Aufbruch in ein neues Abenteuer

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Lang und kalt war der Winter. Ungewöhnlich sogar bis weit in den Monat âfmuhudtuzakh hinein herrschten eisigkalte Temperaturen. Kaum keimte die Hoffnung auf Frühling, gediehen durch erste mildere Tage unter der hellen Sonne, zerstörte ein neuerlicher Schneesturm der von Osten kam jedwede Zuversicht. Doch plötzlich ist er da, schneller als erträumt knospen überall bunte Frühblüher, vom Meer her über die Berge weht beständig eine laue Brise und die Bauern arbeiten schwer, um den dennoch weiterhin leicht gefrorenen Boden urbar zu beackern, damit sie endlich die Frühjahrssaat in die Erde pflanzen können.

„Nur ihr beide und niemand sonst?" Dís scheint nicht begeistert über Thorins Plan mit mir auf unbestimmte Zeit zu verreisen, den er ihr soeben verkündete. Ob sie misstrauisch wurde? Wohl eher nicht. Womöglich nur, da dies ungewöhnlich ist für ihren Bruder, der gemeinhin am liebsten mit einer durchaus zahlenmäßigen Entourage reist, fragt sie argwöhnisch nach.

„Ja, nur Astâ und ich. Das Auenland ist nicht weit entfernt und lediglich einen Anstandsbesuch möchte ich meinem guten Freund Gerontius abstatten. Er ist nun schon in die Jahre gekommen und du weißt, dass Hobbits kaum älter als 100 werden. Daher benötige ich weder Diplomaten noch Geleitschutz. Astâ jedoch fragte, ob sie denn mitkommen könne, und ich würde ihr gerne die Tuk-Berge und die wunderschöne Landschaft zeigen, vielleicht auch mit Ausflügen nach Bockland und Hobbingen verbunden."

Dís nickt verstehend. Eine Weile gewährte Gerontius Tuk der Königsfamilie und ihrem Gefolge in seinem Groß-Smial Unterkunft, während sich das vertriebene und stark durch die Schlacht um Khazad-Dûm dezimierte, trauernde Volk der Langbärte im Auenland sammelte, um gemeinsam die Ered Luin zu besiedeln. Gerne erinnert sie sich an diese Zeit zurück, wie sie mir einst erzählte. Eine ganz eigene Atmosphäre der beschaulichen Ruhe und des idyllischen Friedens umgibt das Land der Hobbits mit seinen sanften Hügeln, flüsternden Bächen und lichten Wäldchen. Daher verstehen kann sie die Absicht, dass ihr Bruder mir dieses bezaubernde Fleckchen Ardas zeigen möchte. Das er mir damit den Wunsch erfüllt, ein paar Tage nur in trauter Zweisamkeit zu verbringen, wird ihr (hoffentlich) kaum in den Sinn kommen.

„Wir werden nicht lange fernbleiben. Ruhig ist es momentan im Berg, die Aussaat kommt gut voran, keinerlei größere Maßnahmen sind geplant und die Öffnung der Schule wird noch ein paar Monate benötigen. Balin, Gloin und Fili werden dich in allen anderen Angelegenheiten unterstützen. Ich vertraue ihnen genauso wie dir." Die Handlungsmacht übergibt er damit an seine Schwester, wie bereits schon oft, während er abwesend war. Dís wird sie weise und verantwortungsvoll zu nutzen wissen, daran hegt weder er noch irgendwer sonst im Berg Zweifel.

Einen Tag vor dem Ende des Erntefestes brechen wir schließlich auf und ihr könnt euch nicht vorstellen, wie aufgeregt ich vor Vorfreude bin. Khajmel schart ungeduldig mit den Hufen, denn kaum stillhalten kann ich auf seinem Rücken. Einzig Dwalin, der uns wie einige andere Angehörige des Hofstaates am Tor verabschieden möchte, erzählte ich vertrauensvoll, welch Ansinnen tatsächlich der Grund für unsere Reise ist, da er überhaupt nicht gutheißen konnte, dass wir ohne seinen Geleitschutz aufbrechen. Einen Augenblick belächelte er Thorins gelungenen, ja geradezu romantischen Einfall, um mir diesen Wunsch so überaus großzügig zu erfüllen, freute sich dann aber - für uns beide.

