Das Urteil

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Thorin ist ein gerechter König. Ein tantenhafter, niemals ruhender König. Er handelt stets mit Verantwortung, Umsicht und Würde, bereitwillig und geschätzt unterstützt durch Familie, Freunde und Berater. Zum Gedeihen und Schutz von Reich und Volk trifft er wohlüberlegte Entscheidungen. Freilich manchmal werden sie auch geleitet von Machthunger und Habgier, die Frevel eines jeden Zwerges, was ihr Vorhandensein gewiss nicht entschuldigen und ihre unrechten Auswirkungen nicht mindern darf.

Gleichsam ebenso Zorn brodelt in ihm. Eine Wut, gewöhnlich zurückgehalten mit starkem Willen, die verheerend außer sich gerät, sobald es ihr doch einmal gelingt, hervorzubrechen. Selten ist dies jedoch und niemals grundlos. Sei Mahal denen gnädig, die ihn auf sich ziehen, denn Thorin gewährt ihnen kein Erbarmen.

Abarron, sein Vasall Mordred – beide nicht nur mir verhasst bis aufs Mark, was unbestreitbar auf Gegenseitigkeit beruht –, der Statthalter mit seinen Vertretern, und eine Vielzahl der mit Ausbesserungs- und Erneuerungsarbeiten beauftragten Handwerksmeister wurden sofort, nachdem wir zurückkehrten, in den Audienzsaal einbestellt. Dwalins Krieger flankierten sie während des Eintretens, ein eindeutiger Hinweis darauf, wie ernst die Angelegenheit ist. Einige senkten dabei zusätzlich sich großer Schuld bewusst denn nur aus Demut ihren Blick und getrauen sich noch immer nicht, ihn zu heben. Mehr als nur vermutend und ängstlich davor, warum der König sie zu sprechen verlangt, denn sogar bei größtmöglicher Heimlichkeit darüber, dass er die unteren Hallen aufsuchte, drang das Gerücht dennoch unlängst bis zu den Verantwortlichen vor. Überall lauern Spitzel und verleihen somit selbst den Wänden gespitzte Ohren.

Mit ungeduldig auf die goldverzierten Lehnen seines Audienzsessels trommelnden Fingern sitz er nun vor und ob des leicht erhöhten Podestes über ihnen und wartet darauf, dass sich alle gebührend vor ihm niederknieten. Nicht groß oder ansonsten übermäßig pompös mit kostbaren Verzierungen, schweren Stoffen und edlen Materialien ausgestattet ist der Saal. Er soll die Bittsteller, die ihre Ansuchen und Begehren vortragen, damit zur Bescheidenheit anhalten. Ganz in Schwarz, Weiß und Blau gehalten suggeriert er zudem die Unbefangenheit und Rechtschaffenheit des Königs in den Urteilen, die er ebenso hier mit harter Stimme über Verbrecher und Schuldtragende zum Wohle aller spricht.

Balin reicht ihm eine Zusammenfassung der Aufzeichnungen, die er während der Besichtigung anfertigte. Ergänzt wurden sie zudem um Dwalins, Oins und meine Beobachtungen, sodass nun ein umfassender Bericht der fatalen Zustände vorliegt. „Ich nahm heute die seltene Gelegenheit wahr, einen persönlichen Eindruck von den Fortschritten der Arbeiten in den unteren Hallen zu erlangen", beginnt Thorin mit ernster Stimme und die ersten Anwesenden zucken entsetzt darüber zusammen, dass sich ihre Befürchtungen bestätigten. Abarron jedoch trägt weiterhin sein gewohnt blasiertes Gebaren zur schau, hebt den Blick sogar ein klein wenig höher, ganz so, als würde er gespannt des Ergebnisses harren.

„Ich möchte mich in meinen Ausführungen kurz fassen, denn Ihnen allen wird die Situation Vorort wohlbekannt sein", sagt Thorin und hält für eine spannungstreibende Pause inne. Ein Spiel mit den bangenden Erwartungen einiger, die immer nervöser werden. Er genießt den Anblick geradezu, die wachsende Angst im Angesicht der Wissenden, dass ihr unlauteres Handeln aufgedeckt wurde. „Was ich und meine Gefolgsleute vorfanden, hat uns wahrhaftig ... verwundert ... ist, glaub ich, die passendste Bezeichnung." Erwartungsvoll ob ich dem zustimmen mag, sieht er mich an. Jedoch verneinen muss ich, wie vordem abgesprochen.

