Im Hause des Hobbits

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Eine in höheren Jahren stehende Hobbitfrau öffnet uns die Tür. Die tiefen Lachfältchen um ihre Augen lassen sie jedoch vermutlich älter wirken als sie tatsächlich ist, da sie diese wegen der hereinfallenden Strahlen der bereits tiefstehenden Sonne zusammenkneifen muss. Das schlichte Kleid mit schneeweißer Schürze über den hellblauen Leinen lässt mich mutmaßen, dass sie eine der Bediensteten ist. Ein Schaar ihrer wird die Familie Tuk beschäftigen, wobei die meisten wohl für den Küchendienst eingeteilt sind, denn Thorin bereitete mich darauf vor, dass Hobbits im allgemeinen liebend gern essen und Luisannes Festmähler keine Ausnahme darstellten, in vielerlei Hinsicht sogar gemäßigter ausfielen als gewöhnlich im Haus eines Angehörigen dieses Volkes.

„Ihr wünscht?", fragt sie mit einem einladenenden Lächeln, keinerlei Scheu oder Verwunderung darüber zeigend, dass zwei und zudem wahrscheinlich fremde Zwerge vor ihr stehen. Thorin senkt seinen Blick zu einer freundlichen Begrüßung. Nicht als König in Staatsangelegenheiten wartet er dem Hausherren auf, sondern lediglich als alter Freund, der ihm einen unförmlichen Besuch abstatten möchte. „Mein Name ist Thorin Eichenschild aus den Ered Luin, und das meine Gefährtin Astâ, Heras Tochter, euer Herr erwartet uns." Zum ersten Mal stellt er mich als enge Vertraute vor. Nicht als Dienerin, nicht als Kriegerin oder Rechte seiner Hand, sondern als jemand, der er ihm besonders wertvoll ist, nahe steht, durch Zuneigung verbunden.

Die Hobbitfrau verbeugt sich respektvoll, denn welch hohe Stellung Thorin innehalt, wurde den Bediensteten vermutlich dennoch mitgeteilt, und tritt beiseite, um uns einzulassen. Zum ersten Mal im Leben betrete ich eine wahre, erdhafte Hobbithöhle. Drinnen ist es warm und hell. Die Wände des halbrunden Gangs - mehr eine röhrenförmige Halle, eine Art Tunnel genauer - der nach wenigen Schritten eine leichte Biegung beginnt und der von der Tür aus tief ins Erdinnere führen wird und von dem unzählige weitere abzweigen, vollständig getäfelt mit anheimelnd-hellem Holz. Die Pfeiler, die dicke Deckenbalken stützen, verziert mit raffinierten Schnitzereien von Wein- und Efeuranken. Blankgewischte Steingutfliesen mit interessantem Muster auf dem Boden, wohlig ausgelegt mit einem schmalen fußwärmenden Läufer, der in geometrischen Formen und Linien wirrer Anordnung gewebt wurde. Freundlich bittet die Hobbitfrau darum, dass wir unsere Mäntel an einen der vielen Hacken neben der Tür aufhängen und uns auf einer harten Matte den Staub von den Stiefeln treten sollen. Kein einfaches oder gar modriges Loch im Erdreich ist eine Hobbithöhle, sondern vielmehr ein einladender Ort der Behaglichkeit in dem Gäste immerzu willkommen sind und fürstliche bewirtet werden.

Das silbrig-graue Haar trägt sie zu einem dicken bei jedem ausladenden Schritt hin und her baumelnden Zopf geflochten, der ihr bis zum Rockbund reicht, wie ich fasziniert bewundere, als sie uns durch den langen Gang führt. Zahlreiche kleine, runde Türen und Durchlässe öffnen sich zu dem Tunnel, zunächst auf der einen Seite und dann auch auf der anderen. Hinter ihnen befinden sich wohnliche Kaminzimmer mit gemütlichen Sesseln und dicken Teppichen auf den Parkettböden, Lesezimmer mit hohen Regalen voller Bücher, aus denen es herrlich nach alten Ledereinbänden und vergilbten Pergament riecht, Schlafzimmer, Abstellkammern, Speisekammern, Wohnräume, Badezimmer. Wie viele Bewohner wird diese Höhle wohl beheimaten, frage ich mich allmählich, denn dass die Familie derer der Tuks zahlreich ist, erzählte Thorin. Zwölf Kinder hat der Hausherr, von denen allerdings nur noch elf leben, die teilweise bereits verheiratet sind und dennoch weiterhin hier ihr Zuhause nennen, Onkel, Tanten, Vettern, Cousinen, jedoch es scheint mir, dass hier zudem eine beachtliche Anzahl anderer Nichtfamilienmitglieder wohnen mögen. Familien in Not womöglich. Soldaten. Ministeriale, wenn es solche hier ebenfalls gibt.

