Das Kleid
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Der große Tag ist gekommen. Wuselige Aufregung herrscht im Berg. Geschäftiges Treiben überall. Stände werden aufgebaut. Das in ihnen zum Verkauf Angebotenes in rollenden Fässern oder schwer beladenen Karren herangeschafft. Einige Leckereien sind bereits fertig. Der Duft nach Schmalzgebäck, gebrannten Mandeln, Gesottenem, Pfandküchen, Bier und mit Zimt versetzten, warmen Wein treibt einem unstillbar das Wasser in den Mund.
Musikanten stimmen ihre Instrumente. Tanzflächen werden freigeräumt und geschmückt. Schausteller proben ein letztes Mal ihre Darbietungen, in denen sie Legenden über Durin den Unsterblichen und die Geschichte der Hallen erzählen wollen. Gaukler, Artisten, Feuerzauberer und Trickkünstler bereiten ihre Belustigungen vor, spannen Seile zwischen hohen Balken, über die junge Mädchen tanzen sollen oder üben das geschickte Jonglieren mit Obsidiankugeln und brennenden Fackeln.
Interessiert und fasziniert und voller Vorfreude auf die nächsten Tage, beobachte ich das Treiben für einen Moment, der mir eigentlich nicht erlaubt ist, denn in Hast bin ich eine letzte Besorgung vor dem großen Ball heute Abend zu erledigen. Thorin schickte mich zum Juwelier seines Vertrauens, ein besonderes Schmuckstück für seine Schwester abzuholen, das sie auf diesem tragen soll. Als Prinzessin und einzig verbliebene Frau des Königshauses muss sie die Schönheit, Pracht und den Glanz der Hallen ihres Volkes bei solch einem Ereignis repräsentieren. Zudem ist es Tradition, dass die Mutter bei der Einführung eines Kindes in die Gesellschaft reich mit Geschmeiden beschenkt wird. Eigentlich vom Vater, aber Thorin übernimmt diese Aufgabe allumfassend.
Ein Faden, der beim Öffnen der Ladentür gespannt wir, bringt ein Glöckchen im hinteren Teil des Geschäftes in dem die Werkstätten liegen zum Klingen. Ganz fein höre ich es nur. Passend aus Gold oder Silber und sehr filigran gearbeitet wird es sein. Fähig ist der Meister und fertigte bereits im Erebor so manches Stück für das Königshaus an, das sogar gerettet und bewahrt werden konnte und sich noch immer in seinem Besitz befindet. Goldbeschläge an Statuen und Wandreliefs, punzierte Verzierungen in Schwertheften sowie kunstvolle, zauberhafte und nützliche Dinge wie Klimperkästchen, Uhren und Feinmessgeräte für das eigene und andere Handwerke, stellen er und seine Mitarbeiter ebenfalls her.
Alt und ehrwürdig tritt er in den von Geschmeiden glitzernden Verkaufsraum, diese Art von Lächeln tragend, das sich wohl jedem Händler tief in die Gesichtszüge eingeprägte, um Kunden zu begegnen. Der Meister verbeugt sich respektvoll vor mir. Bekannt bin ich ihm seit vielen Jahren.
„Welch Ehre, Zirkûna Astâ, Euch empfangen zu dürfen. Wie darf ich dienlich sein?" Ich trete an den Verkaufstresen heran. Kostbares Geschmeide aus Gold und Edelstein glitzert dort eingelassen in eine Mulde, vor Berührung und Diebstahl gesichert durch eine schwere Glasplatte. Ein Collier liegt seit Jahr und Tag darin, dass mich beim ersten Anblick bereits faszinierte, aber unbezahlbar ist, selbst für Thorin. Aus unzähligen Diamanten von außergewöhnlicher Größe und Reinheit ist es gefertigt, die wie schäumende Meereswellen angeordnet und von einigen Seerosen aus Rubin gekrönt, vermutlich den Hals jeder Dame schmeicheln würden. Als Zeugnis für die Fähigkeiten und Möglichkeiten des Handwerks der Juwelierkunst wird es wohl dort bis in alle Ewigkeit liegen.
