Das Leid der Krankheit
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„Hilfe!" Tränen rinnen mir unablässig über die bereits wunden Wangen, während ich Dwalins schlappen Körper stützend in den Salon stürme. Beinahe unter seinem Gewicht zusammen breche ich. Kaum Leben steckt mehr in ihm. Der Atem geht röchelnd. Seine Haut glutheiß.
Oin springt sofort auf, als er die Situation erkennt und auch sein Bruder und Balin eilen zu uns. Vorsichtig nehmen sie mir den Erkrankten ab. „Was ist geschehen?", fragt der Heiler alarmiert und hilft mir, ihn auf den Boden abzulegen. „Er ... er ist einfach ... einfach zusammengebrochen", schluchze ich verzweifelnd. Oin fühlt Puls und schweißglänzende Stirn. „Er brennt vor Fieber", stellt er mit zitternder Stimme fest. „Wir müssen ihn sofort auf die Quarantänestation bringen. Gloin, hol ein paar Diener und lass eine Kutsche kommen! Balin, lass feststellen, wo er sich angesteckt haben könnte! Wir sollten jeden warnen, der in letzter Zeit mit ihm zusammen war." Mich sieht er schließlich mit Kummer im Blick an „Du kommst auch mit! Ich will sichergehen, dass du dich nicht infiziert hast, und stelle dich erst einmal unter Beobachtung."
Thorin steht plötzlich neben uns. Das Antlitz entgeistert blass starrt er auf seinen Freund herab. Er zittert, bebt entsetzt im Angesicht der kränklichen Erscheinung. Seine wohl größte Angst dieser Tage wurde Wirklichkeit. „Beeilt euch!", legitimiert er Oins Anordnungen, jedoch mit ungewohnt matter Stimme. „Thorin, ich bitte dich, geh zurück. Wir wissen noch immer nicht, wie und wie schnell die Krankheit übertragen wird." Der Heiler spricht eindringlich auf den König ein. Sollte er erkranken, wäre dies ein Elend unvorstellbaren Ausmaßes. Daher einige Schritte entfernt er sich sofort, jedoch mit sichtbarem Widerstreben. Er will Freund und Waffenbruder nicht im Stich lassen.
Schnell kehrt Gloin mit den Dienern zurück, die Dwalin mit erheblicher Mühe auf eine mitgebrachte Trage heben und nach draußen schaffen. Oin greift meinen Arm, um mich unterstützend ebenfalls hinauszugeleiten, denn kaum mehr klar Denken noch allein Handeln kann ich vor Betroffenheit und den beständig fließenden Tränen.
Die Kutsche bringt uns eilig zum Hospital. Dwalins fiebrig-glühende Hand halte ich währenddessen. Flach und schnell atmet er. Stöhnt bei jeder Erschütterung ob einer holprigen Unebenheit, über die die hölzernen Räder rumpeln. Das Gesicht blass, verzerrt im unerträglichen Schmerz von Kopf und Gliedern. Trotzdem öffnet er ein paarmal die Augen, starrt mich mit glasigen Blick an. Ich will ihm Trost zusprechen, ihm sagen, dass alles Gut wird, er wieder gesund wird, wie lieb ich ihn habe. Jedoch die Kehle ist ganz wund von all den geweinten Tränen und Schluchzern und kein einziges Wort bringe ich über die trockenen Lippen.
Kaum Fragen stellen die Heiler und Helfer im Hospital, als sie seinen Zustand sehen. Schnell und erschreckend routiniert ihr Handeln stattdessen. Die Säle in der Quarantänestation sind klein im Vergleich zu den Räumlichkeiten vorher, in denen die Kranken wie elendig sterbendes Vieh zusammengepfercht wurden. In ordentlichen Betten liegen sie, die mit Leinentuchvorhängen voneinander separiert sind, um ihnen Privatsphäre und ungestörte Behandlung und Erholung zu ermöglichen. Gleichwohl ihr weiterhin dahinsiechender Anblick ist nicht weniger erschütternd.