Durchaus nachvollziehen kann er den Drang nach ungestörter Zeit und gemeinsam verbrachter Momente, die nicht von der ständigen Angst entdeckt zu werden getrübt werden. Selbst wünschte er sie sich einst herbei, wie er mir mit verschämt gesenktem Blick anvertraute. Melancholisch stimmte mich sein Geständnis. Wie ständen wir drei nur zueinander, wie sehen unsere Leben in diesen Zeiten aus, hätte uns Thorin dereinst nicht während eines allzu leichtfertig ausgelebten Miteinanders gefunden? Öfters beschäftigt mich diese Frage, aber keine Antwort kann ich mir erdenken. So unwirklich scheint dieses Sein.

Ein letztes Mal schwört Thorin seine Neffen darauf ein, anstatt seiner gut auf ihre Mutter und die Hallen zu achten, und muss vor allem Fili fest versprechen, ihn das nächste Mal auf Reisen mitzunehmen. Dann endlich reiten wir zum Tor hinaus, unter den aufmerksamen Blicken der hier stationierten Wachen durch die lange Schlucht und schließlich auf das Vorland zum blauen Gebirge. Die Bauern verbeugen sich andächtig als ihnen, obwohl er inkognito reist, gewahr wird, dass der König entlang der Felder reitet, die sie bewirtschaften. Der weiterhin beobachtenden Augen ungeachtet riecht die frische Frühlingsluft bereits nach lang vermisster Frei- und Unbeschwertheit. Tief und sofort erleichtert von Pflicht und Anspannung atmend, nehme ich sie in mich auf.

Die Anhöhe mit dem Wädchen unweit des Berges überqueren wir im leichten Trab und dann endlich, eröffnen sich die bevorstehenden Tage in absoluter Zwanglosigkeit weit und in weichen Frühlingsmorgennebel gehüllt vor uns. Einen Moment verweilen wir am Saum der Bäume. Mittelerde, wie habe ich dich vermisst. Deine sanften Hügel und glitzernden Flüsse. Das Grün des Grases deiner endlosen Ebenen, das Weiß der schneebedeckten Gipfel, die am fernen Horizont in den blauen Himmel aufragen. Ich lächle euphorisch ob des Anblicks und aufgeregt der Vorfreude. Thorin neben mir betrachtet die Begeisterung mit deutlichem Vergnügen. Tiefe Zuneigung im Blick. Beugt sich schließlich hinüber, um mir einen innigen Kuss zu geben. „Bist du glücklich?", fragt er und ich nicke schmunzelnd.

Der Weg zu den Tukbergen, die inmitten des Auenlandes liegen, ist weder lang noch beschwerlich, denn über leicht passierbare Straßen führt er, die sich durch ungefährliche Gegenden schlängeln. Bequem innerhalb eines Tagesritts könnten wir ihn zurücklegen. Jedoch keine Eile treibt uns und in keinerlei Hinsicht Besseres gibt es, als eine Nacht unter den Sternen zu verbringen. Eng aneinander gekuschelt zwischen wärmenden Decken und Fellen, nichts weiter hörend als das Schlagen des Herzens und den ruhigen Atem des anderen, das Prasseln des nahen Lagerfeuers und den Geräuschen der Dunkelheit. Sanft silbernes Licht spendet der volle Mond, deren langsamen Lauf entlang des sternenfunkelnden Himmelsgewölbes ich beobachte.