„Ihre Majestät schickt mich, das Diadem für Ihre Hoheit die Prinzessin Dís abzuholen", antworte ich höflich. Der Meister nickt und holt ein unscheinbares Päckchen aus braunem Pergament unter dem Tresen hervor. Jedoch der Inhalt dessen, den er mir sogleich präsentiert, ist alles andere als das. Der Reif aus schwarzem Onyx und funkelnd-klarem Saphir, die Rosenblüten und Blättern bilden und die mit silbernen Ranken, auf denen zart-rosarote Perlen gefädelt wurden, verbunden sind, ist sündhaft schön und kostbar. Persönlich entworfen hat Thorin das Schmuckstück und wenn er es auch nicht selbst fertigte, so ist die Intention, Wertschätzung und Liebe zu seiner Schwester, die er damit zum Ausdruck bringen wollte, deutlich spürbar.
Ich bedanke mich bei dem Meister für die gelungene Arbeit und überreiche ihm eine schwere Schatulle, die mir Thorin mitgab. Für mich unvorstellbar viel Gold wird darin sein, aber jede einzelne Münze ist sie wert. Der Juwelier nimmt die Bezahlung entgegen und verstaut sie vertrauensvoll, ohne die enthaltene Summe zu sichten, in einem Tresor unter dem Tresen. Ich will mich gerade verabschieden, da holt er von dort noch ein weiteres Schächtelchen hervor.
„Auch das bestellte Ihre Hoheit bei mir. Wir haben es jedoch früher fertigen können als erst in einem Monat, wie von ihm spätestens gewünscht." Klein ist es und in gleicher Weise unscheinbar verpackt. Was es wohl beinhaltet, fragt ihr euch bestimmt genauso wie ich mich, allerdings zeigt er mir seinen Inhalt nicht.
„Ich habe die Entlohnung dafür leider nicht dabei, verehrter Meister", entschuldige ich mich sofort, aber er schüttelt den Kopf. „Ihre Majestät bezahlte es bereits nach Beauftragung und wies zudem an, dass niemand anderer als er es öffnen dürfte." Etwas wunder mich diese Anweisung, gleichwohl seine Gründe wird mein Herr hierfür haben.
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„Oh Astâ, du siehst hinreißend aus!" Jassins Begeisterung ist überschwänglich. Obwohl Mutter von mittlerweile bereits sieben Kindern und um einiges älter als ich, verhält sie sich manchmal noch wie ein junges Mädchen. Jedoch nachvollziehen kann ich sie dennoch. Das Kleid, das Thorin für mich fertigen ließ, ist geradezu meisterhaft. Perfekt passt es, der fließende Stoff schmiegt sich an den Körper, betont so jede weibliche Rundung ideal. Der dazu passende auserlesene Schmuck, eine lange Kette aus Leder, an deren Ende eine Sternsaphierkugel hängt, baumelnde Ohrringe gleicher Machart und ein Armband aus vielen wie Drachenschuppen anmutenden Plättchen, ergänzen den Eindruck, als wäre ich dem sternenfunkelnden Nachthimmel entstiegen.
Gleichwohl weiterhin stört mich der tiefe Ausschnitt, der viel Haut offenbart, die bislang nur wenige Vertraute zu sehen bekamen. „Ich weiß nicht so recht", bemängle ich daher und drehe mich herum, das gebotene Spiegelbild kritisch begutachtend. Am liebsten wurde ich mir ein Tuch oder Ähnliches umhängen, jedoch Thorin würde dies bestimmt verärgern. Aus irgendeinem guten wenn auch nicht gänzlich nachvollziehbaren Grund wird er den Schnitt genauso gewählt haben.