In einen noch kleineren Saal bringen die Helfer Dwalin jedoch. Extra für erkrankte Adlige wurde er vorgesehen. Eine behagliche Wärme herrscht und überall hängen Bündel von Lavendel und anderen heilenden Kräutern, die einen angenehmen Duft verbreiten. Das Aroma der bisherig unbenutzten Möbel und Stoffe überdeckt er beinahe gänzlich. Die Betten sind breiter und weicher. Ihre Anzahl geringer. Vorsichtig legen sie ihn in eines von ihnen, entkleiden den Krieger recht pragmatisch, jedoch mit Respekt und Ehrfurcht. Dankbar darüber wenigstens bei etwas unterstützen zu können, nehme ich Schwert und Rüstung entgegen und verstaue beides ordentlich in einer kleinen Truhe am Bettende.
„Du kannst nicht hierbleiben", bedauert Oin, nachdem er ihn eingehender untersuchte. Bedenklich hoch ist das Fieber und die Gelenke bereits steif vor Schmerzen. Kein Zweifel besteht mehr. Er hat sich infiziert. Übel wird mir bei der Erkenntnis und den möglichen Folgen. Dennoch Stärke vorspielend stehe ich neben ihm, halte seine Hand, beobachte bang jeden flachen Atemzug. „Ihr könnt mich nicht von seiner Seite schicken. Wenn ich mich anstecke, dann ist es Mahals Wille, aber Ihr dürft nicht verlangen, dass ich einen Freund, meinen Waffenbruder, nicht beim ... beim ...", ich stocke, will dass schlimmstenfalls Eintretende nicht aussprechen, es nicht heraufbeschwören. Tränen rinnen unaufhörlich, ungeachtet, dass die Augen ob ihrer Unstillbarkeit bereits unerträglich brennen. „... nicht im Kampf begleite, so, wie ich es doch bisher immer tat."
Oin schweigt. Als Heiler kennt er all die Leiden, die eine Krankheit verursacht, nur allzu gut. Nicht nur den Erkrankten quälen sie. Er bittet schließlich eine der Frauen, die dampfende Schüsseln mit stark nach Kamille, Anis und Fichtennadeln duftenden Wasser hereinbringen und neben Dwalin platzieren, flüsternd um etwas. Sie nickt und sieht mich dabei mitfühlend an. Eines der Tücher, mit denen auch sie Nase und Mund bedeckt, bringt sie mir wenig später. „Befeuchtet es regelmäßig mit dieser Tinktur", sagt sie und übergibt mir zusätzlich ein Fläschchen mit einer braunen Flüssigkeit. „Es enthält Wacholder, Bibernelle, Engelwurz, Rosmarin und Pfefferminze. Wir haben festgestellt, dass es die Gefahr einer Ansteckung mindert." Mich bedankend nehme ich beides entgegen und sehe auch Oin aus tiefstem Herzen dankend an.
Stunden vergehen, ohne das sich Dwalins Zustand verändert. Der Morgen graut derweil durch die Luftschächte. Die Ruhe der Nacht im Hospital weicht einem geschäftigen Treiben. Einige Krieger aus Dwalins Regiment werden eingeliefert. Kräftige, junge Männer wie er, in die Knie gezwungen durch diese elendige Krankheit. Wohl bei der Begleitung einer der Händler in den unteren Stadtbezirk hat sich einer von ihnen angesteckt und somit verbreitet, wie Balin herausfand und mir mitteilt, als er seinen Bruder besuchen kommt. Die Sorgen um ihn bedrücken schwer die lastgewohnten Schultern, jedoch nicht lange darf und kann er bleiben.
Das Fieber versuche ich mit einem Sud aus Königskraut zu senken. Immer wieder flöße ich Dwalin diesen schlückchenweise ein und betupfe die schweißglänzende Stirn mit einem damit getränkten Tuch. Es kühlt die Haut, bringt jedoch bislang keinerlei langanhaltenden Erfolg.
Das Atmen unter dem Stoff fällt schwer, allerdings bisher zeigten sich an mir keine Symptome, so dass Oin die leise Vermutung äußerte, dass ich mich glücklicherweise nicht angesteckt habe. Trotzdem ich die Nacht wachte, auf Besserung hoffte, Verschlechterung befürchtete, und mir währenddessen öfters die Augen vor unerträglicher Müdigkeit und tiefer Erschöpfung zufielen, verbiete ich mir Schlaf oder auch nur eine Minute der Ruhe. Die Erläuterung zur Fertigstellung des Hospitals müsste ich Thorin und Balin in diesen Momenten vorstellen, damit sie diese in der anschließenden Ratsversammlung darlegen können. Danach den Bau eines Waisenhauses besichtigen. Abarron zurechtweisen, da er verpasste den Arbeitern ihren letzten Lohn und Bonus für die schnelle Erledigung auszuzahlen. Zusammen mit Bifur Pläne ausformulieren, Thorin Bericht erstatten, müde zu Bett gehen.