Zu einer Tür, die der Eingangstür in Größe und Farbe entspricht, führt uns die Bedienstete letztendlich, wenngleich das Messing des dicken Türknaufs in ihrer Mitte nicht genauso abgegriffen matt erscheint. Nicht drehen muss sie ihn, um das Blatt aufdrücken zu können. Einen bestimmten Schritt hinein in das kernzenscheingolden erhellte Zimmer geht sie, lässt uns aber noch nicht nachkommen. „Die Gäste sind angekommen", verkündet sie denen, die sich wohl darin aufhalten. Einen verwunderten Moment stutze ich über die unförmliche Mitteilung, vermute jedoch, dass hier möglicherweise nicht allzu streng auf höfische Etikette beharrt wird wie in Thorins Hallen. „Dann lass sie ein", brummt eine tief-ehrwürdige Stimme genauso zwanglos. Mit einem freundlichen Lächeln lässt uns die Dienerin daraufhin vor.

Das Zimmer, in das wir treten, ist verglichen mit denen, die ich bislang durch angelehnte Türen sah, sehr groß, hoch und weit, viel mehr einer Halle ähnelnd, die vermutlich den Anschein eines Audienzsaals erwecken und offenkundig auch diesem Zweck dienen soll. Gleichwohl nicht annähernd so pompös, Macht, Stärke und Reichtum repräsentierend hergerichtet wie die von Zwergenherrschern. Die Wände sind mit dunklem Holz vertäfelt, jedoch wirkt der Raum dadurch nicht bedrückend oder gar ungemütlich, denn in Kandelabern und einem großen Kronleuchter der aussieht wie ein Wagenrad, brennen unzählige Kerzen und spenden warmes Licht. Porträts von altehrwürdigen Herren, vornehm gekleidet, feinen Damen mit gestrengen Mienen und freundlich lächelnden jungen Frauen werden von ihnen beleuchtet. Ein runder Teppich mit sorgfältig gerichteten Franzen an seinem Saum liegt inmitten des Saals. Ich glaube, selbst einer kahlen Steinhöhle vermögen Hobbits mit wenigen Handgriffen Gemütlichkeit einzuhauchen.

Auf einem Sessel gegenüber der Tür sitzt Gerontius Tuk, der Thains des Auenlandes. Seine beachtliche aber nicht unvorteilhaft wirkende Leibesfülle stößt an die beiden gepolsterten Lehnen, auf denen ich selbst von weitem den dort liegenden Staub entdecken kann. Wohl selten wird dieser Raum genutzt, obwohl Hobbits oft und gerne Gäste empfangen. Bedeutend hochgestellt werden sie allerdings kaum sein, so dass es rechtfertigen würde, sie hier zu begrüßen. Das krause, graue Haar trägt er so, dass der Eindruck entsteht, ein Wangenbart ziere sein pausbäckiges Gesicht. Thorin erzählte mir jedoch, dass Hobbits, genauso wie Elben, keine Bärte wachsen.

Neben ihm stehen Gemahlin, acht Söhne unterschiedlichen Alters und drei Töchter, die allesamt die besondere geradezu zarte Schönheit und das wallende, lockig-braune Haar ihrer Mutter geerbet haben, wie mir sofort auffällt. Bemerkenswert werden sie genannt, denn jede von ihnen besitzt in einem vornehmlichen Bereich eine hohe Gabe. Mirabella webt wunderbare Stoffe, Teppiche und Tapeten und ich vermute, eine Großzahl ihrer Werke kam mir heute bereits unter die erstaunten Augen. Donnamira singt so herrlich, dass selbst die Nachtigallen neidisch verstummen, so erzählt man sich zumindest. Und Beladonna, die älteste der Mädchen, tanzt, den Berichten die ich hörte nach, wie eine Nachtfaie bei Mondenschein. Ihr interessiertes, ja geradezu auf die Besucher gespanntes Lächeln, mit dem sie uns begrüßt, ist es jedoch, dass sie mir sofort gewogen werden lässt.