„Verzeiht, Majestät, ich persönlich war eher erschüttert darüber, wie wenig eine Summe von insgesamt ausgezahlten tausend Doppeldrachmen* aus der königlichen Bergkasse doch bewirken kann, vor allem, wenn man bedenken möchte, dass per Nachweis folgende Maßnahmen damit umgesetzt wurden", erwidere ich und entrolle ein Pergament, in dem der Bau von Waisenhäusern und Hospitälern, die Erneuerung von Straßen und Brunnen und der Ausbesserung von Sicherheitsanlagen für die Bergarbeiter, verzeichnet steht, bestätigt von Abarron höchstpersönlich, nachdem auch andere ihre Signatur darauf hinterließen. Eine List ist es, schlau ausgedacht, um die Beteiligten zu Geständnissen zu verleiten.

„Du hast Recht, Teuerste", bekräftigt Dwalin meinen Eindruck. „Majestät, ich bin Krieger und kein Magistrat, jedoch erweckte es auch für mich den Anschein, dass das Gold wohl an unauffindbaren Stellen eingesetzt wurde. Des Weiteren hörte ich davon, dass die Stadtwachen dort verstärkt werden sollten. Leider entdeckte ich nur Vereinzelte, während wir durch die verschmutzten Straßen ritten. Vermutlich befinden sie sich noch in der Rekrutierung und Ausbildung." Thorin nickt verstehend und wartet auf Balins Ausführung, der jedoch nur ergänzen kann, dass es wohl weitere Anstrengungen erfordert, um die herrschende Rattenplage unter Kontrolle zu bringen. „Sie huschten mir über die Füße. Schreckliche Plagegeister. Hoffentlich sind sie nicht Schuldtragende für die tödliche Seuche, die Eure Untertanen gerade quält." Oin pflichtet der Befürchtung bei.

Unsere Darstellungen versetzten noch mehr der Verantwortlichen in Unruhe. Keine expliziten Beschuldigungen sprachen wir aus, verwiesen nur auf vorgefundene Umstände und wo weitere Verbesserungen stattfinden müssten. Einige der Handwerksmeister schielen versucht unauffällig zu Abarron hinüber, der jedoch weiterhin unberührt bleibt. Ihn interessiert die Situation vor Ort nicht einen Deut. Egal sind ihm die Zwerge. Nur zu seinem eigenen Vorteil handelt er. Gleichwohl beschworene Schuld lastet schwer auf den hängenden Schultern anderer, die sich wohl nur auf seinen Befehl hin in die prekäre Sache verstrickten.

„Verzeiht uns, Majestät", bricht es schließlich aus einem der Zimmerermeister heraus. „Schweigt still!", zischt Abarron ihn sofort verärgert an und verrät sich damit unwillentlich. „Nein!", donnert Thorins herrschende Stimme durch seinen Audienzsaal. Er ist der Einzige, der in ihm bestimmt! „Fahrt fort, Meister Harkom. Wegen was möchtet Ihr mich um Verzeihung bitten?" Der Angesprochene schaut eingeschüchtert zu Boden. Ein junger Zwerg ist er noch, gerade erst zum Handwerksmeister ernannt worden, nachdem sein Vater, der ihm alles lehrte, bei einem schrecklichen Unglück auf einer der Baustellen verstarb und ihm einen verschuldeten Betrieb mit nur wenigen Arbeitern hinterließ. Eine Frau und zwei Kinder hat er zu versorgen und weiß Mahal genügend Schwierigkeiten. Das veruntreute Gold wohl nur ein Tropfen auf dem schmiedeheißen Amboss. Trotzdem erdrückt ihn die Schuld.

„Wir haben ... wir haben das Gold erhalten, jedoch ohne Auftrag. Gleichwohl bestätigten wir die Ausführung der Arbeiten an den Bauten, die vorgetragen wurden." Er zittert während des Geständnisses. Keinen Ausweg, keinen Rückzug gibt es nunmehr. Abarron weiß das und senkt nun doch den Blick, gewiss nur, um den darüber aufkommenden die Gesichtszüge entstellenden Zorn zu verbergen.

„Wer billigte solch ein Vergehen?", fragt Thorin weiterhin königlich-souverän, obwohl die sich in die Lehne krallenden Finger verdeutlichen, wie sehr er darum kämpfen muss, die Beherrschung zu bewahren. So kurz davor stehen wir zum allerersten Mal Abarron eine direkte Beteiligung an einem unlauteren Vorkommnis nachzuweisen. Er ist mächtig und wohlhabend und entstammt einem einflussreichen Haus, verbunden mit dem der Könige Erebors. Trotzdem auch er steht nicht über dem Gesetz und Veruntreuung ist eine schwere Untat.