Stattdessen fieberhaft suche ich in alten, verstaubten Büchern, die ich mir aus der Bibliothek in den Hallen der Weisheit bringen ließ, nach einer Erwähnung vergleichbarer Symptome. Viele Gelehrte lasen diese und einige mehr zwar unlängst, jedoch nicht gänzlich neu kann diese Krankheit sein. Irgendwann einmal muss zumindest etwas Ähnliches Zwergen, Menschen oder Hobbits bereits geplagt haben. Elben erliegen solcherlei nicht. Dennoch besitzen sie ein reichhaltiges und altes Heilwissen.
‚Elbenmedizin, oh bei Mahal, warum habe ich nicht eher daran gedacht!', schelte ich mich plötzlich.
Keinerlei solcher Werke finden sich in zwergischen Bibliotheken, seitdem es zum Bruch zwischen den beiden Völkern kam. Jedoch eines, nur eines, und auch noch ein Medizinisches, dass Wissen vieler Jahrhunderte in sich birgt, einst sorgfältig extra für mich übersetzt von elbischen Schreibern aus dem Zauberwald Lothlórien, befindet sich in meinem Besitz. Warum nur habe ich es vergessen? Ist es nicht eines der größten Schätze, die ich mein Eigen nennen darf!?
Ich lasse eilends nach einem Diener meines Hauses schicken und wenig später steht der kleine Ori neben mir und verbeugt sich tief und gewohnt schweigsam zur Begrüßung. Als Botenjunge und Spielgefährte von Fili und Kili lebt er bei uns, seitdem seine Mutter kurz nach seiner Geburt starb. Dwalin brachte ihn einst zusammen mit dem älteren Bruder Nori und Dís, leidend im Verlust von Gemahl und zu früh geborener Tochter, nahm sie auch zu ihrem Trost auf.
Ganz genau erkläre ich ihm, welches Buch er mir aus meinen Gemächern bringen soll. In schwarzes Leder eingebunden und verziert mit zwei silber-goldenen Mallornblättern. „Es muss in der Schublade meines Nachtkästchens liegen. Aber hab Acht darauf, dass niemand dich sieht, und beeile dich." Er nickt hastig und eilt zurück.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer glimmt in mir auf, jedoch versuche ich ihn nicht allzu mächtig werden zu lassen. Damals sagte mir die Herrin Galadriel, dass es mir Wissen schenken möge in Zeiten großer Not. Wenn ich verzweifelt an Krankheit und einhergehendem Tod, die Schätze bedrohen, deren Wert in meinem Herzen kostbarer sind als alles Gold und edle Gestein.
Dwalins Hand nehme ich wieder auf. Noch immer in Gluthitze brennt seine Haut. Ob der Berührung zucken seine Augenlider und heben sich schließlich spärlich. Glasig flimmern seine Augen und der Blick hat Mühe, mich zu erfassen.
„Wasser", röchelt er und die Schwäche seiner Stimme, eine Stimme, die doch stets stark und zuversichtlich und kämpferisch war, sie in ihr zu hören, lässt die Tränen erneut über die brennenden Wangen rinnen. Keinen Deut den Kummer verbergend, stütze ich ihn und setzte einen Becher Kräutersud an seine aufgesprungenen Lippen. Er hustet, als das Gebräu den trockenen Hals hinunterrinnt. Zwingen muss ich ihn, noch einen weiteren Schluck zu nehmen. Flüssigkeit braucht er dringend. Ermattet lässt er den Kopf wieder auf das Kissen sinken und schließt die Augen.