„Thorin, mein Junge", sagte das Oberhaupt der Familie Tuk mit einladend weit geöffneten Armen, ungeachtet dessen, dass der Zwergenkönig ganze vierundvierzig Jahre älter ist als er, gleichwohl sehr viel jünger erscheint. Thorin senkt tiefer denn ich erwartete, den respektvollen Blick, während ich einen höfischen Knicks vollführe.

„Oh nein, nein, lasst doch dieses hochtrabende Gehabe", erbittet der Hausherr mit gutgesinnter Stimme und erhebt sich mit der Hilfe seiner Frau, die ihn am Arm stützend zu uns begleitet. Schwankend und ein wenig steif für einige Schritte ist sein Gang, wie mir besorgt auffällt. Vermutlich ein schmerzhaftes Leiden der Gelenke plagt ihn.

„Du weißt doch, dass mein Haus auch deines und das deiner Familie ist, Thorin. Also bitte, fühle dich hier gänzlich willkommen, bewege und gebare dich ganz frei von solch verkrampften Dingen." Der alte Tuk legt ihm eine väterliche Hand auf die Schulter. In Zeiten großer Not und Trauer bot er ihnen einst ein Zuhause. König Thráin litt damals schwer an den Verlusten von Vater, Sohn und umkämpfter Heimat. Kaum fähig seinen Kindern Trost zu schenken, übernahmen dies Gerontius und seine Frau Adamanta, sie sich sichtlich darüber freut, ihn wohlbehalten und zu einem stattlichen Mann und ehrbaren König herangewachsen wiederzusehen.

„Und natürlich gilt dies auch für deine hübsche Begleitung", sagt er schließlich an mich gewandt und ergreift liebenswürdig meine Hand, um das Wiederaufrichten zu gestatten. Thorin stellt mich mit gewohntem Stolz in der Stimme vor. „Seid willkommen in meinem Haus, Astâ, Heras Tochter, und fühlt Euch in ihm wie zuhause." Ich danke mit einem Lächeln für die freundliche Begrüßung.

„Du hast sie mir als deine Gefährtin angekündigt, dürfen wir also bald gratulieren?" Ein nervöses Kribbeln erwacht plötzlich in meinem Bauch. Eine nachvollziehbare Frage. Aber wie wird Thorin auf sie reagieren? Er senkt den Blick, verschämt wirkend, wenn ich nicht wüsste, dass ihm solcherlei kleinlaut nicht liegt. Er überlegt stattdessen, wie er die Antwort formulieren soll, vor allem, damit sie mich entweder nicht allzu schmerzhaft wie ein hinterrücks ausgeführter Dolchstoß trifft oder aber, keine ungerechtfertigten Hoffnungen schürt. Gerontius bemerkt wohl seinen Kampf mit den Worten und winkt schließlich gnädig ab, um die Frage zurückzuziehen.

„Behalte deine Pläne für dich, mein Junge. Du bist jung und hast noch so viele Entscheidungen und Ziele vor dir, die bislang im Dunkel liegen und daher nicht unüberlegt und übereilt getroffen und angegangen werden sollten. Meine Familie und ich freuen uns, euch als Gäste zu haben. Bleibt, solange ihr möchtet. Bewegt euch frei in meinen Hallen, genießt die Ruhe und das gute Essen meiner Küche." Er schaut hinter sich und seine älteste Tochter löst sich, wie mir scheint zuvor abgesprochen, aus der Familienbande.

„Meine Tochter Belladonna wird euch zu euren Gemächern bringen. Sie sind die schönsten des Hauses, mit einem idyllischen Ausblick in den hinteren Gemüse- und Kräutergarten." Wie freue ich mich bereits bei seiner erzählerischen Darstellung auf diese Räumlichkeiten.