Harkom schielt erneut zu ihm und seinem Spießgesellen hinüber und der Verdacht keimt in mir, dass er im Austausch für das Gold und vermutlich weitere Gefälligkeiten, vielleicht sogar unter Androhung von Vergeltung, einen Handel eingehen musste, der die Verleugnung der Beteiligten umfasste. Jedoch sein Verhalten ist eindeutiger Beweis.

„Nennt uns Namen, oder soll ich euch allesamt in die Folterkammern schaffen lassen, damit die Knechte sie aus euch herausprügeln!" Thorins Geduld ist aufgebraucht und der Zorn über das Schweigen dräut Verheerendes. Bedrohlich richtet er sich in seinem Sessel auf, wirkt dadurch noch größer, stärker und die Macht eines Königs noch wirkungsreicher.

„Mordred war es, der zu mir kam", meldet sich schließlich Rotnar zu Wort, einer der älteren Baumeister. Sein Schwiegersohn übernahm unlängst einen Großteil seiner Arbeiter und Aufträge. Nichts zu verlieren und damit sehr, sehr viel weniger als Harkom hat er mehr. Der Beschuldigte zuckt zusammen. Auch er entzog sich lange einer Anklage, trotzdem wir ihm der Beteiligung an so manchen Untaten verdächtigten. Gleichwohl nur ein Diener, so besitzt er ebenso gewisse Macht und Einfluss. Seit jeher begegnen wir uns in Feindschaft.

„Das ist eine absurde und frevelhafte Anschuldigung!", lässt Abarron brüsk verlauten. Niemals aus eigenem Gutdünken heraus hätte sein Handlanger gehandelt, somit impliziert die Unterstellung auch sein sogar veranlassendes Wirken. Wir haben ihn in genau die Situation gebracht, die wir beabsichtigten.

„Hinaus!", befiehlt Thorin daher. „Alle, bis auf Euch Meister Abarron und Euren Komplizen." Die Handwerker, Büttel und Verwalter verbeugen sich demütig und schleichen aus dem Saal, froh darum, im Moment davongekommen zu sein, jedoch sich genauso bewusst darüber, dass ihr untreues Handeln spätere Konsequenzen nach sich ziehen wird.

Ich warte darauf, dass er ebenso Dwalin, Oin und mich fortschicken wird. Vernehmungen von Adligen sind unüblich und stehen unter einem besonderen Protokoll - nur der König darf sie durchführen, Zeugen sollen so wenige wie möglich anwesend sein, Verurteilungen sind selten und wenn wird das Strafmaß oft niedrig angesetzt oder ein Vergleich vereinbart, die Zahlung von Reparationen zum Beispiel. Jedoch er erteilt den Befehl nicht. Stattdessen erhebt er sich und schreitet mit hoheitlich festen Schritten die Stufen des Podestes hinunter.

Abarron und Mordred erstarren zu Obsidiansäulen. Die sonst so feiste Überheblichkeit schwindet unter Thorins gestrengen Blick, mit dem er beide betrachtet. Noch niemals und an keinem Wesen bisher sah ich einen Derartigen in solch einer Intensität. Das Feuer Mahals brennt in seinen Augen. Hart wie Stein, während er sie langsam umkreist. Kein Mitgefühl, keine Gnade wird er walten lassen. Die Strafe wird hoch sein, nicht die höchste aller, die ein König über einen Zwerg verhängen kann, jedoch dieses und frühere Vergehen vergelten, auch wenn wir ihm diese nicht nachweisen konnten. Zu viel sah Thorin an Leid und Elend, das hätte verhindert und gelindert werden können, als das er Milde gewährt.

„Wie könnt Ihr es wagen?!", faucht er schließlich. Der Zorn über die Schandtat bricht unhaltbar hervor und lässt alle Anwesenden, ob sich einer Schuld bewusst oder nicht, zusammenzucken. Selbst der reine Stein um uns herum erzittert vor Furcht, obgleich er schon allerhand sah und hörte. Die eh bereits gewitterschwere Luft im Saal drückt unerträglich und droht jeden Moment sich in Blitz und Donner und tosenden Sturm zu entladen.

