftlich. Damit zufriedengeben muss ich mich, dass sie niemals wieder mehr als dies für mich empfinden wird. Vielleicht sogar zu keinen Zeitpunkt vorher etwas anderes hat sie überhaupt verspürt. Liebe ist ein komisch Ding und keinesfalls ihrer sicher können wir uns sein. Was sie denn eigentlich ist, wie sie sich anfühlt, welche ihrer vielen Arten wir gerade wahrnehmen, all das müssen wir eigens erkennen und annehmen. Woher sollte sie daher wissen, ob die Gefühle, die sie mir gegenüber hegte, freundschaftlich, romantisch oder einfach nur überschätzt waren.
„Wirst du es ihr sagen?", frage ich Thorin schließlich, nachdem einige Momente des vertrauten Schweigens zwischen Waffenbrüdern nach einem langen, ereignisreichen Tag vergangen sind. Verwirrt darüber, was ich denn meine, sieht er herüber. Wehmütig stimmt es mich, dass er seine Gefühle so sehr verleumdet. „Begehe nicht den gleichen Fehler wie ich dereinst, Thorin. Sag es ihr, ehe du niemals mehr die Chance dazu haben wirst." Vielleicht mag der schwere Wein aus mir sprechen, vielleicht die Trauer um ihren Verlust, vielleicht die Eifersucht, die trotzdem ich sie mir verbiete, auf beständig kleiner Flamme züngelt, vielmehr der Wunsch sie wirklich glücklich zu sehen. Wahrscheinlich jedoch all diese Gründe zugleich.
Er wendet den Blick zum Feuer. Seine Gedanken richtet er bisweilen, indes er ihr Spiel verfolgt. Gerade allerdings, versucht er meiner Aufforderung auszuweichen. „Ich weiß nicht, was du meinst", bestreitet er weiterhin die Empfindungen. Das lange, seufzende Ausatmen, eher er einen Schluck Wein nimmt, verdeutlicht jedoch, er hadert mit der Verleumdung. Doch zu groß ist seine Angst.
„Thorin, Bruder, wahrlich kein Zwerg bist du, der, verständlicherweise, andere leichtfertig in sein Herz lässt. Der es zulässt zu lieben und geliebt zu werden. Ich bitte dich daher inständig, um deinem und ihrem und eurem gemeinsamen Glückes willen, sag es ihr endlich." Einen weiteren großen Schluck Wein trinkt er hastig, kämpft mit sich und den Gefühlen. Bis sie schließlich aus ihm hervorbrechen. „Und dann ... was ist dann, nachdem ich ihr gesagt habe, dass sie mehr für mich ist, als nur eine Bettgefährtin ... mehr als nur eine vertraute Beraterin ... sie mir mehr bedeutet als mein Leben ... ich keinen Tag ohne ihren Anblick, ihre Stimme, ihr Lächeln überstehe? Was dann?"
Sein von Gram erfüllter Blick, trifft mich unvorbereitet bitter. „Von mir wird ein Thronfolger erwartet. Ein legitimer Erbe von Durins Blut. Das ihre ist rein und von Mut, Würde und Ruhm bewegt, jedoch nach wie vor das einer Gemeinen. Storrs Auftauchen zeigte mir, dass ihre Vergangenheit allgegenwärtig ist, sie sich selbst durch Lug und Trug und all dem verdienten Ansehen nicht auslöschen lässt, und unsere Feinde allzeit davon erfahren könnten, wer sie war. Ich bin nicht du, Dwalin, wir führen nicht das gleiche Leben, gleichwohl du mich Bruder nennst. Auch wenn ich es ihr sage, ihr gestehe, dass ich sie liebe, weiterhin im Verborgenen müssten wir die Liebschaft halten und nur unnötigen Schmerz wird dies heraufbeschwören, denn irgendwann einmal, wird es zwischen uns enden ... enden müssen."
Ich verstehe endlich. Nicht die Angst, sie zu verlieren, verdrängt den Drang, sie bedingungslos zu lieben, sondern der Willen, das Unausweichliche weniger schmerzhaft für sie (beide) zu prägen.
„Du weißt selbst, buhel, wie schwer, wenn nicht sogar unmöglich, es ist, Liebe zu vergessen, sie aus dem Herzen zu verbannen, auch wenn die Umstände und der Verstand es gebieten", spricht er mit plötzlich wehmütig leiser Stimme. „Selbst nach all den Jahren liebst du sie wie am ersten Tag, an dem du dir dies gewahr wurdest." Es ist ein Schlag der Erkenntnis, der mich hart und vernichtend trifft. Die Mauer, die ich mit all dem trotzigen Willen eines Zwerges versuchte, um das Herz zu erbauen, sie stürzt binnen Augenblicken gnadenlos in sich zusammen. Und aus dem Trümmerhaufen herauf steigt das bedingungslose, reine und wärmende Gefühl, das ich einst für sie empfand, jedoch niemals vergaß. Überwältigender, berauschender und mächtiger als alle anderen Empfindungen, die ein Lebewesen wahrzunehmen vermag. Liebe währt für immer, auch wenn sie schmerzt.
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