Belladonna knickst höflich vor Thorin und mir. Die Bürde der Etikette, die ihr Vater von uns nahm, scheint ihr hingegeben weiterhin auferlegt. „Seid willkommen", flüstert sie eingeschüchtert von den Fremden, jedoch das begeisterte Funkeln gerade darüber und welch Geschichten und Ereignisse sie wohl mit sich bringen, leuchtet fortwährend hell in ihren Augen. Sympathisch ist sie mir und bereits ein Abenteuer, von dem ich ihr bei Gelegenheit erzählen könnte, lege ich mir gedanklich zurecht.

Von zwei Dienern nachgefolgt, die unser weniges Gepäck tragen, geleitet sie uns durch die verwirrend miteinander verbundenen Gänge. Ich versuche, mir den Weg einzuprägen, aber vermutlich werde ich ihn erst nach ein paar Mal wirklich alleine und ohne mich heillos zu verlaufen finden. „Hier sind wir", sagt sie schließlich und öffnet eine von blühenden Rosenrankenschnitzereien dekorierte Tür.

Das schummrige Licht des Abendrots fällt durch ein großes rundes Fenster ihr gegenüber in den riesigen Raum. Ein lebhaftes Feuer prasselt im mit grauen flachen Steinen gemauerten Kamin, dessen Abzug wie der Stamm eines alten, knochigen Baumes wirkt und erfüllt ihn mit Wärme und zusätzlichen goldenen Schein. Dicke Teppiche liegen auf dem getäfelten Boden und schmücken vereinzelt Naturszenen zeigend die Wände. Die hölzernen Möbel mit erdigen oder grünen Stoffen bespannt wirken alt, aber dadurch besonders gemütlich und verlässlich funktional. Ein Regal gefüllt mit in Leder gebundenen Büchern und davor ein einladend aufgestellter Sessel mit dicken Polstern fällt mir freudig ins Auge. Das große Bett mit samtenen, dunkelgrünen Himmel und Vorhängen, wulstigen Federbetten und riesigen Kissen sowie geräumigen Eichenholzkommoden befinden sich in einem angrenzenden Raum. Ein Blick aus dem Fenster verrät trotz der einsetzenden Dunkelheit, dass Gerontius nicht untertrieb. Der frische Duft von Kräutern liegt schwer in der Luft und vermag es sogar durch das Glas hindurch ins Innere zu dringen.

„Ein Baderaum befindet sich am Ende des Ganges, wenn Ihr Euch vor dem Abendessen noch etwas frisch machen möchtet", erzählt Belladonna und deutet den Dienern das Gepäck ordentlich abzustellen. Ein wenig stutzig reagiere ich, dass auch das meine darunter ist. Das Hobbitmädchen bemerkt die Verwirrung mit einfühlenden Sinnen. „Mein Vater wies an, Euch ein gemeinsames Zimmer herzurichten. Wenn Ihr ein eigenes möchtet, Herrin, bitte ich um Verzeihung und würde mich schnellstmöglich darum kümmern. Wir haben noch andere, die genauso hübsch sind." Unangenehm scheint ihr der vermutliche Irrtum darüber, dass wir trotzdem nicht vermählt zusammen in einem Bett schlafen möchten.

Ich jedoch schüttle sofort beruhigend den Kopf, „Oh nein, nein, das wird nicht nötig sein, alles ist ganz wunderbar", versichere ich ihr. Erleichtert lächelt sie daraufhin. „Dann werde ich Euch nun allein lassen. Das Abendbrot wird in einer Stunde angerichtet. Ich hoffe, Ihr habt großen Hunger und viele Geschichten von den Straßen mitgebracht."

Ich lächle sie an. „Beides", verspreche ich ihr. Die Freude in ihrem Gesicht ist wunderschön anzusehen. Mit einem Knicks verabschiedet sie sich schließlich und schließt die Tür hinter sich.

Thorin kommt freudvoll lächelnd auf mich zu. Ein seltener Anblick, dadurch umso kostbarer. Was würde ich dafür geben ihn öfters so gelöst von Bürde, Verpflichtung, Anspannung und Zeitnot zu sehen. Sanft streicht er mir über die Wange. „Bist du glücklich?", fragt er mich erneut und ich nicke. „Es ist wundervoll hier und ganz ohne Heimlichkeiten, genauso, wie ich es mir gewünscht habe."


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