„Ich erahne, was dich stört", sagt meine Freundin plötzlich mütterlich sanft und tritt neben mich. „Aber du musst wissen, eine erwachsene Frau wirst du in einigen Wochen sein, bist es eigentlich jetzt bereits, und es ist nichts Verwerfliches daran, als solche dergleichen zu tragen." Ein wenig zupft sie den Ausschnitt dennoch verbergender zurecht. „Du wirst schnell bemerken, wie leicht Männer nach deinem Gutdünken zu manipulieren sind, wenn man versteht, ihre Gedanken und Handlungen mit geschickt eingesetzten Reizen in die richtige Richtung zu dirigieren. Allzu einfach lassen sie sich von ihnen ablenken und bieten dir freie Hand alles von ihnen zu verlangen, was du begehrst."
Schelmisch lächelt sie mit geheimnisvoll gesenktem Blick. Niemals zugetraut hätte ich ihr solche Verschlagenheit. Vorsichtig lockert sie den Knoten, mit dem sich die Länge der Kette verstellen lässt und richtet sie so ein, dass die Saphierkugel genau in der Mulde zwischen den Brüsten aufliegt, deren Rundungen ein wenig zu sehen sind. Die Blicke lenkt sie unauffällig aber wirkungsvoll dorthin. Der Augenweide eines Edelsteins können wir Zwerge nicht widerstehen.
„Aber was ist, wenn ich das gar nicht will?" Eine ernstgemeinte Frage. Die Aufmachung mit Betonung auf die weiblichen Reize werden Begehrlichkeiten wecken, die ich weder erwidern möchte noch kann. Riskant ist dies, denn die Gefahr ist groß, dass die Absichten missverstanden werden und Unmut bei einer Ablehnung erzeugen.
„Dann beachte sie nicht. Wirke unnahbar. Geheimnisvoll. Keiner der Männer wird dir unerlaubt oder auf eine unangenehme Art zu nahe kommen, dafür werden deine verlässlichen Begleiter ohne Zweifel sorgen, die dir in dieser Aufmachung ebenso nicht von der Seite weichen werden. Jedoch umso unerreichbarer wirst du dadurch und sobald einer von ihnen dir doch nützlich sein könnte - heute, morgen oder erst in einem Jahr - hast du leichtes Spiel. Allein, dass du dann mit ihnen redest und ihre Phantasien durch kleine Gesten, wie zufällig wirkende Berührungen, Blicke und was dir sonst noch als sinnvoll düngt, anregst, wird sie Vorsicht und Vernunft vergessen lassen."
Ich schüttle lächelnd den Kopf. Machenschaften sind dies, die mehr als verwerflich sind, sich jedoch einmal auszuprobieren lohnen.
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„Bist du bereit?" Ein letztes Mal zupfe ich vor ihm kniend die Schärpe über Kilis mitternachtsblauen Weste mit den silbernen Ornamenten zurecht und prüfe den sicheren Sitz der sie haltenden Nadeln. Immer wieder verrutscht sie dennoch. Bedrückt schaut er jedoch drein und schüttelt kaum wahrnehmbar den Kopf. Offenkundig mulmig fühlt er sich in den zu beengenden und zu eleganten Sachen. Lockere Kleidung ist er bisher gewohnt. Schlichte Hosen und Hemden aus Leinen, in denen er toben, kämpfen, einfach Kind sein konnte. Ich kann mich zurückerinnern, wie ich dereinst empfand, als ich bescheidene Gewänder gegen einschnürende Ballkleider tauschte und der erste Auftritt bei Hofe bevorstand.
Lieb habe ich Fili und ihn. Sie bisher mit aufgezogen, als wären sie meine jüngeren Brüder. Was sie mir bedeuten und wie sehr ich sie vor jeglichen Gefahren beschützen werde, kann ich kaum in Worte fassen. „Alle werden an Eurer Seite stehen und Euch unterstützen. Eure Mutter, Euer Onkel, Fili, Balin und Dwalin." Er lächelt gequält und etwas beschämt, da ich seinen sinkenden Mut erkannte. „Du auch?" Ich nicke. Natürlich. „Ich werde immer in Eurer Nähe sein, Hoheit, versprochen."