„Hast du einmal darüber nachgedacht, was sein würde, wenn du kein König wärst?" Thorin zuckt ob meiner Frage zusammen. Nicht überrascht, weil er vielleicht schon döste oder gar schlief, sondern da dies eine sein Weltbild sehr erschütternde, wenn nicht sogar absurde Vorstellung sein mag. Als Prinz unter dem Berge im fernen Erebor wuchs er auf. Unerreichbar in Macht und Reichtum. Zwar wenig wie ein solcher fühlte er sich auf Wanderschaft nach der Vertreibung durch den Drachen, jedoch keinesfalls einen Funken an Stolz und Würde büßte er währenddessen ein. Selbst als Bettelprinz, verdammt zu einem heimatlosen Leben in bitterster Armut, hätte er Namen und Herkunft niemals abgelegt.

Daher nicht lange überlegt er an einer Antwort. „Nein", murmelt er. „Ich glaube aber, ein einfaches Leben als Schmied würde nicht glücklicher sein denn jetzt gerade." Interessiert über diese Meinung richte ich mich auf, um ihn genauer anzusehen. Er versteht die implizierte Aufforderung, diese deutlicher auszuführen. „Als solcher hätte ich zwar mehr Freiheiten, eine Frau nach meinem Willen auszuwählen, zum Beispiel, sehr viel weniger Verantwortung, keine so große Bürde zu tragen, aber nicht die jetzigen Mittel um jedwede Sorgen von denen, die ich liebe, zu nehmen, sie im gebührenden Maße zu ehren und mich erkenntlich zu zeigen für das Glück und die Freude, die sie mir schenken."

Ich versuche, seine Gedanken zu ergründen. Natürlich sehr viel leichter fällt es einem König, seine Dankbarkeit zu bekunden, jedoch keiner derer, die ihn ebenso lieben und ihm das begehrte Glück bescheren, sind auf Belohnungen materieller Art aus. „Außerdem", sagt er, zieht mich näher zu sich heran und gibt mir einen innigen Kuss. „Als Schmied würde ich mich nicht gerade mit dir auf den Weg in ein befreundetes Reich befinden, in dem uns ein paar Tage Ruhe und Frieden bevorstehen. Viel zu sehr wäre ich dann nämlich damit beschäftigt dir und unseren mindestens drei Kindern ein trautes Heim ganz ohne Prunk und Protz mit meinen eigenen Händen Arbeit zu erschaffen." Fürchterlich albern ist er wieder einmal, jedoch die Fantasie begeistert das Unterbewusstsein so tragend, dass sie mich bis in die friedlichen Träume begleitet.

Das Auenland ist ein idyllischer Fleck in Mittelerde. Nirgendwo sonst deucht mir, existiert jedwedes Böse weiter entfernt denn hier. Die friedfertig Stille erweckt den Eindruck, dass es auf wundersame Weise unsichtbar für den Rest der Welt sein mag. Selbst der Winter scheint hier nicht so lange und eisigkalt verweilt zu haben wie anderswo, da sich die Farbenpracht des Frühlings weitaus fortgeschrittener zeigt. Eingebettet zwischen sanften grasbedeckten Hügeln, lichten Wäldchen, plätschernden Bächlein und bewirtschafteten Feldern liegen nur wenige Ortschaften, die von dem Volk der Hobbits bewohnt werden. Eigentümlich sind sie. Traditionsbewusst. Unkompliziert gestrickt in ihrem bescheidenen Gemüt. Bodenständig und kaum erpicht auf irgendwelche Wagnisse. Darum besonders misstrauisch gegenüber allem und jedem Fremden, wie sie uns durch argwöhnische Blicke allzu deutlich wissen lassen, während wir über sauber gepflasterte Straßen vorbei an Gemüsebeeten, Postämtern, knatternden Mühlen und sorgsam beschnittenen Gartenhecken reiten. Inmitten derer wirken Berichte von Drachen und Orks, aber genauso auch von Elben, Menschen und Zwergen wie viel zu aufregende Märchen.