Er wirkt so zerbrechlich. Wie aus milchigem Glas. Der tapfere Krieger, der mir immer wie ein standhafter Fels inmitten fallender Steine vorkam. Kaum hebt sich die blasse Farbe seiner Haut gegen das Weiß des Bettzeugs ab. Ein Schluchzen kommt mir über die bebenden Lippen, während ich wieder seine Hand ergreife. Bitter ist es und so, so bang.
„Warum weinst du?", fragt er plötzlich. Ich dachte, er wäre derweil erneut eingeschlafen. „Ich habe Angst um dich", gebe ich unumwunden zu. „Und ich weiß nicht, ob ich weiterleben könnte ohne dich." Er schweigt. Regt sich nicht, atmet flach, und ich vermute, er schlief, kaum dass er die Frage stellte, wieder ein.
Ori kehrt kurz darauf zurück. Mit meinem Buch. Erleichtert nehme ich es entgegen und danke ihm vielmals. Der Zwergling lächelt leicht und schaut dann eingeschüchtert auf Dwalin. Immerzu schützt und behütetet der Krieger ihn seitdem. Wie gut kann ich mich noch daran erinnern, wie er als Neugeborener in seinen Armen fast versank, so klein und zierlich war er. Dwalin sorgte sich beständig um ihn. Freute sich über jeden Zentimeter, den er wuchs, über jeden Fortschritt. Nun blickt der Schützling mit schimmernden Tränen in den Augen auf seinen Schützer hinab. Sein Schmerz berührt zutiefst.
„Möchtest du bleiben?", frage ich ihn daher. Ein Anrecht auf die Krankenwacht hat auch er. Erschrocken darüber, dass sein Kummer so offensichtlich und selbstverständlich ist, ja sogar Anerkennung findet, sieht er mich an und nickt dann scheu. Eine der Helfer bitte ich um einen weiteren Stuhl und eine Maske für ihn. Dankend lässt er sich darauf nieder, zögert einen Moment, und ergreift dann ebenfalls Dwalins Hand. Bestürzt jedoch zuckt er zurück, als er die Hitze des Fiebers wahrnimmt.
„Es ist sehr hoch, kaum zu senken und nur eines der ersten Symptome, die auftreten", erkläre ich seinen Zustand. Ori nickt verstehend. „Erhofft Ihr Euch in dem Buch eine Heilung zu finden?", fragt er mit leiser Stimme. Ich bejahe. „So klein die Hoffnung auch sein mag, aber es ist ein ganz besonderes Buch mit ganz besonderem Inhalt und einer ganz außergewöhnlichen Herkunft." Der Zwergling spitzt sofort die Ohren. Überaus wissensdurstig ist er und nachdem ihn Balin zusammen mit seinem Bruder, Fili und Kili das Lesen lehrte, verschlingt er geradezu jeden Text, der ihn unter die Finger kommt. Geschichten über Abenteuer, Reisen, fremde Orte, monströse Kreaturen und faienhafte Gestalten hört er zudem genauso gerne wie alle Kinder.
Andächtig lasse ich die Fingerspitzen die in das schwarze Leder geprägten silber-goldenen Mallornblättern befühlen. „Es ist die Übersetzung eines jahrhundertealten, elbischen Heilbuches, das mir die Elbenherrin Galadriel, die Herrin des Lichts, einst schenkte, als ich in ihrem Reich Lothlórien zu Gast war." Ori hält glühend vor Begeisterung die Luft an. Er kennt die Legenden Thorins über die Suche nach seinem Vater gut. Jedoch der König erinnert sich an diese Episode der Reise eher mit Unwillen und pflegt daher hiervon nur recht kurz zu berichten. Ich lächle entzückt über sein Entzücken und erzähle ihn ein wenig über die Herrin, ihre Zauberkraft, den Wald, den Spiegelsee Kheled-zâram, in den ich blickte, mehr um mich selbst abzulenken denn ihn.
„Darf ... darf ich es lesen?", fragt er leise. Ich überlege kurz. Vielleicht zu kompliziert könnte der Inhalt für seine gerade einmal neun Jahren sein. „Ihr könntet Euch ausruhen, während ich möglicherweise etwas Interessantes finde, dass Euch und Meister Dwalin und all den anderen Erkrankten weiterhilft. Bitte, lasst mich Euch helfen." Ich nicke schließlich zustimmend. Ein Funke Hoffnung, der geteilt größere Macht entwickeln kann.
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