Ein wenig hebt sich sein Gemüt ob der Aussichten. Er umarmt mich. Freilich nicht zum ersten Mal, dennoch ist die Geste immer wieder erneut ein Genuss, denn als Gouvernante stehe ich ihnen zwar nahe, jedoch ist Vertrauen und Zuneigung niemals selbstverständlich.
Mit einer stärkenden Hand auf seinem Rücken begleite ich Kili in den Salon, wo Onkel und Mutter bereits warten. Unbedingter Stolz funkelt in ihren Augen, als sie ihn erblicken, so hell und kostbar, dass er mit dem Glanz von Dís' Diadem wetteifert.
Ich übergebe den Prinzen an seine Familie. Dís beugt sich hinunter und kann nicht darauf verzichten, ihm einen Kuss auf die Wange zu geben, obwohl sie weiß, wie ungern er dies seit einigen Jahren über sich ergehen lässt. Dementsprechend angewidert verzieht der junge Prinz das Gesicht, aber widersteht aus Höflichkeit und Liebe dem Drang, die Nässe der Liebkosung auszuwischen.
„Du siehst hübsch aus", raunt Thorin mir plötzlich zu. Leise und verborgen im Schutz des abgewandt seins von seiner Schwester, die zudem damit beschäftigt ist, Kilis Schärpe erneut zurechtzuzupfen. Widerspenstiges Ding aber auch. „Das Kleid, das ich für dich aussuchte, steht dir ausgezeichnet."
Ich senke den Blick zum Dank für das Kompliment. „Es ist ungewohnt zu tragen", flüstere ich zurück und verweise so dennoch auf die bisher unübliche Offenherzigkeit. Wissen soll er gerne, dass sie mir unangenehm ist. Er kommt einen Schritt näher, beugt sich hinunter. Sein Gesicht nur wenige Zentimeter von dem meinem entfernt. „Gewöhne dich lieber daran, unverhohlen zu zeigen, was du besitzt und das damit auch mir gehört."
Mein Herz beginnt ob der bedeutsamen Worte schneller zu schlagen. Ich gehöre ihm, ja, denn seine Zofe bin ich, sein Mündel, eine Kriegerin in seinem Dienst. Vertrauen, Pflichteifer, Loyalität, sogar meinen Tod zum Schutze seines und seiner Familie Leben kann er verlangen. Gleichwohl hat er keinerlei Anspruch auf den Körper. Manches Mal jedoch, bezweifle ich dies. Befürchte geradezu, dass er ihn dereinst erheben könnte. Indes sehne es auf eine verwerfliche Art und Weise in Momenten der Schwäche und der innigen Nähe zu ihm auch herbei. Verzehre mich nach seinem Geruch, den Berührungen, dem Streichen rauer Kriegerfinger und warmen Atems über zarte Haut. Es kribbelt ganz schrecklich und schön zugleich in mir, während ich nur daran denke. Thorin erfreut sich sichtlich an der aufkommenden Unruhe. Er weiß nur zu gut um die Wirkung seiner mit mienentiefer Stimme gesprochenen Worte auf mich. Ich bin sein, nicht vollkommen, aber gänzlich in auserwählten Gedanken.
Dís bemerkt schließlich das Getuschel. „Astâ, ist alles in Ordnung? Dein Gesicht wirkt fiebrig." Misslich ist es, dass ihr die Röte auffiel, deren Brennen mir bisher nicht gewahr wurde. „Ja, Herrin, es geht mir gut. Ich musste nur gerade an etwas Bestimmtes denken, das mich aufregte." Wahrlich keine Ausrede ist es. Thorin lächelt sündhaft über die Beichte und wendet sich endlich von mir ab. „Wir sollten gehen", sagt er, hält seiner Schwester die Hand entgegen und bettet die andere auf Kilis Rücken, um seine Familie nach draußen zu geleiten.
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