Thorin schreitet näher an beide heran, die Hände auf dem Rücken verschränkt, die Schultern gestrafft, das Haupt selbstsicher erhoben. Binamrâd legte er bewusst an, obwohl er sonst darauf verzichtet, das mächtige Schwert bei Hofe zu tragen. Noch stattlicher wirkt er gleichwohl damit und seine Erscheinung beeindruckt und schüchtert ein, so wie beabsichtigt. Abarrons Dünkel ist gewiss ebenfalls imponierend, wie er nur allzu erfolgsverwöhnt weiß und zu seinem Vorteil ausschröpfend einsetzt. Keinen Beweis an gebotenen Respekt erweist er Thorin. Umsichtig muss dieser dennoch Maßregelungen aussprechen. Viele Gönner und verbündete Ränkeschmiede, die dem Königshaus schon immer Schaden wollten, könnten eine allzu strenge Verurteilung eines so hohen Adligen und Würdenträgers als Vorwand nutzen, um einen desaströsen Umsturzversuch in Gang zu bringen.

„Besitz Ihr nicht genug Vermögen? Gehört Euch nicht Beachtliches an Macht und wenn auch zweifelhaftes Ansehen?" Thorins Vorwurf ist berechtigt. Abarron jedoch lässt sich davon nicht weiter zermürben. Niemals als ausreichend empfindet er solcherlei. Wie so viele Zwerge, aber gleichfalls Menschen und so mancher Elb bereits. „Ich habe nur genommen, was mir als Vermittler der Aufträge zusteht. Wenn die Handwerker ihre Anweisungen nicht erhalten oder verstehen und mir dennoch die korrekte Ausführung quittieren, so kann ich nichts dafür." Die Schuld will er von sich auf andere weißen. Welch elendiger Feigling.

Doch Thorin lässt ihm dies nicht durchgehen. Nicht heute. Seine Unantastbarkeit als König muss er endlich demonstrieren. Respekt einfordern. „Als Meister des Handwerks ist es Eure Aufgabe, die Arbeiten zu überwachen und die Bauten vor Ort abzunehmen. Anscheinend ist Euch das entfallen." Abarron starrt schweigend zu ihm hinauf, denn der viel größere König steht nun direkt vor ihm. Drohend nah und imposant.

„Ihr werdet dafür aufkommen", eröffnet er schließlich seinen Urteilsspruch. Keine weiteren Ausflüchte, Lügenmärchen, Beschönigungen oder Respektlosigkeiten wird er akzeptieren. „Ihr werdet jede Maßnahme und zusätzliche, die zweifelsfrei folgen werden, denn desaströs sind die Zustände in den unteren Hallen, aus Eurem Privatvermögen finanzieren. Euch zur Unterstützung und zum Zweck der Überwachung des nunmehr ohne weitere Vorkommnisse und Missverständnisse ablaufenden Vorgangs, werde ich Euch die Rechte der Hand zur Seite stellen. Sollte mir von ihr nur ein einziges Wort des Unbehagens, des Verdachts, der Missachtung oder der Beschwerde zugetragen werden, egal ob es sie persönlich, eine von ihr gegebene Anweisung oder einen noch so schlichten Vorfall betrifft, dann werde ich Euch Eures Amtes wegen Unfähigkeit und Insurrektion entheben und des Rates verweisen, gleichgültig welch Macht und Stellung Ihr innehabt."

Dwalin tritt einen Schritt vorwärts, fast instinktiv an seine Seite, wo sich normalerweise sein Schwert befindet, während ich erstarre. Eine gefahrvolle Aufgabe, die Thorin mir auferlegt, wenngleich bedeutend und ein Zeichen seines Vertrauens. Ziel Abarrons bin ich seit jeher und eine Gewalt über den Widersacher spricht er mir zu, die ihn zu Fall bringen könnte. Er vertraut jedoch auf Loyalität und Redlichkeit, so dass ich ihn trotz des Hasses niemals haltlos beschuldigen würde.

Dwalin indes beunruhigen die Sorgen, dass ich dennoch eine ernstliche Bedrohung darstelle und beseitigt werden könnte. Früher hätte er, notfalls ohne Zustimmung Thorins, entschieden, währenddessen ein noch schützenderes Auge auf mich zu haben, vielleicht mich sogar dauerhaft auf Schritt und Tritt zu begleiten. Jedoch momentan zweifle ich daran, dass er Risiko und Aufwand für mich eingehen wird.

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* Bezeichnung für eine Goldmünze in Mittelerde. Umgerechnet hätte ein Doppeldrachen (1oz reines Gold) in der heutigen Zeit etwa einen Wert von 1.600€.


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