Tukland, das im westlichen der vier Viertel liegt, die von den Hobbits bewohnt und bewirtschaftet werden, stellt hierbei keine Ausnahme, obgleich ein gewisser, wenn auch flauer Duft von Rebellion und gewagter Abenteuerlust die frühlingsgewitterschwüle Luft deutlich aufgeregter flimmern lässt. Die in ihm liegende Städtchen Tuckbergen ist trotz seiner geringen Größe von nur wenigen der typischen Hügelhäuser – die von ihren Bewohner Smials genannt werden, wie mir Thorin erzählt - eine bedeutende Siedlung, denn hier befindet sich seit vielen Jahrhunderten der Stammsitz des Oberhaupts der Hobbits, der des sogenannten Thains. Fast so lange wie die Aufzeichnungen darüber zurückgehen, wurde dieser von einem Mitglied der Familie Tuk gestellt und Gerontius ist bereits der Sechundzwanzigste in einer Reihe herrschaftlicher Vertreter. Überaus aufmerksam lausche ich Thorins Ausführungen über die Herrscherstruktur des Auenlandes und dass das Amt des Thains mittlerweile ein Erbamt ist, obwohl anfangs der Träger von den Bewohnern in einem penibel durchgeführten und dokumentierten Verfahren gewählt wurde. Mit ihm verbunden sind zudem das Amt des Vogtes der Volksversammlung des Auenlandes und des Hauptmanns der Auenland-Heerschau sowie der Hobbit-Wehren, die allerdings selten eine Rolle spielen, wenn sie denn überhaupt noch existieren und kaum vergleichbar sind mit den Heeren anderer Völker, geschwiegen den der der Zwerge.

Das Smial, dass durch die Familie derer der Tuks bewohnt wird, ist verglichen zu denen, die ich bisher auf der Reise sah, geradezu riesig, fast ähnlich eines Schlosses, und erstreckt sich über einen ganzen Berghang. Aus hunderten von Räumen, die durch verwirrende Gänge miteinander verbunden sind, scheint es zu bestehen. Beinahe wie in unseren heimatlichen Hallen.

Eine Straße windet sich durch die am Fuß des Berges gelegenen Smials, aus denen uns die Bewohner auffallend weniger misstrauisch beobachten denn anderswo, ja sogar mitunter freundlich begrüßen, hinauf bis zu einem von einem dicht mit roten Rosen berankten, hölzernen Bogen überspannten Tor. Ab sitzen wir und binden unsere Ponys in Ermangelung eines dafür vorgesehenen Balkens oder Ähnlichem an einem der Zaunpfähle fest.

Thorin öffnet das Tor und lässt mich höflich zuerst eintreten. Dahinter erstreckt sich an den Hang geschmiegt ein wunderschöner ordentlich angelegter Garten. Klatschrosen, Fliederbäume, Narzissen, Tulpen, Primeln, Lilien ... angeordnet in gepflegten Beeten durch die sich mit weißen Kieselsteinen befestigte schmale Wege schlängeln, die hier und da an bestuhlten Terrassen enden, von denen der Ausblick über das nordwestliche Auenland herrlich sein muss. Den breitesten Weg, der geradeaus vom Tor hinauf bis zum Fuß einer steinernen, steilen Treppe mit etlichen Stufen führt, erklimmen wir jedoch zuerst und gelangen schließlich an die vermutliche Eingangstür des Anwesens. Rund ist sie, sowie es der Bauart der Hobbits entspricht, Rot gestrichen, wie andere auch, allerdings wie alles an diesem Ort sehr viel größer, umgeben von einer Zarge aus grauen Steinen und mit einer hohen und breiten Schwelle, über die wohl schon so mancher stolperte.

Ein Strick mit einer roten Quaste am Ende baumelt neben ihr herunter und noch bevor ich Thorin fragen kann, für was er gedacht ist, zieht er mit voller Selbstverständlichkeit daran. Das Scheppern von Schellen erklingt, nicht nur einmal, sondern immer leiser werdend je weiter entfernt vermutlich an die zehn Mal. Ein Mechanismus scheint das Signal bis tief hinein in die Höhle zu bringen, damit es auch dort gehört wird. Daher lange warten wir und Thorin will gerade erneut schellen, da öffnet sich die Tür mit einem dumpfen Quietschen.

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âfmuhudtuzakh – gesegnetes Grün, 22. März bis 19. April


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